William Shakespeare
Das Leben und der Tod des Königs Lear
William Shakespeare

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebender Auftritt.

Lear, auf eine phantastische Art mit Blumen geziert, tritt auf.

Edgar. Aber wer kömmt hier? Ein nüchterner Verstand wird seinen Besizer nimmermehr so ausstaffieren.

Lear. Nein, sie können mir des Münzens wegen nichts thun, ich bin der König selbst.

Edgar. O herzdurchbohrender Anblik!

Lear. In diesem Stük ist die Natur über die Kunst. Hier ist euer Handgeld. Dieser Bursche trägt seinen Bogen, wie ein Krähen-Mann; spannt mir einen Ellen-Stab – Schaut, schaut, eine Maus. Still, still! – – dieses Stükchen von geröstetem Käse wird es thun – – Hier ist mein eiserner Handschuh, ich will ihn gegen einen Riesen probieren. Bringt die Pfeile her – – O! wohl geflogen, Kiel! Im Schwarzen, im Schwarzen! – – Hey da; Gebt das Wortzeichen.

Edgar. Der liebliche Majoran.

Lear. Passiert.

Gloster. Ich kenne diese Stimme.

Lear. Ha! Gonerill! ha, Regan! Sie streichelten mich wie einen Hund, und sagten mir, ich hätte weisse Haare in meinem Bart, eh noch die schwarzen da waren. – – Ja und Nein zu allem zu sagen, was ich sagte – – Ja und Nein, aber es war unächte Münze. Wie der Regen kam und mich durch und durch nezte, wie der Wind mich schaudern machte, und der Donner auf meinen Befehl nicht schweigen wollte; da fand ich sie, da spürt' ich sie aus. Geht, geht, sie sind keine Leute die auf ihr Wort halten; Sie sagten mir, ich sey alles; es ist eine Lüge, ich halte die Fieber-Probe nicht.

Gloster. Ich erinnere mich des Tons dieser Stimme. Ist es nicht der König?

Lear. Ja, jeden Zolls lang ein König. Wenn ich sauer sehe, seht wie meine Unterthanen zittern. Ich schenke diesem Mann das Leben. Was war seine Sache? Ehebruch? du sollt nicht sterben! wegen Ehebruchs sterben? Nein, der Zaunschlupfer thut es, und die kleine vergüldete Fliege buhlet unter meinen Augen. Laßt das Vermehrungs-Werk gehen wie es will; denn Glosters Bastard war zärtlicher gegen seinen Vater, als meine ehlichgezeugte Töchter. Nur zu, Ueppigkeit, alles durcheinander, ich brauche Soldaten. Sehet jene lächelnde Matrone, deren Gesicht hinter ihren ausgebreiteten Fingern Schnee weissagt, die so tugendhafte Grimassen macht, und vor dem blossen Namen der Wollust den Kopf schüttelt. Die Meer-Kaze und die brünstige Stutte bringt keinen so heißhungrigen Appetit dazu; von der Hüfte herab sind sie Centauren, obgleich von obenher ganz weiblich: Bis zum Gürtel wohnen lauter Götter; weiter unten ist alles mit Teufeln angefüllt. Hier ist die Hölle, hier ist Finsterniß, hier ist der brennende, siedende Schwefelpfuhl – – – pfuy, pfuy! Gieb mir eine Unze Zibeth, guter Apotheker, meine Imagination zu versüssen; hier hast du Geld.

Gloster. O! laß mich diese Hande küssen.

Lear. Ich will sie vorher abwischen, sie hat einen Todten-Geruch.

Gloster. O! zertrümmertes Meisterstük der Natur! So wird einst diese grosse Welt sich zu nichts abnüzen. Kennest du mich?

Lear. Ich erinnere mich deiner Augen ganz wohl; schielst du nach mir? Nein? du magst dein ärgstes thun, blinder Cupido, ich will nicht lieben. Ließ du diese Ausforderung, bemerke nur die Schrift davon.

Gloster. Wären alle Buchstaben darinnen Sonnen, so könnte ich doch keinen sehen.

Edgar. Ich hab' es dem Bericht nicht glauben wollen, aber es ist, und mein Herz bricht darüber in Stüke.

Lear. Ließ.

Gloster. Wie, mit diesen Augen-Dekeln?

Lear. O ho, steht es so mit euch? Keine Augen in euerm Kopf, und kein Geld in euerm Beutel. Eure Augen sind in einem schweren Zustand, und euer Beutel in einem leichten; aber ihr seht, wie diese Welt geht.

Gloster. Ich seh es fühlend.

Lear. Wie! bist du wahnwizig? Es kan jemand sehen wie diese Welt geht, wenn er gleich keine Augen hat. Sieh mit deinen Ohren; sieh wie jener Richter jenen einfältigen Dieb ausschilt! Verändre den Ort, und die Hand auf, die Hand zu, sag mir einmal, wer ist der Richter, wer ist der Dieb? du hast gesehen, daß ein Pachtershund einen Bettler anbellte?

Gloster. Ja, Sir.

Lear. Und der arme Tropf lief vor dem Hund? Da hättest du das grosse Sinnbild des Ansehens beobachten können; man gehorcht einem Hund, wenn er sein Amt thut – – Du ruchloser Büttel, halt deine Hand zurük! Warum peitschest du diese Hure? Streiche deinen eignen Rüken; du keuchest vor viehischer Begierde sie eben dazu zu gebrauchen, wofür du sie streichest. Der Wucherer hängt den Spizbuben. Durch zerlumpte Kleider sieht man die kleinsten Laster; Magistrats-Mäntel und Pelz-Röke verbergen alles. Deke die Sünde mit Gold und die starke Lanze der Gerechtigkeit wird brechen, ohne sie verwunden zu können. Kleide sie in Lumpen, so ist eines Pygmäen Strohhalm hinreichend sie zu durchbohren. Niemand sündiget, niemand, sag ich, niemand, nimm das von mir, mein Freund, niemand sündiget, wer die Macht hat seines Anklägers Lippen zu versiegeln. Kauf dir gläserne Augen, und stelle dich, wie ein Stümper in der Politik, als ob du Dinge sähest, die du nicht siehst. Nun, nun, nun, zieht meine Stifel ab, stärker, stärker, so.

Edgar. O welch eine Mischung von Vernunft und Unsinn!

Lear. Wenn du mein Unglük beweinen willst, so nimm meine Augen. Ich kenne dich ganz wol, dein Name ist Gloster. Du weissest, in dem ersten Augenblik da wir die Luft schmeken, winseln und weinen wir. Ich will dir predigen, horch – –

Gloster. Ach, ach! der Tag!

Lear. Wenn wir gebohren sind, so weinen wir, daß wir auf diese grosse Schaubühne von Thoren gekommen sind – – Es ist ein guter Kloz! Das wär' ein feines Stratagema, einen Trupp Pferde mit Filz zu beschuhen; ich will die Probe davon machen, und wenn ich denn diese Tochtermänner überrascht haben werde, dann schlagt todt, schlagt todt, schlagt todt, schlagt todt etc.


 << zurück weiter >>