William Shakespeare
Das Leben und der Tod des Königs Lear
William Shakespeare

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Neunter Auftritt.

Eine Stube in einem Meyer-Hofe.

Kent und Gloster treten auf.

Gloster. Hier ist es besser als unter freyem Himmel, nehmt es mit Dank an; ich will besorgt seyn euch so viel Vorschub zu thun, als ich kan – – ich werde bald wieder bey euch seyn.

(Geht ab.)

Kent. Alle Kräfte seines Verstandes haben seiner Ungeduld weichen müssen; die Götter belohnen euer mitleidiges Herz.

Lear, Edgar und Narr.

Edgar. Frateretto ruft mir und erzählt mir, Nero sey ein Angel-Fischer im Pfuhl der Finsterniß. Betet in Unschuld und hütet euch vor dem bösen Feind.

Narr. Sey so gut, Nonkel, und sag mir, ist ein wahnwiziger Mann ein Edelmann oder ein Bauer?

Lear. Ein König, ein König.

Narr. Nein, er ist ein Bauer, der einen Edelmann zum Sohn hat; denn das ist ein wahnwiziger Bauer, der seinen Sohn für einen Edelmann ansieht.

LearHier folgen in der ersten Ausgabe etliche Reden im tollhäusischen Geschmak, welche Shakespear vermuthlich selbst in den folgenden weggelassen hat; und welche, wenn es auch möglich wäre sie zu übersezen, den wenigsten Lesern dieser Mühe würdig scheinen würden. Die lezte, welche Lear sagt, ist die einzige, in der man den Shakespear wieder erkennt. .
– – Laßt sie Regan anatomiren – – Seht, was in ihrem Herzen ausgebrütet wird – – Ist irgend eine Ursache in der Natur, die solche harte Herzen macht? Euch, Sir, unterhalt' ich für einen von meinen Hundert; nur steht mir der Schnitt euerer Kleider nicht an; man sollte denken, sie wären persianisch; aber laßt sie ändern.

Gloster kommt zurük.

Kent. Nun, mein gütiger Lord, legt euch hier und ruhet eine Weile.

Lear. Macht kein Getöse, macht kein Getöse, zieht die Vorhänge. So, so, wir wollen morgen früh zum Nacht-Essen gehen.

Narr. Und ich will des Mittags zu Bette gehen.

Gloster. Kommt hieher, Freund; wo ist der König, mein Herr?

Kent. Hier, Sir, aber beunruhigt ihn nicht; sein Verstand ist dahin.

Gloster. Guter Freund, ich bitte dich, nimm ihn in deine Arme; (ich habe etwas von einem Anschlag wider sein Leben gehört;) es ist eine Sänfte bereit, trag ihn hinein, und eile nach Dover, Freund, wo du beydes, Aufnahm und Schuz, finden wirst. Nimm deinen Herrn auf die Schultern; wenn du nur eine halbe Stunde säumest, so ist sein Leben und deines und eines jeden, der ihn vertheidigen wollte, unfehlbar verlohren. Fort, mache fort, nimm ihn auf deine Schultern, und folge mir; ich will dir einen Wegweiser mitgeben – –

Kent. Die unterdrukte Natur schläft. Diese Ruhe möchte ein Balsam für deine verwundeten Sinnen gewesen seyn, die, wie ich besorge, ohne eine günstige Veränderung der Umstände, unheilbar sind. Komm, (zum Narren) hilf deinen Herrn hinweg tragen, du must nicht zurük bleiben.

Gloster. Kommt, kommt, hinweg.

(Sie tragen den König fort.)

Edgar bleibt allein.
Wenn wir Bessere als wir sind mit unsern Uebeln beladen sehen, so vergessen wir beynahe unsers eignen Elends. Wer allein leidet, leidet am meisten am Gemüth, indem er mit Menschen umgeben ist, die von seinen Uebeln frey, durch den beleidigenden Anblik ihrer Glükseligkeit seine Pein verdoppeln. Wie leicht, wie erträglich scheint mir mein Unglük zu seyn, da der König von gleichem Ungemach gedrükt wird! Er hat Kinder, wie ich einen Vater habe – – Hinweg, Tom – – begegne diese Nacht was will, wenn nur der König unversehrt entkömmt – –

(Edgar geht ab.)


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