Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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II. Baumgartenheide.

Wedeking war wirklich bei dem Forstwärter von Baumgartenheide untergekommen, obwohl dieser und seine Frau sich anfangs sehr gesträubt hatten, weil sie auf die Unterbringung von Gästen gar nicht eingerichtet seien. Da sich aber der Fremde mit allem zufrieden erklärte, hatte sich eine kleine Kammer gefunden, in welcher gerade ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl stehen konnten, und man hatte sich schliesslich geeinigt. Nachdem er dann die nächste Umgebung bis an die nicht weit entfernte See hin durchstreift und mit der unvergleichlichen Wonne eines in dem einförmigen Berufs- und Stadtleben vollständig ausgehungerten Naturfreundes sich an dem Dufte des Waldes, dem einsamen Säuseln der Wipfel und dem frischen Rauschen der unbegrenzten See erfreut hatte, sass er in der Dämmerung behaglich in einem kleinen Vorbau des Hauses vor einem weissgedeckten Tisch und verzehrte sein Abendbrot. Auch dies erschien ihm unvergleichlich und voller Poesie, obwohl es nur aus Rührei mit Schinken, Butter, Schwarzbrod und ein wenig Kuhkäse bestand, nachdem er zuvor eine kleine Satte dicker Milch mit geriebenem Brot und Zucker ausgelöffelt hatte. Das war alles so ursprünglich, so einfach und so frei von Künstelei. Solche Gerichte ass er niemals in der Stadt, weil sie ihm dort gar nicht schmeckten, aber hier in dem strohgedeckten Landhause, das rings umgeben war von der schweigsamen Majestät des dämmernden Waldes, in dessen Wipfeln noch ein wenig Abendschein träumte, hier in dieser stillen Ländlichkeit, da erschien ihm dies wie eine köstliche Sache, und unwillkürlich summten ihm die Goetheschen Verse durch den Kopf:

Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen hält.

Die Thür nach der Vordiele war geöffnet, und hinter dieser lag gleich die Küche. Dort befand sich das hübsche Mädchen, welches ihm das Essen aufgetragen hatte, die jüngere Schwester des Forstwärters. Er war fast verwundert gewesen über die schlanke Schönheit mit der feinen gebogenen Nase und den blauen Augen, über welche lange dunkle Wimpern schatteten. Sie war fein und doch kräftig gebaut und ihre Gesichtsfarbe nicht zu blühend, aber auch nicht zu blass durchleuchtet von jenem unvergleichlichen Rosenschimmer der Gesundheit. Es giebt vielleicht keinen besseren Ausdruck für das äussere Ansehen dieses Mädchens, als wenn man sagt, sie besass das, was man bei schönen Pferden Rasse nennt. Sie hatte sehr schnell und geschickt, aber fein ernsthaft und mit niedergeschlagenen Augen ihr Werk verrichtet, und nun war sie in der Küche mit dem Dienstmädchen, welches eine kleine flinke rundliche Büdnerstochter aus der Umgegend war, mit häuslichen Arbeiten beschäftigt. Dabei unter dem Schlüsselgeklapper und dem Platschen des Wassers, welches Wedeking vernahm, zwitscherten die frischen Kinder zusammen wie zwei Vögelchen, und ab und zu trällerte die eine oder die andere eine Strophe aus einem Volksliede. Der junge Mann sass nach beendigter Mahlzeit behaglich zurückgelehnt, während draussen die Dämmerung immer weiter sich verbreitete, und indem er diesem freundlichen Geplauder, dessen Worte er nicht verstand, lauschte, wie man auf ein Bächlein horcht, das über Kiesel lieblich klingend dahinplätschert, fühlte er sich innerlich glücklich und voller Frieden, und weit versunken hinter ihm war die grosse Stadt mit ihren Tausenden von Schornsteinen, ihrem Dampf, Rauch und Getöse. Das Leben dort kam ihm vor wie ein breiter und trüber Strom, verunreinigt durch allerlei Schlamm und Fabrikgewässer, aber hier war ihm, als sähe er seinen unberührten klaren Quell aus verborgener Tiefe sprudeln.

Dann kam der Forstwärter aus dem Walde nach Hause, und die beiden Männer sassen im Wohnzimmer und rauchten und plauderten mit einander. Dort waren die Wände geziert mit einer grossen Anzahl von Gehörnen und Geweihen, deren Träger der Forstwärter in anderen Gegenden der grossen Heide, wo er früher als Jäger thätig gewesen, alle selber erlegt hatte. Jede dieser Trophäen hatten natürlich ihre kleine Geschichte, und dergleichen hörte Wedeking für sein Leben gern. Zudem hatte sich der Forstwärter durch Anregung seines früheren Lehrherrn ein wenig mit Botanik befasst und wusste über die seltenen Pflanzen der Umgegend gute Auskunft zu geben. Es wuchs dort mancherlei, das nicht überall vorkam, so die grosse über mannshoch werdende Saudistel, deren Blätter wie gezackte Hellebardenspitzen aussehen, die strauchartige Sumpfwolfsmilch mit den leuchtend rothen Zweigen, das stattliche und schöne Königsfarnkraut und im Moor die schöne Andromeda mit blass violetten Glöckchen, sowie auf den mit dunkelbraunem Wasser erfüllten Tümpeln die seltsame Utricularia, welche nicht im Boden wurzelt, sondern auf ihrer feinverzweigten, mit kleinen Bläschen besetzten Wurzelverzweigung schwimmt, aus welcher sie zur Blütezeit über die Wasseroberfläche einen Stengel mit Blüten vom herrlichsten Goldgelb emportreibt, und was dergleichen kleine freundliche Naturwunder mehr sind. So sassen sie und plauderten, indes draussen die Finsternis der Nacht sich verbreitete und eine grosse Stille herrschte, so dass Wedeking mitunter in den Pausen des Gespräches eine Leere in seinem Ohre fühlte, weil er das gewohnte Rollen der Wagen vermisste. Nur eine Eule flog zuweilen mit klagendem Schrei draussen vorüber oder ein Nachtfalter mit leichtem Stoss gegen das erleuchtete Fenster. Aus dem entfernten Schlafzimmer tönte der summende Gesang der Frau, welche ihre unruhige Jüngste in Schlaf wiegte, und in der Küche plauderten und sangen die beiden Mädchen, bis auch sie still wurden. Dann kam die Frau, um dem Manne gute Nacht, zu sagen, denn es war zehn Uhr, und bald darauf fing auch der Forstwärter an heimlich zu gähnen, denn morgens war er früh auf und den ganzen Tag thätig. So nahm Wedeking denn sein Licht und suchte sein kleines Schlafkämmerchen auf. Das Fenster war geöffnet und der ganze Raum erfüllt von frischem Waldgeruch. Er kramte seine Sachen zurecht und schloss dann die unteren Flügel, während er die oberen geöffnet liess. Als er in seinem Bette lag, herrschte das tiefste Schweigen im Hause, nur der Holzwurm pickte im Gebälk und ein Mäuschen raschelte behutsam vor der Thür seiner Kammer. Da vernahm er wie aus weiter Ferne durch diese grosse Stille hindurch ein leises taktmässiges Rauschen wie den Pulsschlag der schlafenden Natur. Es war die Ostsee, welche, von einem längst entschlafenen Winde aufgeregt, unablässig an ihre Ufer brandete.


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