Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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II. Alle Drei.

Die Dunkelheit war schon längst hereingebrochen, als der Wagen, welcher den Gutsbesitzer und seinen Freund von der Bahnstation abgeholt hatte, mit scharfem Ruck vor der Thür des freundlichen Herrenhauses zu Rolandshagen hielt, während der Kettenhund am Viehhause unter wahnsinnigem Gebell an seiner Kette rasselte und ein Jagdhund und ein Teckel mit ausgelassener Freude an dem Wagen in die Höhe sprangen. Eilfertig kam ein schmuckes, in Landestracht gekleidetes Stubenmädchen die kleine Freitreppe herab, um den Schlag zu öffnen, und dieser folgten drei anmuthige Mädchengestalten, den zurückgekehrten Vater freudig zu begrüssen. Man begab sich an die grosse Vordiele, wo bereits ein gedeckter Tisch der Ankömmlinge harrte, und hier, bei der hellen Beleuchtung, sah sich Konrad Dannenberg mit Behagen drei rosigen Schönheiten gegenüber, die, obwohl unter sich ziemlich verschieden, doch alle einen gemeinsamen Familienzug trugen, der ihn an seinen Freund erinnerte, dessen blühende Frische sich ebenfalls in den Gesichtern seiner Töchter wiederspiegelte.

»Na, Dirns,« sagte Brüning, »ich sehe, dass mein Brief zur rechten Zeit angekommen ist. Das blaue Zimmer also, Martha; ich werde den Herrn Doctor selber hinaufbringen.«

Als nach einer Viertelstunde Konrad Dannenberg wieder herunterkam, setzte man sich mit grossem Behagen zu Tische, und beide Reisende thaten den guten Dingen und dem trefflichen Rothwein alle Ehre an. Als nach der Suppe und einem köstlichen Fischgericht die dritte Schüssel aufgetragen wurde, verklärten sich die Züge des Gutsbesitzers, und er rief in beistimmendem Tone, der sichtlich aus tiefstem Herzen kam: »Bravo, Martha, das hast Du gut gemacht: Krammetsvögel à la Oberstlieutenant! Nun bin ich doch neugierig, was der Doctor sagen wird.«

Mit etwas bänglichen Gefühlen bediente sich Dannenberg von dem gepriesenen Gerichte; denn er wusste, nun musste er es loben, ob er Grund dazu hatte oder nicht, und das letztere war für sein wahrheitsliebendes Gemüth immer eine hässliche Aufgabe. Aber nachdem er gekostet, verklärten sich seine Züge sanft, und er leerte den Teller mit stiller Andacht. Dann lehnte er sich in den Stuhl zurück und sprach mit dem tiefsten Ausdruck innerster Ueberzeugung: »Ich weiss nicht, ob die Randow das kann!«

»Höchstes Lob, Martha,« sagte der Gutsbesitzer, »Nummer Eins mit Auszeichnung, rother Strich im Kalender.«

Eine sanfte Röthe der Befriedigung verbreitete sich über das Antlitz der also Gelobten, als nun Dannenberg in zierlicher Rede und mit merkwürdiger Sachkenntniss sich über die Vorzüge dieser ihm neuen Zubereitung der geschätzten Vögel ausliess und für Frau Randow um das Recept bat. Die zweite Tochter, Marie, dagegen sah mit einiger Verwunderung auf ihn hin, und um ihre Lippen kräuselte sich etwas, wie leise Verachtung, als halte sie es eines gebildeten Mannes unwürdig, sich mit so viel Aufwand von Geist und Wärme mit so niederen Dingen zu beschäftigen.

Dannenberg stammte selbst aus einer Gutsbesitzer-Familie und seine Mutter war eine berühmte Hauswirthin gewesen. Ein gewisser angeborener Sinn für die Bethätigungen des Hauswesens war durch die Erziehung in ihm befestigt und ausgebildet worden, und er sah mit Behagen und Vergnügen auf das junge Mädchen, welches mit ruhiger Sicherheit ein so grosses Hauswesen zu leiten schien. Sie hatte sich den ganzen Abend nicht vom Platze gerührt; man hatte kaum einen Augenwink von ihr an das bedienende Mädchen bemerkt, und doch ging Alles ohne Hast und Geräusch, wie von selber. Es giebt Hausfrauen, – und zwar sind unter diesen auch solche, die für tüchtig gelten, – welche, auch wenn nur ein einziger fremder Gast vorhanden ist, arbeiten wie eine schlecht gebaute Dampfmaschine, deren Getriebe unter Stossen und Schüttern, gewaltigem Gezische und mächtigem Rädergerassel vor sich geht, während ein wohlconstruirtes Bauwerk dieser Art sanft und fast lautlos hin- und hergleitet und doch das Doppelte leistet. Und während die eine Hausfrau, welche mit rothem Kopfe aus- und einfährt, mit hastigen Augen überall umherspäht und Befehle ertheilt, um sie im nächsten Augenblicke schon zu widerrufen, dem ganzen Hause dieselbe Unruhe mittheilt, so strömt von der anderen ein wohliges Behagen und eine schöne Sicherheit aus, welche der ganzen Umgebung zu Gute kommen.

Nach Tische sass Dannenberg mit seinem Freunde noch eine Weile in dessen Zimmer bei einer guten Zigarre und einem behaglichen Gespräche, welches durch eine Flasche köstlichen Haut Sauternes befördert und in Fluss gehalten wurde, und suchte dann nach guter ländlicher Sitte bei Zeiten sein Schlafzimmer auf.

Als er die Lampe auf den Sopha-Tisch stellte, entdeckte er dort eine freundliche Sache, welche er bei dem ersten Besuche des Zimmers übersehen hatte. Es stand dort nämlich ein altes geschliffenes Spitzglas, und in demselben befand sich ein Zweig blühender Rosen, wie dergleichen oft noch der October als eine verspätete Sommergabe und einen Gruss aus längst entschwundenen schönen Zeiten freundlich bietet. Sie waren von jener zarten, blass-rothen Art, die an Farbe der Apfelblüthe gleicht, und es standen drei Blumen an dem Zweige nahe bei einander: eine voll aufgeblühte, eine halberschlossene und eine, deren Knospe sich eben öffnen wollte. Man hatte wohl die herbstliche Seltenheit, welche in dem stillen Scheine der Lampe wie ein zartes Wunder dastand, nicht besser zu verwenden gewusst, als dem gern gesehenen Gaste und Freunde des Vaters das Zimmer damit zu schmücken. Dannenberg setzte sich auf das Sopha und betrachtete den schönen Zweig mit einer gewissen Andacht, und er hätte kein Poet sein müssen, wenn ihm nicht gleich die Schwestern dabei eingefallen wären: das waren ja auch drei Rosen an einem Zweig, – eine voll aufgeblühte, eine halb erschlossene und eine, deren Knospe sich eben öffnen wollte. Ja, welches war nun die Schönste? Eigentlich gefielen sie ihm alle drei, aber am liebsten dachte er doch an Martha. Es dünkte ihn: wer die zur Hausfrau erhielte, der sei wohl berathen. Dann verfiel er in ein tiefes Sinnen, während immer seine Blicke auf dem vollen Runde der aufgeblühten Rose hafteten. Plötzlich schrak er auf, und zwar vor dem Laute seiner eigenen Stimme, welche seltsam das tiefe Schweigen der Nacht unterbrach, denn unwillkürlich hatte er das Resultat seiner Gedanken ausgesprochen: »Vierundzwanzig Jahre Unterschied!« hatte er gesagt. Er nahm die Lampe, ging an den Spiegel und betrachtete sich prüfend, während er zugleich mit der Hand über das noch ziemlich volle Haar leise hinstrich. Die Besichtigung schien zu seiner Zufriedenheit auszufallen, denn er kehrte zum Sopha zurück und versank bei dem Anblick des schönen Rosenzweiges in neue Träumereien.

Er stellte sich vor, wie er, müde und hungrig von der Bibliothek zurückkehrend, im Hause Alles so behaglich und heiter finden würde, wie es niemals eine Wirthschafterin, sondern nur eine Frau zu Wege bringt, eine sorgsame und immer thätige Hausfrau, auf deren Wangen die Gesundheit blüht. Aber sie würden nicht allein bleiben; es würden Kinder kommen, aber keine mit klugen, blassen Gesichtchen und dünnen Beinchen, deren er so viele in Berlin kannte, nein, solche mit apfelrunden Köpfen und derben Waden, – ja, die würden schön auf den Fussböden herumtrampeln und bei den darunter Wohnenden allerlei unliebsame Vorstellungen von Erdbeben, Gewitter und anderen geräuschvollen Natur-Erscheinungen erwecken. Aber sollten sie denn als Etagen-Kinder aufwachsen, welche die Natur und die Freiheit nur vom Hörensagen oder auf einer kümmerlichen Sommerreise kennen lernen? O nein, er würde ja dann gar nicht in der Stadt wohnen, sondern er würde sich in Steglitz oder Friedenau oder Wilmersdorf ein Haus bauen, so recht nach dem eigenen Geschmack, mit einem schönen Garten rings herum; da wollte er Obstbäume ziehen und Wein und Spalier-Obst, und er stellte sich eine schöne, kräftige Frauengestalt vor, wie sie im hellen Frühlingskleide, mit dem grossen Garten-Strohhut auf dem Kopfe, allerlei köstliches Gemüse säet und pflanzt und auch der zierenden Blumen nicht vergisst, während blühende Kinder, jauchzend vor Frühlingslust, sich in den Steigen und auf freiem neubegrünten, mit gelben Butterblumen gestickten Rasen umhertollen. Das Haus sollte von aussen einfach und schmucklos, aber im Innern desto hübscher eingerichtet werden, mit behaglichen Wohnstuben und riesigen, luftigen Schlafzimmern, nach Südost gelegen, und bequemen und geräumigen Wirthschafts-Einrichtungen. Ja, darauf freute er sich, wenn er die junge Frau zum ersten Male in die Küche fuhren würde, einen hellen, schönen Raum, an den Wänden tapeziert mit blaugemusterten Majolika-Fliesen und ausgestattet mit der besten Kochmaschine, die zu finden, mit dem hübschesten Porcellan und Steingut, und mit den solidesten Geräthen von Kupfer, Messing, Zinn und Holz, und ganz ohne das infame Weissblech. Ja, er sah schon die erstaunten, grossen Augen, welche sie machen würde. . . .

Aus diesen Träumereien störte ihn der Klang der alten englischen Standuhr auf der Diele, welche schnurrend aushob und mit hell tönender Glocke zwölf schlug. Er fuhr empor, besann sich, strich sich über die Stirn, lächelte dann ein wenig und schickte sich an, zu Bette zu gehen. Kurze Zeit darauf erlosch das letzte Licht in Rolandshagen, und das einzig Leuchtende in weitem Umkreise blieben der Mond und die unzähligen Sterne.


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