Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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X. Ausklang.

Einige Monate nach diesen Ereignissen kam ich zu meiner Hochzeit wieder in meine Vaterstadt und zog dann mit meiner jungen Frau an den Ort meiner Thätigkeit. Dem Alten ward die Trennung sehr schwer, jedoch einigen Ersatz leistete es ihm, dass er sich unterdess mit meiner Mutter sehr angefreundet hatte und den behaglichsten Verkehr mit ihr pflegte. Ueber das ereignissreiche Geländer hinweg wurden weise gärtnerische Gespräche geführt und die Erstlinge aller Früchte bewundert. Das beste Obst und die auserlesensten Stücke desselben wanderten überhaupt immer zu meiner Mutter, und bei Ueberreichung desselben auf einem Teller mit Weinblättern brachte der alte Herr in Anbetracht seiner sonstigen Steifigkeit die zierlichsten Verbeugungen zu Stande und war wundervoll galant.

Für den alten Birnbaum mit seinen Rosen hatte er eine besondere Vorliebe gefasst und pflegte beide mit Aufbietung aller seiner Kunst. Um diese Pflege besser ausüben zu können, hatte er sich ein hübsches Gerüst mit Treppen und einem erhöhten Sitze um den Baum machen lassen, und dort sass er gern an schönen Abenden zwischen den Rosen und trank seinen Grog und rauchte, während meine Mutter in ihrem kleinen Garten ihm gegenüber auf der Bank sass und strickte und beide sich allerlei von ihren Kindern erzählten. Als dies wegen der vorgerückten Jahreszeit nicht mehr möglich war, luden sie sich sehr oft einmal zum Thee ein, und dann musste ihm meine Mutter allerlei Musikstücke vorspielen, die er gern hatte. Ja einmal hat sie sogar ihren Schauder überwunden und seinen barbarischen Gesang begleitet, aber allzu borstige Lieder durfte er nicht singen. Auch hat sie ihren ganzen Einfluss angewendet, ihm den unchristlich starken Grog abzugewöhnen und ihn glücklich schon auf halb und halb herunter gebracht. Weiter aber lässt er sich nicht treiben, denn dies ist für ihn die Grenze, wo das Zuckerwasser anfängt.

So kam allmählich ein neues Frühjahr heran und mit seinem Ende die Zeit, wo die wilden Rosen von selber und ohne Treibhaus blühen, und da sah es sehr hübsch aus, wenn Herr Rodekamp mit seinem grossen rothen Gesichte zwischen all den zarten Blüthen der herrlich gedeihenden Rosensträucher hervorschaute und zuweilen mit seltsamer Zärtlichkeit einen der Zweige aufmerksam betrachtete. Um diese Zeit ging eines Nachmittags der Eilbriefträger zuerst in Rodekamps Haus und dann in das Haus meiner Mutter. Kurze Zeit hinterher kam Rodekamp mit einem Briefe in der Hand, so eilfertig er konnte, den Hauptsteig seines Gartens daher und strebte auf seinen Lieblingssitz an dem alten Birnbäume zu. Von der Höhe blickte er in den Nachbargarten, jedoch es war noch Niemand dort. Allein gleich hernach tönte die Klinke der Gartenpforte, und meine Mutter kam auch sehr eilfertig an, ebenfalls mit einem Briefe in der Hand. Als die beiden Alten sich in Sicht bekamen, hielten sie beide zugleich die Briefe hoch, und Rodekamp brach zugleich in ein furchtbares Hurrah aus. Dann sassen sie beide und blickten wieder in die Briefe.

»Ein Junge!« rief Rodekamp.

»Wiegt achtundeinhalbes Pfund!« sagte meine Mutter.

»Hat 'ne Nase wie der Grossvater!«

»Und blaue Augen wie die Grossmutter!«

»Soll Christian heissen wie ich!«

»Und Johannes nach mir!«

»Donnerwetter noch mal zu!«

»Na, na!«

Dann stieg Christian Rodekamp so eilig wie er konnte von seinem Sitze herab, ging an das Geländer und sagte: »Kommen Sie her, Frau Doctorin, und geben Sie mir 'nen Kuss, heut geht's nicht anders!«

Und dann küssten sich die beiden alten Leute über das Geländer hinweg wie einst die jungen und waren glücklich.


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