Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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VII. C2 Hg N2 O2.

Der junge Chemiker, lebhaft angeregt durch sein Gespräch mit dem sonderbaren Goldmacher, er konnte in der Folge seine Gedanken kaum abwenden von den wunderlichen Experimenten und Anschauungen, von welchen er dort gehört hatte. Er quälte sich vergeblich ab, Gründe und Beweise zu erfinden, den Alten von der Nutzlosigkeit und Thorheit seiner Arbeiten zu überzeugen, allein immer sah er wieder ein, dass dies ein vergebliches Bemühen sein werde, ebenso wie es unmöglich ist, jemanden wieder zur Vernunft zu bringen, der sich einmal auf die Quadratur des Zirkels, das Perpetuum mobile oder auf das lenkbare Luftschiff verbissen hat. Zugleich war Bernhard von einer steten Unruhe gequält, wenn er an die neueren Experimente des Alten dachte; er konnte den Gedanken an die Gefahren, mit welchen dieser in seiner Unwissenheit spielte, nicht los werden, der Gedanke an die furchtbaren explosiven Wirkungen des Knallquecksilbers verliess ihn gar nicht mehr, und dies gedieh bald so weit, dass ihn jedes laute Geräusch zusammenfahren liess und er zuweilen des Nachts aus dem Schlafe emporschreckte, in der Meinung, einen lauten Knall vernommen zu haben.

Schliesslich in seiner Unruhe verfiel er darauf, eine geringe Menge des gefährlichen Stoffes, an dem er eine so plötzliche Theilnahme gewonnen hatte, selber herzustellen, und obwohl diese so klein war, dass von einer zufälligen Explosion keine wesentliche Gefahr zu befürchten war, so ging er doch sonderbarer Weise mit Zittern und Herzklopfen an diese Arbeit. Er bereitete sich eine Kältemischung, indem er salpetersaures Ammoniak mit Wasser mischte, setzte ein weites Glasgefäss hinein und löste darin drei Gramm Quecksilber in sechsunddreissig Gramm Salpetersäure auf. Sodann fügte er siebzehn Gramm Alkohol hinzu, schüttelte diese Mischung tüchtig um und dämpfte die alsbald entstehende heftige Reaktion durch einen weiteren Zusatz von siebzehn Gramm desselben Stoffes. Nachdem nun nach einer Weile das Knallquecksilber aus dieser Mischung in farblosen Kristallen sich abgeschieden hatte, nahm er mit einem Holzspan einen Theil desselben hervor, trocknete ihn auf Fliesspapier und ging nun unter einem, ihm als gewiegtem Chemiker selbst unerklärlichen Bangen daran, sich von den explodierenden Eigenschaften des soeben hergestellten Stoffes zu überzeugen. Ihm war, als beginge er eine verwerfliche That, die besser unterbliebe, und jedes Geräusch, das sich draussen in der schwülen Stille des heissen Sommertages hervorthat, erschreckte ihn. Er legte das Knallquecksilber auf einen langen Kienspan, klemmte diesen in eine Ritze der Tischschublade, entzündete das Holz am äussersten Ende und beobachtete dann den Verlauf der Sache aus gesicherter Entfernung. Ein leichter Rauch stieg von dem knisternden Spane auf und verbreitete einen harzigen Duft im Zimmer, und während das kleine Flämmchen aufflackerte und allmählich dem Orte näher brannte, wo der Explosionsstoff niedergelegt war, empfand Bernhard ein Herzklopfen und eine peinliche Spannung, dass er fast anfing, sich dessen zu schämen, da er doch sonst gar nicht zu den Leuten gehörte, welchen das angespannte Warten auf einen Schuss oder Knall unangenehme Empfindungen bereitet. In dem Augenblick nun, wo die Flamme des harzigen Holzes schon ganz in der Nähe jenes Stoffes flackerte und in weniger als einer Minute die Wirkung vorauszusehen war, geschah plötzlich ein so furchtbarer Knall, dass die Grundfesten des Hauses erschüttert wurden, die Fenster klirrten, die Thüren aufsprangen und Bernhard vor Schreck fast vom Stuhle fiel. Ein knisterndes Krachen und ein Rieseln des Kalkes von den Wänden folgte hinterher, dann ward es todtenstill. Von einer schrecklichen Ahnung erfüllt, stürzte Bernhard in das kleine Nebenzimmer. Dort lagen die Scheiben des kleinen Fensters zum Nebengarten eingedrückt und zersplittert am Boden. Er riss es auf und schaute durch den wilden Wein in den Garten des Goldmachers. Zur Seite, wo hinter dem Grün des Buschwerks das Laboratorium gelegen war, quoll eine schwere gelbgraue Wolke von Staub und Rauch hervor und verlor sich langsam in die stille Sommerluft. Nun hörte er die kreischende Stimme der alten Martha in der Ferne und eilte so schnell er konnte auf die Strasse. Hier waren die Leute zusammengelaufen oder schauten mit angstvollen Gesichtern aus den geöffneten Fenstern und thaten rathlose Fragen an einander. Ohne sich aufhalten zu lassen, eilte Bernhard an ihnen vorüber durch die schmale Quergasse und kam noch rechtzeitig vor dem Boldewinschen Hause an, bevor die arg erschrockenen Umwohner mit ihren Vermuthungen zu einem richtigen Schluss gekommen waren, denn die erste Meinung der Leute ging dahin, die Explosion sei in der Werkstatt eines benachbarten Feuerwerkers geschehen, und dorthin lief einstweilen die Menge zusammen. Als Bernhard in dem Garten anlangte, fand er die alte Martha dort, welche jammernd vor den Trümmern des zerstörten Laboratoriums stand, und Eva, welche starr und geisterbleich ihn mit grossen Augen verwirrt anblickte. Die Thür des ehemaligen Gartenzimmers hing zersplittert in ihren Angeln, die Fenster waren zerstört und grosse Stücke aus den geborstenen Mauern nach aussen geworfen. Die Decke war zum Theil eingestürzt, die grösste Menge der Dachziegel herabgeworfen, und die zersplitterten Sparren des Dachgebälkes ragten in die Luft empor. Seltsam war es, dass ein Schwalbennest unter dem Dachvorsprung ganz unversehrt geblieben war und die Alten, als sei nichts geschehen, zwitschernd ihre Jungen fütterten. Als Bernhard in den zerstörten Raum eindringen wollte, fühlte er plötzlich seine Hand festgehalten. »Geh nicht hinein!« flüsterte Eva.

Er entwand ihr die Hand. »Lass mich,« sagte er, »vielleicht ist noch Hilfe möglich.« Sie schüttelte den Kopf. Als er zurückkehrte, las man den Schauder auf seinem Gesicht. Halb bedeckt von den Trümmern der eingestürzten Decke, hatte er den alten Goldmacher gefunden mit zerschmettertem Kopfe. Unterdessen waren Leute forschend in das Haus eingedrungen, und der Garten füllte sich mit Menschen, welche mit bangem Flüstern die Stätte des Unheils umstanden und die Beete zertraten. Die Nachricht verbreitete sich mit geheimnissvoller Schnelligkeit in der Stadt, und immer mehr Leute drangen in den sonst so ängstlich verschlossenen Garten. Dann kamen die Gerichtspersonen, um den Thatbestand aufzunehmen, unter der Leitung des benachbarten Amtsrichters. Als dieser einige Worte der Theilnahme an Eva richtete, sah er sie mit einem Ausdrucke erinnernder Verwunderung an, während sie mit einem seltsamen Blicke zu ihm aufsah. Er blickte nachher noch einmal scharf und heimlich nach ihr hin, fuhr hierauf mit der Hand über die Stirn, als wolle er etwas hinweglöschen, und wandte sich dann seinem traurigen Geschäfte zu. Als er später in einem der nach dem Garten gelegenen Zimmer am Tische sass und dem Schreiber das Protokoll diktirte, und aller Aufmerksamkeit gerade auf Bernhard gerichtet war, welcher seine Muthmassungen über die Entstehung des Unglückes auseinandersetzte, da fühlte der Amtsrichter plötzlich eine weiche, warme Berührung auf seiner Hand, welche er über die Stuhllehne hinabhängen liess. Als er sich verwundert umsah, erblickte er Eva, die leise zur Thür hinausglitt. Bernhard sprach unterdess weiter, aber nach einer kurzen Zeit unterbrach ihn der durch seine schnelle Auffassungsgabe berühmte Amtsrichter und bat ihn fast ein wenig verwirrt, er möge doch die Güte haben, die letzten Sätze noch einmal zu wiederholen.


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