Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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V. Der Alchemist.

Herr Andreas Boldewin sass unablässig in seinem Laboratorium, grübelte über seinen alten Büchern, die gefüllt waren mit dem Aberwitz finsterer Jahrhunderte, und suchte den Stein der Weisen. In seinen Tiegeln häufte er die sonderbarsten Dinge zusammen, und sein Schmelzofen, den er sich nach alten Vorschriften erbaut hatte, war oft Tag und Nacht im Gange. Zuweilen schien ihm eine Klarheit in den Unsinn zu kommen, welchen er aus den alten Schmökern schöpfte, und dann ward seine Thätigkeit eine fieberhafte, dass er Essen und Trinken und Schlaf darüber vergass. Aber alles zerrann ihm wieder in Rauch und Schlacke. Ach, er wusste nicht, dass die wahre Goldmacherkunst längst erfunden war, wenn auch in anderem Sinne, als die alten Laboranten meinten, und dass ein einziger vielseitig verwendbarer Stoff, wie zum Beispiel die Salicylsäure, dem Erfinder unendlichen Reichthum zu schaffen im stande war. Zuweilen jedoch stiegen Zweifel in ihm auf und erzeugten den Wunsch, mit irgend einem Eingeweihten über diese Dinge zu sprechen. Da er aber gewohnt war, in diesem Falle bei dem Apotheker, an den er sich zu wenden pflegte, nur Achselzucken oder ihm unverständliche Ausdrücke zu finden, so ging er schon seit der Zeit, als Bernhard ihn vergeblich hatte besuchen wollen, mit dem Gedanken um, sich an diesen zu wenden, denn auch in diese Abgeschlossenheit waren Gerüchte über die Gelehrsamkeit des jungen Chemikers gedrungen. Als er nun einmal bei Tisch diesen Gedanken wieder vorbrachte, verstand es Eva in listiger Weise, ihn in diesem Vorhaben zu bestärken, und nachdem er noch einige Tage geschwankt hatte, kam dieser Entschluss wirklich zur Reife. Bernhard Brunow war nicht verwundert, als die alte Köchin den Zettel mit einer Entschuldigung wegen der einstigen Abweisung und der Bitte um einen Besuch überbrachte, denn er war darauf schon durch das kleine Fenster in dem wilden Wein vorbereitet worden. Als er nun zum zweitenmale sich in das geheimnissvolle Haus begab, ward er von der Alten über den Hof in den Garten geführt und trat dann ein wenig pochenden Herzens bei dem Goldmacher ein. Dieser befand sich in seinem Arbeitszimmer, welches er als ein richtiger Laborant überhaupt selten verliess, da er sich in dem schmutzigen verräucherten Räume, in welchem ein stumpfer Geruch von Chemikalien und Kohlendunst herrschte, jeder Zeit am wohlsten fühlte. Ursprünglich war dies ein wohlgeschmücktes Gartenzimmer gewesen, und unter dem Russ, Staub und Schmutz, welcher die Wände und die Decke gleichmässig überzog, dass sie einem wohlangerauchten Meerschaumpfeifenkopf zu vergleichen waren, bemerkte man noch die geschweiften Muscheln und Rahmen üppiger Rokoko-Verzierungen und die Spuren reichlicher Vergoldung. In den früher offenen Kamin war nun ein Schmelzofen von sonderbarer Konstruktion hineingebaut, in welchem auch heute ein Feuer glühte, und auf dem Sims dieses Kamins, sowie auf verschiedenen schmutzigen, von Säuren zerfressenen und von den mannigfaltigsten Flüssigkeiten gefärbten Tischen und Geräthen stand und lag ein wahrer Wust von Gefässen, Tiegeln und anderen Gegenständen, darunter sich besonders eine Anzahl von Flaschen bemerklich machte, deren farbiger Inhalt in dem sonst so verräucherten Zimmer auf das leuchtendste in der Sonne schimmerte. Im Grunde sah es in dieser Werkstatt eigentlich nicht viel anders aus als in einem allerdings besonders verschmutzten und unordentlichen chemischen Laboratorium gewöhnlicher Art.

Herr Boldewin, mit einem alten Schlafrock angethan, der vielfach fettig, von Säuren zerfressen und mit Brandflecken ausgestattet war, kam Bernhard etwas verlegen entgegen. Er war ein mittelgrosser Mann mit dünnem strähnigem Haar und einem fetten grauen Gesichte, welchem ein Paar runde Augen von fast gelber Farbe etwas Eulenhaftes verliehen. Er hatte die Gewohnheit, den Leuten, mit welchen er sprach, über die linke Schulter hinweg zu sehen und von Zeit zu Zeit das vielfach um den Hals geschlungene schwarzseidene Tuch, welches ihm als Binde diente, im Nacken mit dem Zeigefinger zu lockern. Nachdem er etwas wie eine verworrene Entschuldigung hervorgestottert und Bernhard ersucht hatte, auf einem alten Sopha Platz zu nehmen, während er sich in einen Lehnstuhl mit Ohrenklappen setzte, begann er unablässig die Hände umeinander zu drehen und zu reiben, bis er endlich hervorschoss: »Sie sind nun wohl ein grosses Licht in der chemischen Wissenschaft, Herr Doktor?« Als Bernhard bescheiden ablehnend erwiderte, dass er sich nach Kräften bemüht habe, in die Geheimnisse dieser ausgedehnten, täglich wachsenden und fortschreitenden Wissenschaft einzudringen, aber noch weit entfernt sei, wirklich etwas zu leisten wie seine grossen Lehrer und Meister, da fiel der Alte mit hämischem Kichern, das in der Gegend des Kehlkopfes seinen Wohnsitz hatte, ein: »Ja die Herren Professoren sollen ja ungeheuer klug sein und meinen, dass sie allein was können und dass die alten Alchemisten dumme Leute gewesen sind.«

Bernhard versuchte nun Herrn Boldewin einen Begriff zu geben von den ungeheuren Fortschritten, welche die Chemie als Wissenschaft in den letzten hundert Jahren gemacht hat, wie die Chemiker früherer Jahrhunderte nur im Dunkeln tappten gleich jemandem, der in finsteren weitverzweigten Kellergewölben tastend etwas sucht, dessen Ort ihm nicht bekannt ist. Das war nun bei dem Herrn Boldewin wohl übel angebracht, denn sein erdiges Gesicht röthete sich und der Zeigefinger seiner rechten Hand lockerte heftig an der Halsbinde, während die Linke eifrig das blanke abgescheuerte Knie seiner alten schwarzen Hosen rieb.

»Oh, oh, oh!« sagte er, »das geht zu weit, junger Herr Doktor. Und wenn Ihre Professoren Ihnen das gesagt haben, so sage ich Ihnen, dass die alten Gelehrten viel gewusst haben, davon man jetzt keine Ahnung mehr hat. Der Beweis ist doch der, dass man ihre Bücher nicht mehr versteht. Unter den alten Alchemisten waren welche, die zu den grössten Gelehrten ihrer Zeit gehörten, glauben Sie denn, dass solche Leute Bücher schrieben, welche sie selber nicht verstanden? Nein, sie wussten, was man nicht mehr weiss und was verloren gegangen ist. Und haben sie nichts geleistet? Brandt entdeckte so nebenher die Herstellung des Phosphors, Böttcher die des Porzellans, das ist wohl gar nichts, he? Haben Sie nichts von dem berühmten Kunckelglas gehört. Nun, Kunckel war auch ein Alchemist und kein schlechter!«

Bernhard sah wohl ein, dass er mit dem verbohrten alten Herrn auf diese Art nicht weit kommen würde, und gedachte sich nicht weiter auf Streitigkeiten mit ihm einzulassen. Ihm war schon einige Zeit eine Inschrift aufgefallen, welche neben dem Kamin an die rauchgeschwärzte Wand gekritzelt war. Sie lautete: »Diamand, Weinstein, Federweiss, nuzzen Gold, vierfach Feuer bereitet, der Feind findet den Stein.«

Er fragte, was das zu bedeuten habe.

»Ach damit,« sagte Herr Boldewin, »habe ich viel Zeit verloren. Ein ganzes Jahr habe ich darüber gegrübelt und laboriert. Es giebt ein altes Buch, welches betitelt ist: »Wunderliche Fata einiger Seefahrer, absonderlich Alberti Julii u. s. w.«, für gewöhnlich nennt man es aber die »Insel Felsenburg.« Das Buch hat ein sehr kluger und erfahrener Mann geschrieben, der auch von der Alchemie nicht geringe Kenntnisse besass. Es enthält viel Lebensgeschichten, darunter auch diejenige des Monsieur Plager, der ein tüchtiger Laborant war. Darin findet sich nun eine Beschreibung, wie der berühmte Daniel Artista in Gegenwart des Herrn Plager vermöge einer Messerspitze voll rubinrothen Pulvers zwei Pfund Blei in das feinste Gold verwandelt und später bei seiner plötzlichen Abreise dem Lehrmeister des Herrn Plager 6 Gran des köstlichen Pulvers und die Nachricht hinterlässt, dass aus dem 3. Verse des 28. Kapitels im Buche Hiob durch ein reines Anagramm der richtige Prozess zu finden sei, den Stein der Weisen zu erlangen. Dieser Vers lautet: »Es wird ie des finstern etwa ein Ende, und iemand findet ia zuletzt den Schieffer tief verborgen.« Daraus haben nun die beiden Laboranten durch Buchstabenversetzung in achtmonatlicher Arbeit dasjenige herausgebracht, was dort an der Wand angeschrieben steht. Im Anfang, als ich erst begann zu arbeiten, habe ich darüber viel Zeit verloren, aber jetzt habe ich es schon lange aufgegeben. Ich arbeite jetzt fast nur mit Quecksilber oder Merkur, wie die alten Schriftsteller sagen, denn ich bin der Meinung des Sendivogius, der in der Beschlussrede seiner »Chymischen Schriften« sagt: »Der Merkur ist des Goldes Haus!««

In Bernhards Kopfe begann es sich wunderlich zu drehen, als er dieses sonderbare Zeug mit soviel Ueberzeugung und Eifer vortragen hörte, er glaubte sich einem Irrsinnigen gegenüber zu befinden, obwohl die gelben Augen des Herrn Boldewin gerade besonders pfiffig blickten.

Dieser war nun einmal im Zuge und fing an, von seinen Experimenten zu erzählen, bei welcher Gelegenheit er so sonderbare veraltete Ausdrücke und alchemistisches Kauderwelsch brauchte, dass Bernhard ihm kaum zu folgen vermochte. Aber ein wahres Angstgefühl ergriff ihn, als ihm plötzlich die Gefahr klar ward, in welcher der Alte bei seinen mangelnden chemischen Kenntnissen täglich schwebte, zumal er so viel von dessen Darstellungen verstand, dass die Furcht gerechtfertigt war, Herr Boldewin möge sich durch sein stetes Arbeiten mit Quecksilber gründlich vergiften oder auch einmal gelegentlich durch Knallquecksilber in die Luft sprengen. Denn er glaubte zu verstehen, dass die Experimente, welche der fanatische Alchemist für die nächste Zeit vorhatte, in der Behandlung von Quecksilber mit Salpetersäure und Alkohol bestehen würden, wodurch unfehlbar sich das äusserst explosive Knallquecksilber bildet. Bernhard versuchte dem Goldmacher dies klar zu machen, allein dieser grinste nur überlegen, zwinkerte pfiffig mit den Augen und sagte: »Was denken Sie, junger Herr Doktor. Ich bin ein alter Laborant, habe hier in diesem Raum schon destillirt und digerirt und sublimirt, als Sie noch gar nicht geboren waren, und bin, wie Sie sehen, noch niemals in die Luft geflogen.« Dann kicherte er wieder so recht von Herzen, dass er ganz roth im Gesicht wurde.

Bernhard wollte es aus guten Gründen mit dem Alten nicht verderben und schwieg auf diese Antwort. Sie unterhielten sich dann von einigen gleichgültigen Dingen, und zuletzt empfahl er sich in der Hoffnung, dass er, da ihm nun einmal der Eingang dieses Hauses geöffnet gewesen, noch öfter dort zugelassen werden würde.


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