Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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VI. Gottfried Lüben.

In meiner Vaterstadt, die ich frühzeitig verlassen hatte, besass ich wenig alte Bekannte, denn diejenigen, welche in der Schulzeit meine Freunde waren, hatten fast alle, wie ich, in der Fremde ihr Glück gesucht. In einem Lande, welches beinahe nur aus grossen Gütern besteht, geringen Handel und wenig Industrie besitzt, ist immer eine grosse Menge der jungen Leute zur Auswanderung genöthigt, weshalb man meinen Landsleuten auch überall in der Fremde in einer auffallend grossen Anzahl begegnet.

Der beste Freund, welchen ich noch besass, war bedeutend älter als ich, und seine Bekanntschaft hatte ich in meiner Tertianerzeit gemacht, als ich meine freien Stunden mit allerlei fanatisch betriebenen Liebhabereien ausfüllte. Herr Gottfried Lüben war ein wenig als Sonderling bekannt, wie alle Leute, welche still für sich leben und mit Vorliebe Dinge betreiben, die nicht Jedermanns Sache sind. Einer der stärksten Triebe, welche der grossen Menge innewohnen, ist derjenige, gleich der Wüste eine Ebene zu bilden und nichts unter sich zu dulden, das eigne Art zeigt. So sich nun einer still und bescheiden absondert, seine eignen Gedanken zu denken und sein eignes Leben zu leben, da zucken sie die Achseln über ihn und sind immer geneigt, einen Mangel an dem Mechanismus seines Gehirns vorauszusetzen. Und doch gerade sind oft solcherlei Menschen gleich den erquicklichen Blüthen zwischen einem öden Meer von Sand und Steinen, und man darf wohl sagen, dass derartige Leute oft dem Fortschritte in der Welt einen grösseren Anstoss gegeben haben, als die Tausende, die mit dem Strome schwimmen. Nun war allerdings Herr Lüben weder ein Genie noch ein einsamer Denker, sondern ein friedlicher Bankbeamter, welcher in einem Hause mit hübschem Garten in der Vorstadt lebte und seine freie Zeit mit unendlichem Fleisse durch allerlei Betriebe ausfüllte, welche sämmtlich in einer leidenschaftlichen Liebe zur Natur ihren Ursprung hatten. Ein hübsches Talent zum Zeichnen und Malen hatte er nach der Richtung hin ausgebildet, dass es ihm möglich war, fast jeden deutschen Vogel farbig aus dem Kopfe darzustellen. Er ward nicht müde, diese seine Lieblinge in allen möglichen Grössen und allen denkbaren Zusammenstellungen aufs neue zu malen, und jedesmal wenn ich ihn nach längerer Zeit besuchte, fand ich ihn beschäftigt, die zierlichen und bunten Geschöpfe nach einem neuen Grundgedanken zu Gruppen zu vereinigen. Sein kleiner Garten war mit Sorgfalt zum angenehmen Wohnplatze für die lieblichen Sommergäste hergerichtet, und er hatte die Freude, in jedem Jahre eine Anzahl von Nestern zu hegen und zu beschützen, denn ihre wahren Freunde erkennen diese klugen Thierchen gar bald. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass die katzenhegenden älteren Jungfrauen der ganzen Umgegend von einem finsteren Verdachte erfüllt waren wegen des Umstandes, dass, wer weiss wie oft, um die Zeit, wo die kleinen Vögel nisten, ihre süsse Miez oder ihr würdiger Murr nicht mehr zu der gewohnten Morgenmilch erschienen und trotz aller Forschung der Verbleib des angenehmen Lieblings in ein grausiges Dunkel gehüllt blieb. Ach, wenn sie gewusst hätten, was ich wusste, dass ein grosser Theil der farbigen Blumenpracht des Lübenschen Gartens aus den Leichen ihrer gemordeten Hausgenossen hervorwuchs, dass dieser jauchzende Vogeljubel über blutigen Gräbern erschallte, da hätten sie wohl tödtlichen Groll in ihren jungfräulichen Herzen gehegt. Herr Gottfried Lüben hat mir selbst unter diabolischem Schmunzeln anvertraut, dass er in einem einzigen Jahre schon einmal fünfunddreissig dieser Todfeinde seiner gefiederten Lieblinge zur Strecke gebracht hätte, wie er sich jägermässig ausdrückte. »Dieser Garten ist von ungeheurer Anziehungskraft für die ganze Katzenschaft der Umgegend,« sagte er, »und wenn ich sie ruhig gewähren liesse, dann würden sie hier Tag und Nacht herum botanisiren und mir alle meine kleinen Vögel aufessen, und zum Ersatze hätte ich dann nur den Genuss ihrer nächtlichen Hochzeitsgesänge im Frühjahr und ihr Gewälze auf meinem wilden Baldrian.«

Eine zweite Eigentümlichkeit dieses Gartens war nämlich die, dass er nur einheimische Pflanzen und Gesträuche enthielt, wie sie in den verschiedenen Gauen unsers Vaterlandes wachsen. Insbesondere für wilde Rosen hegte Herr Lüben eine Vorliebe und hatte sich seit lange bemüht, die verschiedenen deutschen Abarten in seinem Garten zu vereinigen. Seine Neigung für diesen schönsten unserer einheimischen Sträucher ging soweit, dass er sogar in seinem kleinen Gewächshause eine Treiberei eingerichtet hatte, um sich auch zu ungewöhnlichen Zeiten seiner Lieblingsblüthen erfreuen zu können. In diesem Garten fand man den Seidelbast, der oft schon im Februar mit duftenden rosigen Blüthenruthen dasteht und im Sommer mit leuchtenden Scharlachbeeren bedeckt ist, den rothen Traubenholunder, der das Gebirge liebt, den wilden Schneeball, die wohlriechende Myrica aus norddeutschen Torfmooren und eine Unzahl anderer einheimischer Sträucher. Es war ihm sogar gelungen, die sagenreiche Mistel auf einem seiner Bäume anzusiedeln, wobei er genau das Verfahren der Natur zur Verbreitung dieser Pflanze eingeschlagen und sich der Vermittelung einer in Gefangenschaft gehaltenen Misteldrossel bedient hatte. An dem, was sonst auf den Gartenbeeten hervorsprosste, um nach einem oder zwei Sommern wieder zu vergehen oder auch beständig aus Zwiebeln und Knollen wiederzukehren, konnte man sehen, über welche Fülle von Anmuth, zarter, farbiger Bildung und süssem Duft das eigene Vaterland gebietet, und dass keine Anleihen bei dem schreienden Prunk der Fremde nöthig sind, um eine schöne und harmonische Wirkung zu erreichen. Ich würde kein Ende finden, wollte ich alles aufzählen, was in diesem anmuthigen kleinen Garten zu sehen war, und was das Museum des kleinen Landhauses, welches darin lag, noch alles an Schätzen und Wunderlichkeiten barg, denn kaum ein Gebiet der Naturkunde gibt es, auf welchem mein unermüdlicher Freund nicht gesammelt hätte.

Das Bedürfniss nach Rath und Mittheilung trieb mich am Nachmittage dieses Tages zu ihm hin, allein ich fand ihn nicht zu Hause. Auf seinem Arbeitstische lag ein halbvollendetes Blatt eines neuen Cyklus, den er in Arbeit hatte. »Die Vögel unserer Gärten in den vier Jahreszeiten.« Es war der Frühling, welchen er vorhatte, und ringsum lagen die schimmernden Farbenschälchen, welche er benutzt hatte, und standen ausgestopfte Vögel, die als Modell gedient hatten. Daneben lag aufgeschlagen ein Band des »Naumann«. So ruhig und friedlich war es hier und alles so in sich selbst abgeschlossen. Von den Wänden schimmerten aus sauberen Glaskästen einheimische Schmetterlinge und Käfer, gemalte und ausgestopfte Vögel sahen von allen Seiten mit blanken Augen auf mich hin, auf einem offenen Eckborte glänzten farbige Kristalldrusen und flimmernde Erzstufen in einfallenden Sonnenstrahlen, während anderwärts wieder schöngebogene Muscheln zarten Porzellanglanz von sich gaben. Dazu war durch das ganze Zimmer ein sanfter Duft von Naturalien und gutem Varinaskanaster verbreitet, in das geöffnete Fenster leuchtete ein sonniges Grün und ein farbiger Schimmer von Frühlingsblumen und tönte ein wirres, aber liebliches Geschwätz der verschiedensten Vogelstimmen. Ja, hier war Frieden und Behagen, dass es meinem unruhig bewegten Herzen fast weh that.

Ich erfuhr, dass Herr Lüben ausgegangen sei, um dem Treiben eines Eisvogels, dessen Standplätze er kürzlich entdeckt hatte, nachzuforschen, dass er aber für mich hinterlassen hätte, er würde am Abend im »Uhlenhorst« zu finden sein. Ich wanderte nachdenklich an das Thor und strich stundenlang durch die wallenden Kornfelder und vorüber an saftigen Wiesen. In den blühenden Hecken sangen die Ammern und Hänflinge, und über mir war es wie ein Dach von lauter Lerchenjubel. Es war ein herrliches Wetter, aber im stillen sehnte ich mich nach düsterem Wolkengeschiebe, nach Sprühregen und Wind, der die flatterndem Wipfel beugt, denn dies entsprach meiner Stimmung.


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