Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III. Die Eine.

Der Mond glitt langsam zum Horizont nieder und versank gross und roth in dem herbstlichen Nebeldunst, der über den Wiesen und Feldern schwebte. Aber noch lange, bevor die Sterne erblassten und die Hähne den Morgengesang anstimmten, ward es auf dem Gutshofe von Rolandshagen wieder lebendig. Verschlafenen Schrittes ging der Wirthschaftslehrling mit einer Laterne zum Kornboden, um den Knechten, welche mit schweren Stiefeln die Treppe auf- und abpolterten, den Hafer abzumessen. Aber auch im Hause rührte es sich schon, und bald schwankten mit wiegendem Schritt und mit klappernden Eimern die Mädchen zum Viehhause wegen der Morgenmilch, und dazwischen quiekte das Gestänge mangelhaft geschmierter Pumpen, aus welchem Vieh und Menschen mit Wasser versorgt wurden. Darnach ward das Getrappel der auf die Arbeit ziehenden Pferde und das Rollen von Wagen vernehmlich, und da nun die nahende Sonne den schwimmenden Herbstnebel zu röthen begann, so ward auch das kleine Vieh mit Gackern, Schnattern und Gurren lebendig, um seinen gewohnten Beschäftigungen nachzugehen; und als das glänzende Gestirn endlich roth hervorgetaucht war und sieghaft den Nebel zerstreut hatte, da fand es auf dem ganzen Gute Niemanden mehr zu wecken, als den behaglichen Langschläfer aus der Stadt, den noch allerlei wunderliche Zukunftsträume umgaukelten. Als dieser dann endlich nach acht Uhr hinunterkam, fand er nur die drei Töchter dort, denn Brüning war bereits auf das Feld geritten, um sich nach seiner längeren Abwesenheit die Arbeiten und Fortschritte anzusehen.

Wieder weilten die Augen des Doctors mit Behagen auf Martha's voller und doch elastischer Gestalt, welche durch ein einfaches hellgraues Kleid und eine tüchtige weisse Schürze sehr vortheilhaft hervorgehoben wurde, und als er sah, dass sie den Hut aufsetzte, um nach der Meierei zu gehen, bat er, sie begleiten zu dürfen; denn mit einem Male war wieder in seiner Seele eine höchst merkwürdige Theilnahme für die verschiedensten Zweige der Landwirthschaft erwacht. Er liess sich dort Alles zeigen, betrachtete es sorgfältig und fand, dass es gut war, sowohl der kühle Milchkeller, in welchem Alles von Frische und Sauberkeit strahlte, der blank gescheuerte Steinfussboden, die schimmernden Wände und die unzähligen flachen, mit Milch gefüllten Satten, in welchen sich der Rahm absetzte, als auch die schneeweiss gescheuerten Eimer und sonstigen Holzgegenstände, an denen die Eisentheile wie Silber glänzten. Es ward gerade gebuttert, und hier liess er sich genau die Neuerungen an der Maschine erklären und nahm sogar an der Butterliese, einem alten erblindeten und pensionirten Pferde, welches nur noch benutzt wurde, den Göpel zu treiben, tiefen Antheil.

In dem Räume, wo die Butter fertig gemacht wurde, war die Meierin, ein hübsches, kräftiges Mädchen, mit Kneten beschäftigt, eine Arbeit, welche sehr wichtig ist, und zu welcher Geschicklichkeit, Ausdauer und Kraft gehören. Martha streifte das Kleid an den weissen und schönen Armen bis über die Ellenbogen in die Höhe, nahm an derselben Arbeit Theil, und Dannenberg sah nun mit Bewunderung, wie ihr dieses Geschäft von der Hand ging, wie der anfangs krümliche, zarte, weissgelbe Stoff unter ihren Fingern sich ballte und die feinen Perlen überflüssigen Wassers aus ihm hervorschwitzten, wie sie den erhaltenen Klumpen mächtig warf und emsig knetete, bis jene schöne, ebene Gleichmässigkeit erzielt war, welche der Zweck dieser Bearbeitung ist. Er, der so lange Zeit ohne grosse Abwechslung in einem künstlichen Stadtleben, fern von den Quellen der Natur, sich bewegt hatte, ward ganz ergriffen von dem Zauber der Frische und Ursprünglichkeit, welche allen solchen Urbeschäftigungen der Menschheit innewohnt, zumal er sie ausüben sah von einem schönen und blühenden Mädchen, welches anfing, ihm nicht gleichgültig zu sein. Zugleich hatte er Gelegenheit, die klare Bestimmtheit zu bewundern, mit welcher Martha ihre Anordnungen traf und den Mägden, welche dort beschäftigt waren, ihre Befehle ertheilte. Diese aber warfen heimlich Seitenblicke auf den stattlichen Fremden und ihre junge Herrin, und wenn sie nachher ausser Beobachtungsweite waren, ergingen sie sich in geheimnissvollen Bemerkungen, welche so heiter stimmten, dass ihr lustiges Gelächter weithin schallte.

Nach einer Weile begleitete Martha den fremden Gast in das Viehhaus, welches einige neunzig stattliche Kühe und eine Anzahl von Mastkälbern enthielt. Das war aber nicht mehr der veraltete, dunkle und niedrige Stall von früher, als man noch keine Stallfütterung, sondern nur Weidegang kannte, nein, die Kühe befanden sich in einem hohen, saalartigen Raume, dessen Decke nur von einzelnen starken Holzsäulen getragen ward, und durch grosse Fenster kam eine genügende Helligkeit. Die breiten Krippen hingen an eisernen Stangen von der Decke herab, wo sie auf Rädern liefen und in der Längsrichtung des Gebäudes verschiebbar waren. Auch konnte man sie mit Schrauben und Handrädern höher und tiefer stellen, je mehr durch das häufig frisch geschüttete Stroh der Fussboden sich erhöhte. An jede dieser beweglichen Krippen waren zwei Reihen Kühe nur lose mit Ketten angebunden und erfreuten sich, gemächlich kauend, an dem aufgeschütteten, köstlichen Grünfutter, sodass ein behaglich mahlendes Knirschen von über neunzig Mäulern den ganzen Raum erfüllte. Martha kannte sie alle beim Namen und zeigte dem Gaste ihre Lieblinge, die sich durch besondere Schönheit und den höchsten Milchertrag auszeichneten. Kapitain, Nachtigall, Heister (Elster), die natürlich schwarz und weiss war, Bismarck, Putschenelle und Hüppup'nbülten wurden am meisten gerühmt. Auch Kamerun, eine ganz schwarze Kuh, fast ohne Abzeichen, ward lobend erwähnt und aufmunternd gestreichelt. Dann kamen die Mastkälber an die Reihe. Sie standen in kleinen, ganz engen Verschlägen, in welche man von oben hineinblicken konnte, wo sie sich fast keine Bewegung machen und sich nur eben hinlegen konnten. Dannenberg kannte diese Methode noch nicht und fand solche Art von Einsperrung für Geschöpfe von natürlicher Munterkeit ein wenig grausam. Martha, die von dergleichen Sentimentalität vollständig frei war, sah ihn ganz verwundert an und sagte: »Aber, Herr Doctor, die Thiere wissen es ja gar nicht besser und werden gerade noch mal so schnell fett, als wenn sie frei herumspringen. Die sind ganz vergnügt und kriegen so viel zu saufen, als sie mögen. Seh'n Sie die nur mal an, ob sie traurig aussehen!«

Und wirklich, sie trugen auf ihren Angesichtern den Ausdruck wohlgenährter Behaglichkeit zur Schau, und ihre Augen strahlten von innerster Zufriedenheit. Martha wurde auf einen Augenblick abgerufen, und der in der Nähe stehende Futterknecht übernahm einstweilen die Führung. Er führte Dannenberg zu zwei Kälbern von besonders glänzender und rundlicher Schönheit: »Dei sehn Sei sick man mal an, Herr,« sagte er; »das sünd Staatskalwer; dei sünd mit idel säut Melk upbörmt.«

Der Doctor meinte, da würden sie im Verkauf auch wohl bedeutend höhere Preise erzielen. Da grinste der Brave und erwiderte: »Ja, dei, wat Sei woll glöben! Dei warden gor nich verköfft, dei frett uns' Herr sülwst!«

Der Doctor musste laut auflachen über diese drollige Auskunft und theilte Martha welche soeben wieder herzutrat, den Grund seiner Heiterkeit mit. Sie stimmte fröhlich in sein Gelächter ein und sagte dann: »Ja, Recht hat er; für guten Kalbsbraten hat Papa eine Schwäche, und er sorgt immer dafür, dass ein neuer heranwächst.«

Mittlerweile war die Zeit für das Frühstück herangekommen, zu welchem sich Brüning wieder eingestellt hatte, und nun nahm dieser seinen Freund für den übrigen Theil des Tages in Anspruch, um ihm das Gut zu zeigen, besonders sein Steckenpferd, die neu angepflanzten Waldungen, Feldgehölze und vor Allem die lebendigen Hecken an allen Wegen und zwischen den einzelnen Schlägen, die sämmtlich erst in der Zeit entstanden waren, da ihm das Gut gehörte. »Sieh 'mal, früher,« sagte er, »vor langer Zeit, da war ganz Norddeutschland von solchen Hecken durchzogen. Jetzt findet man sie fast nur noch im westlichen Mecklenburg, im Lauenburgischen und in Schleswig-Holstein, wo man sie Knicke nennt. Unsere Vorfahren wussten ganz genau, was sie thaten, und waren überhaupt nicht so dumm, wie manche Leute heutzutage, die sich klug dünken. Denn diese Hecken mit den kleinen Wällen, auf welchen sie stehen, sind Windbrecher und Wärmefänger und geben Schutz vor unserem bösesten Feinde, dem scheusslichen, kalten und trockenen Nordost. Aber da kamen die klugen Leute und rechneten, so und so viel Morgen könnten sie für den Kornbau gewinnen, wenn sie den Boden urbar machten, wo die nach ihrem Urtheile nutzlosen Hecken ständen. Das thaten sie denn auch, und Einer hat's dem Anderen nachgemacht, sodass der mörderische Wind stellenweise viele Meilen weit über die kahle und völlig unbeschützte Fläche dahinbrausen kann. Meine Nachbarn haben sehr gelacht und gespottet, als ich anfing, mit grosser Mühe und vielen Kosten überall wieder Hecken anzupflanzen; aber jetzt machen sie schon sehr nachdenkliche Gesichter bei der Sache und lachen nicht mehr. Denn in dem bösen, trockenen, kalten und sonnigen März vor drei Jahren, als ewig dieser böse Wind wehte, da sind ihre ganzen Schläge ausgewintert, während ich auf meinen geschützten Feldern kaum nennenswerthe Verluste hatte. Und, sieh 'mal, soviel Poet bin ich auch noch, um mich über einige andere Dinge zu freuen; denn Du kannst Dir denken, wie hübsch es aussieht, wenn im Frühjahr in den Hecken der Weissdorn blüht, oder im Juni die wilden Rosen, oder, wie jetzt, aus dem gelben Laube die rothen Hagebutten und das andere Beerenzeug hervorleuchten. Und von der Singerei im Frühling kannst Du Dir kaum eine Vorstellung machen; denn da wimmelt es hier von Hecken-Braunellen, Hänflingen, Grasmücken und Ammern, die alle höchst willkommene Nist-Gelegenheiten finden und ausserdem lauter nützliche Thierchen sind, die sich von schädlichen Insekten und Unkrautsamen ernähren.«

Unter dergleichen weisen Gesprächen und Belehrungen verging bei der Besichtigung aller dieser verschiedenen Anlagen der Tag, und erst als Dannenberg am Abend spät allein auf seinem Zimmer war, gewann er die Zeit, ganz den freundlichen Gedanken nachzuhängen, welche den Tag über alle Augenblicke, wie Sonnenblicke aus wolkigem Himmel, in ihm aufgetaucht waren. Er versenkte sich wieder in den Anblick der einen Rose, welche, nun voll und ganz aufgeblüht, schon die äusseren Blätter zurückbog und in jener Vollendung sich zeigte, die den Anfang vom Ende bedeutet. Er wagte nicht sie zu berühren, aus Furcht, die Blüthe zu zerstören, und sank dann bald aus den bewussten Träumen des Wachens in die unbewussten des Schlafes.


 << zurück weiter >>