Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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II. Die alte Stadt.

Die alte Ostsee-Handelsstadt hatte einst bessere Tage gesehen. Die Zeit ihres höchsten Glanzes war in jenen Tagen gewesen, als der Hansabund blühte. Da hatte sie Krieg geführt mit Dänemark und den Landesfürsten, und gewaltigen Reichthum hatten die zahlreichen Schiffe und der blühende Handel den Bewohnern gebracht. Zeugen davon waren ein alterthümliches Rathhaus, einige schöne alte Gebäude mit reich verzierten gothischen Giebeln und eine Anzahl stattlicher Kirchen, welche stolz aus dem Gewimmel spitziger Ziegeldächer hervorragten wie mächtige Fregatten aus einer Schar von Fischerkähnen. Aber dieser alte Glanz und Reichthum war längst erloschen und verschwunden; und was sich mit einer gewissen schläfrigen Behaglichkeit jetzt von Handel und Wandel dort noch regte, war von keiner grossen Bedeutung mehr.

In dieser Stadt verbrachte Bernhard Brunow die Zeit seiner Kindheit. Sein Vater, ein Kaufmann, hatte sich aus Rücksichten beständiger Kränklichkeit frühzeitig mit einem mässigen Vermögen zurückgezogen und wohnte mit seiner Frau und dem einzigen, spät geborenen Sohne in einem kleinen Häuschen einer der winkligen Nebenstrassen, in welchem schon mehrere Generationen seines Geschlechts gelebt hatten und gestorben waren. Es war ein echtes, altes, eingewohntes Nest mit Urväter-Hausrath und viel zu viel Möbeln, alten Kupferstichen an den Wänden und hunderten von Erinnerungsdingen. Auf dem etwas finstern Flur standen zwei ungebührlich grosse Ungethüme von Leinenschränken mit reichem dunkelbraunen Schnitzwerk. Sie enthielten eine grosse Menge von zum Theil sehr kostbarer Wäsche, deren grösster Theil aber niemals gebraucht, sondern nur zuweilen bewundert wurde und dann einen sanften Lavendelduft ausströmte. Es gab in diesem Hause eine Kleiderkammer, in welcher noch, ausser vielen anderen Reliquien, die ehrwürdigen Staatskleider der Urgrosseltern hingen. Dergleichen kostbares, unverwüstliches Tuch und so schwere, wunderlich geblümte Seidenstoffe gab es überhaupt gar nicht mehr in der Welt. Was nun in diesen überfüllten Zimmern nicht mehr Platz fand oder schon gar zu alt oder gerümpelig erschien, das war hinaufgewandert auf den geräumigen Hausboden und führte dort in dem Lichte, das durch winzige Dachluken mit verwittertem, in allen Farben spielendem Glase in schmalen Streifen eindrang, ein staubiges und vergessenes Dasein. Ja, das Haus war ein rechtes Familienmuseum.

In diesen altväterlichen Frieden waren mit dem jungen Bernhard recht moderne Dinge eingekehrt. Er besuchte die Realschule der Stadt, um dereinst, wie es seit Menschengedenken in der Familie gebräuchlich war, ebenfalls sich dem Handelsstande zu widmen. Jedoch in den oberen Klassen übten die naturwissenschaftlichen Fächer und darunter insbesondere Physik und Chemie solche Anziehungskraft auf ihn aus, dass er alle seine freie Zeit diesen Studien widmete. Da er ein angeborenes mechanisches Geschick besass, so richtete er bald in einem nach dem Hofe heraus gelegenen Zimmer des Oberstockes eine kleine Werkstatt und ein Laboratorium ein und brachte dort wunderliche und künstliche Dinge zustande, nicht gerade zum grossen Vergnügen der Mutter, welcher diese mit allerlei hässlichem Abfall und vielerlei ihr bis dahin ganz unbekannten Arten von Schmutz verknüpften Beschäftigungen eigentlich ein Greuel waren. Aber wenn er den Eltern seine gelungenen Werke vorführte, sahen diese sich still an in der Empfindung, dass eine unheimliche Art von Genie in diesem Knaben walte, dergleichen bis jetzt in der Familie nicht gebräuchlich gewesen war. Schliesslich fiel aber doch dem Vater ein entfernter Blutsverwandter ein, welcher ein Tausendkünstler gewesen war und sogar ein lenkbares Luftschiff erfunden hatte. Zwar hatte es die grossen Erwartungen nicht erfüllt, welche der Erfinder und seine Freunde darauf setzten, indem es bei allen Proben ausschliesslich der herrschenden Windrichtung folgte und am Ende mit einem grossen Knall geplatzt war. Aber ersteres ist stets eine Eigenschaft aller lenkbaren Luftschiffe gewesen bis auf den heutigen Tag, und das zweite hatte ein Zufall herbeigeführt. Jedenfalls wusste man nun aber doch, dass auch eine Welle von Erfinderblut in den Adern der Brunows rollte, die unter günstigen Umständen zu einer Hochfluth anzuschwellen vermochte.

Schliesslich entstand aus diesen Beschäftigungen in der Seele des jungen Mannes ein Wunsch, dessen Aeusserung den Frieden dieses altväterlichen Hauses noch mehr erschütterte, denn alles andere zuvor. Längst schon galt es als abgemacht, dass Bernhard bei dem alten Handelshause Seebohm und Becker, dessen Leiter dem alten Brunow seit Jahren befreundet war, die Handlung erlernen sollte, und nun kam es ihm plötzlich in den Sinn, gegen alle Familienüberlieferung Chemie studieren zu wollen. Da man bald einsah, dass dies wirklicher Ernst war, suchte man ihn wenigstens zum Apotheker zu überreden, da dies ehrenvolle und einträgliche Gewerbe doch einem Kaufmannsgeschäfte näher verwandt schien und eine altersgraue Vergangenheit besass, während das Studium der Chemie, sowie dasjenige des Maschinenbaues ein neuerfundenes und ungebräuchliches war, über welches man nur dunkle Vorstellungen besass. Aber Bernhard war nun einmal der Einzige und setzte es durch, und nach vielen Verhandlungen, Erkundigungen und Besprechungen reiste er, wohlversehen mit Geldmitteln und guten Rathschlägen, nach München ab, wo damals gerade der Ruhm Justus Liebigs als ein heller Stern glänzte.


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