Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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V. Der Schwur.

Ohne eine Ahnung zu haben von dem Unwetter, welches sich in der Stille zusammengebraut hatte, standen wir beide am anderen Morgen vor sechs Uhr schon wieder unter dem alten Birnbaum. Aber während wir uns des sicheren Maximums gegenseitigen Glückes zu erfreuen gedachten, schlich bereits eine furchtbare Depression in Gestalt des alten Herrn Rodekamp, vom Buschwerk gedeckt, durch den Garten, und als ich gerade mit Eveline, welche das Köpfchen an meine Brust schmiegte, in einer mündlichen, aber stummen Unterhaltung begriffen war, welche uns beide sehr interessierte, ward ich mit einemmale aufgeschreckt durch den eisernen Griff einer mächtigen Hand an meiner Schulter und den Klang einer fürchterlichen Stimme, welche rief: »Ei, da haben wir ja den Gartendieb!«

Eveline fuhr entsetzt zurück und verbarg das Gesicht in den Händen, doch ich, nachdem ich mich durch eine schnelle Drehung vom Griffe dieser Faust befreit hatte, gewann schnell meine Fassung wieder und sagte: »Mein Name ist Hans Beinhart, ich bin Ingenieur der Eisenwerke von Bering & Röttgers in Westfalen und bitte um die Hand Ihrer Tochter Eveline!«

Auf diese Frechheit, denn als solche erschien ihm meine plötzliche Werbung doch wohl, schien er nicht vorbereitet zu sein, denn er war zuerst ganz sprachlos und ward dunkelroth vor Zorn, und seine hellgrauen Augen leuchteten unheimlich unter den buschigen Brauen hervor. Endlich schnappte er nach Luft und stiess die Worte hervor: »Zu solchem Zwecke kommt man durch die Hausthür! Sie sind ja aber ein Zaunkriecher! Sie sind nichts als ein Gartendieb!«

»Zum Glücke führen oft die wunderlichsten Wege, Herr Rodekamp!« sagte ich ganz ruhig.

Das ereiferte ihn aber noch mehr, und wüthend rief er aus: »Ein ordentlicher Kerl geht den geraden Weg und erarbeitet es sich. Aber andere junge Laffen wollen es sich bequemer machen und es sich erheirathen. Das glaube ich wohl, dass das ein hübscher und amüsanter Weg ist. Aber ich habe keine Lust, Schmarotzer zu ernähren!«

Ich wurde immer ruhiger, je mehr er sich ereiferte, und sagte so sanft und zugleich eindringlich wie ich konnte: »Herr Rodekamp! Zaunkriecher, Gartendieb, Laffe und Schmarotzer sind nicht die Ausdrücke, mit welchen Sie sich bei Ihrem zukünftigen Schwiegersohne in Gunst setzen können. Ich bitte Sie deshalb, dergleichen nicht zu wiederholen und mich eine Weile ruhig anzuhören. Die Sache liegt so: Ihre Tochter Eveline und ich lieben uns sehr und möchten uns gern recht bald heirathen. Was mich betrifft, so habe ich eine gute Stellung, bin nicht ganz ohne Vermögen, und besitze ein Patent auf eine Erfindung, welches mir sehr angenehme Nebeneinnahmen verschafft. Ich bin also vollständig in der Lage, eine Familie zu gründen und mehr als ausreichend zu erhalten. Irgend einen Theil Ihres hochgeehrten Vermögens bedarf ich nicht dazu, daran ist mir auch gar nichts gelegen, sondern Sie mögen damit thun, was Ihnen beliebt. Ich begehre nur Ihre Tochter, allerdings den grössten Schatz, welchen Sie zu vergeben haben.«

Herr Rodekamp, der wohl merkte, wie wenig er mit der gewohnten Grobheit erreichte, hatte unterdess seine Taktik geändert, verzog den schmalen Spalt seines Mundes zu einem Lächeln, das wahrscheinlich für ein liebenswürdiges gelten sollte, verbeugte sich ein wenig und antwortete mir in einer ungewöhnlich hohen Stimmlage, so verbindlich er nur konnte:

»Ja, mein lieber Herr Ingenieur und Patentbesitzer, das ist nun gerade derjenige Schatz, den ich Ihnen zu geben am allerwenigsten geneigt bin, zumal Sie vermöge der Ihnen angeborenen Klugheit doch wohl ganz genau wissen, dass der andere, welchen Sie mit einem etwas verächtlichen Beigeschmack mein hochgeehrtes Vermögen nannten, doch schliesslich daranhängt. Sie werden sich wohl ohne meine Tochter behelfen müssen. Sie werden ferner jetzt die Ehre haben, hier diesen Steig entlang zu spazieren bis an jene Thür. Dort werden Sie den Ausweg auf die Strasse ohne Mühe finden. Ich darf Ihnen nicht zumuthen, dass Sie noch einmal sich der Unbequemlichkeit unterziehen, durch diesen Zaun zu kriechen, Herr Patentbesitzer. Ich habe die Ehre.« Damit verbeugte er sich, so gut er bei seiner völligen Figur konnte, reichte seiner Tochter Eveline, welche schluchzend danebenstand, den Arm und sagte in seinem gewöhnlichen Tone: »Heule nicht, Line, es nützt dir ja doch nichts. Komm, wir wollen mal sehen, ob die Grafensteiner gut angesetzt haben.«

Das war ja wirklich ein unbehaglicher alter Tyrann, und ich fühlte, wie jetzt in mir der Zorn aufstieg, und ich rief: »Herr Rodekamp, ist das Ihr letztes Wort auf meine ehrliche Werbung?«

Er antwortete wieder, so sanft er nur konnte: »Jawohl, Herr Beinhart, es thut mir leid, Ihnen das wiederholen zu müssen, aber Sie kriegen sie nie! – Nie!« fügte er dann noch einmal hinzu, indem er dieses Wort mit beleidigender Weichheit aussprach, als wäre es aus Schmelzzucker. Unterdes hatte sich ein stärkerer Wind aufgemacht kam durch den Garten dahergerauscht und streute aus dem verblühenden Birnbaume zu unsern Häupten eine ganze Wolke duftigen Blüthenschnees auf uns herab. Der Alte sah hinauf und nun kam ihm ein neuer Gedanke, diese ihm scheinbar sehr zusagende Sorte von sanftmüthigem Hohne noch weiter an mir auszulassen, und er fuhr fort: »All und jede Hoffnung will ich Ihnen doch nicht nehmen, junger Mann. Sehen Sie, wenn es mal so kommt, dass an diesem alten Bergamottenbirnbaum Rosen blühen, lauter Rosen, dann will ich mit mir reden lassen. Dann sollen Sie meine Tochter haben, das schwöre ich Ihnen. Denken Sie, lauter Rosen. Es wird ein poetischer Anblick sein!«

Damit hatte er sich zum Gehen gewendet, zog seine Tochter mit sich und brach in ein ungeheures, schallendes Gelächter der Befriedigung aus, in dessen Zwischenpausen er mit grossem Vergnügen immer wieder die Worte »lauter Rosen« einflocht.

Was sollte ich nun machen? Es blieb mir nichts anderes übrig, als einstweilen besiegt und geschlagen den Rückzug anzutreten, ja meine Lage war fast eine schimpfliche zu nennen, und die Hoffnung, diesem hartnäckigen Feinde günstiger beizukommen, einstweilen eine sehr geringe.

Meine Mutter sah mir, als ich zum Kaffee kam, sofort meine niedergeschlagene Stimmung an, und nach einer kleinen Weile beichtete ich. Ich hätte nie gedacht, dass meine Mutter so in Zorn gerathen könnte. Sie ward ganz außerordentlich böse, und ich glaube, sie fasste es kaum, wie man ihrem Einzigen in einer nach ihrer Meinung so gerechten Sache auf dergleichen schnöde Weise begegnen könne.

»I, da soll ja doch gleich . . .« sagte sie, »das ist ja ein ganz gewöhnlicher Mensch. Ja, gewöhnlich!« – wiederholte sie, und zwar mit einer Betonung, welche diesen Ausdruck als eine wahre Pandorabüchse voll ehrenrühriger Bezeichnungen erscheinen liess. Alle Fische in dem grossen See meiner Vaterstadt wären gestorben, hätte man dieses Wort in ihn versenkt.

»Aber,« fuhr sie fort, »wenn er glaubt, dass ihm das gelingen wird, da irrt er sich. Armer Junge, nimm dir's nicht zu Herzen, es wird ja alles gut. Sie will, du willst, ich will, da werden wir doch den bockbeinigen Amerikaner unterkriegen! Aber dass du mir das jetzt erst sagst! Ja, wenn alles verfahren ist, da kommt das Kind zur Mama, Aber warte nur, das bring' ich schon zurecht.«

Damit lief sie eilfertig hinaus in ihr Schlafzimmer, und ich hörte sie dort eifrig in den Schränken kramen. Nach einer Weile kam sie wieder heraus, ganz stolz geschmückt und feierlich anzusehen. Sie trug ein perlgraues Kleid von schwerer Seide, den schönen Amethystschmuck, der noch von ihrer Urgrossmutter stammte, und ein fast ebenso altes Besitzthum von echten Spitzen. Ihre Hände umspannten eine feste, verschlossene Ledermappe, welche, wie ich wusste, ihre sämtlichen Papiere von Werth enthielt. Dann sprach sie sehr entschieden zu mir: »Jetzt sagst du kein Wort gegen das, was ich thun will, denn es hilft dir doch nichts. Ich gehe jetzt in aller Form auf die Brautwerbung für meinen Sohn, und dieser wird sich ganz still auf das Sofa setzen, eine Cigarre rauchen und abwarten, was daraus wird.«

Wenn über meine Mutter die Thatkraft kam und ihre inneren Sprungfedern in Spannkraft geriethen, das wusste ich wohl, dann musste man sie gewähren lassen, und deshalb fügte ich mich und sagte nur: »Versuche dein Heil!« Im Innern aber glaubte ich nicht an einen Erfolg.

Nach einer halben Stunde etwa kam sie wieder zurück als ein Gefäss voller Zorn und Enttäuschung. Sie war glücklich bis zu Herrn Rodekamp vorgedrungen, hatte aber gar nichts ausgerichtet. Sie war mit derselben beleidigenden Höflichkeit behandelt worden wie ich vorhin und hatte auf alle ihre Vorstellungen nur ein sanftmüthiges »Niemals!« zu hören bekommen. Als sie ihm ihre ganz behagliche Vermögenslage auseinandersetzte, hatte er nur die Hand erhoben, als lägen Haus und Garten und alle die hübschen Hypotheken und Staatspapiere wie ein Federflaum darauf, und hatte darüber hingeblasen. Als sie ihn beschworen hatte, nicht das Glück seiner einzigen Tochter und ihres einzigen Sohnes einer blossen Laune wegen zu vernichten, da hatte er die schmale Spalte seines Mundes um das Doppelte verlängert und bloss gelächelt. »Als ich dieses schreckliche Lächeln sah,« rief meine Mutter, »da riss mir die Geduld, und da habe ich ihm gesagt, dass er ein herzloses Ungethüm ist. Er aber blieb immer gleich höflich und sprach, mein Urtheil sei ihm zwar nicht schmeichelhaft, aber meine Gefühle müsse er achten. ›Grüssen Sie Ihren Herrn Sohn und Patentbesitzer,‹ sagte er dann, ›und vertrösten Sie ihn auf die Zeit, wenn die Rosen blühen.‹ Dabei lächelte er wieder so grässlich. Sag mal, was soll das heissen?«

Ich erklärte ihr dies, worauf sie mich eine Weile starr ansah, dann heftig mit dem Kopfe nickte und ausrief: »Das ist er ganz. Das ist seiner würdig. Ich möchte, dieses Land hier würde despotisch regiert und ich wäre der Obertyrann. Dann wüsste ich, was ich thäte!«


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