Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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IV. Die Andere.

Herr Brüning musste am anderen Tage in einer geschäftlichen Angelegenheit nach Rostock, und Dannenberg blieb für den ganzen Tag auf die Gesellschaft der drei Schwestern angewiesen, womit er schon zufrieden war. Doch hatte jede derselben ihre häuslichen Geschäfte, und so kam denn bald ein Augenblick, wo er in dem behaglichen Wohnzimmer allein war. Draussen ging ein feiner Staubregen hernieder, sodass ein Ausflug in Feld und Wald nichts Verlockendes hatte, und so beschloss er denn, sich einmal in der Bibliothek seines Freundes umzusehen. Als er in dessen Zimmer eintrat, fand er dort ein Tohuwabohu, denn Martha benutzte die Abwesenheit des Vaters, um eine gründliche Herbst-Reinigung vorzunehmen, und war unter Beihülfe des Stubenmädchens gerade mit dem Abstäuben der Bücher beschäftigt. Wieder erfreute ihn die flinke Tüchtigkeit und die fröhliche Arbeitslust, mit welcher das schöne, frische Mädchen auch dieses Geschäft betrieb. Mit dem einen Büchergestell waren sie bereits fertig, und als nun Dannenberg dort heranging, um aus dem Vorrathe Passendes auszuwählen, da fuhr ihm mit einem Male ein Schreck in die Glieder, denn er sah etwas, das seinem bibliothekarischen Herzen tiefen Schmerz bereitete; denn nicht allein, dass die Bücher einfach nach der Grösse wieder eingeordnet waren, fehlte auch bei den mehrbändigen Werken jede richtige Reihenfolge, ja einzelne Bände waren in fremde Gesellschaft gerathen und schienen in tiefe Trauer versunken über die Trennung von ihren Angehörigen, während andere wieder, die Sohlen gen Himmel gerichtet, voll stillen Grames auf dem Kopfe standen. Dannenberg fühlte, dass in seinem Innern etwas zerriss, allein er wollte doch noch einen Versuch machen und stellte Martha mit leichtem Scherz über ihre Unthaten zur Rede. Diese aber sah mit einem Blicke voll feindlichen Hasses auf das Gestell hin und sagte: »Ach, die alten, dummen Bücher! Sie kosten eine Masse Geld und man hat nichts, als Arbeit und Aerger daran. Es ist nur, dass sie dastehen und Staub fangen. Der Einzige, der noch manchmal kommt und sich einen Band leiht, ist unser Schulmeister, – na, und dass der schon halb tickerig ist, weiss ja Jeder.«

Dabei zeigte sie mit dem Finger auf ihre weisse Stirn und lachte spöttisch.

Dannenberg war zerknirscht; er zog aufs Gerathewohl ein Buch heraus, und während er sich dann die Treppe hinauf zu seinem Zimmer begab, summten alle die freundlichen Träume davon, welche sich in seinem Kopfe schon so behaglich eingenistet hatten: die schöne Villa in Steglitz, die hübsche, sorgliche Hausfrau, der prächtige Garten, die lustigen Kinder, der Rasenplatz mit den Butterblumen, und Alles.

Als er dann in seinem Zimmer auf dem Sopha sass, fiel ihm wieder das Glas mit den Rosen in die Augen, und unwillkürlich holte er es zu sich heran. Jedoch die kleine Erschütterung, welche dadurch bewirkt wurde, war für die eine überblühte Rose schon zuviel, und mit einem Male lagen sämmtliche Blätter auf dem Tischtuche, als ein zartes, rosiges Häufchen. Dannenberg lächelte ein bischen wehmüthig über dies symbolische Ereigniss und richtete seine Augen auf die folgende Rose, welche nun voll aufgeblüht war und die vergangene an Schönheit fast übertraf. Es war merkwürdig, wie schnell jeder Gedanke an die wirthschaftliche Martha in seinem Innern vertilgt war durch das eine kleine Ereigniss, wo er plötzlich die Kluft gähnen sah, welche zwischen ihm und ihr sich aufthat. Es war eine jener flüchtigen Zuneigungen des menschlichen Herzens, die gleichsam auf eine Schiefertafel geschrieben sind, sodass ein Strich mit dem Schwamm genügt, sie hinwegzulöschen; und als der Doctor mit den drei Mädchen zu Mittag ass, da war die Ruhe seines Gemüthes schon so weit wieder hergestellt, dass er bereits fröhlich zu scherzen vermochte.

Einige Zeit nach Tische gelangte er durch Zufall in das kleine grüne, nach dem Garten hinaus gelegene Eckzimmer, wo er schon öfter sich lesend aufgehalten hatte, weil es so still und abgelegen war. Dort fand er die zweite Tochter, Marie, vor, in ein Buch vertieft, und mit dem Falkenblicke des Autors bemerkte er sofort, dass dieses Buch die »Gedichte von Konrad Dannenberg« waren. Ein zweiter Blick sagte ihm, dass die Schöne trotz der nachmittäglichen Stunde nicht dabei eingeschlafen war, sondern dass sie mit von Theilnahme gerötheten Wangen sich wirklich in das Buch vertieft hatte. Da dies nun mehr ist, als ein gelegentlicher lyrischer Dichter in Deutschland heutzutage billiger Weise verlangen kann, so that es seinem Herzen gut, und ein freundliches Wohlwollen gegen das junge Mädchen regte sich in ihm. Schon wollte er mit einer leichten Entschuldigung sich wieder entfernen, um die Leserin nicht zu stören, da blickte Marie zu ihm und sagte:

»Ich wusste gar nicht, Herr Doctor, dass Sie ein Dichter sind, – da hat mir Papa gestern Ihr Buch gegeben. Ich muss nun gestehen, dass ich ganz verwundert bin; denn seit Sie am ersten Abend mit so grosser Theilnahme und Kenntniss sich über Kochkunst und Essen und Trinken unterhielten, glaubte ich nicht, dass Sie überhaupt an idealen Dingen Antheil nehmen könnten.«

Dannenberg setzte sich, schaute behaglich vor sich hin und sagte: »Ja, mein Fräulein, was sind ideale Dinge? Zu essen sind sie jedenfalls nicht, wie Sie anzunehmen scheinen. Zunächst muss ich vorausschicken, dass ich einen vielleicht ungerechtfertigten Hass gegen die Bezeichnungen ideal und Idealismus hege. Ich bin der Meinung, diese Ausdrücke haben die Philister erfunden, um damit eine Art von hohler optimistischer Rhetorik zu bezeichnen, welche ihnen imponiert, und welche sie wegen ihrer tönenden Gemeinplätze für Poesie halten. Diese Art Idealismus fängt genau dort an, wo die Kenntniss der Wirklichkeit aufhört, und solche Art von Poesie ist sehr bequem auszuüben, weil sie nur ein wenig formale Begabung und eine möglichst grosse Unkenntniss der Welt erfordert. Alle wirkliche Kunst aber ist realer Natur und gleicht einem Baume, der seine Wurzeln tief in die wohlgegründete Erde streckt und aus ihr die Kraft saugt, seine Krone weit auszubreiten und schimmernde Blüthen und schwellende Früchte zu zeitigen. Und wenn ihr das gelingt, das heisst, wenn sie es vermag, die Dinge dieser Welt, die Gedanken, Meinungen und Handlungen wirklicher Menschen in ihrem Kerne darzustellen, befreit von allen Zufälligkeiten, so kann man sagen, dass das Ideal erreicht ist. Aber der Mechanismus dieser Welt und des menschlichen Herzens ist ein sehr verwickelter, und Wenigen gelingt es, dies Getriebe zu überschauen, – weshalb es wohl viele Poesiebeflissene, aber nur wenige Dichter giebt. Doch entschuldigen Sie diese Abschweifung; ich wollte Ihnen eigentlich antworten auf das, was Sie vom Essen und Trinken sagten. Der wahre Dichter, dessen ideales Bild dem braven deutschen Philister tief in's Herze gegraben ist, legt allerdings auf Essen und Trinken keinen Werth. Er lebt in einer Dachstube, trägt etwas zu langes Haar, vernachlässigt seine Kleidung und ist bei Bouletten und Bratkartoffeln und einem Glase Dünnbier froh, wie ein König, denn in seinem Haupte hegt er ja das Ideal, und er weiss, dass er nach seinem Tode ein schönes Denkmal bekommt, oder auch nicht.

Im Grunde liegt die Sache nun wohl nicht ganz so; denn der Dichter ist doch eben ein Mensch, wie Andere auch, und unterscheidet sich nur dadurch von der grossen Menge, dass es ihm gegeben ward, die Dinge dieser Welt mit neuen Augen anzusehen; denn nicht, was man sieht, sondern wie man sieht, darauf kommt es an. Und da sollte es ihm entgehen, welcher Schatz von Poesie im Essen und Trinken liegt, den allernothwendigsten Beschäftigungen der ganzen Menschheit? Dem wahren Dichter soll nichts Menschliches fremd sein und nichts zu gering, dass er nicht versuche, mit liebendem Blick es zu durchdringen, um seine Eigenart oder Schönheit zu Tage zu fördern. Ich spreche nicht von mir, Fräulein Marie; ich bin ein kleines Poetlein und laufe so mit im grossen Haufen; ich spreche von meinem Ideale. Und da muss ich sagen eine gewisse Ausbildung des Geschmackssinnes gehört zur Bildung. Barbarisch nenne ich Jenen, und sei er der gelehrteste Professor, der stumpfsinnig in einer widerwillig abgerungenen Arbeitspause sein Essen in sich hineinschlingt, ohne zu wissen, was er verzehrt, und eine leise Verachtung hege ich vor Jenen, die es als eine Tugend hinstellen, dass sie für Tafelgenüsse keinerlei Sinn haben, während sie sich doch eigentlich dieses Mangels ein wenig schämen sollten. Verächtlich sind mir aber auch die Gegenbilder: der gewöhnliche Fresser, dem es auf die Masse ankommt, und der protzenhafte Schlemmer, welchem nur die Kosten Genuss bereiten. Und schliesslich mache ich Sie darauf aufmerksam, dass man niemals von einem Kochhandwerk, sondern von einer Kochkunst spricht, dass also unsere sinnreiche Sprache auch hier fein und richtig unterscheidet, und ausserdem steht fest, dass Niemand den Gipfel dieser Kunst erreicht, der nicht zugleich ein Stück Poet ist, denn kochen im höchsten Sinne heisst dichten!«

Hier ward Dannenberg von Marie Brüning durch ein lustiges Gelächter unterbrochen. Dann sprach sie: »Wahrhaftig, Sie verstehen es, eine Sache zu vertheidigen. Man bekommt ja ordentlich Ehrfurcht vor einem solchen Dichter-Koch oder Koch-Dichter. Ich stelle ihn mir vor in seiner hohen, geräumigen, mit dem herrlichsten Geschirr angefüllten Küchenhalle, wie er, umgeben von andächtigen Schülern, vor dem Herde gleichwie vor einem Altare waltet und, angethan mit einem schneeweissen Talar und einen Lorbeerkranz auf dem Haupte, weihevoll eine Schnepfen-Pastete dichtet.«

»Sehr gut,« sagte Dannenberg belustigt, »ich sehe, wir verstehen uns.« Es gefiel ihm ausnehmend, dass das junge Mädchen es vermochte, sogleich auf den humoristischen Ton einzugehen, welchen er angeschlagen hatte. Als sie dann im weiteren Verlaufe des Gespräches sich von seinen Dichtungen unterhielten, bemerkte er mit Wohlgefallen, – denn welcher Poet wäre dagegen unempfindlich? – dass sie diese mit Sorgfalt gelesen hatte; auch schienen ihm die Fragen, welche sie stellte, wo ihr etwas dunkel geblieben war, sehr verständig. Er fing an, sie für eine recht angenehme junge Dame zu halten. Es reizte ihn dann, zu erfahren, wie sie über seine beiden Lieblinge unter den lebenden Dichtern dächte, über Gottfried Keller und Theodor Storm, zwei Poeten, deren einer an der äussersten Südgrenze, der andere an der äussersten Nordgrenze deutschen Sprachthums seine Heimath hat. Da stellte sich allerdings heraus, dass sie von dem ersteren nichts wusste, kaum seinen Namen; der zweite aber war ihr wohlbekannt, allerdings auch nur durch die weitverbreitete Erzählung »Immensee,« und dies führte auf die Besichtigung ihrer niedlichen kleinen Bibliothek, welche auf einem zierlichen Hängebrette an der Wand desselben Zimmers untergebracht war. Es war die richtige Backfisch-Bibliothek, und zwar so normal, dass sie dem Bücherkenner Dannenberg unwillkürlich ein Lächeln entlockte. Da waren, als am stattlichsten in der äusseren Erscheinung, Stifter's »Studien«, da war »Waldmeisters Brautfahrt« von Roquette, Kinkel's »Otto der Schütz« und Fouqué's »Undine.« Dort befand sich »Frau Holde« von Baumbach, Leander's »Träumereien an französischen Kaminen« und Andersen's »Bilderbuch ohne Bilder«. Natürlich fehlten nicht »Die Irrlichter« von der Peterssen, »Das Wort der Frau« von Heyden, »Was sich der Wald erzählt« von Putlitz, und was dergleichen poetische Nippsachen mehr sind. Das war nun zwar nicht viel, aber doch etwas; es war wenigstens ein literarisches Interesse vorhanden, und das that Dannenberg nach seiner trübseligen Erfahrung von demselben Morgen doppelt wohl. Zudem war Marie eine sehr angenehme Erscheinung. Sie war nicht von der derben, blühenden Schönheit ihrer älteren Schwester, sondern Alles an ihr war zarter und sanfter, und ein gewisser verschleiert träumerischer Ausdruck stand den dunkelgrauen Augen sehr gut. So kam es denn, dass Dannenberg, als er an demselben Abend auf seinem Zimmer sass und sinnend die zweite Rose betrachtete, welche nun sich voll erschlossen hatte, wiederum in höchst merkwürdige Träumereien verfiel. Es musste doch köstlich sein, ein sanftes, weibliches Wesen um sich zu haben, das Antheil nimmt an Allem, was Geist und Gemüth des Mannes bewegt. Wie schön, mit ihr gemeinsam zu geniessen, was Poeten, Musiker, und Künstler Herrliches geschaffen haben; wie schön sie einzuführen in diese Wunderwelt und das Alte, längst Bekannte in dem träumerischen Spiegel ihrer Augen neu zu geniessen! Wie schön, – ja, Herr Doctor Konrad Dannenberg war ein sonderbarer und gründlicher Träumer.


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