Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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Drei Rosen an einem Zweig

I. Konrad Dannenberg.

Der Bibliothekar Doctor Konrad Dannenberg war ein behäbiger Junggeselle im Anfange der Vierziger, ein Mann in den besten Jahren, wie man so sagt. Er hatte in der Bendlerstrasse zu Berlin in einem alten, merkwürdig kleinen Hause eine sehr behagliche Wohnung inne, und dazu das Glück gehabt, dass ihm in Frau Randow der Himmel eine Wirthschafterin beschert hatte, welche über alles Lob erhaben war. Die alte Dame kochte bewunderungswürdig; Alles, was mit ihrer Hand in Berührung kam, glänzte von Ordnung und Sauberkeit, und an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln, wäre offenbare Tempelschändung gewesen. Ja, auf die Gefahr hin, an Glaubwürdigkeit einzubüssen, muss ich sagen, dass sie es verstand, eine ganze Bibliothek abzustäuben, ohne auch nur ein einziges Buch aus seiner geheiligten Ordnung zu rücken oder auf den Kopf zu stellen; ja, noch mehr, sie vermochte sogar einen mit Notizen bedeckten Schreibtisch aufzuräumen, ohne dessen Besitzer an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Wer da weiss, dass dies Tugenden sind, welche der Himmel nur in seiner Gebelaune austheilt, der wird zugestehen, dass Herr Konrad Dannenberg in dieser Hinsicht ein Glückskind war.

Auch sonst hatten ihn die Natur und das Schicksal nicht vernachlässigt. Er war ein gutgewachsener Mann von einer angenehmen Körperfülle; sein von einem vollen Barte umrahmtes Gesicht trug hübsche, wohlwollende Züge zur Schau, und war ihm auch schon das Haar ein wenig nach hinten gerückt, so trug dies nur dazu bei, eine schön geformte Stirn in's rechte Licht zu setzen. Er war, obwohl im Grunde eine zurückhaltende Natur, in Kreisen, wo er sich zu Hause fühlte, ein angenehmer Gesellschafter, dessen behaglicher Humor etwas wie stillen Sonnenschein um sich verbreitete, und er verstand es, in leichter und spielender Art seine mannigfachen Kenntnisse auf den verschiedensten Gebieten ohne Aufdringlichkeit leuchten zu lassen. Von einer freundlichen poetischen Begabung legte ein Bändchen »Gedichte von Konrad Dannenberg« Zeugniss ab, das, schon vor Jahren erschienen, ein besseres Los verdiente, als nur von Wenigen gekannt zu sein. Vor Allem gewandt in der Form, zeichneten sie sich durch eine gewisse saubere Gediegenheit der Arbeit und eine gewinnende Liebenswürdigkeit des Inhaltes vor den meisten ähnlichen Veröffentlichungen aus, die alljährlich zu Hunderten in dem grossen Maculatur-Strome auftauchen und wieder verschwinden.

Im Uebrigen eine maassvolle und wohlwollende Natur, die Jedem das Seine gönnte, waren seine Fehler vielleicht ein allzu grosser Hang zur Bequemlichkeit und zu behaglichem Genuss; er war ein wenig Feinschmecker auf allen Gebieten und genoss ein köstlich bereitetes Gericht oder einen vorzüglichen Wein mit demselben Behagen, wie eine Novelle von Storm oder Keller, oder ein Joachim'sches Quartett, oder eine gute Theater-Vorstellung. Da er nun ein solcher Lebenskünstler war und Alles besass, was dazu gehört, – einen guten Magen, ein hübsches Vermögen, ein heiteres Gemüth, die Gabe, das Hässliche und Unschöne von sich auszuschliessen, und vor Allem die so seltene Fähigkeit, sich zu beschränken und mit dem Erreichbaren sich zu begnügen, so hätte er eigentlich glücklich sein müssen, soweit dies für einen Menschen überhaupt möglich ist. Allein zuweilen empfand er doch, dass ihm etwas fehle, insbesondere, wenn er in einer befreundeten Familie zu Gaste war, wo hübsche, fröhliche Kinder, die Abbilder ihrer Eltern, um den Tisch sassen; dann fühlte er, dass sein behagliches Junggesellenleben doch ein ödes und einsames war, und dass nur der wirklich im Leben steht, der alle seine Sorgen und Pflichten ganz und gar auf sich nimmt. Solches hatte er schon vielfach in seinem Geiste erwogen; allein niemals hatte es sich fügen wollen, dass er die Rechte fand, obwohl es an Entgegenkommenden ihm niemals gefehlt hatte. So hatte er sich allmälig in das Schicksal, als ein alter, einsamer Junggeselle sein Leben zu beschliessen, fast gefunden, und um so leichter gelang ihm dies, als ihm durch Frau Randow die sämmtlichen Schrecken des ehelosen Standes erspart blieben.

So war er vierundvierzig Jahre alt geworden, hatte an seinem Geburtstage einige gute Freunde mit köstlichen Rebhühnern und auserlesenen Weinen bewirthet, und sie hatten das Lob der Frau Randow in allen Tonarten gesungen, was sowohl diese, als ihr Herr mit befriedigtem Schmunzeln aufnahmen.

Unter diesen guten Freunden befand sich ein alter Studiengenosse, Otto Brüning, ein Gutsbesitzer aus Mecklenburg, der zufällig in Berlin anwesend war, um unter dem Vorwande eines geringfügigen Geschäftes, das in der Hauptstadt zu erledigen war, sich einmal ein recht tüchtiges Vergnügen zu bereiten. Dieser zeigte sich besonders begeistert von Frau Randow's Kochkunst und rief: »Donnerwetter, das kann ja kaum meine Martha, und die ist doch ein Genie im Kochen; das darf ich wohl sagen, obwohl ich der Vater bin. Meine Aelteste nämlich, der ist es angeboren; sie hat es, wie Uhland sagt, in den Fingerspitzen. Ja, das sind Gaben, – aber die Randow kann's auch.«

Man war nun verwundert, dass ein verhältnissmässig so junger Mann schon erwachsene Kinder habe, und der Gutsbesitzer erklärte dies: »Ich musste schon mit zweiundzwanzig Jahren das väterliche Gut übernehmen, und mit dreiundzwanzig habe ich mich verheirathet. Das habe ich nie bereut, denn das alte Sprichwort hat sein Wahres. Leider ist mir meine Frau vor einem Jahre gestorben; aber ich habe drei Töchter, von zwanzig, achtzehn und sechzehn Jahren, und einen Jungen von dreizehn; der ist in Rostock auf dem Gymnasium und kriegt mal das Gut. Was nun meine Töchter betrifft, so hat Martha die Wirthschaft übernommen, und das geht Alles, wie am Schnürchen. Meine zweite Tochter Marie ist mehr für die Bücher und die Musik, und Lene, meine Jüngste, ist noch ein bischen unbedarwt und sagt nicht viel; aber sie hat's hinter den Ohren und wird noch mal die Hübscheste von Allen.«

Als die anderen Freunde sich entfernt hatten und Dannenberg mit Brüning, welcher bei ihm wohnte, noch eine Weile bei einer Flasche Rauenthaler sass, sprach dieser: »Höre mal, mein lieber Freund, diesmal lasse ich Dich nicht los; diesmal musst Du mit. Zweiundzwanzig Jahre sind es nun her, dass Du nicht bei uns warst, und alle diese Jahre hast Du mich mit Versprechungen genarrt. Und jetzt ist es gerade schön in Rolandshagen. Das Gut hatte schon früher immer etwas Wald, und ich habe im Laufe der Zeit alle die Stellen mit geringerem Boden, wo doch nichts Ordentliches wuchs, wieder angeschont, sodass die älteren Bestände schon zwanzigjährig und recht stattlich sind. Infolge dessen, und weil wir sowohl im Sommer als im Winter hinter den infamen Füchsen und dem übrigen Raubzeuge her sind, hat sich der Wildstand mächtig vermehrt, und besonders Rehe haben wir viel, da auch die Nachbarn in verständiger Weise schonen und nur Böcke oder ganz alte Ricken abschiessen.

»Hühner wurden in diesem Jahre einunddreissig Völker gezählt, denn seit ich in alten Mergelgruben und an andern passenden Orten ihnen dichte Remisen von allerlei Dornsträuchern und Wachholder habe anlegen lassen, wo sie im Winter Schutz und Nahrung finden, sind sie viel häufiger geworden, als früher. Sieh mal, da kannst Du am Tage auf die Hühnerjagd gehen und am Abend auf den Anstand und einen Rehbock schiessen; oder wenn Du magst, kannst Du auch den Dohnensteig abgehen und in Ordnung halten; er liegt sehr günstig, und wir haben im Herbst oft so viele Krametsvögel, dass wir manches Schock verschenken können. Na, und für die langen Abende, oder wenn schlechtes Wetter ist, habe ich, wie Du weisst, eine ganz nette Bibliothek; denn ich habe mir stets Alles angeschafft, was Du mir in Deinem jährlichen Weihnachtsbrief empfohlen hast und gelte bei meinen Nachbarn für einen Bücherwurm, obgleich ich wenig genug zum Lesen komme. Ferner, und auf dieses freue ich mich besonders, – habe ich so ein paar alte Jahrgänge im Keller, von denen Keiner in der Umgegend etwas versteht; das ist so etwas für Abends nach Tische, mein alter Junge. Schon deshalb musst Du kommen, denn solche Weine trinkt man nicht allein, sondern dazu gehören ein oder zwei mitfühlende Herzen.«

Nachdem nun Brüning diese lange Rede hinter sich hatte, erhob er sein Glas, liess es an dasjenige seines Genossen anklingen, schlürfte behaglich den köstlichen Inhalt und sagte dann: »Also abgemacht, übermorgen mit dem Schnellzuge geht die Reise vor sich!«

Dannenberg sträubte sich noch eine Weile, allein vergeblich; der Freund liess keinen seiner Gründe gelten und gab sich nicht eher zufrieden, als bis er im Besitze eines festen Versprechens war.


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