Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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IX. In der Dämmerung.

Es dunkelte schon, als der Doctor Bernhard Brunow in jener Fliederlaube des Gartens vor der Stadt aus seinen Träumereien dadurch erweckt wurde, dass ein Mädchen der Wirthsleute kam, den Tisch abzuräumen, weil unterdess der Himmel sich bezogen hatte und schon einige Regentropfen fielen. Er stand auf mit einem kleinen Seufzer, zugleich war aber um seinen Mund das stille Lächeln dessen, der überwunden hat. Er machte sich auf den Heimweg. Unter den Ulmen und Platanen war es schon dunkel, leer und still, nur der Regen trommelte auf den Blättern. Der Doctor wanderte nun in der Dämmerung langsam seinen Weg, während die Tropfen leise auf ihn hernieder rieselten. Noch stärker und würziger kam in der Kühle des Abends der Heuduft aus dem Wiesengrunde, die Blätter der wilden Rosen am Wegesrande hauchten ihren apfelartigen Geruch aus, und in dem dunklen Gebüsch schlug zuweilen abgebrochen wie aus einem Traume heraus eine Nachtigall. Dann kamen zur Seite die Gärten der Landhäuser und füllten rings die Luft mit einem Hauch von blühenden Rosen und Jasmin, und dann war wieder die schwarze Chaussee da und der stumpfe und dem Doctor doch so heimische chemische Dunst. Er wanderte vorüber an den zahlreichen Fabrikgebäuden, die am Tage so lärmreich und geräuschvoll waren, doch nun so still und todt dalagen und mit mannigfachen dunklen Giebeln und Schornsteinen in die dunstige Regenluft emporragten. Dann tönte das Brausen des Wehres am Mühlenthore vor ihm; er stand eine Weile und blickte nachdenklich in das stürzende Wasser und den fliessenden Schaum, ging dann nach der andern Seite, wo das Wasser glatt war und jeder Regentropfen einen kleinen Kreis um sich machte, in dessen Mitte das Wasser zierlich aufhüpfte, und diesem Spiele sah er lange zu. In den sonst so frischen und thätigen Doctor war wohl heute ein ganz besonders träumerischer Geist gefahren. Dann schlenderte er langsam durch das alterthümliche Mühlenthor und die wegen des Regens fast leeren Strassen seiner Wohnung zu. Als er in sein Zimmer trat, dessen Fenster geöffnet waren, fand er es ganz erfüllt von frischem Lindenblüthenduft und der Kühle des Regens. Er zündete kein Licht an, sondern nahm eine Cigarre und setzte sich in einen Lehnstuhl ans geöffnete Fenster. Dort sass er noch lange, während draussen die Linden blühten und der feine Regen unablässig auf sie niederrieselte.


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