Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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VI. Heimlichkeiten.

Von Eva war in all dieser Zeit keine erfindliche Spur zu sehen oder zu hören gewesen. Zwar waren Bernhards Blicke immerfort durch die verwitterten Scheiben in den Garten geschweift, aber nichts hatte sich dort gezeigt, als ein sanftes Wiegen grüner besonnter Zweige, und nichts war vernehmlich gewesen, als der laute, schwatzende Gesang eines Gartenlaubvogels. Als er nun aber den weiten, dunklen Vorflur betrat, wo die riesigen Leinenschränke standen und die alte englische Wanduhr in der Einsamkeit tickte, da huschte plötzlich eine helle Gestalt hinter der Treppe hervor und umschlang ihn unter listigem Lachen. »Martha ist aus auf den Markt«, flüsterte Eva dann, »und der Alte kommt um diese Zeit niemals in diese Gegend. Komm, komm!«

Damit zog sie ihn an der Hand einen Gang entlang, öffnete die Thür zu einem niedlichen, sonnigen Zimmer und schob ihn hinein. Dann lachte sie noch einmal fast lautlos und freute sich wie ein Kind über ihren Einfall. Als sie nun beide auf dem alten geblümten, schnörkelbeinigen Sofa sassen, rief Eva: »Angeboten hat er Dir natürlich nichts, daran denkt er nicht, aber ich!« Damit sprang sie auf, holte einen Teller mit gezuckerten Erdbeeren, eine Flasche süssen spanischen Weines und zwei Gläser herbei, alles in einer zierlichen Eilfertigkeit und doch ein wenig unbeholfen, so dass man sah, Gäste zu bewirthen, gehörte nicht zu den Uebungen dieses Hauses. Sie war offenbar sehr stolz auf diese Idee und sah Bernhard leuchtend an. »Es sind die letzten aus dem Garten«, sagte sie, »ganz überreife, dunkelrothe, für Dich sind sie aufgespart.«

Sie schenkte ein und dann stiessen beide an, aber ganz leise, dass nur ein zarter Ton von den alten, mit eingeschliffenen Anfangsbuchstaben verzierten Spitzgläsern ausging, und dann tranken sie auf ihr heimliches Glück. »Soll ich nicht zu Deinem Vater gehen und ihm sagen, dass wir uns lieben?« sagte Bernhard plötzlich. Sie sah ihn erschrocken an.

»Nein, das darfst Du nicht!« sprach sie dann schnell, »denn der Alte wirft Dich ganz gewiss hinaus! Du glaubst es gar nicht, wie fest das in ihm sitzt, dass ich einen Fürsten oder doch wenigstens einen Grafen heirathen soll, wenn er erst das Goldmachen erfunden hat.« Hier fügte sie ein kleines, etwas unehrerbietiges Gelächter ein und fuhr dann fort: »Wenn wir bei Tische sitzen, oder wenn er sonst mit mir zusammen ist, so spricht er fast nur davon und malt mir vor, was ich dann alles haben werde: die herrlichen Schlösser und Landgüter, die kostbarsten Pferde, die vergoldeten Kutschen und die gestickten Seidenkleider und unzählige Bedienten.«

»Er wird und kann das nie erfinden,« sagte Bernhard, »und sollen wir darauf warten? Es muss doch etwas geschehen, oder wenigstens ein Versuch gemacht werden!«

Eva hielt eine Erdbeere am Stengel, welche so roth war wie ihre schwellenden Lippen. Sie drehte dieselbe eine Weile im Zucker herum und verzehrte sie dann nachdenklich. Dann sagte sie plötzlich:

»Das ist ja aber so einfach! Du musst mich entführen!«

Bernhard sah sie ganz verblüfft an, denn sie machte diesen Vorschlag scheinbar im vollsten Ernst und ohne dass sie etwas Auffälliges darin zu finden schien. Sie aber fuhr eifrig fort: »Du musst nicht denken, dass ich nicht weiss, wie es in der Welt hergeht. Erstens erzählt Martha mir alle Geschichten, die in der Stadt passieren; die sind oft wunderlich genug. Und dann bringt sie mir Bücher mit aus der Leihbibliothek – viele hundert habe ich wohl schon durchgelesen. In den Büchern ist es doch immer so – wenn es gar nicht anders geht, dann kommt eine Entführung. Ich denke mir das wunderschön, so süss und so graulich um Mitternacht, wenn wir in einer mit vier schnellen Pferden bespannten Kutsche über die Haide jagen!«

Dies alles sagte sie, als handele es sich um die natürlichsten Dinge von der Welt, und sah dazu aus wie ein Märchen. Es ging eine Frische und ein Duft süsser junger Weiblichkeit von ihr aus, wie sie so da sass mit dem knappen Kleidchen aus einem veralteten, wunderlich geblümten Stoff, aus dessen zarten Spitzenbesatz der schimmernde Nacken und die hold gerundeten Schultern sich emporwölbten, um auf dem schönsten Halse die Wunderblume des anmuthigen Köpfchens zu tragen. Als Bernhard sie nun eine Weile ganz nachdenklich anblickte und sich in die schwarzen Augen vertiefte, die zu denjenigen gehörten, in welchen immer etwas wie Wunder und Geheimniss schwimmt, da ging es wieder wie ein Lächeln über ihr Gesicht und sie sagte: »Ach Du, küsse mich doch lieber!«

Sie sank hingebend in seinen Arm und bot ihm die vollen Lippen dar. Nun genossen sie die Stunde und gedachten einstweilen der Zukunft nicht mehr. Draussen vor dem halboffenen Fenster summten die Fliegen, die Schwalben schossen zwitschernd vorüber, und aus dem Garten tönte der unablässige Gesang des Laubvogels. Zuweilen brachte von den Lindenbäumen ein stärkerer Lufthauch eine Wolke süssen Duftes, welche das Zimmer mit Wohlgeruch füllte. –

Eva trug um den Hals eine feine goldene Kette, deren Enden sich zwischen die Hügel des zarten, jugendlichen Busens verloren. Bernhard zog daran und brachte eine glatte goldene Kapsel zum Vorschein, ganz warm von ihrem lieblichen Versteck. Eva nahm ihm das Medaillon aus der Hand und öffnete es durch den Druck auf eine Feder. Es zeigte sich darin ein schönes, aber etwas schwermüthig blickendes Frauenbildniss. Ueber Evas Antlitz ging ein ernster Zug, sie küsste das Bildniss und sagte: »Meine süsse Mutter! Sie war nicht glücklich, sie liebte einen anderen!«

»Aber woher weisst Du das,« fragte Bernhard peinlich berührt, »Du hast sie ja gar nicht gekannt.«

»O, ich weiss alles,« sagte Eva, »ich habe die alte Martha im Gespräch mit ihrer Freundin belauscht, da habe ich alles erfahren. Sie glaubten, ich sei in meinem Zimmer, ich war aber in der Kammer nebenan, wo die alten Kleider hängen.«

Plötzlich umschlang sie mit ihren weissen Armen ganz fest seinen Hals, legte den Mund dicht an sein Ohr und flüsterte leise, aber eindringlich: »Ich weiss noch mehr! Ich weiss auch, wer der Mann ist und habe ihn sehr lieb, weil meine Mutter ihn so gern hatte. Er wohnt im Hause nebenan und sieht so schön und stattlich aus, wie ich mir einen Fürsten denke. Früher, da ging er jeden Morgen zu einer bestimmten Stunde aufs Amt und da habe ich oft in der Vorderstube gestanden und ihm durch das Herzloch im Laden zugenickt; er konnte mich ja aber nicht sehen.« Dann löste sie wieder die liebliche Schlinge, in welcher Bernhard gefangen war, lehnte sich ein wenig seufzend zurück und sagte: »Ach, könnt' ich ihm nur einmal die Hand küssen!«

Der wohlerzogene Bernhard war wieder ganz bestürzt über die Harmlosigkeit, mit welcher Eva alle diese Dinge vorbrachte, und sagte nichts weiter als: »Aber mein liebes Kind, das ist doch wohl nur Geschwätz von alten Weibern.«

Sie sah ihn mit einem sonderbaren Blicke an: »Die Leute finden, ich sähe ihm ähnlich,« sagte sie.

Es durchzuckte Bernhard wie ein Schlag. Fürwahr, das war nicht zu leugnen. Er sah plötzlich den auch ihm wohlbekannten Amtsrichter im Geiste vor sich. Da waren dieselben schwarzbraunen Augen, dieselbe feine gerade Nase, dieselben ein klein wenig zu vollen Lippen, welche zu dem sonstigen Eindruck des Antlitzes etwas Genussbegehrendes hinzufügten., da waren sogar einzelne kleine Bewegungen und eine eigenthümliche Art zu lächeln, welche beiden gemeinsam angehörte. Bernhard fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als wolle er dort etwas fortscheuchen, das ihm peinlich und qualvoll war, aber Eva nickte befriedigt vor sich hin, als wollte sie sagen: »Ich weiss, was ich weiss, und was ich weiss, das weiss ich sicher!«

Sie füllte die Gläser wieder mit dem süssen, feurigen Spanierwein, hob das ihre empor und sagte: »Wir wollen anstossen auf das, was uns theuer ist.« Die Gläser klangen sanft zusammen und dann bemerkte Bernhard fast mit Schrecken, dass Eva auf einen Zug das ziemlich grosse Spitzglas leerte, und sah zugleich, dass schon die Gluth des vorher genossenen aus ihren Augen leuchtete und ihre Wangen von seinem ungewohnten Feuer sanft geröthet waren. »Liebe Eva,« sagte Bernhard, indem er die Flasche beiseite schob, »der Wein ist süss, aber stark, du kennst seine Tücke nicht.«

Sie lachte übermüthig: »Aber, ein rechter Schulmeister bist Du doch, ein rechter alter Schulmeister! Ich glaube, Du bist furchtbar brav!«

In diesem Augenblick klang die Hausthürglocke und in demselben Moment schon huschte Eva hinaus, und Bernhard vernahm, wie sie die Thür von aussen verschloss und den Schlüssel abzog. Eine Weile darauf hörte er sie mit der alten Köchin sprechen und kurz dahinter diese mit schlürfenden Schritten über den Hof nach der Küche gehen. Eva kam wieder zurück, ergriff Bernhard an der Hand und zog ihn hinter sich her. »Nun ist der alte Spion wieder im Hause,« sagte sie, »nun sind wir keinen Augenblick mehr sicher.«

Sie verabschiedete sich hastig auf dem Hausflur, doch als Bernhard die Thür öffnen wollte, hielt sie ihn zurück und rief ängstlich: »Nein, so geht das nicht!« holte schnell eine kleine leichte Trittleiter herbei, stieg empor und hielt die Hausthürglocke fest, dass sie nicht läuten konnte, und so wie ein Dieb schlich sich Bernhard davon.


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