Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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VIII. In der Zwischenzeit.

Meine Mutter hatte wieder einmal grosse Wäsche, und mit unfehlbarer Sicherheit war die »sanfte Doris« in der Nacht vorher erkrankt. Diesmal war es Zahnweh. Trotz aller Sanftmuth war das Mädchen doch sehr stark in Ausdrücken und entwarf mit qualgesättigter leiser Stimme furchtbare Beschreibungen von den Leiden der letzten Nacht, welche in der Behauptung gipfelten, dass sie vor Schmerzen unausgesetzt auf dem Kopfe gestanden hätte und an den Wänden in die Höhe gelaufen wäre. Wie sie diese beiden akrobatischen Thätigkeiten miteinander vereinigt hatte, blieb ihr Geheimniss. Von ihrer Kammer aus durchzog ein Duft von gewärmten Kamillenkissen das Haus, und dort sass sie, immer ein solches Hausmittel mit einem Tuche an die Backe gebunden, wie eine Illustration zu den Versen »Wer nie sein Brot mit Thränen ass« auf dem Bette in einer Atmosphäre von Jammer und Hoffmannstropfen. Meine Mutter war durch diesen Zwischenfall natürlich sehr in Anspruch genommen, hatte mit grosser Noth eine Wäscherin aufgetrieben und wurde durch ihre häuslichen kleinen Sorgen einstweilen von der grösseren um mich und meine Angelegenheiten abgezogen. Die grosse Wäsche ist eine zeitweilige Erkrankung des Hauswesens, gegen welche es kein Mittel giebt als Geduld oder Flucht, und ich mied infolgedessen das von Seife und Kamillenthee durchduftete Haus soviel ich konnte, trieb mich in der herrlichen Umgegend meiner Vaterstadt umher und musterte täglich zweimal wenigstens die Fortschritte der Rosensträuche in Lübens kleinem Treibhause und freute mich, dass deren Knospen bereits in rothem Schimmer standen.

Ich habe später erfahren, dass auch im Nachbarhause um diese Zeit wenig Vergnügen herrschte, und muss meinem Freunde Lüben das Zeugniss geben, dass er ein besserer Menschenkenner war, als ich je gedacht hatte. Herr Rodekamp, der sich sein Leben lang wenig um verliebte Thorheiten gekümmert hatte, war wirklich bald um seine ganze Behaglichkeit gebracht, denn das blasse und verweinte Aussehen seiner Tochter war ihm unerträglich. Er liebte sie über alles, sie war der Sonnenschein seines Alters, und an eine Trennung hatte er nie gedacht. Nun hatte sich ein heimlicher Dieb in seinen Garten geschlichen, ein fremder, ihm ganz gleichgültiger junger Mensch, und wollte ihm den Schatz fortnehmen, der seine grösste Freude war. Durch den Zaun war er sogar gekrochen; war das ein ehrlicher Weg, und konnte Jemand, der solches that, es ehrlich meinen? Rodekamp hatte gar nicht daran gedacht, dass es seine Tochter kränken könne, wenn er so schroff gegen mich auftrat, denn es wollte ihm gar nicht in den Sinn, dass sie ihr Herz an eine nach seiner Meinung so windige Sache hängen könne. Sie war ja noch ein Kind nach seiner Ansicht, und Kinder greifen auch nach den giftigen Beeren, die oft von verlockender Schönheit sind. Reisst man sie ihnen aus der Hand und vernichtet sie, da weinen sie, aber nachher sehen sie ein, dass es besser so war. Er hatte dann freundlich und väterlich mit ihr gesprochen, aber sie hatte es nicht eingesehen. Das gute Kind hatte gesagt, ich wäre der beste Mensch von der Welt und hätte so treue Augen, die nicht lügen könnten, und noch vieles, das ich aus Bescheidenheit nicht wiederholen mag, wofür sie aber der Himmel segnen möge.

Den Alten hatte es wie Verzweiflung übermannt über diese schreckliche Geschichte; er war mächtig paffend in den Garten gegangen und hatte versucht, sein Herz durch einige altbewährte Flüche zu erleichtern, es war ihm aber nicht gelungen. Mit besonderer Wuth trat er heute die Raupen todt, und eine unglückliche Maulwurfsgrille, die sich in einem der für diesen Zweck eingegrabenen Töpfe gefangen hatte, ward mit dem Spaten in hundert Stücke zerhackt. Zuletzt trieb ihn die Unruhe aus dem Hause, und er ging, wie er zuweilen, aber selten, that, in den Uhlenhorst, um seinen Gram in Spiritus zu setzen. Denn er schätzte nicht die schwachen Getränke und pflegte dort eine Mischung von Kognak mit sehr wenig heissem Wasser zu geniessen. Da wollte es der Zufall, dass dort zwei ehrsame Bürgersleute ihr Schöppchen tranken, welche gute Freunde meines Vaters gewesen waren, und als diese zufällig dessen Namen nannten, ward Rodekamp hellhörig und verstand es, nach einer Weile das Gespräch auf mich zu bringen, um die Meinung dieser Männer zu erfahren. Da war er aber gerade an die Richtigen gekommen, indem diese beiden ehrenwerthen Herren eine viel zu hohe Meinung von meinen Gaben und Tugenden besassen und nun anfingen, ein Duett zu singen, das ich nicht wiederholen kann, weil sonst mein Ansehen in den Augen der Menschheit leicht von seinem Wohlgeruche verlieren könnte. Aber man findet es so oft, dass wenn Jemand in der Fremde sein Glück sucht und findet, die lieben Landsleute immer geneigt sind, dies zu überschätzen und die Lebensumstände dieses Kindes ihrer Stadt in freudigem Heimathstolze mit lieblichen Legenden zu verzieren. Dazu wussten sie Geschichten von den genialen Thaten meiner Kindheit zu erzählen, die mich selber, als ich sie später erfuhr, durch den Reiz ihrer absoluten Neuheit in das höchste Erstaunen setzten.

Herr Rodekamp war aber mit diesen Berichten äusserst unzufrieden, denn sie passten durchaus nicht in sein System. Er ward noch mürrischer als zuvor und haderte mit sich und der Welt. In solchen Stimmungen war er immer geneigt, den Grund seines Missbehagens auf die verdrehten Einrichtungen der Alten Welt zu schieben, und fing an, so gotteslästerlich auf Deutschland zu schimpfen, dass die beiden alten bescheidenen und wohlwollenden Leute ganz traurig und bange wurden, ihr Schöpplein bezahlten und Rodekamp in seinem sinnlosen Zorne allein liessen.

Ja, das Behagen war fort und kam nicht wieder; der stille Vorwurf, der auf dem blassen Antlitz seiner Tochter lag, zerstörte es immer wieder von neuem. Seine Hoffnung war, die Zeit würde mildernd einschreiten, aber hierauf zu warten war ihm eine schwere Aufgabe, denn er geizte bereits nach einem freundlichen Blicke von ihr und tausend Thaler hätte er hingegeben, wenn er ihr fröhliches Lachen wie sonst hätte durch das Haus schallen hören. Alles Elegische war ihm zuwider, und nun sass seine Tochter, die sonst die heitere Freundlichkeit selber war, ihm gegenüber, als hätte Matthisson sie gedichtet.

So gingen die Tage hin, und als er am Sonnabend Abend bei seinem Grog im Gartenzimmer sass, da lag das Kommersbuch unbeachtet vor ihm, obwohl er an diesem Abend sonst seit Jahren seine rauhen Gesänge erschallen zu lassen gewohnt war. Aber heute war ihm darnach nicht zu Muthe. Er sass und trank, paffte eine Pfeife nach der andern und brütete vor sich hin. Nachdem er so über eine Stunde seine Gedanken gewälzt hatte wie Sisyphos seinen Stein, wurden diese endlich übermächtig in ihm, so dass ihm der Schluss- und Kernsatz, fast ohne dass er es wollte, auf die Lippen trat: »Der verdammte Schwur!« rief er plötzlich und donnerte dabei mit der Faust so auf den Tisch, dass Eveline, die im Nebenzimmer bei einer Arbeit sass, emporfuhr und sich nach seinen Wünschen erkundigte. Er brummte etwas unverständliches und fuhr fort zu rauchen, zu trinken und zu schweigen, bis es Zeit war zu Bett zu gehen.


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