Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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VII. Im Uhlenhorst.

Der »Uhlenhorst« war weiter nichts als eine Weinstube, deren Besitzer Jakob Uhl hiess. Uhl ist der plattdeutsche Name für Eule, und deswegen hatte vor langen Jahren einmal Jemand für dieses Lokal, das er mit Vorliebe besuchte, einen ausgestopften Waldkauz gestiftet, der alsbald mit klugen, dunkelbraunen Glasaugen von der Wand aus auf die zechende Gesellschaft heruntersah. Diese Idee gefiel, und auch dem Wirthe behagte dieses Wahrzeichen, deshalb ward dieser eine Kauz der Keim zu einer mächtigen Eulensammlung, welche sogar einige Seltenheiten enthielt. Ueber den Thüren sassen diese seltsamen Thiere reihenweise, blickten von oben angebrachten Borten herab und stierten mit gelben Augen aus finstern Winkeln hervor. Und nicht allein ausgestopfte Eulen hatten sich eingefunden, nein allmählich auch solche aus jedem möglichen Material, aus Holz, Pappe, Gips und Metall, Maasskrüge in Eulenform gab es dort und eine ganze Sammlung jener künstlichen Eulen und Eulchen jeder Grösse, wie sie die Japaner so zierlich aus Federn herstellen. Dieser seltsame Schmuck gab der Weinstube einen besonderen Reiz und machte sie zu einer Stadtmerkwürdigkeit, welche jedem Fremden gezeigt werden musste. Auch dies trug dazu bei, die Sammlung durch seltene Stücke zu vermehren, denn eines Tages traf von einem Schiffskapitän, welcher manchen vergnügten Abend im Uhlenhorst verlebt hatte, eine grosse Kiste ein, die eine ganze Sammlung von ausgestopften ausländischen Eulen enthielt, welche, wie der schöne Ausdruck lautet, eine tiefgefühlte Lücke auszufüllen bestimmt waren.

Als ich in den Uhlenhorst kam, sass Lüben schon da an einem Ecktische des kleinen Seitenzimmers, überschattet von den ausgebreiteten Flügeln eines mächtigen Uhus, der im Begriffe war, einen ausgestopften Hasen zu verzehren. Dies war Lübens Lieblingsplatz, ihm zu Ehren hing dort auch in schwarzem, polirtem Holzrahmen ein von ihm gemaltes Gruppenbild, sämmtliche Eulen Deutschlands darstellend, und alle übrigen Eulen dieses behaglichen, verräucherten Zimmers waren so aufgestellt, dass sie mit grossen runden Augen auf diesen Platz hinblickten. Mein Freund strich sich behaglich durch seinen bereits ergrauten Bart, als er mich erblickte, und bestellte ein zweites Glas. Bei mir zu Lande schätzt man noch den fast aus der Mode gekommenen französischen Weisswein, und so sass ich denn bald neben ihm und schlürfte nachdenklich den vortrefflichen Sauternes. Lüben war noch ganz erfüllt von seinen heutigen Erlebnissen und erzählte mit dem Feuer und der Ausführlichkeit eines Liebhabers von seinen Beobachtungen. Er hatte das Glück gehabt, den scheuen Eisvogel beim Fischen mehrfach zu belauschen, und zum Schlusse hatte er gar an einem Abhange von lehmigem Sande seine Nesthöhle entdeckt. »Der Eisvogel,« sagte Lüben, »hat für mich immer etwas von einem Märchen gehabt, und so gut ich ihn auch jetzt kenne, etwas Unglaubliches haftet ihm für mich immer noch an. Man denke sich in unserm bescheidenen Norden das sonderbare kurze Geschöpf mit dem unglaublich grossen Schnabel und der glänzenden Farbenpracht eines Kolibri. Wenn er so rasenden Fluges über das Wasser dahinschnurrt, und es trifft ihn ein Sonnenlicht, da leuchtet er auf in Grün, Roth, Gold und Blau wie ein fliegendes Juwel. Wie sonderbar, wenn er so stockstill auf seinem Zweige hockt und unverwandt ins Wasser starrt. Plötzlich kopfüber plumpst er hinein und kehrt dann auf seinen Platz zurück, unfehlbar mit einem Fischlein im Schnabel, das er auf wunderliche Art hinabwürgt. Und dieser sonderbare kleine juwelenglänzende Fischräuber gräbt sich in die steilen Uferwände metertiefe Gänge, an deren Ende er in einer sauberen Höhle ein Nest aus Fischgräten baut, dieses Thierchen, mit all der funkelnden Pracht des Südens geziert, bleibt im kältesten Winter bei uns, um an raschfliessenden Bächen und offenen Stellen dem Fischfange obzuliegen; nicht wahr, alles dies ist doch höchst wunderlich. – Eigentlich ist es ein ganz unmöglicher Vogel!« fügte er dann schnell hinzu und sah, indem er seine kleinen Augen so weit als möglich öffnete, starr vor sich hin, gleich als vertiefe er sich im Geiste recht in dies geflügelte Wunder.

Es gehörte zu Lübens Eigentümlichkeiten, zuweilen in dieser Weise in Bewunderung auszubrechen für Einrichtungen in der Natur, die ihm sinnreich, schön oder merkwürdig erschienen, und dann fand er oft schwer ein Ende. So fuhr er auch jetzt noch eine Weile fort, ohne ein Auge dafür zu haben, dass ich ihm nicht wie sonst lauschte, weil meine grübelnden Gedanken fortwährend in anderer Richtung geschäftig waren. Endlich, als wir schon die zweite Flasche in Angriff genommen hatten, fiel ihm doch mein Aussehen und mein verändertes Wesen auf.

»Na, was haben Sie denn?« fragte er plötzlich. »Sie sehen ja aus, als hätten Ihnen die Jungens das Nest ausgenommen.«

»Haben sie auch,« antwortete ich, »und zwar eins, das ich mir erst bauen wollte!«

»Hoho!« sagte er, fuhr mit der Hand in seinen grauen Bart und sah eine Weile nachdenklich auf mich hin, während seine Augenlider fleissig auf und nieder gingen, und alle Eulen ringsumher gleichsam forschend auf uns herabblickten.

Der Uhlenhorst war heute wenig besucht; in unserm Zimmer befand sich Niemand weiter, und nebenan sassen nur drei Referendare, welche ihre Zeche auswürfelten. Man hörte weiter nichts als das eintönige Klappern der Würfel und dazwischen die schönen Kunstausdrücke der Spielenden, wie »Muckensturm«, »fliegende Hasen«, »höchste Hausnummer« und dergleichen geistreiche Bezeichnungen, während zwischendurch ein donnerndes Gelächter den besonderen Beifall für etwaige ausserordentliche Kapriolen der Glücksgöttin ausdrückte. Wir waren demnach ungestört, und ich konnte dem Freunde, ohne einen Horcher befürchten zu müssen, meine Angelegenheit auseinandersetzen. Die Aufmerksamkeit und Theilnahme, mit welcher er zuhörte, war ausserordentlich, und bis ins kleinste musste ich ihm alle Einzelheiten berichten.

Dann versank er eine Weile in Nachdenken, bis er eine pfiffig forschende Miene annahm und fragte: »Ich glaube, den alten Birnbaum kenne ich. Ist er nicht hohl?«

»Ja, an mehreren Stellen,« antwortete ich. »Noch ganz genau erinnere ich mich, dass ich als Kind mit süssem Schauder meinen ersten Griff in ein Vogelnest that, das in einem niedrigen Astloche dieses Baumes befindlich war. Ein Feldsperling hatte sich dort eingebaut, und nie vergesse ich das seltsame Gefühl, das mir bei der ersten Berührung der warmen Eier von den Fingerspitzen aus durch den ganzen Körper rieselte.«

»Sehr gut,« sagte Lüben, der für dieses kleine Erlebniss besonderes Verständniss hatte, »und ausserdem sind noch mehr Höhlungen da?«

»Ja, grosse und kleine,« antwortete ich, »der Baum ist sehr alt, und Herr Rodekamp hat ihn wohl nur desshalb stehen lassen, weil er, wie so oft solche alte abscheidende Bäume an seinen gesunden Zweigen fast alljährlich eine Menge köstlicher Früchte von einer ausgezeichneten Sorte bringt. Der Baum ist mein Jugendfreund, ich habe eine gewisse Liebe für ihn.«

»Sie sollen ihn noch lieber gewinnen,« sagte Lüben geheimnissvoll in sich hineinschmunzelnd. Dann fuhr er fort: »Also hohl ist der alte Birnbaum, hat mehrere grosse und kleine Oeffnungen. Hm, hm. – Nun, da thun wir Rodekamp den Gefallen!«

»Was meinen Sie?« fragte ich verwundert.

»Nun, wir lassen Rosen auf ihm wachsen!« rief Lüben, indem er seine Augen so klein machte, dass ein Halbkreis von listigen Fältchen sie umzüngelte. Dabei lachte er mit lautlosem Schüttern in sich hinein, wie es so oft die Art einsam lebender Menschen ist.

Ich muss ihn dabei wohl etwas schafig angesehen haben, denn er lachte noch stärker und rief dann: »Nun, das ist doch ganz einfach. In meinem kleinen Treibhause gelangen in den nächsten Tagen so ein sechs bis acht Rosenstöcke zur Blüthe, und ich werde sie etwas fikatzen, dass es noch ein bisschen schneller geht. Dann in einer schönen Nacht thun wir Gartenerde bester Sorte in die Baumlöcher und pflanzen die ganze Gesellschaft mit dem Ballen da hinein. Wenn er dann kommt und seinen ganzen Birnbaum in blühenden Rosen stehen sieht und noch nicht zufrieden ist, dann kann ich ihm nicht helfen.«

Ich war eigentlich etwas enttäuscht und machte ein trauriges Gesicht zu seiner Siegesgewissheit.

»Ach, verzeihen Sie, lieber Lüben,« sagte ich, »würde er das nicht für einen kindischen Streich halten und uns auslachen, und würde es dann nicht weit schlimmer um meine Sache stehen?«

»Ach bewahre,« sagte Lüben, »solche alte Simpel muss man mit dem Buchstaben fangen. Sie kennen Rodekamp nicht wie ich, der mit ihm zur Schule gegangen ist. Er ist lange so schlimm nicht, wie er sich stellt, und im Grunde ganz gutmüthig. Aber er gehört zu jenen nicht ganz seltenen Menschen, welche sich fast zu Tode schämen, wenn es herauskommt, dass sie eigentlich nur weichgeschaffene Seelen sind, und sich deshalb in einen Panzer von sorgfältig eingeübter Rauhigkeit hüllen, gerade wie der Einsiedlerkrebs sein nacktes, unbeschütztes Hintertheil sorgfältig in ein festes Schneckenhaus verbirgt, das er mühsam mit sich herumschleppt. Noch andere Thiere giebt es, die Niemand etwas zu Leide thun können und ganz wehrlos sind, weshalb die Natur ihnen zum Schutze Furcht erweckende Gebärden und ein greuliches Aussehen verliehen hat. Auch diesen ist er zu vergleichen. Wie es höchst solide Menschen giebt, die ihren Stolz darin finden, für liederliche Schwerenöther gehalten zu werden, so giebt es auch solche, die es erfreut, wenn ihr butterweiches Gemüth nicht erkannt und sie für hart und jeder zarten Regung unzugänglich angesehen werden. So war Rodekamp schon als Kind und als Student und wird sich seitdem wohl nicht viel geändert haben.«

Alles dies konnte mich nicht überzeugen. »Es ist doch ein Kinderstreich, lieber Lüben,« sagte ich, »und ich verspreche mir gar nichts davon.«

»Ach was, Kinderstreich!« rief dieser mit komischer Entrüstung, »smart wird Rodekamp es finden als richtiger Amerikaner und wird froh sein, dass er mit seinem unbedachtsamen Schwur in Liebessachen so glücklich wieder herausgewickelt wird. Denn einige Tage werden darüber vergehen, und er wird unterdess eingesehen haben, dass er sich auf Sachen eingelassen hat, denen er durchaus nicht gewachsen ist. Denn er liebt seine Tochter über alles. Glauben Sie, dass er das mit ansehen kann, wenn sie umhergeht wie eine geknickte Lilie und das Köpfchen hängen lässt wie ein welkes Vergissmeinnicht, oder wenn sie dasitzt, wie Chamisso sagt, ›bleich und schön, wie der erste Schnee, der manchmal im Herbste die letzten Blumen küsst und gleich in bittres Wasser zerfliessen wird?‹ Er ist gewöhnt an ihr gleichmässiges freundliches und heiteres Wesen; wenn er nun das plötzlich vermissen soll, versinkt er in einen Abgrund von Trübsinn, und das hält er auf die Dauer nicht aus. Sehen Sie, lieber Freund, da müssen wir ihm die Hand zur Umkehr bieten, und er wird sie sicher ergreifen, wenn es auch nur eine Kinderhand ist, wie Sie meinen.«

Obwohl ich die Sache noch immer nicht in einem so rosigen Lichte sehen konnte, so redete mein Freund doch so lange und so eindringlich auf mich ein und wusste unserm Unternehmen so verlockende Seiten abzugewinnen, dass mir bei der dritten Flasche schon leichter ums Herz wurde und wir endlich auf das Gelingen unsere wunderlichen Vorsatzes kräftig anstiessen, während sämmtliche Eulen in der Runde mit grossen Augen auf uns hinglotzten. Wie lange sie aber noch an diesem Abend Gelegenheit hatten, uns nachdenklich zu betrachten, während ein unglücklicher Kellner hinter dem Ofen schnarchte, und wie viele Flaschen sie haben entkorken sehen, das bewahren diese klugen und verschwiegenen Thiere still in ihrem mit Heu ausgestopften Busen.


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