Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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IX. Wenn die Rosen blühn.

An demselben Sonnabend waren die Rosen in Lübens kleinem Treibhause so weit zur Blüthe gekommen, dass wir beschlossen, am Sonntag Morgen in aller Frühe unser wunderliches Attentat in Gang zu setzen. Die Astlöcher und Höhlungen des alten Birnbaums hatte ich in einer nebligen Morgenfrühe sorgfältig ausgemessen und ihren Inhalt berechnet, um danach die Menge der Erde zu bestimmen, welche für unser Vorhaben nöthig war, und diese stand in einem Korbe bereit. Lüben bewahrte eine heitere Zuversicht, allein mir war weniger tröstlich zu Muthe; ich sah diesem Morgen ungefähr mit den Empfindungen eines Examinandus entgegen, welchem das Bewusstsein, seine Nase statt in die Bücher vorzugsweise in das Bierglas gesteckt zu haben, die Hoffnung auf den Sieg seiner gerechten Sache bedenklich erschüttert hat. In seltsamer Scheu und wegen meines schlechten Gewissens hatte ich vermieden, meine Mutter in diese Pläne einzuweihen, und deshalb mussten alle Vorbereitungen mit besonderer Heimlichkeit angestellt werden. In der Nacht vorher schlief ich keinen Augenblick, und als kaum der Morgen dämmerte, schlich ich mich hinab, um leise die Hausthür zu öffnen und meinen Mitverschwörer zu erwarten. Dieser erschien kurz darauf mit zwei Dienstmännern, welche die Rosen trugen, deren zarte Blüthen in üppiger Fülle aufgegangen waren und mit leisem Schwanken über den Rand des grossen Korbes nickten. Die Leute mussten sich ihre nägelbeschlagenen Stiefel ausziehen und dann ging es auf Socken über den Flur und den schmalen Hof zum Garten. Endlich waren wir in Sicherheit, und nichts im Hause hatte sich gerührt. Die beiden Dienstmänner wurden königlich belohnt entlassen und schlichen sich schmunzelnd davon. Dann begann eine fieberhafte Thätigkeit. Vermittelst einer kleinen Leiter konnte man von unserm Garten aus in den Baum steigen, und dies Geschäft übernahm als der jüngere und behendere ich, während Lüben mir die nöthigen Handreichungen leistete. Zuerst wurden die Astlöcher und grösseren Höhlungen bis zur nöthigen Höhe mit Erde ausgefüllt, dann die Rosen ausgetopft und sorgfältig mit dem Ballen eingesetzt. In die kleinen Löcher kam einer und in die grösseren zwei der lieblichen Sträucher. Lüben hatte eine Anzahl kleiner Töpfchen mit Linaria cymbalaria mitgebracht, einer Pflanze, welche er ebenfalls sehr liebte und fast zu allen Zeiten in Blüthe hatte. Diese wurden an passenden Stellen dazwischen gesetzt, also dass die zierlichen Ranken mit den feinen blassblauen Blümchen gefällig über die rauhe Borke des Stammes herniederhingen, und nachdem im Verlaufe einer Stunde alles fertig und tüchtig angegossen war und der grosse alte Birnbaum in blühenden Rosen stand, da hatte das Ganze ein so freundliches und natürliches Aussehen, als sei es von selber so geworden.

Niemals werde ich die schrecklichen Stunden der Erwartung vergessen, welche nun folgten bis um acht Uhr, wo Rodekamp seinen Garten regelmässig zu betreten pflegte.

Lüben hatte mich verlassen und war den Gang hinuntergeschritten, welcher von unserm Garten aus zwischen Hecken an das Wasser führte. Die Ränder dieser flachen Seebucht waren von sumpfigen Rohrwiesen eingeschlossen und von einzelnen Kanälen durchschnitten, dort wollte er ein wenig umherrudern, um nach den Rohrvögeln zu sehen. Er würde um neun Uhr zum Gratulieren wiederkommen, hatte er gesagt. Mir war das fast wie Hohn vorgekommen.

In solchen Stunden erscheint uns die Natur grausam und gefühllos, wenn gleichgültig gegen unsere Stimmung alles seinen gewohnten Gang geht, die Vögel aus voller Brust ihre Liebeswonne jauchzen, die Schmetterlinge sich umkreisen und um die Blumen tändeln und diese den leisen Morgenwind mit Düften tränken. Man mag daraus ersehen, wie ein jeder doch im Grunde das in seiner Brust pochende Herz für den Mittelpunkt der Welt anzusehen gewohnt ist.

Endlich hörte ich die Uhr vom Thurme der Nicolaikirche acht schlagen, ungefähr mit den Gefühlen eines Menschen, der fünf Minuten später hingerichtet werden soll, und nun hegte ich mit einem Male den Wunsch nach Aufschub und hoffte, Herr Rodekamp würde heute ausnahmsweise einmal nicht so pünktlich sein wie gewöhnlich. Jedoch eine Minute später klirrte dort die Glasthür des Gartenzimmers und fiel dröhnend ins Schloss; eine Weile hinterher kamen schwere Schritte die Stufen hinab und knirschten auf dem Kies der Gartensteige. Dann war es still, und ich bog die Zweige des Gebüsches, wo ich im Hinterhalte lag, beiseite, um einen Ausblick zu gewinnen. Herr Rodekamp wendete mir den Rücken zu und sah scheinbar in tiefe Gedanken versunken das Haus an, wo er hergekommen war, während der Wind die taktmässig vordringenden Rauchwölkchen seiner Pfeife beiseite wehte. Unbehagliche Vorstellungen schienen sein Gemüth zu bewegen, denn plötzlich paffte er stärker, schüttelte mit hörbarem Grunzen heftig sein Haupt und wendete sich schwerfällig, um den unterbrochenen Weg in den Garten hinein fortzusetzen. Jedoch bald stand er wieder und starrte auf einen Zwergapfelbaum, allein wie abwesend mit seinen Gedanken, und nun konnte ich sehen, dass seine Mienen finster und verdriesslich waren, was ich für das Gelingen meines Unternehmens als kein günstiges Zeichen erachtete. Unterdess war ein Pirol, der in dem an der anderen Seite der Seebucht gelegenen Parke des Marstalles sein Nest hatte, durch die Wipfel geschweift und liess plötzlich aus der Spitze des alten Bergamotten-Birnbaumes seinen wundervollen Flötenruf erschallen: »Vogel Bülow! Vogel Bülow!« erklang es zwei Mal. Es ist mir ausser allem Zweifel, dass Lüben vermöge geheimer, nur ihm bekannter Künste diesen Vogel veranlasst hat, solches zu thun, um die Sache geschickt einzuleiten. Für eine Art Zauberer habe ich ihn immer gehalten, und als ich ihn später danach fragte, lächelte er so geheimnissvoll wie ein Kanzleiregistrator.

Rodekamp aber, der diesen wunderschönen Vogel als einen bösen Kirschendieb ingrimmig hasste, konnte sich, obwohl die Zeit dieser Früchte noch lange nicht da war, nicht enthalten, einen Blick der tiefsten Missbilligung auf den Ort zu werfen, woher diese Flötenstimme erschallte, und dabei bekam er an seinem Birnbaume etwas zu sehen, das seine höchste Verwunderung erregte. Er hielt die Hand über die Augen und starrte eine Weile. Dann schritt er eilfertig näher, wobei ihm die Pfeife entfiel, ohne dass er es beachtete, und stand dann wieder, indem er nach seiner Gewohnheit beide Flügel seines Backenbartes mit den Händen emsig bearbeitete und dazu so wunderliche Gesichter schnitt, dass ich hätte lachen mögen, wenn mir nicht so schrecklich ernsthaft zu Muthe gewesen wäre. Plötzlich bedeckte er mit der Hand die Augen und blickte dann nach einer Weile wieder starr auf das Phänomen hin. Aber es war nicht verschwunden, es war wirklich da, überall wuchsen aus dem alten Birnbaume blühende Rosen hervor.

Jetzt hielt ich meinen Augenblick für gekommen, und obwohl mir das Herz entsetzlich pochte, kämpfte ich mit aller Kraft meine Aufregung nieder, schritt aus meinem Verstecke hervor, machte eine sehr schöne Verbeugung und sprach in so leichtem und geschäftsmässigen Tone als ich nur vermochte : »Herr Rodekamp, die einzige und nicht gerade allzu schwierige Bedingung, welche Sie mir vor einiger Zeit gestellt haben, ist erfüllt. Sie sehen, an Ihrem Birnbäume blühen bereits die allerschönsten Rosen. Ich erlaube mir deshalb zum zweiten Mal um die Hand Ihrer Tochter Eveline anzuhalten!«

Herr Rodekamp war dunkelroth geworden und starrte bald auf mich hin, bald auf die Rosen. In seinem Innern waren die widerstrebendsten Gedanken im Kampfe begriffen, wie rosige, geflügelte Engelchen, die sich mit schwarzen, meckernden Teufeln balgen, und dieser ganze Widerstreit der Gefühle spiegelte sich höchst wunderlich auf seinem zuckenden Antlitze ab.

Aber das Gute siegte, und wie eine weisse Friedenstaube senkte sich zuletzt der Gedanke herab, dass er nun mit einem Schlage der ganzen Unbehaglichkeit der letzten Tage ein Ende machen könne, und dass ihn Ruhe und Frieden nur ein Wort koste. Seine Züge klärten sich allmählich auf, er sah noch einmal auf die Rosen und dann auf mich; ein unbeschreibliches Lächeln zeigte sich um seinen schmalen Mund und zwischen den Zähnen knirschte er die schmeichelhaften Worte hervor: »Verfluchter Kerl!«

Dann wandte er sich plötzlich und rief mit so furchtbarer Stimme, dass die Sperlinge aus dem Epheu flogen und eine Nachbarkatze in schleuniger Flucht sich über das Geländer rettete: »Eveline!«

Eine zarte Stimme antwortete vom Hause her: »Ja, Vater!«

»Eveline,« brüllte er dann, »komm ganz schnell her, dein Bräutigam ist da!«

Wie ich über das Geländer kam, kann ich nicht mehr sagen, ich weiss nur, dass ich plötzlich auf der andern Seite war und einer hellen Gestalt entgegeneilte, welche zagend die Gartentreppe hinabschritt und nicht wusste, was dieser seltsame Zuruf zu bedeuten hatte. Aber bald wusste sie es und ward fast ohnmächtig über diese schnelle Wendung der Dinge.

Noch Jemand hatte diesen merkwürdigen Ruf gehört, meine Mutter nämlich, welche am offenen Fenster stand und nach mir aussah, da sie mit dem Kaffee auf mich wartete. Voller Verwunderung kam sie in den Garten, und als sie dort diese unerwartete Bescheerung fand und in der ersten Aufregung fragte: »Aber Herr Rodekamp, was ist denn los?« da rief dieser, der sich überhaupt ganz sonderbar benahm, als hätte er am frühen Morgen schon zuviel von seinem Lieblingsgetränk Kognak mit einem kleinen Schuss heissen Wassers genossen:

»Was hier los ist? Eine Verlobung ist los! Ich will getheert und gefedert sein, wenn das keine Verlobung ist! Ich will meinen eignen Kopf aufessen, wenn wir hier nicht alle so glücklich sind wie die Hasen im Kohl! Kommen Sie her, Frau Doktorin, und geben Sie mir Ihre Hand, wir wollen gute Freunde sein. Verdammt noch mal, das wollen wir!«

Damit reichte er seine mächtige Pranke über das Geländer und drückte die schmale Hand meiner Mutter so kräftig, dass sie fast geschrieen hätte.

Als wir nun diese gesehen hatten, liefen wir natürlich zu ihr hin und bildeten am Geländer eine Gruppe der Freude und verwunderten Glückseligkeit, wobei die verschiedensten Küsse in allen möglichen Kombinationen durcheinander gingen. Aus dieser erfreulichen Beschäftigung wurden wir aufgeschreckt durch die furchtbare Stimme Rodekamps, der an dem Tische einer kleinen Laube in der Nähe sass und mit grosser Inbrunst und an den geeigneten Stellen mit der Faust auf den Tisch donnernd folgendes Lied sang:

»Mädel ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite,
I hab di gar zu gern, i mag di leide!
Gib mir einen Kuss! – Bum!
Wie'n Kanonenschuss! – Bum!
Mädel ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite,
I hab di gar zu gern, i mag di leide!«

Der alte Herr war ja ausnehmend vergnügt heute morgen, aber er wusste wohl, weshalb er sich so närrisch benahm, denn innerlich war er furchtbar gerührt, und nur die entsetzliche Angst, es könne dies Jemand bemerken, trieb ihn von einer Tollheit in die andere.


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