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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Neue Versorgungsaussichten

Seitdem lebte die Herzogin von Maine in der ewigen Furcht, ich könne die Bande, die mich an sie fesselten, doch noch zerreißen wollen, darum dachte sie auf ein Mittel, diese doppelt zu befestigen.

Zunächst bekämpfte sie meine Gedanken von Weltflucht, wollte meine Gründe dafür wissen und brachte mich glücklich dahin, die Aergernisse und die Mißachtung, deren ich mich in meiner zweifelhaften Stellung immer ausgesetzt sah, aus Höflichkeit selber abzuschwächen und zuzugeben, daß ich das meiste aus Empfindlichkeit sehr übertrieben hätte.

Was mir meine Lage aber besonders verhaßt machte, war dies: Die Auszeichnungen, die mir Ihre königliche Hoheit gewährte, seitdem ich des Titels und Amtes einer Kammerfrau überhoben worden, hatten keine bestimmten Grenzen. So wußte ich fast nie, was mir zustand oder nicht, und wenn ich es hierin im Geringsten versah, entweder aus Irrtum, weil mir andere Dinge im Kopf herumgingen als dieser Etikettenkram, oder auf Befehl der Fürstin sogar, so erinnerten mich das Gemurmel und die empörten Mienen der Damen vom Hofe bald genug an mein Versehen und ließen es mich schwer büßen, daß ich die Distanz zwischen ihnen und mir nicht genügend beobachtet hatte.

Diese Unannehmlichkeiten stellte ich der Fürstin als Entschuldigung für meinen gefaßten Entschluß vor, und obwohl diese nicht die einzigen und besonders nicht die eigentlichen Beweggründe für mich ausmachten, so leuchteten ihr doch diese mehr ein als irgend etwas anderes, was ich hätte vorbringen können.

Sie meinte, da gäbe es ein Mittel, abzuhelfen; ich müsse nur einen Edelmann heiraten, der mich im Rang den übrigen Damen des Hofes gleichstellte. Die hohen Aemter, die der Herzog von Maine innehabe, setzten ihn in die Lage, das Glück vieler Leute zu machen, und ohne Zweifel fände sich ein Offizier unter dem Oberbefehl dieses Fürsten, der um einer Beförderung willen sich zu dieser Heirat verstünde, sie wolle jemanden aussuchen, der in dieser Hinsicht geeignet wäre und mir auch sonst paßte.

Ich dachte bei mir, die Entdeckung werde ihr wohl nicht so leicht fallen; jedenfalls fänden sich Zeit und Mittel, auszuweichen, wenn die Partie nicht mit meinen Ansprüchen übereinstimmte. Falls sich aber etwas Passendes fände, so wäre jener Zustand immer noch besser als mein jetziger, und die Notwendigkeit, meine Pflichten zu teilen, könnte mir vielleicht eine gewisse Art von Freiheit verschaffen.

Außerdem glaubte ich bei meiner Denkungsart, in einer solchen Verbindung ebenso starke Schranken gegen meine eigene Schwäche zu finden als hinter den Mauern eines Klosters, und weit entfernt, mich dem guten Willen der Herzogin von Maine zu widersetzen, zeigte ich ihr meine Dankbarkeit für die Mühe, die sie sich um meine Lebensstellung zu geben gedachte.

Die Herzogin von Maine beauftragte nun Frau Zurlauben, die Gattin eines schweizerischen Offiziers, zugleich meine Freundin, in dem Korps der Schweizer, das der Herzog von Maine befehligte, jemanden ausfindig zu machen, der eine Frau von bürgerlicher Herkunft, ohne Vermögen, ohne Schönheit und Jugend heiraten wollte. Ich fürchtete (oder hoffte), die sämtlichen zweiundzwanzig Schweizer Kantone möchten nicht groß genug sein, um einen solchen Vogel Phönix darin aufzustöbern. Auch brauchte die Dame lange dazu, und ich dachte kaum mehr an ihre Mission, als sie eines Tages nach Sceaux kam und freudig erklärte, sie glaube durch Zufall den Mann gefunden zu haben, den wir suchten.

»Da begleitete ich eines Tages«, so erzählte sie, »Herrn Zurlauben zu einem seiner Landsleute, der auch Offizier ist und auf dem Lande in unserer Nachbarschaft ein kleines neues Landhaus bewohnt, inmitten von Lämmer- und Kuhherden. Der Herr des Hauses, nicht mehr jung, gefiel mir gleich durch sein einnehmendes Aeußere, er ist Witwer, Edelmann und lebt mit seinen zwei Töchtern in dieser ländlichen Zurückgezogenheit. Diese scheinen liebenswürdige und verständige Wesen, die ganz in der Sorge um den Haushalt aufgehen. Ihr Vater dient zwar schon lange in der Armee, ist aber trotz eifriger Pflichterfüllung nicht aufgerückt, weil er sich zu sehr zurückgehalten hat, und Leute, die selber nichts aus sich machen, selten belohnt werden. Darum habe ich gedacht, daß ihm eine Protektion, um die er sich nicht weiter zu bemühen brauchte, nicht unangenehm sein könnte, und wenn die Herzogin von Maine damit einverstanden ist, daß ich mit dem Herrn Baron von Staal spreche, so zweifle ich nicht daran, nach allen Erkundigungen, die ich eingezogen habe, daß der Vorschlag von ihm mit Freuden aufgenommen wird.«

»Ich finde den Mann«, wandte sich Frau Zurlauben an mich, »für Euch durchaus passend. Er ist von adliger Herkunft, hat aber wenig in der großen Welt gelebt und von deren Lastern nichts angenommen. Er genießt die Einkünfte seines kleinen Landguts, zwei Meilen von Paris, das er selbst bewirtschaftet und dies Einkommen, zusammen mit dem, was Euch der Herzog von Maine bewilligen wird, sichert Euch ein behagliches Leben.«

Während sie diese Rede hielt, trat mir ein Bild des Landlebens vor Augen, das mich um so mehr entzückte, je mehr ich es mir als Gegensatz zu dem meinigen ausmalte. Da ich immer gern Milch trank, schien mir nichts verlockender als selbst Kühe zu besitzen.

Der menschliche Hochmut trägt Sorge dafür, die kleinen und lächerlichen Umstände zu verschweigen, die oft mitgeholfen haben, die wichtigsten Vorkommnisse im Leben zu bestimmen.

Auch die Frau Herzogin fand Beifall an dem Vorschlag und so ward ein Freund der Frau Zurlauben, der den Baron von Staal näher kannte, mit der Unterhandlung beauftragt.

Der Vorschlag wurde gut aufgenommen, Herr von Staal erbat sich nur einige Tage Bedenkzeit. Er wollte seinen Töchtern, mit denen er sehr zufrieden lebte, den Gedanken an eine Stiefmutter, welcher Titel immer ein verhaßter ist, mit Vorsicht annehmbar machen.

Das wurde ihm nicht leicht. Herrscherinnen in ihrer kleinen Hütte und gewohnt, den Haushalt selbst zu leiten, fürchteten sie, ich könne die Zügel an mich reißen und mich der Herrschaft bemächtigen wollen, die, wie an den Höfen, so auch auf den ländlichen Gefilden, gleichermaßen ein Gegenstand der heftigsten Eifersucht ist. Trotzdem gaben sie dem Willen ihres Vaters nach, der sein Glück in dem gemachten Angebot auf eine bequeme Art gesichert fand. Vernünftigerweise wollte er den allgemeinen Versprechungen eine bestimmte Form geben. Er hatte bloß den Titel eines Leutnants der Kompagnie der Garden, deren Hauptmann, vom Schlage gelähmt, sich außer Stand gesetzt sah, sein Amt zu versehen. Der Baron verlangte nun, nach dem bald zu erwartenden Tode dieses Herrn, dessen Stelle einzunehmen und vorläufig den Titel eines Kommandanten dieser Kompagnie führen zu dürfen, dessen Tätigkeit ihm ohnehin bereits oblag. Sobald er diese Gnade erhalten hätte, erklärte er sich bereit, die Heirat mit mir zu schließen und das übrige der Güte der Frau Fürstin zu überlassen.

Dies seine genaue Antwort. Die Herzogin von Maine erklärte sich hiermit einverstanden und dachte nur noch daran, auch ihren Gemahl für die Sache zu gewinnen. Sie legte ihm alle Gründe dar, warum sie meine Verheiratung wünschte und wußte diese so ins Licht zu setzen, wie sie es verstand, wenn ihr etwas am Herzen lag.

Der Herzog aber suchte mit der ihm eigenen Geschicklichkeit der Sache auszuweichen und machte andere Vorschläge, doch die Frau Herzogin ließ sich nicht abschrecken. An seine Verzögerungen und sein schwankendes Betragen gewöhnt, ruhte sie nicht eher, als bis sie ihren Zweck erreicht hatte. Das nahm aber lange Zeit in Anspruch, währenddessen man es zweckmäßig fand, mich mit dem Herrn Baron von Staal bekannt zu machen.


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