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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Bleierne Freiheit

Meine Fürstin, die Frau Herzogin von Maine, war nun seit fünf Monaten in die Freiheit zurückgekehrt, aber ihre Bemühungen, die meinige zu erlangen, schienen vergeblich.

Zuletzt bat sie die Fürstin von Conti, ihre Nichte, von der sie viele Beweise von Freundschaft erhalten hatte, den Kriegsminister zu veranlassen, mich noch ein letztes Mal aufzusuchen, um meine Angelegenheit zu Ende zu bringen. Diese Fürstin konnte von Herrn Le Blanc aber nur die Erlaubnis erhalten, den Herrn Bochet, Privatsekretär des Fürsten von Conti, mit den schriftlichen Aufträgen der Herzogin von Maine an mich abzuschicken. Ihre königliche Hoheit wollte ihre Weisung an mich aber nicht eigenhändig schreiben, und so wählte sie eine Hand, die mir bekannt war, so daß ich keinen Verdacht zu schöpfen brauchte. Ich las:

»Die Frau Herzogin von Maine befiehlt Euch, Euer Geständnis schriftlich abzugeben; ich bin von ihr beauftragt, Euch dieses mitzuteilen.«

Herr Bochet aber gab mir zu verstehen, daß man mir von keiner Seite Dank wisse, wenn ich noch länger Widerstand leiste, und daß ich diesem Befehle Ihrer königlichen Hoheit Folge leisten müsse.

So schrieb ich denn mein Geständnis, ohne mich allzu großer Offenheit zu befleißigen und verfuhr nur ausführlich in Dingen, die niemand von mir zu wissen verlangte.

Der Regent mochte nicht gerade sehr zufrieden sein mit diesem Aktenstück, aber da er seine gestellte Bedingung nur zum Schein erfüllt sehen wollte, ließ er es dabei bewenden.

Einige Tage darauf stand ich gerade an jenem Fenster mit seinen armdicken Barren, und nachdem ich den fernen Uferpappeln und der stolzen Zeder aus dem Libanon einen wehmütigen Gruß zugewinkt hatte, gewahrte ich plötzlich den Leutnant heftig durch den Hof eilen, ein Papier in der Hand, das er mir von weitem entgegenhielt. Er trat mit einer Bestürzung bei mir ein, die mich in Erstaunen setzte. Nur ein Maler ist vielleicht imstande, den Ausdruck der Freude mit dem eines heftigen Schmerzes vereint darzustellen, so wie ich ihn auf den breiten Zügen meines Freundes las, als er mir das Papier reichte. Es war der Brief mit dem königlichen Siegel, der meine Befreiung aus der Bastille bedeutete.

»Nun seid Ihr frei,« sagte der Leutnant, »und ich muß Euch verlieren. Glühend habe ich diesen Augenblick herbeigewünscht und mein Leben hätte ich darum gegeben, ihn früher eintreten zu sehen. Aber was soll jetzt aus mir werden, wenn Ihr nicht mehr in meiner Nähe seid?«

Meine eigenen Empfindungen fühlte ich nur unklar und verwirrt. Wenn sich Freude darunter mischte, wurde ich ihrer nicht bewußt. Bedauern mußte ich einen Freund, dessen treue Anhänglichkeit, das erkannte ich wohl, vergeblich ihresgleichen gesucht hätte.

Den Chevalier von Le Mesnil wünschte ich wiederzusehen, um meine Zweifel aufzuklären, aber vielleicht fürchtete ich dies noch mehr als ich es wünschte. Ich empfand auch das lebhafte Bedürfnis, meiner Fürstin, der Frau Herzogin von Maine wieder nahe sein zu dürfen, und zugleich dachte ich mit einem gelinden Schrecken an den demütigenden und mühevollen Dienst, in den ich mich wieder begeben mußte. Alle meine Gefühle wurden durch die fast gleiche Kraft der gegenteiligen Empfindung aufgehoben.

Zusammen mit meiner Freiheit erhielt ich den Befehl, mich auf der Stelle nach Sceaux zu verfügen, wo sich die Herzogin von Maine eben aufhielt. So schickte ich denn nach dem Temple, um den Abbé Chaulieu bitten zu lassen, mir seinen Wagen zur Verfügung zu stellen, der mich erst zu ihm und dann nach Sceaux führen sollte. Der Abbé lag bereits an einer schweren hoffnungslosen Krankheit danieder, zu meinem tiefsten Bedauern aber konnte ich nicht so lange bei diesem alten Freund verweilen, als ich es gewünscht hätte. Ich habe ihn nie wiedergesehen, er ist schon vierzehn Tage darauf gestorben.

Gegen Abend kam ich in Sceaux an. Die Herzogin war ausgefahren, und ich ging ihr im Park entgegen. Als sie mich erblickte, ließ sie die Kalesche anhalten.

»Ah,« rief sie aus, »da ist ja unser lang vermißtes Fräulein. Es freut mich sehr, Euch wiederzusehen.«

Ich trat näher, sie umarmte mich und setzte dann ihre Spazierfahrt fort, während ich ins Schloß zurückkehrte.

Man führte mich in das von der Herzogin für mich bestimmte Zimmer, und ich fühlte mich glücklich, ein Fenster und einen Kamin darin vorzufinden. Auch erfuhr ich, daß zwei neue Kammerfrauen eingetreten waren, eine an Stelle einer Verstorbenen, eine andere, um meinen Platz einzunehmen, dessen ich mich also enthoben sehen durfte. Außerdem ließ mir die Herzogin sagen, daß sie Fräulein Rondel zur Garderobiere haben wolle.

Dieses Opfer brachte ich gern, in der Hoffnung, daß meine gute Rondel es auf diese Weise weiter bringen würde als bei mir. Anstatt ihrer nahm ich ihre jüngere Schwester zu mir.

Es fanden sich wenig Leute anwesend in Sceaux, die Herzogin hatte noch keine Erlaubnis, ihre Freunde von ehemals wieder bei sich zu sehen. Auch der glänzende und eigentlich unvermeidliche Herr Malesieu fehlte, er saß noch immer in der Bastille und ist auch bald darauf in seinem Kerker gestorben. Denn es ist eine alte Geschichte, daß die allzu beflissenen Diener, wenn sie sich an einer zweideutigen Handlung ihrer Herren beteiligen, dafür härter bestraft werden als diese selber.

Die Herzogin spielte mit den Mitgliedern ihres Hauses fast die ganze Nacht über Biribi und verschlief den größten Teil des Tages. Man ließ mich wieder wachen und vorlesen wie ehedem, und bei dieser anstrengenden Beschäftigung dachte ich oft mit Bedauern zurück an die Ruhe in meinem Gefängnis.

Am zweiten Tag nach meiner Ankunft in Sceaux begab ich mich zu Frau von Grien im Kloster von Maria Heimsuchung zu Paris und durch einen Zufall und zu meiner höchsten Ueberraschung traf ich im Sprechzimmer den Chevalier von Le Mesnil, der mir aber eine höchst verlegene Miene zeigte.

Sein Benehmen schmetterte mich vollständig darnieder.

Er sprach mir von dem schlechten Stand seiner Geschäfte, die er durch den Verkauf eines Landgutes gegen Eintausch einer jährlichen Rente für Lebenszeit wieder ins reine zu bringen gedachte. Ich merkte aber wohl, daß er sich des genannten Besitztums ganz ohne Not entledigte, wie überhaupt seine Vorliebe für diese Art Einkommen mir deutlich zeigte, daß er keine andere Absicht hegte, als für sich allein zu bleiben. Der seitherige mehr oder weniger dichte Schleier fiel mir von den Augen, und ich erblickte den Abgrund, in den ich mich gestürzt hatte, als ich mich durch seine falschen Schwüre in die Falle locken ließ.

Um derartigen Einbildungen keine Gewalt mehr einzuräumen, fragte ich Herrn von Le Mesnil geradeheraus, was denn aus seinen früheren Plänen geworden wäre? Er erwiderte mir, daß er deren Ausführung noch ebenso lebhaft wünsche als jemals, daß er weit davon entfernt sei, darauf zu verzichten, daß er aber einen Aufschub notwendig habe, um abzuwarten, wie sich seine Geschäfte gestalten möchten.

Fürs erste müsse er jene Reise machen, von der er mir schon in seinen Briefen geschrieben hatte. Es handelt sich um einen Besuch in der Schweiz bei der Marquise von Avaray, der Frau des französischen Gesandten, seiner alten und intimen Freundin. Dieser Besuch schien ihm unumgänglich notwendig und so groß sein Bedürfnis sein mochte, diese Dame zu sehen, so schien doch sein Wunsch, sich von mir zu entfernen, noch größer.

Aber so sehr ich mich auch verletzt fühlte, wünschte ich doch nicht, mich endgültig von ihm zu kehren, ohne ihn noch einmal im Vertrauen gesprochen zu haben. So sagte ich ihm denn, daß ich mich zwei Tage zu Paris bei der Gräfin von Réal aufhalten werde (es war dies die Nichte der Frau von Grieu und damals meine intimste Freundin); wenn er mich noch einmal treffen wolle, möge er mich am nächsten Tage nach der Abendtafel dort aufsuchen.

In der Frühe des andern Tages fuhr ich nach der Bastille und fand den Leutnant niedergeschlagen und krank. Was wir uns gesagt haben, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, ob wir überhaupt eine besondere Unterredung miteinander hatten. Nur das eine weiß ich, daß ich ihm die kleine Schrift gab, die ich während meiner Gefangenschaft verfaßt, und die er dringend zu lesen wünschte. Ich machte hierauf noch verschiedene Besuche und kam zeitig genug nach Hause.

Frau von Réal stand im Begriff in die Oper zu fahren, ich lehnte es ab, sie dahin zu begleiten und wollte auch nicht, daß sie meinetwegen zu Hause blieb. Ich versprach mir eine bessere Unterhaltung.

Und also wartete ich auf den Chevalier von Le Mesnil, ich wartete unaufhörlich, er kam aber nicht. Vor lauter Warten wurde ich allmählich wie betäubt, und der grausame Eindruck dieser Stunde ist es hauptsächlich, der alles in meinem Gedächtnis ausgelöscht hat, was vorausgegangen oder gefolgt ist.

Es gibt keine Zeit in meinem Leben, die ich mit dem Erlebnis dieses Abends vergleichen könnte. Die Treulosigkeit des Herrn von Le Mesnil schien mir jetzt bewiesen. Aber was meine Verzweiflung auf den Höhepunkt brachte, lag in dem Bewußtsein, daß ich mich, so schändlich er sich auch benahm, doch nicht von ihm losmachen konnte.

Als Frau von Réal von der Oper zurückkehrte, fand sie mich in einem Zustand, wie sie mich nie gesehen hatte, trotzdem wir einen großen Teil unseres Lebens im innigsten Vertrauen miteinander zugebracht. Sie wollte den Grund meines so heftigen Schmerzes wissen, und ich beichtet« ihr mein ganzes Elend. Es gewährte mir einigen Trost, mein Herz bei einer so zarten und treuen Seele zu erleichtern.

Mit Anbruch des nächsten Tages schrieb ich an den Chevalier. Er kam noch vor meiner Abreise zu Frau von Réal. Sein Nichterscheinen am Abend war infolge eines Mißverständnisses veranlaßt worden, man hatte ihm an der Türe gesagt, daß ich ausgegangen sei. Dieses Unrecht fiel also nicht auf sein Konto, aber es blieb so vieles andere.

Durch mein standhaftes Verhalten in der Bastille hatte ich zu meinem Ruf als Schöngeist noch den eines gewissen Heldentums erworben. So umdrängten mich denn abermals viele Leute, die mich noch nicht kannten, und die sich alle bemühten, mir Liebes zu erweisen. Auf diese Art würde ich viele Annehmlichkeiten genossen haben, wenn meine Seele nicht von jenem Unglücklichen Gift durchtränkt gewesen wäre, das sie unempfindlich gegen jede Befriedigung machte.


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