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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Der berühmte Mann

Hier muß ich in meinem Leben ein Erlebnis nachholen, das für mich von großer Bedeutung zu werden schien.

Ehe ich in die Bastille kam, hatte mich mein immer treuer Freund, der Vizgraf von Valineour, mit Herrn und Frau Dacier bekannt gemacht. Der berühmte Dolmetscher des Platon und des Epiktet hatte mich sogar zu einer Gesellschaft geladen, die er gab, um die beiden feindlichen literarischen Parteien, die Anhänger der Alten und die der Modernen miteinander auszusöhnen. Dieser mit viel Haß und Hitze geführte literarische Krieg, der längere Zeit die Unterhaltung der Oeffentlichkeit bildete, wurde durch die Vermittlung und langwierigen Verhandlungen des Herrn von Valincour endlich zu einem glücklichen Friedensschluß hinausgeführt, der zuletzt durch ein feierliches Gastmahl seine letzte Weihe erhielt, wo alle Häupter der beiden Parteien zusammenberufen wurden. Ich selbst vertrat die Neutralität dabei. Man trank auf die Gesundheit des Homer, den die gelehrte Frau Darier so ruhmreich übersetzt hatte, und alles endete in allgemeiner Herzlichkeit und Freundschaft.

Herr und Frau Dacier gaben mir auch während meiner Gefangenschaft die größten Beweise einer aufrichtigen Zuneigung. Ueber meine Freilassung drückten sie eine lebhafte Freude aus. Herr Dacier schrieb mir, mitten in seiner Betrübnis über die schwere Krankheit seiner Frau, in ihrem und seinem Namen einen Brief voll der wärmsten Teilnahme für alles, was mich betraf. Er verlor bald darauf diese berühmte Frau, die so ganz für ihn geschaffen, und sein Schmerz entsprach der Unersetzlichkeit des Verlustes. Ich begriff diesen Schmerz und mein Brief zeigte ihm, wie sehr ich an seinem Kummer Anteil nahm. Seine Antwort darauf offenbarte mir erst recht das Uebermaß seiner Betrübnis.

Sechs Wochen später schrieb ich im Namen der Herzogin von Maine an ihn und erkannte in seiner Erwiderung denselben Grad von Untröstlichkeit wie im ersten Augenblick seines Unglücks. Ein lebhaftes Mitgefühl ergriff mich, später dachte ich aber nicht weiter an ihn. Da, ungefähr ein Jahr danach, sollte es niemand anders sein als die Herzogin von La Ferte, die sich berufen fühlte, meinem Verhältnis zu dem berühmten Uebersetzer der Alten eine überraschende Wendung zu geben.

Sie interessierte sich seit meiner Gefangenschaft wieder mehr als je für mich, und eines Tages, von Versailles zurückkehrend, kam sie zu mir hereingerauscht.

Da habe ich, begann sie in ihrer sprudelnden Art, bei dem Marschall von Villeroi diesen armen Dacier getroffen. Wahrlich, sein Anblick macht einen traurig. Er sagte, sein Kummer sei ebenso heftig wie am ersten Tag und er möchte am liebsten sterben vor Verzweiflung. Nun, antwortete ich ihm, da gibt es nur ein Mittel, Euch zu trösten, und das ist eine neue Heirat.

»Guter Gott,« rief er aus, »welche Frau könnte mir die ersetzen, die ich verloren habe?«

Ich nannte Ihren Namen.

Er blieb zuerst ganz stumm vor Erstaunen. Dann, nach einigen Augenblicken des Nachdenkens meinte er: »Das wäre die einzige in der Welt, mit der ich leben könnte, ohne das Andenken an Frau Dacier zu beleidigen.«

Als der Marschall und ich, fuhr die Herzogin fort, ihn so erschüttert sahen, gaben wir unserem Vorschlag mehr Nachdruck und wir fanden Herrn Dacier ganz geneigt, zuzuhören. Kurz, es ist mein Wille, daß er Euch heirate. Er ist ein berühmter Mann und wohlhabend. Ihr könnt seine berühmte Frau ersetzen und diese Heirat wird ebenso ehrenvoll wie vorteilhaft für Euch sein.

So die Herzogin von La Ferté. Ich fühlte die Wahrheit ihrer Worte und gab ihr meine Dankbarkeit dafür zu erkennen, daß sie aufs neue die Sorge für meine Lebensstellung übernehmen wollte. Sie versicherte mir, sie werde die Sache weiter verfolgen und sicherlich zu gutem Ende bringen.

Indessen kamen andere Zerstreuungen. Die Herzogin von La Ferté machte eine Reise aufs Land, und der Gedanke an jene Angelegenheit kam ihr aus dem Gedächtnis. Das war ja von jeher so ihre Art. Aber mir wollte die Sache nicht aus dem Kopf, und eines Tages sprach ich mit Herrn von Valincour darüber. Er fand den Plan vortrefflich und tat sofort die nötigen Schritte zu seiner Verwirklichung.

Mit Herrn Dacier befreundet, fiel es ihm leicht, ihn zum Sprechen zu bringen über das, was die Herzogin von La Ferté ihm vorgeschlagen hatte. Herr Dacier schien der Sache nicht abgeneigt und Herr von Valincour nahm es auf sich, mit mir darüber zu sprechen und Herrn Dacier dann von meiner Stellung zu der Frage Mitteilung zu machen.

Meine unüberwindliche Neigung zur Freiheit und Ruhe ließ mich schon seit langer Zeit irgendeine Aenderung herbeiwünschen, die mir beides verschaffen könnte. So wurde Herr von Valincour also mit einem günstigen Bescheid beauftragt, den ich aber von der Zustimmung des Herzogs und der Herzogin von Maine abhängig machte.

Herr Dacier zeigte sich hocherfreut über diesen glücklichen Anfang und nahm den Vorschlag des Herrn von Valincour, uns zusammen einzuladen, sobald ich nach Paris käme, mit Begeisterung auf. Dies wurde ausgeführt, und in einer langen Unterhaltung zeigte Herr Dacier den besten Willen, mir nur das eine überlassend, die Einwilligung meiner Fürstin zu erlangen.

Obgleich ich an die Verdienste der Frau Dacier bei weitem nicht hinanreichte, so entflammte doch die Hoffnung, mit jemandem zu leben, den er schätzen konnte, Herrn Dacier zu einer Art Leidenschaft für mich, die bei seinem Alter und in seinem Zustand erstaunen mußte. Je unerträglicher sein Schmerz und seine Traurigkeit gewesen waren, um so notwendiger schien ihm der dargebotene Trost zu sein. Er wünschte also glühend, die geplante Verbindung zu schließen. Er setzte ein Memorandum all seines Besitzes auf, den er mir vollständig zusprach, abgesehen von einem Teil seiner Pensionen, den er mir später ebenfalls zuzusichern hoffte. Dieses Memorandum übergab er dem Herrn von Valincour; es handelte sich nur noch um die Zustimmung der Herzogin von Maine, und da lag freilich die größte Schwierigkeit.

Gleich beim ersten Wort wurde sie höchst aufgebracht. Sie erklärte, daß sie mich nicht entbehren könne und niemals ihre Zustimmung zu einer Stellung meinerseits geben werde, die mich von ihrer Person entferne.

So viele Vorteile sich mir auch boten, wollte ich doch nicht gegen ihren Willen handeln, ich konnte es auch ohne Verletzung des Wohlanstandes nicht, und besonders nicht, ohne eben auf jede Belohnung für langjährige Dienste Verzicht zu leisten.

So bat ich also um eine Wartezeit und hoffte nach und nach ihren Sinn umzustimmen und sie zu meiner Trennung von ihr geneigter zu machen, wozu ich mich zuletzt selber nur schwer entschließen konnte, wenngleich die Herzogin wenig tat, unser Verhältnis auch für mich etwas angenehmer zu gestalten. Auch hegte ich so manche geheime Abneigung gegen die neue Verbindung. Darum empfand ich es nicht unangenehm, eine Sache hinauszuschieben, die zu günstig war, um sie abzulehnen und doch nicht so verführerisch, um zum Abschluß zu drängen.

Denn so erbittert ich gegen den Chevalier von Le Mesnil sein mochte, so arbeiteten doch die Gefühle, die ich für ihn gehegt und die sich noch immer im Grunde meines Herzens verbargen, unbewußt gegen meine offenkundigsten Vorteile.

Sein Betragen gab mir das Recht, ohne sein Einverständnis über meine Person zu verfügen, doch hatte ich diese Möglichkeit noch immer nicht ernstlich in Betracht gezogen. Vielmehr drängte es mich jetzt, ihn noch einmal zu prüfen. Er lebte damals auf seinen Gütern im Anjou, und so schrieb ich ihm dorthin.

Seine Antwort glich jenen geheimnisvollen Orakeln, deren zweideutiger Sinn nicht verfehlt, jedem Wunsch entgegenzukommen. So las ich denn darin das Bedauern, mich zu verlieren, wie auch eine entfernte Hoffnung, das frühere Verhältnis wieder anzuknüpfen, und das alles eingehüllt in ein großmütiges Gefühl, seine eigenen Ansprüche gegen meinen Vorteil zurückstehen zu lassen. Trotzdem glaubte ich diesmal eine wahrere Empfindung in seinem Brief zu entdecken als er mir seit langem gezeigt, und vielleicht, daß ich mich hierin nicht völlig irrte. Denn nichts ist uns so gleichgültig, als daß man es nicht im Augenblick des Verlustes wieder ergreifen möchte.

Die Herzogin von Maine hatte nach ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft und also vor meiner Befreiung aus der Bastille von meinem Verhältnis zu dem Chevalier Le Mesnil und seinen angeblichen Heiratsabsichten erfahren. Sie sprach mit mir ziemlich gleichgültig darüber, und zeigte mir in verletzender Weise geringe Neigung, die Sache zu begünstigen. Sie untersagte mir, ihn in ihrem Hause zu empfangen, unter dem Vorwand seiner Aechtung, und wollte überhaupt von nichts etwas hören, was ich in bezug auf ihn hätte wünschen können.

Als sie aber jetzt von dem Antrag des Herrn Dacier hörte, schien sie plötzlich meine früheren Pläne begünstigen zu wollen. Sie sagte, sie habe mir dazu immer Erfolg gewünscht, die Zeitumstände aber, nämlich ihr gespanntes politisches Verhältnis zu dem Regenten, hätten ihr nicht gestattet, etwas dazu beizutragen. Nun habe sie es nicht mehr nötig, so vorsichtig zu sein, und wenn ich jene Aussichten dem neueren Antrag vorzöge, so wolle sie kein Mittel zu ihrer Ausführung unversucht lassen. Sie täte dies um so lieber, als diese Verbindung mich weniger von ihrer Person entferne und sie dieselbe außerdem unendlich viel angenehmer für mich fände als die vorgeschlagene Heirat mit Herrn Dacier.

Mit diesen allgemeinen Redensarten begnügte sie sich nicht, sie ging ins einzelne über. Sie sprach von ansehnlichen Aemtern im Hause Maine, die frei würden und die von dem Chevalier von Le Mesnil vollkommen ausgefüllt werden könnten. Dadurch würde sich sein Einkommen bedeutend erhöhen, so daß jeder Vorwand wegfiele, um derentwillen er bis jetzt der Heirat mit mir ausgewichen wäre.

Wenn ich mich nur durch meinen Verstand hätte leiten lassen, wie mittelmäßig er auch sein mag, so würde ich die mir gestellte Falle wohl entdeckt haben; aber das Gefühl, das ewig blinde, betrog mich und ließ mich plump in die Schlinge fallen.

Herr von Valincour und Frau von Réal stellten mir indessen unaufhörlich die tatsächlichen Vorteile meiner Heirat mit Herrn Dacier vor und drängten mich zum Entschluß. Auch Herr Dacier wandte sich an verschiedene Personen, um durch deren Vermittlung die Einwilligung des Herzogs und der Herzogin von Maine zu erlangen und gewann sogar den Fürsten von Conti, bei dem er Zutritt hatte, zu seinem Freiwerber. So viele Vermittlungen verbreiteten allgemein die Kunde von dem Geplanten, man schenkte meinem Vorhaben allgemeinen Beifall, jedermann gratulierte mir.

Nur die Herzogin von Maine machte ein böses Gesicht dazu und in einer Unterhaltung mit ihr über meine Absichten und Aussichten verlor ich selber meinen festen Standpunkt. Sie begann damit, wie notwendig ich ihr sei, welchen Kummer ihr meine Entfernung verursachen würde, und endlich sagte sie: »Ihr werdet wohl, wie ich annehme, keine unüberwindliche Leidenschaft für Herrn Dacier empfinden, es handelt sich wohl nur um Stellung und Vermögen. In dieser Beziehung aber kann ich viel mehr für Euch tun, aber sagt mir bestimmt, wozu Ihr entschlossen seid.«

»Hohe Frau,« antwortete ich, »ich habe mich Euch ergeben und werde mich nicht verkaufen, Eure Königliche Hoheit kann über mich verfügen wie es Ihr gefällt.«

»So denkt nicht mehr an diese Heiratsangelegenheit,« versetzte sie, »und ich werde darauf bedacht sein, Euch jede Art von Annehmlichkeit zu bieten.«

In der Tat vervielfachte sie jetzt ihre Gnadenbeweise gegen mich. Sie ließ mich an ihren Spazierfahrten teilnehmen, erlaubte mir den Zutritt bei ihren engeren Zirkeln und behandelte mich kaum anders als ihre Ehrendamen.

Einige Zeit darauf erkrankte Herr Dacier und starb plötzlich, ich hatte also versäumt, seine reiche Erbin zu werden. Die Hauptschuld daran fiel auf die Herzogin, aber ich grollte ihr deswegen nicht allzusehr. An dem Reichtum an sich lag mir nichts, aber freilich ist er es, der mit seinem goldenen Schlüssel die Türe zur Freiheit aufschließt.


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