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Elftes Kapitel

Ihre Königliche Hoheit

Mein plötzlicher Ruhm, wie ich es schon einmal gesagt habe, zog nun die Neugierde vieler auf meine Person.

Unter anderen wollte der Abbé von Thaulieu mich kennenlernen. Er war damals fast noch berühmter in der neckischen und galanten Poesie wie Herr von Malesieu, als dessen Rivale er noch immer galt, trotz seiner achtzig Jahre. Herr von Chaulieu kam oft nach Sceaux und würde früher nie daran gedacht haben, mich anzureden. Aber dasselbe Glück, das mich so plötzlich zu Ehren gebracht hatte, ließ mich jetzt sein Examen gut bestehen.

Ob ich dies der günstigen Voreingenommenheit von seiten der anderen zuschreiben muß, oder meinem eigenen Wunsch, was mir der Zufall verschafft hatte, auch zu behalten, kurz, ich verlor, auch bei näherer Bekanntschaft, nichts in den Augen all dieser Leute. Ja ich erwarb mir bei dieser Gelegenheit einen zuverlässigen Freund, der sich als solcher immer treu bewährt hat.

Das war ein Mann, bekannt durch seinen Geist, seine Verdienste und seine Verbindungen mit den berühmtesten Geistern des Jahrhunderts, der Vizgraf von Valincour, der Gouverneur des Grafen von Toulouse, des jüngeren Bruders des Herzogs von Maine.

Obwohl ein vollendeter Hofmann, hatte er es doch immer verschmäht, die modisch gewordene Perücke zu tragen, sondern begnügte sich mit dem Schmuck seiner natürlichen langen Locken, die ihm freilich sehr reich und zierlich um die Schultern flossen, und kaum, daß er sich ein wenig zum Pudern derselben verstand. Es wundert mich noch heute, wie ihm diese Freiheit nachgesehen wurde. Er genoß eben trotz dieser Absonderheit eine zu große allgemeine Achtung. Er galt auch für ausnehmend fromm, seines philosophischen Verkehrs ungeachtet, denn damals bestand noch nicht das Gesetz, das von Herrn von Voltaire später aufgebracht worden ist und wonach die schönen Geister zugleich Freigeister oder vielmehr freche Geister sein mußten, man konnte noch zugleich Philosoph und ein guter Katholik sein.

Dieser ungewöhnliche Mann, der keine zierlichen Madrigale wie Malesieu und keine witzig lüsternen Verse machte wie der gute Abbé Chaulieu, aber seinen Racine auswendig wußte, wollte mich eines Tages, als der Hof für kurze Zeit zu Fontainebleau weilte, dort aufsuchen. Es fiel ihm nicht leicht, mich auf der Gesellschaftsstufe, wo ich stand, zu entdecken. Eines Tages traf es sich aber, daß er in der Komödie neben mich zu sitzen kam und wir knüpften eine Unterhaltung an, die ihm Vergnügen zu machen schien. Als er sich für einige Zeit entfernte, hielt ich ihm seinen Platz frei und er zeigte sich mir dankbar für diese Höflichkeit. Einige Zeit darauf schrieb er mir nach Versailles, wo wir uns gerade aufhielten, und bat um die Erlaubnis, mich besuchen zu dürfen, wozu ich gern meine Einwilligung gab.

Das war um dieselbe Zeit, als die Herzogin von Maine den Kardinal von Polignac einlud, ihr seinen Anti-Lukrez, den er in lateinischen Versen verfaßt hatte, auf französisch zu erklären. Jeden Abend versammelte sie eine Gesellschaft auserwählter Geister in ihrem Kabinett, um dem Kardinal zuzuhören. Auch Herr von Valincour war unter diesen Geladenen und wartete bei mir die Stunde dieser gelehrten Versammlung ab.

Die Gründe, mich hierbei zuzulassen, überwogen immer noch nicht die, welche mich ausschlossen. Ich hatte es vorher einmal gewagt, bei Gelegenheit der Lektüre des ersten Buches, das der Herzog von Maine übersetzt hatte, zu fragen, ob es mir gestattet sei, zuzuhören und mußte mir den Bescheid gefallen lassen: Unter der Bedingung, daß ich unsichtbar bliebe. Seitdem stellte ich solche unbescheidene Anfragen nicht mehr. Die Achtung der Leute, die mich kannten, tröstete mich über die unbesiegbare Verachtung der Großen gegen ihre Untergebenen.

Im ganzen aber bedeutete dieser Zeitabschnitt für mich den Anfang eines in jeder Hinsicht angenehmeren Lebens.

Ihre Königliche Hoheit ließ sich herab, mit mir zu sprechen und gewöhnte sich daran. Sie freute sich über meine Antworten und respektierte meine Kritik, ich beobachtete sogar, daß sie ihre Augen während des Sprechens oft auf mich richtete, um zu beobachten, ob ich zuhörte. Dies kostete mich keinerlei Anstrengung. Denn ich hatte noch niemand mit mehr Folgerichtigkeit, Klarheit und Leichtigkeit, dabei mit soviel edler Natürlichkeit sprechen hören wie dieses kleine Persönchen von Fürstin. Ihr Geist bediente sich keinerlei Ausschmückung, keinerlei Umwege oder Erfindung, sondern lebhaft von den Dingen berührt, gab er sie wieder wie ein scharfer Spiegel, ohne etwas hinzuzufügen, oder etwas auszulassen oder zu ändern.

Es gereichte mir also zum größten Vergnügen, ihr zuzuhören und seit sie dies bemerkte, wußte sie mir Dank dafür. Kurz, es begann nun, wie ich wohl sagen darf, die große Zeit meines Lebens.

Nach außen und dem Anschein nach lebte die Herzogin von Maine nur ihrem Hang zu glänzenden Vergnügungen, der unbegrenzt schien. Besonders ihre Vorliebe für Komödienspiel und glänzende Feerien, die Millionen verschlangen, brachte sie in aller Leute Mund. Ihre herrschende Leidenschaft lag dennoch ganz wo anders. Es war die politische Intrige zugunsten der Ihrigen. Hierin zeigte sie sich als Meisterin. Sie verlor zwar zuletzt das Spiel – weil sie es zu weit trieb – aber niemand wird ihr deshalb das Zeugnis einer hohen Begabung verweigern.

Vielleicht war auch die Unfähigkeit des letargischen dicken Herzogs von Maine, dieses Zöglings der frommen Frau von Maintenon, in höherem Grad schuld an dem Unglück als die Turbulenz der kleinen Herzogin.

Jedenfalls aber ist nicht abzuleugnen, daß ihre verbrecherische heimliche Politik großes Unglück über sie gebracht hat und noch größeres über meine Wenigkeit. Und doch muß ich dafür dankbar sein. Denn dieses Unglück und seine Entwirrung gab mir allerlei Gelegenheit, meine Tugend der Welt zu offenbaren und meiner Herrin Dienste zu erweisen, wie vielleicht kein anderer Sterblicher sie ihr je erwiesen hat.

Ihre Familie sah sich damals zu den höchsten Ehren aufgestiegen, die man für sie erreichbar halten konnte. Seit ihrer Verheiratung mit dem Herzog von Maine, dem begünstigten Bastardsohn Ludwigs des Großen, hatte sich die Herzogin unaufhörlich damit beschäftigt, ihrem Gatten und ihren Kindern eine gleiche Rangstufe zu verschaffen, wie ihre eigene Familie, die von Condé, sie im Königreich einnahm. Von Stufe zu Stufe waren die Ihrigen zu allen Vorrechten der Fürsten von königlichem Geblüt emporgestiegen und durch die Gunst der Zeitumstände hatte diese Puppe von einer Herzogin das berühmte Edikt erreicht, das ihren Gatten und seine Nachkommenschaft zur Thronfolge bestimmte, womit sie sogar ihre noch so kühnen Hoffnungen übertreffen sah.

Der rasch aufeinanderfolgende Tod so vieler Mitglieder der königlichen Familie hatte diesen Plan entstehen lassen und seine Ausführung erleichtert.

Da starb zuerst, 1711, der letzte Sohn des Königs, der Große Dauphin, und schon am 8. März 1712 folgte dessen ältester Sohn, der Herzog von Burgund, seinem Vater ins Grab. Auch des letzteren Bruder, der Herzog von Berry, welkte bereits langsam dahin; er verschied im März 1714, und alle Hoffnung des Königreiches stand nun auf dem Urenkel des alten Königs, dem vierjährigen Ludwig.

So wurde das genannte Edikt Ludwigs XIV., das die Erbfolge und die Thronberechtigung der Söhne des Herzogs von Maine aussprach, damals ohne Widerspruch anerkannt.

Ein um so größerer sollte ihm in der Folge erwachsen.

Aber das Glück der Gegenwart, das in keiner Weise den späteren tiefen Fall ahnen ließ, verbreitete einstweilen seinen Glanz und seine Freude an dem Hofe von Sceaux.

Durch den Einfluß der frommen und strengen Frau von Maintenon in Verbindung mit dem vorgeschrittenen Alter Ludwigs XIV. und den schon erwähnten tragischen Todesfällen in seiner Familie war der Hof von Versailles sehr zurückgegangen und recht still geworden. Der gealterte Selbstherrscher war vom Majestätischen allmählich ins Närrische und Steife hineingewachsen, der eigensinnig am Veralteten festhielt zum großen Mißbehagen der Jüngeren, denen er mit einem immer anspruchsvolleren Zeremoniell alles Vergnügen verdarb; alle Lebenslustigen flohen ihn darum mehr und mehr und seine Person wurde immer trüber und einsamer.

So sah sich sein Hof von dem zu Sceaux bald weit überstrahlt, wo keine leidige Etikette dem Vergnügen im Wege stand. Hier fand sich alles zusammen, was den Glanz liebte und dazu beizutragen vermochte durch Vorzüge der Geburt und des Geistes, und man kann wohl sagen, daß damals kein Hof in Europa dem von Sceaux auch nur einigermaßen gleichkam, obwohl die Herrschaften daselbst einstweilen nur im Rang von königlichen Prinzen standen. Aber wenn der Herzog von Maine bis jetzt auch kein Souverän war, so hatte er doch begründete Aussicht (sie trog leider), einer zu werden, der größte sogar von allen.

Doch freilich nicht ihm schuldete dieser Hof seine Berühmtheit. Bei seiner Frömmigkeit und seiner Neigung für wissenschaftliche Beschäftigungen hätte er sogar das zurückgezogene Leben eines Privatmannes jeder Art höfischer Zerstreuung vorgezogen, wie er sich auch der ihm zugefallenen großen politischen Aufgabe, man wird das später sehen, keineswegs gewachsen fühlte. Seiner kleinen zierlichen Gemahlin allein verdankte der Hof von Sceaux seine Bedeutung.

Die Vorliebe der Fürstin für prunkvolle Feste stand jetzt auf ihrem höchsten Gipfel. Man spielte Komödie und man hielt täglich Proben. Ganze Nächte lang dauerten die Lustbarkeiten und man dachte an nichts anderes, scheinbar, als wie man diese Feste noch üppiger und zugleich, was aber vielleicht ein Widerspruch ist, geistig reizvoller gestalten könnte. So entstanden die sogenannten grandes nuits, die soviel von sich reden gemacht haben.

Der Anfang davon war, wie bei den meisten Dingen, sehr einfach, und ich selber hatte den größten Teil daran.

Nach Theater und Tanz, nach aufregenden Feuerwerk-Schaustücken und tollem Maskentreiben bedurfte es des Ausruhens, und dies suchte die unermüdliche Herzogin nicht im Schlaf, sondern im Spiel. Immer häufiger verbrachte sie am Spieltisch die ganze Nacht bis weit in den Morgen hinein. Man hielt damals allgemein das Spiel – und sie spielte um unglaublich hohe Summen – für ihre größte Leidenschaft, weil ihre größere sich noch im geheimen auswirkte, wobei es sich um ganz andere Wagnisse handelte und nicht mehr hohe Geldsummen, sondern Kronen und Königreiche den Einsatz bildeten.

Doch einstweilen diente ihr, so schien es, das Spiel nur dazu, die Nacht totzuschlagen wie andere den Tag, und wenn es auch unlogisch sein mag, daß das der Nacht schmeicheln konnte, es mußte doch so sein. Denn eine größere Ueberraschung konnte der Herzogin nicht geschehen, als wie da plötzlich einmal in Gestalt einer schwarzverschleierten Person, die Nacht selber, begleitet von der blaßgelb gewandeten Luna in den kerzenerleuchteten Saal hereintrat vor die Person der verblüfften Herzogin und der erstaunten Fürstin in poetischen Worten den Dank dafür aussprach, daß sie der stillen dunklen Nacht vor dem strahlenden Tag den Vorzug gab, worauf die Luna nach ihrer silbernen Leier griff und auf die Fürstin begeisterte Lobhymnen ertönen ließ.

Der Einfall stammte von mir. Im tiefsten Geheimnis hatte ich alles vorbereitet. Ich spielte selber die Göttin der Nacht und auch den Gesang der Luna hatte ich gedichtet.

Die beabsichtigte Ueberraschung gelang mir vollkommen und ein rauschender Beifall belohnte mich.

Dieser einfache Auftritt wurde nun bereichert, ein zahlreiches Opernpersonal mußte mitwirken und der ganze Olymp seine Gestalten herleihen. Was nun dabei zu spielen war, besorgten die Schauspieler, Erfindung und Dichtung erwartete man von mir und ich bewährte mich in diesem Amt so glücklich, daß ich wirklich in ungewöhnlichem Grad dafür gefeiert wurde.

Das letzte dieser Festspiele war ganz von mir verfaßt und wurde unter meinem Namen gegeben. Es handelte von dem »Guten Geschmack«, der sich nach Sceaux geflüchtet und bei den verschiedenen Beschäftigungen der Fürstin den Vorsitz führte. Er ließ zuerst die Grazien auftreten, die, tanzend, auf eine entzückende Weise Toilette machten. Ein Chor von Genien sang entsprechende Weisen dazu. Dies war der erste Akt. Dann folgten die personifizierten Geister der Spiele, die Spieltische aufstellten und alles zum Spiel Erforderliche in Bereitschaft hielten, indem sie ihre Handlung fortwährend mit Tänzen und Gesängen begleiteten. Die besten Darsteller der Oper sahen sich damit beauftragt. Im letzten Akt traten die Geister des Lachens auf, die eine kleine Bühne errichteten, auf der man einen heiteren Einakter in Versen aufführte, ganz von mir verfaßt, da man keinen Dichter fand, der sich mit dem Gegenstande abgeben wollte. Es handelte sich dabei nämlich um die Erfindung des sogenannten Carré Magique oder Quadrat des Zirkels, dessen Studium die Herzogin von Maine sich seit einiger Zeit mit unglaublichem Eifer hingab. Das Stück wurde von ihr selbst gespielt, was ihm trotz des trockenen Gegenstandes keinen kleinen Erfolg einbrachte.

Leider aber sollten nun die Geister des Lachens für immer von dieser wundersamen Bühne verscheucht werden. Furchtbar ernste Ereignisse bereiteten dem Uebermut der Vergnügungen ein plötzliches Ende, dergestalt, daß sogar die Erinnerung daran fast gänzlich ausgelöscht wurde. Selbst eine poetische Epistel des allzeit verhätschelten Abbé Chaulieu an mich, dieses immer heiteren achtzigjährigen Dichtergreises, machte nicht das Aufsehen und tat nicht die Wirkung, die ihr zu einer günstigeren Zeit sicher gewesen wäre. Ihre erste Strophe lautete:

»Du seltnes Menschenkind, du aller Grazien Hort,
Wie keine je beherrscht dein flinker Geist das Wort;
Oh, wie du es verstehst, souvrän den Witz zu krempeln,
Um deine Fehler selbst zu Tugenden zu stempeln,
Daß, wie dein Seelchen auch sich wetterwendisch gibt,
Du dennoch niemals kränkst, den, der dich treulich liebt;
Kokett und ausgelassen scheinst du und frivol,
Und ist doch lautres Gold dein Herz, ich weiß es wohl,
Man ist versucht, dich, Schelm, im Wettkampf zu besiegen
Und muß doch stets im Staub anbetend vor dir liegen.«

Was sagt man zu diesem Weihrauch?

Der Umstand, daß ich so hohes Ansehen in der Welt gewann, verschaffte mir auch wieder einige Gunst von seiten der Herzogin von La Ferté, und es beruhigte mich sehr, sie versöhnt zu wissen.

Meine ersten Erfolge hatten sie geärgert, aber die allgemeine Anerkennung brachte mir auch die ihrige wieder zurück. Der Gedanke, schlecht mit ihr zu stehen, hatte mich immer gequält. Solange ihr Haß gegen mich anhielt, träumte ich fast jede Nacht entweder von neuer Unzufriedenheit ihrerseits oder von ihrer Versöhnung mit mir. Zwar ihre Zärtlichkeit erlangte ich nicht wieder, aber sie behandelte mich nun von neuem mit Güte und Vertraulichkeit, und eines Tages sagte sie mir: »Nun, mein Kind, in alledem sehe ich nur, daß ich immer recht gehabt habe.« Dieses wunderbare Wort ist das letzte, das ich für lange Zeit wenigstens aus ihrem Munde vernommen habe. Ich verlor sie fürs nächste ganz aus den Augen. Aber später, wie man sehen wird, wollte sie noch einmal mein Glück machen, wobei ich sie sogar ernst nahm, die doch einmal dazu bestimmt war, ihr ganzes Leben lang nur eine komische Figur zu spielen.


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