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Dreizehntes Kapitel

Die Fürstin konspiriert, die Zofe revoltiert

Die Hoffnungen der Herzogin auf spanischen Beistand, so phantastisch sie sich ausnahmen, gewannen bald eine feste Handhabe. Mehrere Personen des höchsten Adels von Frankreich waren dahin übereingekommen, daß die Angelegenheit der legitimierten Fürsten und insbesondere die des Herzogs von Maine nicht ohne die Mitwirkung ihrer Körperschaft erledigt werden dürfe. Ein Protestschreiben gegen den genannten Parlamentsbeschluß wurde aufgesetzt und von vielen angesehenen Personen der hohen Aristokratie unterzeichnet. Dies veranlaßte die Herzogin von Maine, sich mit einigen dieser hohen Herren in Verbindung zu setzen. Sie wußte die Mehrzahl unter ihnen unzufrieden mit der Regierung des Regenten und vom besten Willen beseelt, eine Verschwörung gegen ihn ins Werk zu setzen. Denn darum handelte es sich letzten Grundes. Der lustige Regent, wie man den Orléans schon damals nannte – er hat nachher die Welt noch lange auf seine Art belustigt –, sollte, und auch noch mit Hilfe einer auswärtigen Macht, beseitigt und der gute Herzog von Maine an seine Stelle gebracht werden.

Zwei von den Verschwörern, die eine führende Rolle übernommen hatten, der Graf von Laval und der Marquis von Pompadour, wurden ihr zugeführt. Diese standen in Beziehung zu dem Fürsten von Cellamare, dem spanischen Botschafter, und glaubten durch dessen Vermittlung etwas ihrem Zweck Dienliches erreichen zu können. Sie überredeten die Herzogin von Maine, diesen Botschafter in einem kleinen Nebenhause des Arsenals zu empfangen, wohin sie sich denn, nur von wenigen Personen begleitet, eines Abends verfügte. Der Graf von Laval aber brachte selbst, als Kutscher verkleidet, den spanischen Botschafter bei finsterer Nacht in jenes Haus. Dies wiederholte sich ein zweites Mal und wurde vom Regenten in Erfahrung gebracht, der von dieser Zeit an die heimlichen Wege der Herzogin streng beobachten ließ, ohne daß sie etwas dergleichen ahnte.

Man muß mir die Darlegung der politischen Absichten meiner Herrin erlassen, ich habe nie etwas davon verstanden. Das einzige, was ich daraus entnehmen konnte, war dies, daß man den König von Spanien davon abbringen wollte, der sogenannten Quadrupel-Allianz beizutreten, was dem Herzog von Orleans sehr zum Nachteil gedeihen mußte, dem an dieser Allianz alles lag.

Dies sah nun bedenklich nach Hochverrat aus und noch manches Bedenkliche mochte geschehen sein, was mir verborgen geblieben ist. Außerdem verlangte der spanische Botschafter, daß man ihm Modelle vorlege für die Briefe, die der König von Spanien über den besprochenen Gegenstand an die Regentschaft sowie an das Parlament schreiben sollte. Mit der Abfassung dieser Modelle betraute die Herzogin von Maine ihren Leibdichter und Liebling, den Herrn von Malesieu. Ich habe diesen geschniegelten Herrn, der gern den eleganten Marquis vorstellte, bereits wiederholt genannt und ihn als das Orakel von Sceaux bezeichnet. Er gab sich als Mathematiker und Maître de plaisir, als Gelehrter und Dichter, als Philosoph und Theaterregisseur, kurz als alles, was man haben wollte. In Wahrheit aber war der Mann mit der lächerlich langen Perücke und den überhohen Stöckelschuhen von weißem Brokat nur eines, nämlich der geriebenste Höfling, d. h. einer, wie ihn die Fürsten sich wünschen. Kraft dieser Eigenschaft war ihm bis jetzt alles gelungen, aber diesmal sollte er sich gründlich die Finger verbrennen.

Außer ihm wurde noch der Kardinal von Polignac dazu bestimmt, an diesen verfänglichen Briefkonzepten zu arbeiten. Das Original des Manuskripts, von beider Hand abwechselnd geschrieben, sollte ins Feuer geworfen werden.

Und also arbeiteten am nächsten Morgen Herr von Polignac – er war damals der begünstigte Geliebte der Herzogin – und Herr von Malesieu zusammen im Schlafzimmer meiner fürstlichen Herrin an diesen Briefentwürfen.

Der Kardinal aber hatte große Eile, noch rechtzeitig zur Messe des Königs zu kommen. Indem er daher schleunigst wegging, empfahl er der Herzogin von Maine noch einmal dringend an, die Urschrift nach Vollendung der Kopie sofort zu verbrennen, und Herr von Malesieu nahm das Konzept in dieser Absicht an sich. Aber sei es, daß ihm der Gedanke kam, es aufzubewahren oder daß er es vergaß, kurz, er konnte es plötzlich nicht mehr finden, ein Beweis, wie sehr der gewandte Hofmann schon jetzt gänzlich den Kopf verloren hatte. Es war eben auch das erstemal, daß es um eine für ihn ernste Sache ging. Denn Philosophie und Mathematik und Poesie hatte er wohl immer nur als Allotria betrieben. Er geriet natürlich sehr in Unruhe über diesen Verlust, von dem er zuerst niemandem etwas mitteilte. Und so glaubte man, daß diese Papiere nicht mehr vorhanden seien. Sie wurden später zum furchtbarsten Indizium gegen die Verschwörer.

Mir hatte die Herzogin von Maine davon nichts gesagt. Sie vertraute mir vieles an, anderes verschwieg sie. Ich selber tat nichts, um sie zu vertraulichen Mitteilungen zu veranlassen; denn ich sah die Folgen so sehr voraus, daß ich öfter versuchte, sie der Herzogin vor Augen zu stellen. Als ich ihr aber eines Tages sagte, sie sei auf dem besten Wege, eingekerkert zu werden, lachte sie mich aus und hatte nur die eine Furcht, der Herzog von Maine könne ihren Plänen Widerstand entgegensetzen.

Die Gunst, in der ich bei ihr stand, schützte mich indessen nicht vor einer Krisis, die mich beinahe für immer von ihr getrennt hätte.

Eines Abends fühlte ich mich unwohl und legte mich auf mein Bett, um da die Stunde meiner Nachtwache abzuwarten. Man rief mich. Ich fragte, ob man mich in meinem besonderen Amt gebrauche, etwa einen Brief zu schreiben, ein Buch zu holen oder was sonst meine Obliegenheiten sein mochten. Man erklärte mir, es sei nur zum Ankleiden der Herzogin.

Da ich dabei für gewöhnlich fast nichts zu tun hatte, glaubte ich meine Ruhe noch etwas länger ausdehnen zu können, aber Ihre Königliche Hoheit schickte nochmals nach mir.

Als ich bei ihr eintrat, ließ sie sich eben, von drei oder vier Frauen umgeben, die Schminke auflegen.

Ohne mich eines Blickes zu würdigen, erteilte sie mir einen sehr trockenen Verweis über den Dispens, den ich mir erlaubt hatte. Sie brauche, fügte sie hinzu, ihre Frauen zur Bedienung und nicht zur Errichtung einer Akademie.

Dieser spitzige Ton, den ich noch nie von ihr gehört hatte, ärgerte mich und ich antwortete, sie müsse doch wissen, daß ich zum gewöhnlichen Dienst so wenig Talent hätte und daß sie in dieser Hinsicht mit niemandem schlechter fahren könne als mit mir.

Meine Antwort machte sie noch gereizter, und was sie mir sagte, ich erinnere mich nicht mehr genau der Worte, veranlaßte mich dazu, mich zu entfernen.

Sie schickte diese Nacht nicht nach mir, und ich benützte diese Zeit, meine Vorbereitung zur Abreise zu treffen; denn ich war fest entschlossen, meinen Dienst aufzugeben.

Uebermüdet und von den ewigen Quälereien angeekelt, wurde ich nur durch die Achtung der Herzogin für mich in meiner Stelle zurückgehalten; sobald ich diese Achtung entbehren mußte, war mir das übrige unerträglich.

Seit kurzem hatte ich mir ein eigenes Mädchen zur Bedienung auf meine Kosten genommen, da die gemeinschaftliche Magd, die für alle vier Kammerfrauen gehalten wurde, eine Veranlassung beständiger Uneinigkeit bildete. Rondel hieß das Kind und war ein blondes kleines Ding von großer Unschuld und Naivität, das ich bald sehr lieb gewann. Nachdem ich ihr erzählt hatte, was vorgefallen, gab ich den Auftrag, meine Sachen einzupacken. Doch wollte ich diesen Schritt nicht ohne die Zustimmung meiner Freunde tun und begab mich deshalb mit Tagesanbruch zu Herrn von Valincour, der mit seinem ehemaligen Zögling, dem Grafen von Toulouse, ebenfalls mit in die Tuilerien übergesiedelt war, und dessen Klugheit und gute Dienste schon in so mancher Angelegenheit sich als eine notwendige Stütze für mich erwiesen hatten. Auch er meinte, daß ich mich nicht schlecht behandeln lassen dürfe und stimmte meinem Plan bei, mich fürs erste in ein Kloster zu begeben. Ach, daß mir doch damals diese Absicht gelungen wäre!

Um meinem Abschied eine angemessene Form zu geben, verfügte ich mich noch am selben Vormittag zur Frau von Chambonnas, der Ehrendame der Herzogin von Maine. Zu ihr sagte ich, in dem mühevollen Leben, zu dem man mich zwang, habe mich nur die Güte Ihrer Königlichen Hoheit aufrechterhalten, und da ich mich nun dieser Güte beraubt sähe, wäre mir das Leben unerträglich, weshalb ich entschlossen sei, mich in ein Kloster zurückzuziehen.

Und ich bat Frau von Chambonnas, der Herzogin von Maine mein Gesuch um meine Entlassung zu unterbreiten und sie um ihre Zustimmung zu bitten, mich zurückziehen zu dürfen.

Meine Absicht war, mich bei der Herzogin nicht mehr zu zeigen. Aber die Ehrendame antwortete mir, daß man sich nicht auf diese Weise verabschiede, es sei durchaus notwendig, daß ich in die Tuilerien zurückkehre (denn ich hatte den Palast mit meinen kleinen Habseligkeiten bereits verlassen und mich zur Frau von Réal, dem ehemaligen Fräulein von Grieu, geflüchtet). Dann wolle sie selbst mit Ihrer Königlichen Hoheit sprechen und mir deren Antwort mitteilen.

Um korrekt zu handeln, kehrte ich nochmals in meine dunkle Behausung in dem stolzen Königspalast zurück und hielt es nicht für unklug, an den Kardinal von Polignac zu schreiben, der mir immer Achtung und Freundschaft erzeigt hatte, um ihm von meinem Entschluß und den Gründen, die mich dazu bewogen, Rechenschaft abzulegen.

Gegen Abend ließ mir Frau von Chambonnas sagen, sie erwarte mich im Kabinett Ihrer Königlichen Hoheit. Man hatte sie damit beauftragt, mich zu begütigen und zurückzuhalten.

Sie faßte aber die Sache schlecht an. Sie besaß augenscheinlich kein diplomatisches Talent und verstand sich weder auf die Menschen noch auf die Dinge, um die es sich handelte. Anstatt mein verletztes Gemüt durch Zeichen von Hochachtung und Rücksicht zu beruhigen, stellte sie mir meine Armut und Ohnmacht vor, als ob sie dadurch die Ungerechtigkeit gegen mich rechtfertigen könne.

»Ihr habt augenscheinlich«, sagte sie, um mich zu verwirren, »darauf gerechnet, daß Ihr eine Pension beziehen werdet. Aber dem ist nicht so.«

Ich antwortete ihr, daß ich auf nichts gerechnet habe.

»Aber wovon wollt Ihr denn leben?« versetzte sie darauf.

»Das ist meine Sache,« erwiderte ich; »ich werde niemand damit belästigen; was mir auch geschehen mag, ich weiß, daß ich mich nicht länger einer Verachtung aussetzen will, die ich nicht verdiene und nicht zu erdulden gesonnen bin.«

Nach einigen weiteren ebenso unliebenswürdigen Vorstellungen verließ sie mich, um über den schlechten Erfolg ihrer Mission Bericht zu erstatten.

Aber die Herzogin von Maine wollte nicht, daß ich ginge, entweder aus einer allgemeinen Abneigung, sich von dem, was ihr zur Gewohnheit geworden, zu trennen, oder vielleicht kannte sie mich noch nicht genug, um nicht für die mir anvertrauten Geheimnisse zu fürchten. Und gewiß würde ein Verrat meinerseits für sie die höchste Gefahr bedeutet haben.

Sie übertrug also die Aufgabe, mich zurückzuhalten, nun einer geschickteren Hand als der der Frau von Chambonnas.

Der Kardinal von Polignac hatte der Herzogin ohne Zweifel meinen Brief gezeigt und hatte ihr klargemacht, wenn sie mich behalten wolle, könne sie dies nur erreichen durch gute Behandlung und indem sie mir eine angenehmere Stellung in ihrem Hause einräumte. Er kam, während meine Kolleginnen zu Abend speisten, in mein Zimmer. Ich müsse mich, sagte er, unverzüglich mit ihm zu der Herzogin begeben. Sie sei allein. Ich solle einige Entschuldigungen vorbringen, er stehe mir dafür, daß ich auf das beste empfangen und in kurzer Zeit eine angenehmere Stellung bei Ihrer Königlichen Hoheit erhalten werde. Aber sie wolle hierzu nicht gezwungen sein, sie wolle es nicht tun, um den Preis mich zurückzuhalten. Dieser Wohlanständigkeit zuliebe müsse sie die Gnadenbeweise aufschieben, die sie mir zugedacht, und für die er mir mit Sicherheit bürgen könne.

Im guten Glauben auf diesen Vertrag glaubte ich mich von neuem einschiffen zu können. So folgte ich denn dem liebenswürdigen Kardinal, der mich bei der Hand faßte und zu der Fürstin führte.

Wiederholt bin ich von Großen des Königreichs an der Hand geführt worden und mancher mag das mit Verwunderung oder auch mit Neid lesen, aber weit habe ich es nicht gebracht bei so erlauchter Führung.

Ich warf mich der Fürstin zu Füßen und sie hob mich auf und umarmte mich, eine Gunst, die sie mir noch nie erwiesen und die sicher eine der Bedingungen darstellte, die sich der geschickte Vermittler von ihr ausbedungen hatte. Wir sprachen wenig, aber auf die herzlichste Weise, und ich trat wieder in meinen bisherigen Dienst. Wäre ich damals fest geblieben, würde ich einem harten Schicksal entgangen sein. Aber seinem Schicksal auszuweichen steht nicht in der Macht des Menschen. Und kann ich wissen, ob ein anderes Los auch ein besseres für mich geworden wäre?

Der Herzogin mochten die Tuilerien nicht mehr geheuer dünken oder was sonst für ein Grund vorlag, kurz, sie verließ um diese Zeit die königliche Residenz und zog sich auf ihr Schloß nach Sceaux zurück, wohin ich ihr folgte.

Das berühmte Sceaux, noch vor kurzem der Schauplatz eines ewigen Festtrubels und der ausgelassensten Lustbarkeiten, war zu einem Haus der Trauer, ja der dumpfen Verzweiflung geworden. Was von den glänzenden Höflingen und Schöngeistern sich nur einigermaßen in der Lage dazu sah, hatte eiligst die Flucht ergriffen, eine alte Erfahrung. Wenn ein Schiff unterzugehen droht, sind die hungrigen Ratten die ersten, die es verlassen. Was aber zurückblieb, brachte es kaum fertig, zum bösen Spiel eine gute Miene zu machen, man sah nur ängstliche und verschüchterte Gesichter, denn außer den gegenwärtigen Uebeln gab es tausend Gründe zu noch schlimmeren Befürchtungen. Jeder hatte dazu mehr oder weniger Anlaß, aber am aufgeregtesten trieb sich doch Herr von Malesieu umher.

Das Konzept jener Briefe für den König von Spanien, das er verloren hatte, machte ihm die größte Sorge.

Er glaubte nicht anders, als daß jemand es weggenommen und dem Regenten gezeigt habe. Trotzdem hörte er nicht auf, danach zu suchen. Eines Tages fragte er mich, ob ich nichts von einem Papier wisse, von seiner und des Kardinals Polignac Hand geschrieben und voller Verbesserungen und Striche: er habe es verloren. Was diese Blätter enthielten, vertraute er mir nicht.

Dieser Mann, der mich zuerst mit den übertriebensten Schmeicheleien gehätschelt hatte, behandelte mich jetzt schlechter als irgend jemand, indem er mich allein nicht für würdig hielt, in das Geheimnis eingeweiht zu werden, von dem ich doch mehr wußte als er ahnte.

Die Personen aber, die das gleiche Interesse mit der Herzogin verband, fuhren einstweilen ungestört fort in ihren heimlichen Machenschaften. Sie glichen den Fechtern, die nicht bemerken wollen, daß ihre Degenspitzen abgebrochen sind und keine Wirkung mehr tun können. So verfaßten sie unaufhörlich Schriftstücke und warteten nur auf eine Gelegenheit, sie nach Spanien zu schicken.

Da fügte es sich, daß ein Mitglied der spanischen Botschaft, der Abbé Portocarrero, ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, dorthin zurückkehrte, und dieser sollte nun die gefährlichen Papiere in dem doppelten Boden seines Wagens mitführen. Das schien diesen Herrschaften durchaus sicher zu sein, und der Graf von Laval, höchst erfreut hierüber, machte der Herzogin von Maine hiervon durch ein von ihm geschriebenes Briefchen unverweilt Mitteilung. Die Fürstin aber, die sich dieser Beförderung so gefährlicher Dokumente immer widersetzt hatte, ahnte sogleich Schlimmes und hielt mit ihren Befürchtungen sogar mir gegenüber nicht zurück.

Drei Tage darauf, es war der 9. Dezember 1718, trat der Chevalier von Gavaudun, einer der ersten Edelleute unseres Hauses, in mein Zimmer, wo gerade Herr von Valincour zu Besuch bei mir weilte.

»Eine große Neuigkeit,« rief der Chevalier, »der Palast des spanischen Gesandten ist von Truppen eingeschlossen und das ganze Viertel von Soldaten besetzt. Ein solches Vorgehen gegen die geheiligte Person eines Botschafters ist noch nie erhört worden. Und das Tollste, kein Mensch weiß, um was es sich handelt.«

Man mag sich meinen Schrecken denken. Denn es gab, was auch der Chevalier von Gavaudun glauben mochte, eine ganze Anzahl von Menschen, die sich sehr wohl denken konnten, was das alles zu bedeuten habe, und ich selber gehörte zu diesen wenig Beneidenswerten. Trotzdem versuchte ich, vor Herrn von Valincour, der nicht ahnte, wie nahe uns die Sache anging, ein leichtes Verwundern an den Tag zu legen.

Gavaudun war gut unterrichtet; er hatte mir nur die Nachricht überbringen wollen und verließ uns gleich wieder.

Herr von Valincour sprach noch längere Zeit mit mir über die Angelegenheit, die ihn in das größte Erstaunen versetzte, da er sich gar nichts darunter denken konnte, und ich begreife heute noch nicht, daß er mir meine Verwirrung nicht angemerkt hat. Nur mit größter Anstrengung konnte ich mich verstellen. Nachher mußte ich noch einen Besuch des Abbé Chaulieu aushalten, der mich in denselben Zwang versetzte. Die plötzliche Verhaftung des spanischen Gesandten und die Vermutungen über dieses unheimliche Ereignis bildeten das einzige Gespräch zwischen uns. Dabei sah ich mich gezwungen, die albernsten Ansichten hierüber zu äußern, während ich doch die Wahrheit, zu meinem Entsetzen, nur allzu gut zu erraten fürchten mußte.

Die Frau Herzogin von Maine hatte ihrerseits nicht weniger Mühe, vor ihrer Gesellschaft eine harmlose Miene zu zeigen. Wer zu ihr kam, sprach ihr von der großen Neuigkeit und ihren Nebenumständen; es war von nichts anderem die Rede und kein Wunder, denn eher hätte man an den Einsturz des Himmels geglaubt, als an eine solche Gewaltmaßregel gegen den Botschafter Ihrer Katholischen Majestät.

Die Herzogin von Maine wagte nicht, sich der lästigen Gesellschaft zu entziehen, aus Furcht, Verdacht zu erwecken. Aber sie ließ mich auf einen Augenblick in ihr Ankleidezimmer rufen und fragte mich, ob ich nichts Besonderes in Erfahrung gebracht habe. Ich antwortete, daß ich nur von dem allgemeinen Gerücht wisse und sehr in Unruhe deswegen sei. Auch sie war es im höchsten Maße, trotzdem sie noch nicht wußte, wie alles zusammenhing. Sie gab mir den Auftrag, Erkundigungen einzuziehen, die mir aber zunächst keinerlei Aufklärung brachten. Schließlich erfuhren wir dann, daß die Papiere des Abbé Portocarrero beschlagnahmt worden, und wir sahen uns in einen Abgrund versinken, ohne irgendeine Aussicht auf Rettung.


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