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Neuntes Kapitel

Die Zofe

Der Jahreswechsel gab mir eine Gelegenheit, an Herrn von Malesieu zu schreiben. Seit meiner mißglückten Angelegenheit hatte ich ihn nicht wiedergesehen, denn die Herzogin wollte mich nicht mehr nach Sceaux mitnehmen.

Außer den gebräuchlichen Glückwünschen schrieb ich ihm, daß ich Grund habe zu glauben, die Frau von La Ferté habe den Gedanken aufgegeben, mich näher an ihre Person zu binden; ich dürfe mich darum in dieser Hinsicht als frei betrachten und würde gern von der Güte der Herzogin von Maine Gebrauch machen, wenn es möglich wäre, darauf zurückzukommen. Diesen Brief zeigte Herr von Malesieu der Herzogin von La Ferté, die, aufs äußerste empört, mir noch in derselben Stunde durch meine Schwester sagen ließ, sie wünsche nun nichts mehr von mir zu hören.

In der Tat ist mein Benehmen damals einer der wundesten Punkte in meinem Leben; denn obwohl mir meine Schwester, die mich offenbar nicht in ihrer Nähe zu haben wünschte, die Unentschlossenheit der Herzogin vorher übertrieben hatte, so konnte ich davon doch nicht so fest überzeugt sein, um an Herrn von Malesieu so bestimmt zu schreiben. Ich machte ihm nun Mitteilung von dem vollständigen Bruch mit der Herzogin von La Ferté, und darauf erhielt ich die folgende Antwort:

»Zu Versailles, am 24. Januar 1711.

Euren letzten Brief, den ich die Ehre hatte, von Euch zu erhalten, habe ich Ihrer Königlichen Hoheit, der Frau Herzogin von Maine, vorgelesen. Ihre Königliche Hoheit war nicht wenig überrascht zu hören, daß die Frau Herzogin von La Ferté Euch durch Euer Fräulein Schwester ihr Wort zurückgeschickt hat und sie befiehlt mir, Euch mitzuteilen, mein Fräulein, daß sie gegen das Frühjahr, also zur Zeit ihrer Rückkehr nach Sceaux ihren früher gefaßten Plan auszuführen gedenkt.

Ihre Königliche Hoheit wird inzwischen Gelegenheit finden, nochmals mit der Herzogin von La Ferté darüber zu sprechen, da sie nicht umgehen kann, aus deren eigenem Munde die Versicherung zu hören, daß man Euch, mein Fräulein, die Freiheit gibt, eine neue Verpflichtung zu übernehmen. Dieser Pflicht der Höflichkeit glaubt die Frau Herzogin von Maine Genüge tun zu müssen. Ich wäre glücklich, mein Fräulein, wenn die Angelegenheit Euren Wünschen gemäß abgeschlossen würde.«

Dieser Brief beruhigte mich über mein Schicksal, denn ich ahnte nicht, auf welche Weise es sich später gestalten sollte.

Indessen blieb ich noch acht Monate in meinem Kloster und ging wenig aus, aus Furcht, es könne eine Berufung während meiner Abwesenheit erfolgen oder mein Benehmen könnte auf irgendeine Weise verdächtig erscheinen. Erst nach vier oder fünf Monaten hörte ich wieder von der Sache.

Wie ich die Zeit damals zubrachte, davon sind mir bloß verwirrte Vorstellungen geblieben: ich erinnere mich nur noch an einen Brief des Herrn von Sillery, der durch seine Mutter von dem Gang meiner Angelegenheit unterrichtet war. Er stand bei der Armee und schrieb mir von dort aus.

»Im Feld von Follen, am 17. August.

Ich glaubte, daß Ihr mich besser kenntet. Woraus habt Ihr entnommen, daß meine Achtung und Freundschaft von der momentanen Lebenslage der Menschen beeinflußt wird? Ich weiß nur zu gut, daß das Glück im Leben mehr vom Zufall und von den Zeitumständen als vom Verdienst abhängt. An Euren Hoffnungen nehme ich herzlich teil und werde mich sehr freuen, wenn Ihr eine Stellung nach Euren Wünschen gefunden haben werdet.

Achtung vor Eurer Persönlichkeit ist ein unschätzbares Gut, das Euch den Weg zu allem offen läßt. Nützet dieses Ansehen so bald als möglich aus, suchet möglichst, anderen gefallen zu wollen, seid liebenswürdig und lasset von Eurem Geist nur soviel sehen, als für die Leute paßt, mit denen Ihr redet; vor allem lasset bei niemandem den Gedanken aufkommen, daß Ihr fähig wäret, eine hervorragende Rolle zu spielen. Begnüget Euch damit, einen weisen Charakter und angenehme Talente zu zeigen. Man liebt das viel mehr als zuviel Geist; denn die liebenswürdigen Talente gefallen, der Geist aber weckt Besorgnisse.«

Eine Zeitlang hörte ich gar nichts mehr vom Fortschreiten meiner Angelegenheit und fing an unruhig zu werden; da brachte mir meine Schwester einen Brief von der Herzogin von La Ferte zugleich mit folgendem Schreiben von Herrn von Malesieu.

»Sceaux, den 11. September 1711.

Endlich, mein Fräulein, ist die Zeit herangekommen, und Ihre Königliche Hoheit, die Frau Herzogin von Maine befiehlt mir, Euch mitzuteilen, daß Ihr in drei oder vier Tagen bei ihr eintreten könnt. Die Frau Herzogin von La Ferté hat sich bei Ihrer Königlichen Hoheit so vorteilhaft über Eure Person ausgesprochen, daß die hohe Frau dadurch veranlaßt wurde, die Sache nicht länger hinauszuschieben. Es ist mir ein großes Vergnügen, mein Fräulein, bald in der Lage zu sein, Euch einige kleine Dienste erweisen und durch die Tat bezeugen zu können, daß ich bin Euer über allen Ausdruck ganz ergebener Diener.«

Den niederschmetternden Brief der Herzogin von La Ferté will ich hier nicht anführen, trotzdem ich ihn bis heute aufbewahrt habe; er war weder ihrer noch meiner würdig. Sie bedeutete mir darin, ich möge mich am andern Vormittag nach Sceaux begeben, damit sie mich selbst Ihrer Königlichen Hoheit vorstelle.

Meine Schwester, die mir die beiden Briefe überbrachte, teilte mir mit, eine Kammerfrau der Herzogin von Maine habe sich zurückgezogen und diese Stelle sei mir zugedacht. Die Herzogin von La Ferté fände hierbei eine große Befriedigung ihrer Rache, indem sie mich zu diesem untergeordneten Dienst verdammt wußte.

Durch dieses Ereignis sah ich mich für die Zukunft verloren; denn der Titel einer Kammerfrau, der mir unauslöschlich verblieb, dieser character indelibilis sozusagen, erlaubte meinem Schicksal keine Wendung mehr zum Bessern; selbst die spätere Taufe mit einem neuen Titel, nämlich dem einer Frau Baronin von Staal, hat nicht vermocht, diese Erbsünde oder diesen Erbmakel rein von mir abzuwaschen.

Indessen gab es kein Mittel, zurückzuweichen. Weder konnte ich meine Bemühungen um eine Stellung bei der Herzogin von Maine ableugnen, noch ihrer Person gegenüber auf den Bedingungen bestehen, unter denen die Stellung mir annehmbar geschienen. Die Herzogin von La Ferté haßte mich jetzt ebenso glühend, wie sie mich vordem geliebt hatte; ich fand keinen Halt, keine Hilfe mehr. So mußte ich also das Joch erdulden.

Den Befehlen der Herzogin von La Ferté gemäß begab ich mich nach Sceaux, wo sie mich wie im Triumph der Herzogin von Maine vorführte, die kaum einen Blick auf mich warf. Dann zog meine Beschützerin mich, wie angekettet an ihren Triumphwagen, bei allen Personen umher, denen ich mich vorstellen lassen mußte, und ich folgte mit der Miene einer Besiegten und Gefangenen.

Nach Erfüllung dieser Förmlichkeiten sagte sie mir, ich bedürfe ihrer nun nicht mehr und sie wolle in Zukunft keinerlei Verbindung mehr mit mir haben. Mehr als die Wirkung ihres Rachegefühls empfand ich den Verlust ihrer Freundschaft.

An diesem ersten Tag lebte ich in einer Verwirrung, die mir keine deutliche Erinnerung zurückgelassen hat. Ich weiß nur noch, was ich für erschreckte Augen machte, als man mir die für mich bestimmte Wohnung zeigte, in einem Zwischenstock so niedrig und dunkel, daß ich mich nur gebückt und tastend darin bewegen konnte, ein Raum so luftlos, um kaum darin atmen zu können. Und nicht einmal einen Kamin besaß er, um sich zu wärmen.

Diese Behausung schien mir so unerträglich, daß ich dem Herrn von Malesieu einige Vorstellungen darüber machte. Er hörte mich gar nicht an.

Allen Zuvorkommenheiten, aller Hochschätzung von früher, folgte nun die Verachtung, die man für das Bedientenvolk hat. Alle diejenigen, die mich sonst im Hause der Herzogin aufgesucht hatten, verließen mich in dem Augenblick, da man mich zu so niedrigem Preise eingeschätzt sah.

Ich trat mein Amt an. Meine Arbeit bestand darin, was man mit dem richtigen technischen Ausdruck Hemdenplätten nennt.

Nun hatte ich zwar im Kloster kleine Arbeiten zur Unterhaltung getrieben, mich aber mit solchen Dingen nie beschäftigt. Den ganzen Tag brachte ich damit zu, um mir Rates zu erholen, wie man dieses Unternehmen auszuführen habe, und als darauf die Herzogin von Maine ihr Hemd anziehen wollte, fand sie das Aeußere nach innen gekehrt. Sie fragte, wer diese schöne Arbeit gemacht, und als man mich nannte, sagte sie, ohne eine Miene zu verziehen, ich verstände diese Arbeit nicht, ich solle sie einer andern überlassen. Diese angenehme Folge tröstete mich über meinen schlechten Erfolg.

Ich darf wohl sagen, daß ich mich von dem besten Willen beseelt fühlte, mein Pflichten zur Befriedigung zu erfüllen, dennoch versah ich mein Amt schlecht genug. Hundertmal habe ich die Geduld bewundert, mit der die hohe Fürstin, die sonst wenig von dieser Eigenschaft besaß, meine Ungeschicklichkeiten ertragen hat.

Als sie das erstemal ein Glas Wasser verlangte, goß ich das Wasser über ihr Kleid, anstatt in das Glas.

Meine große Kurzsichtigkeit und die Verwirrung, in der ich mich immer in der Herzogin Nähe befand, ließen mich die einfachsten Dinge verkehrt anfassen.

Eines Tages befahl sie mir, in ihrem Schlafzimmer auf dem Ankleidetisch Schminke und eine kleine Schale mit Wasser zu holen. Ganz bestürzt trat ich in das Schlafzimmer und wußte nicht, in welcher Richtung ich das Gewünschte suchen sollte. Zufällig trat die Fürstin von Guise herein und fand mich in dieser unbeschreiblichen Verwirrung: »Was macht Ihr denn da?« fragte sie.

»Ah, Hoheit, Schminke, eine Tasse, ein Ankleidetisch, ich sehe nichts von allem.« Gerührt von meiner Verzweiflung, gab sie mir die Dinge in die Hand, die ich ohne ihre Hilfe umsonst gesucht hätte. So mußte ich erst von einer Fürstin bedient werden, um eine andere bedienen zu können.

Noch einige solcher Versehen muß ich erzählen, die an Blödsinn grenzen. Die Herzogin an ihrem Toilettentisch verlangte Puder. Ich faßte die Schachtel am Deckel, der sich natürlich öffnete und der ganze Inhalt der Dose verstreute sich über den Ankleidetisch und das Kleid der Herzogin, die mir sanft sagte: »Wenn Ihr etwas in die Hand nehmt, so müßt Ihr es unten anfassen.«

Diese Regel merkte ich mir so gut, daß ich einige Tage später, als meine Herrin ihre Börse verlangte, diese von unten faßte, sehr erstaunt, als der Inhalt, einige hundert Louisd'or, sich auf dem Boden verstreute. Nun wußte ich gar nicht mehr, wo ich eine Sache anfassen sollte.

Ebenso ungeschickt warf ich ein Päckchen mit Edelsteinen zur Erde und man kann sich denken, mit welcher Verachtung meine geschickten und gewandten Kolleginnen mich betrachteten.

Um mir ihre Geneigtheit zu gewinnen, tat ich, was ich konnte. Das Herkommen verlangte, daß ich mit ihnen verkehrte und die Notwendigkeit zwang mich dazu. Die Kälte fing an, sich fühlbar zu machen: es gab aber nur ein einziges gemeinschaftliches Zimmer, die Garderobe, wo man sich wärmen konnte, und so mußte ich also einige Stunden des Tages an ihrer Unterhaltung teilnehmen, der ich mich möglichst anzupassen versuchte.

Trotzdem ich aber das Passende zu sagen glaubte, so versah ich es doch entweder im Ton, den ich nicht natürlich genug zu treffen verstand, oder in der Wahl meines Gesprächsstoffes, kurz, sie konnten mich alle nicht ausstehen.

Ich selber empfand durchaus keine Verachtung für sie, wohl aber einen starken Widerwillen. So blieb ich lieber allein in der Kälte, als mich an der Langeweile ihrer Unterhaltung zu beteiligen oder mich ihren Unliebenswürdigkeiten auszusetzen.

Ich schloß mich also in meine Höhle ein und fand meinen Trost in der Lektüre.

Aber auch diesen Zufluchtsort konnte ich nicht allein genießen. Die erste Kammerfrau Ihrer Königlichen Hoheit, die jede Nacht bei ihrer Herrin wachen mußte, hatte ihre Stunden am Tage, wo sie sich ausruhen konnte. Diese Zeit wollte sie mit ihrem Gatten verbringen, wozu ihr mein Gelaß gerade passend schien, und ich wählte mir dann meinen Aufenthaltsort in einem nahen Boskett; bei Regen oder Kälte jedoch mußte ich mich in die Galerie flüchten.

Meine Wohnung in Versailles, wo wir den Winter zubrachten, war noch viel unleidlicher. Nicht der geringste Sonnenstrahl konnte je hineindringen, und eine noch unfreundlichere Kollegin als jene in Sceaux teilte, mit einer dritten abwechselnd, diesen Ort Tag und Nacht mit mir. Man mußte sich den engen Raum fortwährend streitig machen, wenn nicht etwa der Rauch einen ganz daraus vertrieb.

Die beiden Kammerfrauen, mit denen ich abwechselnd dieses Gelaß teilte, standen schlecht miteinander, und man konnte nicht mit der einen gut stehen, ohne die andere zu erzürnen. Die geschickteste Politik würde in diesem Fall versagt haben.

Meine Schwester, die davon hörte, daß ich bei dem Korps der Kammerfrauen nicht in großem Ansehen stand, teilte mir mit, daß meine Kolleginnen mich kalt und wenig zuvorkommend fänden, daß sie dies als Stolz und Verachtung von meiner Seite auslegten und daß es nötig sei, diese unvorteilhaften Gerüchte zum Schweigen zu bringen.

Ich war schon so folgsam geworden, daß ich nur sagte: »Was ist also zu tun?«

»Es ist nötig,« erwiderte sie, »daß wir bei einigen auswärtigen Kammerfrauen, die im Hause anwesend sind, Besuche machen und ihnen viel Liebenswürdiges sagen.«

»Nun also, ich bin jederzeit bereit.«

Und meine Schwester, ganz glücklich, mich so nachgiebig gestimmt zu sehen, führte mich sofort in eine zahlreiche Versammlung dieser Personen im Anrichteraum der großen Küche. Die einen spielten, andere sahen zu. Zu diesen setzte ich mich und an die nächste beste verschwendete ich meine Höflichkeit, verlor mich in Lobeserhebungen und Schmeicheleien und suchte alles zusammen, was ich an liebenswürdigen Redensarten auftreiben konnte.

Aber ich hatte schlechten Erfolg. Es stellte sich heraus, daß diese Person, auf die ich meine Suada losgelassen, zur untersten Klasse der Geister dieser Sphäre gehörte, und meine geringe Unterscheidungsgabe wurde zum Gegenstand des Gelächters.

In der Tat schienen mir all diese Physiognomien untereinander so ähnlich zu sein wie die einer Schafherde.

Meine Schwester schleppte mich dann noch in die Stadt (wir befanden uns zu Versailles) zu den Kammerfrauen des Herzogs von Anjou. Sie fragten mich nur nach meinem Gewinn, wieviel Vorteil ich von diesem, wieviel ich von jenem hätte. Da ich von alledem nichts wußte, kam ich ihnen einfältig vor. Aber ich habe genug und schon zuviel von meinem Handwerk gesprochen.

Als ich mich noch kaum vierzehn Tage in meiner Stellung befand, schrieb mir der Marquis von Sillery den folgenden Brief, um mir Glück zu wünschen:

»Ich bin entzückt, daß Ihr nun für immer der Frau Herzogin von Maine verpflichtet seid. Seitdem ich davon gehört habe, daß Ihr Aussicht auf diese Stelle hättet, habe ich für Euch gewünscht, Ihr möchtet sie erhalten. Es tut mir nur leid, daß Ihr nicht mehr für längere Zeit in die Gegenden kommen könnt, in denen ich mich manchmal aufhalte. Denn an das Vergnügen Eurer Gesellschaft erinnere ich mich noch mit der größten Befriedigung.«

Dieses Zeichen des Gedenkens an eine Zeit, die mir in der Erinnerung immer gleich teuer blieb, gab meinem Gemüt soviel Genugtuung, als es in jenen Tagen überhaupt zu empfinden fähig war. Denn ein Leben wie dies, so hart, so abstoßend für meine Neigung, so anders, als ich es bis jetzt gewohnt, versetzte mich in eine Traurigkeit, die man mir auf dem Gesichte ablesen konnte.

Es gab aber dennoch niemanden, der erraten hätte, was in mir vorging, denn ich sprach mit keinem Menschen über meine Gefühle.


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