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Siebentes Kapitel

Glänzende Aussichten

Doch fehlte es mir auch jetzt nicht an bitteren Pillen. Eine der ersten wurde mir von einem schäbigen Komödianten zugedacht. Das war Herr Baron, von dem wenigstens der Name noch heute nicht vergessen ist. Damals galt er für den berühmtesten Schauspieler Frankreichs. Er hatte das Theater zu Paris seit etwa fünf Jahren verlassen und spielte damals in Sceaux Komödie. Man tat hier fast nichts anderes. Er hielt sich für geistreich und kam zu mir, um meinen Geist zu prüfen. Bei einem seiner Besuche sagte er mit ironischem Ton, man werde am andern Tag die »Gelehrten Frauen« aufführen; ohne Zweifel werde ich auch dabei sein. Alle Umstehenden lächelten bösartig. Ich antwortete ihm aber auf eine Weise, die ihm deutlich zeigen konnte, daß er mich nicht spielen werde, und daß ich keine Geistesverwandte jener sei, die Herr von Molière in seiner berühmten Komödie verspottete.

Aber trotzdem ich nun in Sceaux sehr geschätzt wurde und es täglich Theateraufführungen und tausend Ergötzungen gab, fiel mir dieses Leben, meinem Geist und Körper ungewohnt, auf die Dauer unerträglich. Die Herzogin von La Ferté merkte nichts davon, sie lobte mich im Gegenteil beständig, daß ich mich so schnell in das Leben der großen Welt gefunden habe, daß ich immer lebhaft, immer zu allem bereit und von keiner Unbequemlichkeit gestört wäre. In dieser letzteren Hinsicht erwies ich mich leider nicht so widerstandsfähig, als ich mir Mühe gab zu scheinen.

Meine Gesundheit war von klein auf zart gewesen; und die übergroße Sorgfalt, die man mir angedeihen ließ, trug nicht dazu bei, mich zu kräftigen; es zeigte sich jetzt als ein Mangel an Voraussicht von seiten der Personen, die mich erzogen hatten, daß sie meine Erziehung meinem zukünftigen Schicksal so wenig anpaßten. Darum fühlte ich den Wechsel der Verhältnisse um so schärfer, und dies machte das eigentliche Unglück meines Lebens aus.

Endlich begab sich die Herzogin von La Ferté nach Paris zurück und brachte mich zu meiner großen Befriedigung wieder in mein Kloster in der stillen Nachbarschaft der alten Johanniterkomturei, die man den Temple nennt. Beim Abschied überschüttete sie mich mit Zärtlichkeiten. Sie versicherte mir, wenn man meine Angelegenheit nicht schleunigst ins reine bringen werde, so wolle sie andere Maßregeln ergreifen; wie sich aber auch die Dinge wenden sollten, in jedem Falle würde ich sie bald wiedersehen.

Einstweilen fühlte ich mich glücklich, Frau von Grieu und ihre Nichte wiederzusehen und ihnen alle meine Abenteuer erzählen zu können. Fräulein von Grieu befand sich nun schon in einem Alter, wo man vernünftig mit ihr sprechen konnte, und ich schloß mich herzlich an sie an. Ich betrachtete sie, obwohl nur wenige Jahre jünger als ich, als meine Tochter, denn sie war von der Amme weg ins Kloster gekommen und später meine Schülerin geworden. Denn ich hatte seit meiner Kindheit das Bedürfnis zu lehren und andere zu unterweisen.

Darin war ich leider nicht glücklicher als Plato, der nicht das kleinste Nest fand, wo er seine Gesetze geltend machen konnte.

Niemand wollte auf meine Lehren hören, nicht einmal die junge Nichte, die sich von der Eifersucht der Familie auf mich, veranlaßt durch die auffallende Vorliebe der verstorbenen Aebtissin für meine Person, anstecken ließ und mir die Zuneigung ihrer Tante erst verzieh, als sie alt genug war zu verstehen, daß ich mich dieser Freundschaft nicht für unwürdig halten durfte. In der Folge schloß ich mich inniger an sie an als an jemanden sonst, und sie ist mir auch später, nachdem sie sich mit dem Grafen von Réal verheiratet hatte, eine treue Freundin geblieben.

Mein Kloster Mariä Heimsuchung lag nicht sehr weit vom Palast Miramion in der alten Tempelgasse, und ich besuchte dort manchmal die Marquise von Sillery, der dieses Haus gehörte. Eines Tages traf ich daselbst mit ihrem Sohn zusammen, der sich vorübergehend in Paris aufhielt, und ich hätte eine große Freude über dieses unerwartete Wiedersehen. Alles, was meine Seele bewegt hatte, seit ich ihn zum letzten Male sah, hatte doch sein Bild nicht aus meinem Herzen verdrängt. Dieser Grundakkord hatte immer darin fortgeklungen und besaß die Macht, meine Handlungen mehr als alles andere zu bestimmen.

Ja, dieses Gefühl hatte sich in mir so festgewachsen, daß es von meinem Leben, in einem Alter, wo man dafür am empfänglichsten ist, jede andere Versuchung fernhielt und auch jeden Gedanken an den Chevalier von Le Mesnil in mir ausgelöscht zu haben schien.

Die Begegnung war kurz, wir sprachen uns nur in Gegenwart seiner Mutter; ja zuletzt stellte sich zu allem Ueberfluß auch noch der Chevalier von Le Mesnil ein, dessen Aufmerksamkeiten mir in diesem Augenblick ganz verhaßt erschienen, um so mehr, als ich sie nicht einmal für aufrichtig hielt.

In diesem Glauben hätte ich beharren sollen. Aber er wußte mich später mit großem Geschick vom Gegenteil zu überzeugen und mein Herz mit süßen Illusionen und einem Traum des höchsten Glückes zu erfüllen, aus dem ich dann nur allzubald zur bittersten Enttäuschung erwachen sollte.

Das war zur Zeit meiner Gefangenschaft in der Bastille, und ich werde darüber an seinem Ort ausführlicher, als mir angenehm ist, zu berichten haben.

Wenige Tage nach meiner Rückkehr ins Kloster sandte mir die Herzogin von La Ferté, die mich nicht aus den Augen verlor, einige Gedichte von Herrn von Malesieu, mit dem Auftrag, über diesen Gegenstand einen Brief zu verfassen, den sie Herrn von Malesieu übermitteln wolle. Ich schrieb also, ich weiß nicht mehr was, jedenfalls viel Lobendes, und erhielt eine glänzende Antwort von Herrn von Malesieu.

»Ich wußte nicht,« hieß es darin unter anderem, »daß die Herzogin Euch die Gedichte zugesandt habe. Sie wurden, das schwöre ich Euch, von mir selber sehr gering eingeschätzt; wenn es aber die Wahrheit ist, daß sie Euch auf dem Papier den Eindruck gemacht haben, von dem Ihr schreibt, so werde ich sie in eine höhere Rangordnung stellen und will nicht mein eigener Feind werden, um ein so sicheres und entscheidendes Urteil wie das Eure zu widerlegen.

Ihr habt mich von der Treffsicherheit und Unfehlbarkeit Eures Urteils so überzeugt, daß ich mich davon nicht entfernen kann. Höhere Geister, wozu ich den Eurigen zähle, können sich nicht in sich selbst täuschen, und so bin ich der Herzogin von La Ferté unendlich verbunden, daß sie mir einen so seltenen Schatz entdeckt hat.«

Die Herzogin von La Ferté, sehr zufrieden über den Erfolg meines Briefes, kam bald darauf, um mich zu einer neuen Festlichkeit nach Sceaux mitzunehmen. Da sie mich nicht vorher benachrichtigt hatte, mußte sie in ihrer Karosse vor der Türe des Klosters so lange warten, bis ich meinen Anzug vollendet hatte; und trotzdem sie sonst so schnell ungeduldig wurde, wartete sie diesmal ohne die geringste Unruhe, bis ich fertig war, so sehr hielt ihre Zuneigung allen Proben stand. Sie überhäufte mich mit Liebenswürdigkeiten und ich fühlte, daß sie mir wirklich freundschaftlich gesinnt sei.

An ihre Person hätte ich mich auch leicht anschließen können, aber ihre Lebensführung stand zu meiner Denkweise in allzu schroffem Gegensatz.

Auch gab es noch andere Unzuträglichkeiten in ihrem Hause, stark genug für mich, um jeder andern Stellung den Vorzug zu geben. Eine gewisse Louison, ihre ehemalige Kammerjungfer, die die Herrin spielte, würde die Auszeichnung, mit der man mich behandelte, nicht ertragen haben. Ja das Herz meiner eigenen Schwester, ich erkannte es deutlich, mußte sich allmählich mit Neid gegen mich erfüllen, und ich sah in dem allem eine unerschöpfliche Quelle von Aerger und kleinlichen Quälereien, die meinem Charakter so zuwider gingen, daß ich mir nichts Unerträglicheres denken konnte. So faßte ich den festen Entschluß, was auch kommen würde, mich nicht dieser Gefahr auszusetzen und gab wohl darauf acht, in meinen Versicherungen von Dankbarkeit nichts laut werden zu lassen, was für mich bindend sein konnte.

Mein zweiter Aufenthalt zu Sceaux bildete eine ununterbrochene Reihe von Festen und Vergnügungen, wozu ich mich wenig gestimmt fühlte. Die Herzogin von La Ferté führte mich fast überall mit sich, und ich traf dann immer Herrn von Malesieu, der mir fortgesetzt seine Achtung bezeugte. Des Abends fuhren wir immer nach Paris zurück, und manchmal brachte mich die Herzogin zu so ungewohnter Stunde ins Kloster zurück, daß die gütige Aebtissin, Frau von Riverolles, selbst die Schlüssel holen und mir persönlich öffnen mußte, um die Nonnen am Murren zu verhindern.

Aber die Aussichten, die mir Frau von Ventadour eröffnet hatte, verwirklichten sich nicht. Der Kardinal von Rohan gab vor, um auszuweichen, er müsse zuerst mein Glaubensbekenntnis prüfen lassen als wichtigsten Punkt in dieser Angelegenheit. Man wußte, daß ich von Herrn von Fontenelle gekannt war und fragte ihn um seine Meinung. Der berühmte Mann gab die Erklärung ab, er wisse nur, daß ich in einem jesuitischen Kloster erzogen worden wäre. Dieses Zeugnis genügte nicht. Man schickte den Abbé von Tressar, der seitdem Erzbischof von Rouen geworden ist, zu mir, um mich über den fraglichen Punkt zu examinieren. Dieses erfolgte im Hause der Herzogin von La Ferté zu Paris, in dem Palast von Ventadour, wohin wir uns von Zeit zu Zeit begaben. Das Examen spielte sich unter allerlei Scherzen ab, die mich über das Wohlwollen meines Examinators beruhigten; dennoch führte die Sache zu keinem Erfolg.

Die Herzogin versteifte sich nun in ihrem Entschluß, mich selber zu sich zu nehmen und wagte es nur nicht aus Furcht vor jener Louison, der sie ihre Absicht noch nicht mitgeteilt hatte. Einmal brachte ich die Nacht in ihrem Hause zu, ich weiß nicht mehr bei welcher Gelegenheit; aber je mehr ich den Gang der inneren Angelegenheiten dieses Hauses kennenlernte, um so mehr fürchtete ich, dort eingefangen zu werden und beglückwünschte mich zu dem Hindernis, das sich mir entgegenstellte.

Zu dieser Zeit hielt sich der Abbé von Vertot, mein Freund von Rouen her, wieder in Paris auf und besuchte mich von Zeit zu Zeit in meinem Kloster. Eines Tages empfing ich ihn in einem Sprechzimmer mit mehreren voneinander getrennten Gittern, und da ich sah, wie er einen Herrn an einem andern Gitter begrüßte, fragte ich nach dessen Namen; er antwortete: »Das ist Duverney, der berühmte Anatom.«

Ich hatte längst einige seiner Arbeiten gelesen und äußerte mich darüber. Sofort machte er dem Herrn ein Zeichen und stellte ihn mir vor. Duverney, der temperamentvollste Mensch von der Welt, fühlte sich von meiner Hochschätzung geschmeichelt und nahm gleich ein lebhaftes Interesse an mir. Er war der intime Freund von Frau Vauvray, die neben dem Jardin-Royal wohnte, den man auch den Pflanzengarten nannte und in welchem sich seine eigene Wohnung befand. Er sah sie täglich, machte ihr gleich die Mitteilung, daß er mich entdeckt habe und überredete sie dazu, von dieser Entdeckung Nutzen zu ziehen.

Sie willigte um so lieber ein, als sie in der abgelegenen Gegend gewöhnlich wenig Leute sah. So kam er denn im Auftrag von Frau von Vauvray, um mich zur Mittagstafel zu ihr zu bitten und mir zu sagen, daß ihr Wagen mich am nächsten Tage abholen werde. Nun wußte ich wohl, daß es nicht Sitte sei, sich auf diese Weise einzuführen, aber ich sah mich nicht in der Lage, die Dinge peinlich zu nehmen. Ich hatte Bekanntschaften, ja Freunde nötig; wenn ich mir solche erwerben konnte, durfte ich keine Zeit verlieren und mich nicht bei kleinen Formalitäten aufhalten.

Also ging ich zu Frau von Vauvray und wurde von ihr sehr gut aufgenommen. Ihr schönes Haus hatte sie selbst gebaut; es gab dort einen dicken Hausmeister, eine Menge Karossen, ein schmackhaftes und zierlich serviertes Essen und die schönsten Spaziergänge in ihrem eigenen Garten und dem Gewächsgarten des Königs, durch eine Türe mit dem ihrigen verbunden, zu welcher sie den Schlüssel besaß. Alles gefiel mir so wohl, daß ich mich sehr freute, aufgefordert zu werden, recht oft zu kommen. Sie verfehlte auch nicht, mich bald wieder holen zu lassen und behielt mich einige Tage bei sich.

Meine Herzogin verweilte damals mit dem Hof, soviel ich mich erinnere, in Fontainebleau, und ich fühlte mich frei. Frau von Vauvray pflegte, infolge der Abgelegenheit ihres Hauses, keinen großen Verkehr, aber ich unterhielt mich aufs köstlichste, auch Herr von Vauvray, sonst wenig liebenswürdig gegen seine Gemahlin, sah mich gern.

Eines Tages jedoch hatte er eine große Gesellschaft geladen, unter anderen die Herzöge von La Feuillade und Rohan, den Abbé von Bussy, den Sohn des Grafen Roger Rabutin von Bussy, und Frau von Vauvray wußte nicht, ob es passend sei, eine in diesem Kreis unbekannte Person ohne weiteres einzuführen. Sie sagte daher zu ihrem Gatten, da ich die Fasten hielte, die Tafel aber nicht danach bestellt sei, wolle sie mit mir auf ihrem Zimmer speisen. Das war alles Mögliche, um mir die bittere Pille zu versüßen; ich fühlte es wohl, ohne mir etwas merken zu lassen. Auch bat ich Frau von Vauvray dringend, sich zu der Gesellschaft zu begeben, da ich gut allein essen könne, doch sie wollte es durchaus nicht.

Als aber die Eingeladenen sich zu Tische setzten, fragte man nach der Hausfrau. Herr von Vauvray entschuldigte sie damit, daß sie eine junge Person bei sich habe, die noch nicht an die große Welt gewöhnt sei; man schickte nach ihr und ließ sie bitten, ihren Besuch mitzubringen.

Die Stimmung bei der Tafel wurde heiter und die Konversation angeregt. Es entschlüpften mir einige Worte, die die Aufmerksamkeit auf mich lenkten, und ich ließ mir die Gelegenheit nicht entgehen, meinen kleinen Triumph auszukosten, der mir um so süßer wurde, als er meine Einführung in dem Kreise rechtfertigte. Von nun an hegte man keine derartigen Bedenken mehr, man machte sich aus meiner Gesellschaft eine Ehre, wenigstens ein Vergnügen.

Anscheinend galt ich zu jener Zeit für eine gute Gesellschafterin, und trotzdem mir heute kaum etwas davon übriggeblieben ist, kann ich doch begreifen, daß es einmal so war. Ich zählte dreißig Jahre weniger und mein zwar immer mittelmäßiger Geist fühlte sich angeregt und in Atem gehalten durch die drängendsten Beweggründe, einmal durch den Wunsch, mir das verlorene Ansehen in der Welt zurückzuerobern, und dann vor allem durch die Notwendigkeit, mir die Mittel zum Leben zu verschaffen.

Der Frau von Vauvray fühlte ich mich sehr verpflichtet; sie hatte mich mit einer Menge angesehener Leute sowie geistreicher Menschen bekannt gemacht, auch führte sie mich bei mehreren Familien ein; viele andere würden dies nicht für eine Person gewagt haben, die nichts besaß, was in den Augen der großen Welt allein geschätzt wird. Die Art, wie sie mich vorstellte, erregte in allen diesen Familien guten Willen und verschaffte mir das liebenswürdigste Entgegenkommen.

Eines Tages speiste der Abbé von Saint-Pierre, der berühmte Verfasser der »Vorschläge zu einem ewigen Frieden« und Beichtvater der Herzogin von Orléans, mit Herrn von Fontenelle bei Frau von Vauvray und man sprach in meiner Anwesenheit davon, wie man mir eine angemessene und vorteilhafte Stellung verschaffen könne.

Dieser Abbé und Freund der Menschheit kam auf den Gedanken, mich der Fürstin von Condé zur Lehrerin ihrer Tochter, des Fräuleins von Clermont, vorzuschlagen, der man eine bessere Erziehung geben wollte, als es sonst bei Prinzessinnen gebräuchlich ist. Er erzählte uns, daß der Abbé Couture sie in Geschichte und noch einigen anderen für ihren Stand und ihr Geschlecht geeigneten Wissenschaften unterrichte; und er meinte, man müsse der Fürstin in diesem Sinn von mir sprechen, da ich sehr fähig sei, die Erziehung der Prinzessin zu leiten und ihre Kenntnisse in jeder gewünschten Absicht zu erweitern.

Ich sollte mich, fügte er hinzu, zu diesem Zweck an Herrn von Malesieu wenden, den ich ja öfter Gelegenheit hätte, in Sceaux zu sprechen, und ihn bitten, bei der Frau Fürstin die Sache anzuregen und mir ein gutes Zeugnis auszustellen.


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