Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Die Liebschaften der Zofe und die beginnende Staatsverschwörung der Herzogin

Ludwig der Große war am 1. September gestorben und das Parlament, dem die Regelung der Regentschaft oblag, versammelte sich noch am gleichen Vormittag in seinem Palast zu einer feierlichen Sitzung. Diese illustre Gesellschaft übertrug nun die Regentschaft nicht dem Herzog von Maine, wie doch das Testament des verstorbenen Königs ausdrücklich vorschrieb, sondern dem königlichen Neffen, dem Herzog von Orléans, wobei es sich so recht deutlich zeigte, daß ein toter Löwe kein Haar mehr Macht hat als ein toter Esel. Dem Herzog von Maine wurde nur die Oberaufsicht über die Erziehung des jungen Königs (Ludwig XV.) zuerteilt, aber ohne ihm das Kommando der königlichen Garden zu überlassen.

Das war ein furchtbarer und ganz unerwarteter Schlag für den Herzog von Maine. Auch sträubte er sich dagegen mit allen ihm zu Gebot stehenden Mitteln und verlangte zuletzt, von der Verantwortung für die Person des Königs entbunden zu werden, für deren Sicherheit er nicht einstehen könne, wenn man ihm das Kommando der königlichen Garde entzöge. Das Parlament hielt sich aber nicht für ermächtigt, diesem Wunsche zu willfahren. Und so behielt der Herzog von Maine einstweilen das anvertraute kostbare Gut, aber ohne die nötige Autorität und äußerliche Macht, ein Umstand, der seine Lage zu einer äußerst schwierigen machte.

Die Herzogin von Maine, von der Demütigung ihres Gemahls noch tiefer verletzt als er selber, wollte während dieser Zeit in Paris sein, doch hatte sie dort keine Wohnung, da das Arsenal, die Behausung des Großmeisters der Artillerie, wo sie bis jetzt abzusteigen gewöhnt war, zum Zweck eines Neubaues niedergerissen wurde. Sie mietete jetzt den Palast des Ersten Präsidenten, Herrn von Mesmes. Auch für mich hatte man in diesem Hause noch eine Höhle entdeckt, wo ich unterschlüpfen sollte.

Die aufregenden Ereignisse versetzten die Herzogin von Maine in eine solche Unruhe, daß sie (wie auch vielleicht in Folge ihrer turbulenten Lebensweise) allmählich ganz und gar ihren Schlaf verlor. Die Kammerfrau, die ihr des Nachts Geschichten erzählen mußte, um sie einzuschläfern, genügte nicht mehr, und sie machte mir den Vorschlag, ihr statt dessen vorzulesen. Ich sagte mit Freuden zu, denn ich sah dieses Amt als ein Mittel an, das Vertrauen der Herzogin zu gewinnen und mir dadurch eine angenehme Stellung zu verschaffen.

Darin täuschte ich mich nicht, aber meine Kräfte erwiesen sich dieser ehrenvollen Aufgabe nicht gewachsen, die sich jede Nacht ohne Unterbrechung wiederholte.

Die Fürstin fand, daß ich gut lese und auch nicht schlecht spreche. Sie gewöhnte sich daran, sich mit mir zu unterhalten, und ganz erfüllt von den Angelegenheiten ihres Hauses, redete sie von nichts anderem. Tatsachen, Pläne, erlittene Kränkungen, Klagen, alles kam zur Sprache bei diesen nächtlichen Vorlesungen, und mich rührte dieses offene Vertrauen, trotzdem ich mir wohl denken konnte, daß es mehr aus einem übervollen Gehirn als aus überquellendem Herzen kam.

Die einfachsten Beweise von Achtung und Vertrauen, die wir von seiten der Großen erfahren, verfehlen nie ihre Wirkung auf uns.

So fühlte ich bald eine ehrliche Zuneigung zu meiner fürstlichen Herrin und gab mir um so mehr Mühe, ihr zu gefallen, als sie nie etwas von mir verlangte, das sich mit meiner Hochachtung für sie nicht vertragen hätte.

Leicht war meine Aufgabe freilich nicht, ja, ich könnte ohne Uebertreibung sie als eine harte Sklaverei bezeichnen. Ihre Königliche Hoheit tat ihrem natürlichen Hang zur Tyrannei nicht den geringsten Zwang an, und diese Tyrannei wurde kaum dadurch gemildert, daß die Herzogin sie in der Form der Freundschaft ausübte.

Es gab auch gar keine Möglichkeit, sich hierüber die geringsten Illusionen zu machen. Ihre Offenheit oder vielmehr ihr gänzlicher Mangel an Rücksicht auf irgend jemand ließ über ihren naiven Egoismus keinen Zweifel aufkommen. Ihre Launen zu beherrschen war ihr unmöglich. Und wie schnell diese Launen wechselten! Von den wütendsten Zornausbrüchen oder der tiefsten Niedergeschlagenheit konnte sie plötzlich in die lauteste Lustigkeit übergehen und dann allerdings mußte man sie sehr liebenswürdig finden.

Ein eigentliches Gespräch mit ihr hatte seine Schwierigkeit, sie hörte fast nie auf das, was ein anderer sagte. Sie mochte nur sich selber reden hören. Zwar sprach sie gut, aber zuviel, darum blieb sie ihr Leben lang ohne alle Menschenkenntnis, und die Leute, die sie täglich und stündlich umgaben, blieben ihr nach ihrem inneren Wesen so fremd, als wenn sie tausend Meilen von ihr gelebt hätten.

Gelernt hatte sie viel, aber sehr oberflächlich, und sie glaubte an Descartes, wie sie an den Katechismus glaubte. Einen gewissen Vorrat an Ideen hatte sie sich früh erworben, aber sie waren nicht lebendig in ihr, sie standen fest und unverrückbar. Was ihnen widersprochen hätte, wies sie hartnäckig ab, wenn es ihr auch mit noch so guter Begründung vorgetragen wurde.

Und so im Moralischen: sie erwies sich hochmütig und hochfahrend und doch ohne Stolz; ihre Verschwendungssucht hinderte sie nicht, geizig zu sein, und bei allem freundschaftlichen Getue hat doch ihr Herz nie einen Funken von Freundschaft empfunden.

Wir blieben nicht lange im Hause des Präsidenten von Mesmes. Der König (damals kaum fünf Jahre alt) wurde zuerst nach Vincennes gebracht und bald darauf wurde der königliche Hof nach Paris verlegt. Die Oberaufsicht über die Erziehung des Königs gab dem Herzog von Maine das Recht, in den Tuilerien Wohnung zu nehmen. Auch die Herzogin von Maine hatte dort ihre Gemächer.

Für ihr Gefolge fanden sich aber nur zwei größere Räume vorgesehen, worein man sich teilen mußte. Meinem Verhängnis getreu, wurde mir wieder ein kleiner Schlupfwinkel ohne Licht und ohne die Möglichkeit sich zu wärmen zuteil. Es gab nur ein gemeinschaftliches Vorzimmer, in dem geheizt werden konnte.

Aber ich befand mich doch in Paris, wo ich immer zu leben gewünscht hatte, und trotz der Unbequemlichkeiten meiner Behausung sah ich gute Gesellschaft bei mir. Seitdem ich aber in der Lage bin, meine Freunde besser zu empfangen, habe ich niemanden mehr bei mir gesehen. Damals war ich jung, und diese Eigenschaft ist mehr wert als alles andere, das man mit dem Verlust dieses kostbaren Vorzuges sich aneignen kann.

Der Abbé von Chaulieu, dieser Urheber leichtfertiger und leichtfertigster Poesien war jetzt achtzig Jahre und fast gänzlich blind. Sein Geist aber besaß noch die ganze Lebhaftigkeit wie die eines Jünglings. Dieser greise Dichter liebte mich mit einer so heftigen Leidenschaft, deren ein anderer mit achtzig Jahren nicht fähig gewesen wäre. Auch blieb die Eifersucht seiner Neigung nicht fern und er beschuldigte mich wiederholt der Koketterie. Aber ich versicherte ihm, daß dies nur mein Bedürfnis sei zu gefallen, um meine Besucher die Dürftigkeit meiner Wohnung vergessen zu machen. Denn ich fürchte, alles würde mich verlassen, wenn ich weniger Aufmerksamkeit darauf verwendete, liebenswürdig zu sein. Ich gab ihm mein Wort, sobald ich ein Fenster und einen Kamin besäße, wolle ich darauf verzichten, mich den Leuten angenehm zu machen.

Dieser arme blinde Abbé schmückte mich ganz nach seiner Art mit den verführerischsten Reizen aus. Er suchte allen meinen Wünschen zuvorzukommen, und seine Liebenswürdigkeit wie sein reger Geist hatten durch das hohe Alter nichts von ihrer Lebendigkeit eingebüßt.

Seinen Huldigungen wollte er oft Geschenke beifügen und eines Tages bat er mich inständig, tausend Pistolen von ihm anzunehmen.

»Zum Dank für Euer liebenswürdiges Anerbieten«, sagte ich zu ihm, »gebe ich Euch den Rat, anderen Frauen keine derartigen Anerbietungen zu machen; es könnte doch eine darunter sein, die Euch beim Wort nähme.«

»Oh,« antwortete er, »ich weiß wohl, an wen ich mich wende.« Diese naive Antwort brachte mich zum Lachen.

Er hatte seine Wohnung im alten Temple, der damaligen Residenz des Fürsten von Conti, zu dessen Hof er gehörte.

Seiner Aufmerksamkeit gegen mich wurde er nie müde. Jeden Morgen erhielt ich einen Brief von ihm und täglich besuchte er mich, außer, wenn ich mich nicht damit einverstanden erklärte. In seinen Briefen fragte er nach meinen Wünschen, und wenn ich seinen Wagen seiner Person vorzog, konnte ich frei darüber verfügen. Ebenso übte ich die unumschränkte Herrschaft über sein ganzes Haus.

Aber selten hat man die Autorität in Händen, ohne sie einmal zu mißbrauchen; und ich tat dies zugunsten eines kleinen Lakaien, der mir immer die Briefe des Abbé überbrachte und mir eines Tages tränenden Auges mitteilte, sein Herr habe ihn entlassen. Ohne mich zu erkundigen, ob der Bursche im Recht oder Unrecht sei, sagte ich ihm: Melde deinem Herrn, daß du bleiben wirst, weil es mir Vergnügen macht. Und der Abbé nahm ihn wieder in seine Dienste. Aber mein Schützling machte mir keine Ehre; er versah seinen Dienst so schlecht als möglich, ohne daß jemand wagte, ihm ein Wort zu sagen.

Wenn ich Lust hatte, bei dem Abbé im Temple oder bei dem ihm befreundeten Großprior von Frankreich, der ebenfalls in einem Teil des weitläufigen Temple residierte, zu speisen, so lud mein närrischer Freund auf seine Gefahr hin die angenehmste Gesellschaft ein, von der er dachte, daß sie mir erwünscht sein könne.

Kurz, er gab sich die erdenklichste Mühe, mein Leben mit den mir zugänglichen Freuden zu schmücken, und ich erkannte daraus, daß es kein größeres Glück gibt, als von jemandem geliebt zu werden, der für sich selbst nichts verlangt und seine Person gering anschlägt.

Den Vizgrafen von Valincour sah ich täglich. Er bewies mir eine aufrichtige Freundschaft, ohne, wie der Abbé, in den Ton eines Anbeters zu verfallen. Meine große Achtung für ihn ließ mich ihn vor anderen auszeichnen, was mir von vielen übelgenommen und falsch ausgelegt wurde.

Unter diese zählte der Herzog von Rémond, der Introduktor der fremden Gesandten, der nach einem bewegten Leben (er hatte die ganze Welt bereist) bei mir angelangte, um mir das wahre oder falsche Spiel einer großen Leidenschaft vorzuführen. Begeisterung, Entzücken, Ungeduld, Eifersucht, Vorwürfe, alles fand sich vertreten und alles so gut dargestellt, daß die Komödie wirklich interessant wurde. Seine Unterhaltung, besonders aber seine Briefe, das Beste, was ich in dieser Art bis jetzt kennengelernt hatte, gefielen mir sehr, und ich gebe zu, daß es mir schmeichelte, so ausdauernd von jemand geliebt zu werden, den ich nicht wiederliebte und dem ich dies auch nicht verhehlte.

Noch andere Bekanntschaften knüpften sich zu jener Zeit an. Außer Herrn von Fontenelle, der öfter zu mir kam, trotzdem er sonst nur die Leute seiner nächsten Nachbarschaft aufsuchte, brachte mir der Herzog von Brancas seine Huldigungen dar und noch viele andere, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, suchten mich auf.

Der Verkehr mit soviel geistreichen Leuten, soviel verschiedenartigen Charakteren, das liebenswürdige Entgegenkommen, das ich bei diesen Menschen fand, brachten Abwechslung und Annehmlichkeit in mein Leben, und ich würde dies unbesorgt genossen haben, wenn nicht die anstrengenden Nachtwachen mich dazu veranlaßt hätten, meinen Verkehr einzuschränken.

Dazu kamen die Sticheleien meiner eifersüchtigen Kolleginnen, die, nicht zufrieden damit, mir durch ihre Possen das bißchen Ruhe bei Tag oder bei Nacht zu stehlen, mich mit ihren Bosheiten dazu brachten, einen meiner Verehrer nach dem andern zu verabschieden, nur um nicht länger ihrer mißliebigen Kritik ausgesetzt zu sein.

Herr von Sillery aber war von Deutschland zurückgekehrt, ohne mich davon zu benachrichtigen oder mir überhaupt irgendein Lebenszeichen zu geben. Kurz vor dem Tod des Königs begegnete ich in Versailles einem seiner Diener, den ich von früher kannte. Als ich ihn fragte, in welchem Lande sein Herr sich eben aufhielte, gab er mir zur Antwort, daß der Herr Marquis seit einigen Monaten zu Paris wohne. Nun merkte ich, daß er mich nicht anders behandelte als eine alte Zeitung, die man wegwirft, sobald man sie gelesen hat, und der Unwille darüber setzte ihn in meinen Augen sehr herab. Die ernsten Angelegenheiten der folgenden Zeit trugen noch außerdem dazu bei, sein Bild aus meinem Herzen fast vollständig zu verdrängen.

Von dieser ernsten Angelegenheit und ihren schrecklichen Folgen soll nun die Rede sein.

Groß war der Schmerz der Herzogin von Maine über die Erniedrigung ihrer Familie und den Triumph ihrer Gegner, die mit Hilfe des Parlaments den Herzog von Maine auf die Seite geschoben, gegen den ausdrücklichen Willen Ludwigs des Großen, und den übelbeleumundeten Herzog von Orléans an seiner Statt zum Regenten erhoben hatten. So sah sie das stolze Gebäude, an dem sie ihr ganzes Leben gearbeitet hatte, für immer in sich zusammenstürzen. In einem Zustande so heftiger Erschütterung scheint es fast unmöglich, sich der Untätigkeit hinzugeben, und da die Herzogin von Maine sich in Frankreich schlecht behandelt sah, so dachte sie daran (unglückseliger Einfall!) sich bei dem Könige von Spanien Beistand zu holen, und zwar auf eine Art und auf solchen Wegen, die auch einem unvoreingenommenen Richter schlechtweg als Hochverrat erscheinen konnten, was mich nicht wenig beunruhigte, denn selbst in dieser heiklen Sache machte mich die Herzogin zu ihrer Vertrauten.


 << zurück weiter >>