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Sechzehntes Kapitel

Der Chevalier von Le Mesnil

Bei meiner Verhaftung hatte ich so wenige Vorbereitungen getroffen und mich in Gedanken an andere Dinge nicht einmal mit dem Notwendigsten versehen, so daß es mir nach einigen Tagen an allem fehlte. Ich besaß nur die Haube, die ich auf dem Kopfe trug und nicht mehr Hemden als eine entführte Romanheldin, ohne jedoch die übliche Kassette mit Edelsteinen. Es gab keinen andern Rat, die arme Rondel mußte meine ganze Wäsche in meiner Waschschüssel waschen und ich hüllte mich während dieser Zeit in mein Leilaken, wie man mit Verstorbenen zu tun Pflegt. In diesem äußersten Negligé empfing ich nach einigen Tagen den ersten Besuch des königlichen Leutnants unseres Schlosses.

Eine Frau empfindet immer, wo und unter welchen Umständen es auch sei, ein großes Mißvergnügen darüber, sich nicht zu ihrem Vorteil zeigen zu können, wenn sie jemandem zum erstenmal gegenübertritt.

Dieser Königsleutnant, Herr von Maisonrouge, war vorher Kapitän-Major der Reiterei gewesen und erst vor kurzem an seine jetzige Stelle gekommen.

Er hatte außer seinem Regiment noch nichts gesehen und gab sich als ein forscher und freimütiger Soldat, voll natürlicher guter Eigenschaften, denen ein wenig Derbheit und Bäuerlichkeit keinen Eintrag tat, so wenig wie sein schwarzwolliges Kraushaar und sein breites Gesicht mit der etwas plattgedrückten Nase, was alles zusammen ihm fast das Aussehen eines Mohren gab.

Er hatte sich zuerst geweigert, mich aufzusuchen, wie er in brüsker Weise gestand, und dem Gouverneur auf dessen Aufforderung hin erwidert: Was soll ich diesen albernen Frauenzimmern sagen, die nichts weiter tun als heulen und schreien. Der Gouverneur versicherte ihm aber, daß wir nicht so verzweifelt seien, und so entschloß er sich dazu, uns zu sehen. Er hielt mir eine kleine Rede, um mich zu trösten und sagte mir: Ich dürfe mir keine Sorgen wegen meiner augenblicklichen Lage machen; denn ich sei für das Unrecht der Frau Herzogin von Maine nicht verantwortlich; ich sei in der Notwendigkeit gewesen, zu gehorchen, und man würde mein Benehmen deshalb entschuldigen.

Er verabschiedete sich dann. Bald darauf trat der Gouverneur abermals ein, und hinter ihm her wurde ein großer Pack mit all meinen Sachen gebracht, wodurch sich meine Lage schon beträchtlich angenehmer gestaltete, und ich würde diese mit Ruhe ertragen haben, wenn nicht ein beängstigender Gedanke mich unablässig erfüllt hätte.

Einige Tage bevor ich in die Bastille gebracht worden, hatte mir der Abbé von Chaulier bei Gelegenheit der vielen Verhaftungen wahre Schreckensgeschichten von dem, was vorging, erzählt. Unter anderem von einer adligen Dame, die man auf die Folter gespannt, ohne ihr den Prozeß zu machen, und die von dieser entsetzlichen Behandlung zeitlebens gelähmt blieb. Dieses Verfahren, so hatte er behauptet, würde öfters angewandt und ohne jede Formalität von niedrigen Knechten vollzogen.

Ein solcher Gedanke konnte mich wohl beunruhigen. Ich galt für eingeweiht in die geheimsten Angelegenheiten der Herzogin von Maine; ohne Zweifel hielt man mich für ebenso schwach wie andere Frauen, und außerdem stellte ich eine Persönlichkeit dar, auf die man wenig Rücksicht zu nehmen brauchte. Es schien mir also ganz den Anschein zu haben, als ob die Wahl auf mich fallen müsse, wenn man es auf diesem Weg versuchen wollte, noch mehr zu erfahren, als man schon wußte.

In dieser peinigenden Unruhe fühlte ich den brennenden Wunsch, mich über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Verfahrens zu vergewissern, aber wie sollte ich dies anfangen?

Eines Tages wagte ich bei unserm Königsleutnant die Sprache auf gewisse Gerüchte zu bringen, die ich von der Bastille hatte erzählen hören. Er nannte sie kindische Märchen. Dann fragte ich mit leiser Stimme, die man gewöhnlich annimmt, wenn man in großer Angst ist, ob man die Gefangenen auch manchesmal auf die Folter spanne.

Darauf erhielt ich keine Antwort. Wir gingen während des Gesprächs in meinem Zimmer auf und ab. Nach meiner Frage verließ er mich plötzlich.

Ganz verzweifelt blieb ich zurück, mehr denn je überzeugt, daß mir die schreckliche Folter zugedacht sei; denn ich hielt den jungen Mann für genau unterrichtet und glaubte, die Furcht, pflichtwidrig zu handeln, habe ihm den Mund verschlossen.

In fürchterlichen Betrachtungen blieb ich allein zurück. In meinem Herzen faßte ich den Vorsatz, jede Prüfung tapfer zu bestehen und weder das Leiden noch den Tod zu scheuen, aber ich fürchtete, ein Uebermaß von Schmerz könnte die festesten Entschlüsse zum Wanken bringen; und konnte ich in meinem Fall für mich stehen, da ich doch über den Vorgang, der mir zu drohen schien, gar keine Erfahrung besaß?

In Gedanken rief ich die Erfahrungen anderer zu Hilfe. Warum sollte ich nicht tun können, sagte ich mir, was so viele schon getan haben? Man hält die schmerzvollsten Operationen aus, um sein Leben zu retten. Und erträgt nicht das schwächste Weib die Schmerzen und Wehen des Gebärens, die doch denen der Folter, wie man versichert, um nichts nachstehen sollen? Wozu zwingt uns der Schmerz? Er preßt uns Schreie aus, aber er kann uns nicht dazu veranlassen, zu offenbaren, was wir niemals auszusprechen entschlossen sind.

Nach dieser Selbstprüfung beruhigte ich mich und faßte die Hoffnung, daß ich durch mächtige Beweggründe imstande sein werde, alles zu ertragen, was nicht über die Kräfte der menschlichen Natur hinausging.

Später merkte ich, daß unser Leutnant an einem Ohre taub war, und da ich mich genau erinnerte, meine Rede von dieser Seite aus an ihn gerichtet zu haben, so mußte ich über die unnötige Furcht lachen, die mir sein vermeintliches vorsichtiges Schweigen eingeflößt hatte.

Die im Gefängnis so sehr gefürchtete Langeweile empfand ich nie. Dieses Gefühl, wenn man es überhaupt so nennen kann, da es vielmehr ein Mangel jeglichen Gefühls ist, verträgt sich nicht mit der Aufregung und Unruhe, die mein Gemüt in der ersten Zeit völlig erfüllte. Als ich aber ruhiger wurde, schützte ich mich durch allerhand Beschäftigungen und Zeitvertreibe dagegen und zog aus allem, was sich mir bot, eine Art Unterhaltung.

Nicht der Wert der Sachen an sich ist es, der sie uns kostbar macht, sondern das Bedürfnis, das wir danach empfinden. So verwunderte ich mich, welchen Anteil ich an einer Katze nahm, die ich mir zum Zweck, die Mäuse zu vertreiben, erbeten hatte; die Katze war trächtig, sie warf ihre Jungen, fünf allerliebste weiß und gelb gescheckte Kätzlein, von der Mutter so rührend zärtlich geleckt, wenn sie mit Ungestüm an ihr saugten. Die hübsche Familie spielte und tanzte vor meinen Augen und ich ergötzte mich sehr daran, trotzdem ich mir von früher her keinerlei Vorliebe für Tiere bewußt war. Auch fand ich plötzlich Geschmack am Kartenspiel und an der Handarbeit. Diese Dinge bedeuteten eine Abwechslung und ein Ausruhen für mich zwischen der anstrengenden Lektüre, die bis dahin meine Hauptbeschäftigung gebildet hatte.

Das lehrte mich erkennen, woher es kommt, daß die lebhaftesten Vergnügungen schal und langweilig werden für Leute, deren Leben einzig damit ausgefüllt ist. Das Vergnügen verliert dadurch seine wahre Bestimmung, welche darin besteht, den ermüdeten Körper oder Geist auszuruhen. Auch dachte ich darüber nach, wie jeder Zustand seine Freuden hat, selbst das Alter und die Kränklichkeit. Denn gerade ein Leidender hat so viele Bedürfnisse, deren Stillung oder Erleichterung mehr Vergnügen verursacht, als ein fortgesetztes gewohnheitsmäßiges Genießen der Güter, deren Mangel wir noch nicht kennengelernt haben.

Kurz, ich fühlte mich nichts weniger als unglücklich in meinem harten Kerker, obwohl ich damals gewiß nicht voraussehen konnte, daß ich hier den schönsten Glückstraum meines Lebens träumen sollte, der zwar auf Täuschung beruhte, aber mich deswegen, solange er dauerte, nicht weniger beseligte; wie wir denn überhaupt vielleicht nur solange glücklich sind, als wir in Illusionen leben. Von der Süßigkeit und Narrheit der meinigen soll nun bald die Rede sein.

Noch eine andere Gunst, die ich vorerst erfuhr, rührte mich sehr. Unser Leutnant bat den Herrn Kriegsminster Le Blanc um die Erlaubnis, mir Tinte und Papier geben zu dürfen, damit ich es mit meinen Gedanken vollschmieren könne. Herr Le Blanc gestattete es unter der Bedingung, daß die Blätter mit Ziffern versehen würden und ich sie genau abgezählt zurückgäbe. Dies beengte mich in der Wahl der Stoffe, die ich behandeln konnte, und ich wählte einen sehr ernsthaften Gegenstand, damit man nichts daran auszusetzen vermöchte. Es waren moralische Betrachtungen über einige Stellen aus der Weisheit Salomonis, aber mancherlei Ablenkungen verhinderten mich, diese Schrift zu vollenden.

Durch die Entlassung einiger der Unsrigen aus der Haft wurde Herr von Maisonrouge eines Teils seiner Sorgen entlastet und verdoppelte nun seine Aufmerksamkeit gegen mich. Ohne sich dessen selbst bewußt zu werden, faßte er eine tiefe Neigung zu mir. Er ist der einzige Mann, der mich wahrhaft geliebt hat, obwohl mir, wie jeder Frau, manche Männer begegnet sind, die mir ein wärmeres Gefühl entgegengebracht haben.

Dieser sprach kein Wort von seinen Gefühlen, aber trotzdem hatte ich sie längst entdeckt, noch ehe er selber sich ihrer bewußt wurde. Ich fand ihn in seinen Gedanken ganz ausschließlich mit mir beschäftigt, und auch mit allen übrigen Gefangenen, die er besuchte, unterhielt er sich einzig über meine Person, und er glaubte ehrlich daran, daß jene es seien, die zuerst von mir gesprochen hatten. Er erzählte mir dann ganz begeistert von der hohen Achtung, in der ich bei allen jenen Leuten stand.

»Es ist erstaunlich,« sagte er oft, »wie sehr man Euch bewundert; jedermann interessiert sich für Euch, man spricht überall nur von Euch und wohin ich komme, höre ich Eure Lobreden.«

Schließlich wurde dies zur Wahrheit, denn die Gefangenen merkten, mit welchem Vergnügen der Leutnant sich über mich zu unterhalten liebte.

Die Abhängigkeit hat die Schmeichelei geboren. Die Gefangenen bedienen sich ihrer gegenüber den Kerkermeistern wie die Untertanen gegen ihre Herrscher. Als man die Schwäche des Herrn von Maisonrouge erkannt hatte, benutzten die unter seinem Befehl stehenden Leute diese schwache Seite, um etwas für sich dabei zu gewinnen.

Die einen schickten mir Leckereien, andere unterhaltende Bücher; jeder nach seinen Kräften brachte mir eine Art Huldigung dar, und alles ging durch die Hände des Herrn von Maisonrouge.

Der Chevalier von Le Mesnil nahm einen Traum zum Vorwand, den er gehabt, oder gehabt zu haben vorgab, um seinem Herrn den Hof zu machen. Die vergangene Nacht, so erzählte er dem Königsleutnant, habe ihm geträumt, man hätte ihm den Prozeß gemacht (ein natürlicher Traum für einen Gefangenen) und er sei dazu verurteilt worden, lebenslänglich in der Bastille zu bleiben, aber zusammen mit mir, die der gleiche Spruch getroffen; dieser Umstand habe ihn über sein strenges Urteil getröstet.

Ein solcher Traum schien Herrn von Maisonrouge sehr schmeichelhaft für mich; auch der Gedanke, mich immer unter seiner Obhut zu behalten, mißfiel ihm nicht und er beeilte sich, mir seine Erzählung aufzutischen. Ich weiß nicht, warum ich mehr acht darauf gab, als auf die anderen Dinge, die er mir zu erzählen pflegte.

Mehrere Tage später besuchte er wieder den Herrn von Le Mesnil, der sich nicht wohl gefühlt und Arznei erbeten hatte. Im Laufe ihrer Unterhaltung kamen sie auf Verse zu sprechen und Maisonrouge meinte: »Ihr müßt gelegentlich Verse machen, um Eure Nachbarin zu unterhalten.« Sein Zimmer lag dem meinigen gegenüber.

»Ah, wie denn?« antwortete von Le Mesnil, »ich habe ja weder Tinte noch Feder.«

»Wenn es nur davon abhängt,« versetzte der Leutnant, »hier ist Bleistift und Papier.« Der Chevalier schrieb einige hastige Verse auf den Zettel und Herr von Maisonrouge überbrachte sie mir sogleich, ganz entzückt über die neue Unterhaltung, die er mir dadurch verschaffen konnte.

»Antwortet ihm in gleicher Weise,« sprach er, »ich gebe Euch, was Ihr braucht.«

Der Anfang dieses Abenteuers gefiel mir über die Maßen, obwohl ich mich bisher, wie der Leser weiß, fast durchweg ablehnend gegen den Chevalier verhalten hatte. Nun aber fühlte ich mich dem Königsleutnant zum wärmsten Dank verpflichtet für seine Gefälligkeit und beantwortete im Geschmack des Herrn Clement Marot die Verse des Chevalier von Le Mesnil. Auf meine Antwort folgten neue Verse, die ich ebenfalls erwiderte; denn Maisonrouge sah in diesem Geplänkel kein Unheil weder für den König noch den Staat, und da er merkte, welches Vergnügen ich daran fand, ermunterte er uns, den Verkehr fortzusetzen.

Unsere Reimerei, so unvollkommen sie auch sein mochte, bereitete mir einige Schwierigkeiten, und ich meinte, Prosa sei leichter und deshalb angenehmer zu schreiben. Der Leutnant willigte mit derselben Seelengüte ein, brachte mir jeden Tag einen offenen Brief des Chevalier und trug meine Antwort zurück. Manchmal mischten wir Verse in unsere Prosa, das Ganze enthielt harmlose Tändeleien.

Man muß sich im Gefängnis befinden oder dort befunden zu haben, um den Wert einer solchen Unterhaltung schätzen zu können.


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