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Fünfzehntes Kapitel

Die Bastille

Die Herzogin von Maine hatte Sceaux verlassen und war mit ihrer nächsten Dienerschaft, dazu ich selber gehörte, nach Paris zurückgekehrt, wo sie in einem gemieteten Hause Wohnung nahm. Ich hatte einen Teil der Nacht, an diesen Memoiren schreibend, zugebracht, und als ich die Herzogin gegen sechs Uhr morgens eingeschlafen sah, zog ich mich in mein Zimmer zurück. Da hörte ich, während ich gerade einschlafen wollte, meine Türe öffnen und glaubte, die Fürstin schicke nochmals nach mir. Halb im Schlaf fragte ich: Wer ist da? Eine unbekannte Stimme antwortete: Im Namen des Königs.

Zuerst wußte ich nicht, was das alles bedeuten solle, bis man mir ziemlich unhöflich erklärte, ich müsse sofort aufstehen.

Ich gehorchte ohne Erwiderung.

Es war am 29. Dezember und noch nicht Tag geworden. Die Leute des Königs, wie man sich in der offiziellen Sprache ausdrückte, in Wahrheit die Beauftragten des Regenten, des Herzogs von Orléans, kamen ohne Licht, und nachdem sie eines geholt hatten, erkannte ich einen Offizier und zwei Musketiere der königlichen Garde. Der Offizier las mir seinen Befehl vor, mich nicht aus den Augen zu lassen.

Während ich mich anzog, bat ich, mir meine Kammerfrau zu schicken, die ein wenig weiter ab wohnte, aber man wollte sie nicht zu mir lassen. Das ganze Haus stak voll von königlichen Garden und Musketieren, und meine Dienerin versuchte umsonst, zu mir durchzudringen. Sie wurde überall zurückgestoßen.

Ich befand mich in einer schrecklichen Unruhe, zu erfahren, was sich bei der Herzogin von Maine zugetragen habe; denn ich zweifelte nicht daran, daß man sie zu gleicher Zeit wie mich verhaften werde. Aber daß man mir keine Aufklärung darüber geben wollte, konnte ich mir denken.

Von sieben Uhr morgens bis elf Uhr blieb ich allein mit meinen drei Wachen, ohne zu wissen, was um mich her vorging. Mit dem einen von ihnen unterhielt ich mich ganz heiter und fragte ihn während des Gesprächs, ob ich die Herzogin begleiten werde, wenn man sie an einen andern Ort bringe. Er versicherte mir, daß man ihr gewiß nichts verweigern würde, was sie verlange. Diese Hoffnung beruhigte mich, aber ich sollte mich derselben nicht lange erfreuen. Denn schon erschien eine andere Wache, der meinigen den Auftrag zu erteilen: man könne mich mit einem einzigen Musketier hier lassen, die Fürstin sei abgefahren.

Die Nachricht von dieser Abreise, von der ich mich ausgeschlossen sah, preßte mir das Herz zusammen, auf alles Uebrige aber fühlte ich mich so vorbereitet, daß ich gar keine Beunruhigung darüber empfand.

Ich konnte nicht erfahren, wohin man die Frau Herzogin von Maine verbrachte; man sagte mir nur, sie übernachte heute in Essone, woraus ich fälschlich schloß, daß man sie in Fontainebleau bewahren werde.

Wenn ich damals gewußt hätte, wie sie, im Mietswagen, nur von zwei Frauen begleitet, nach Burgund, dem Gouvernement des Herrn von Enghien gebracht wurde, den ich als ihren persönlichen Feind kannte, um in der Zitadelle von Dijon eingesperrt zu werden, ich wäre noch viel betrübter gewesen.

Erst später schickte man ihr, auf die Bitten der Fürstin von Condé hin, das Fräulein Desforges, eine Verwandte des Herrn von Malesieu, die seit lange, ohne besondern Titel, zu ihrem Gefolge gehörte. Das bedeutete ein trauriges Bescheiden für eine Fürstin, die sich immer wie von einem kleinen Volke umgeben sah und sich allein glaubte, wenn nicht eine Menge sich um sie drängte.

Ich will hier einfügen, was ich allerdings erst in der Folge erfahren habe.

Der Herzog von Maine wurde zusammen mit seinem jüngeren Bruder, dem Herzog von Toulouse, in Sceaux verhaftet, wo er während des Aufenhaltes seiner Gemahlin in Paris zurückgeblieben war. Er wurde in die Zitadelle von Dourlens in der Pikardie gebracht, wo ihn ein Offizier namens Favencour mit all der Härte und Unhöflichkeit eines gewöhnlichen Kerkermeisters behandelte.

Und ein nicht weniger hartes Gefängnis wartete des Grafen von Toulouse in einer Bergfeste an der savoyischen Grenze.

Auch Herr von Malesieu wurde in Sceaux verhaftet. Man bemächtigte sich seiner Papiere in seiner Gegenwart und fand in seinem Schreibtisch zwischen dem zusammengefalteten Heiratskontrakt seines Sohnes das Original des Briefes für den König von Spanien, wonach er so eifrig gesucht und dessen Verlust er so sehr beklagt hatte. Sowie er es erkannte, stürzte er sich darauf und riß es in Stücke, aber der Kommissar, Herr Trudaine, mit der Durchsuchung der Papiere beauftragt, nahm die Stücke an sich, und Herr von Malesieu wurde nach der Bastille geführt. Der Kardinal von Polignac wurde nach Anchin, einer seiner Abteien in Flandern, verbannt; den Fürsten von Dombes und den Grafen von Eu, die beiden jungen Söhne des Herzogs, schickte man nach der Stadt Eu, dem Besitztum des Herzogs von Maine, dessen Tochter aber, das Fräulein von Maine, ließ man durch die Frau Fürstin von Condé in das Kloster Unserer Lieben Frau von der Heimsuchung zu Chaillot bringen. Kurz, die ganze fürstliche Familie wurde auf diese Weise auseinandergerissen.

Mit einem Musketier im Zimmer eingeschlossen, erfuhr ich natürlich von all diesen Dingen nichts. Mein Wächter, ein hübscher braun flaumbärtiger Jüngling, hätte mir vielleicht gern gesagt, was er wußte, denn er erbot sich mir zu einer Menge Dienste. Aber ich wollte keinen von ihm verlangen, teils aus Mangel an Vertrauen, teils um ihm kein Recht auf meine Dankbarkeit zu geben.

Zum Glück wurde mein Mann durch einen andern abgelöst, gerade als er anfing, zuviel Interesse an meinem Unglück zu zeigen.

Der ihn ersetzte, zeigte sich nicht von so teilnehmender Art. Er empfahl mir bloß an, eine Mahlzeit zu mir zu nehmen und gab mir beinahe zu verstehen, es könne meine letzte sein.

Am Nachmittag kamen die Herren Fagon und Parisot, zwei Räte der Untersuchungskammer, um meine Papiere an sich zu nehmen, und ich hielt es für gut, ihnen zu sagen, sie würden darin einige Liebesbriefe finden von einem achtzigjährigen Mann, die von der Hand eines Schülers geschrieben schienen. Der Greis war der Abbé Chaulieu und sein Sekretär jener kleine Lakai, der kein Wort orthographisch schreiben konnte.

Die Herren untersuchten meine Bücher, worin sie nichts Verdächtiges fanden, und durchwühlten dann alles, selbst mein Bett bis unter die Matratzen, entdeckten aber meine geheime Kassette nicht. Ich hatte sie unter die Asche des Kamins versteckt und so glücklich ihren Blicken entzogen.

Da sie den Inhalt eines Koffers beaugenscheinigen wollten, dessen Schlüssel meine Kammerfrau zu sich genommen, ließ man sie kommen und erlaubte ihr dann, bei mir zu bleiben, was mir zu großem Troste gereichte.

Etwa zwei Stunden später erschien ein Offizier, um mir zu sagen, ich möchte mich zur Abfahrt bereithalten. Er teilte mir aber nicht mit, wohin man mich führen wolle.

Ich bat ihn um die Erlaubnis, mein Mädchen mitnehmen zu dürfen, und er antwortete, er habe keinen Befehl dazu erhalten und könne es nicht gestatten, ohne den Willen des Regenten zu kennen. Auf mein inständiges Flehen, mir diese Gnade zu gewähren, welche die einzige sei, um die ich bitte, versicherte er mir, daß diese Gunst mir zweifellos erteilt werde und mein Mädchen mir gewiß bald nachkommen dürfe. Er nahm dann seinen Musketier mit sich und schloß mich mit dem Mädchen in mein Zimmer ein mit der Erklärung: in einer halben Stunde käme man, um mich zu holen.

Meine arme Rondel, die erst seit einem Jahr in meinen Diensten stand und der man eindringlich geraten hatte, mir nicht zu folgen, versicherte mir, daß sie mich unter keinen Umständen verlassen werde. Ich hatte allen Grund, mich über ihre treue Anhänglichkeit zu freuen.

Meine Briefkassette, voll von allerhand zwar wertlosen Papieren, machte mir immer noch Sorge, und ich gab so der Rondel den Auftrag, sie nach meinem Fortgehen zu verbrennen, sobald sie allein im Zimmer sei, den Schlüssel dazu händigte ich ihr ein. Sie konnte mir keine Antwort mehr geben, denn in demselben Augenblicke wurde die Türe aufgesperrt. Man winkte mir, zu folgen und ließ mich hierauf mit den Musketieren in eine Karosse steigen.

Es war sieben Uhr abends.

Ich zweifelte nicht daran, daß ich keine lange Fahrt zu machen brauchte und daß man mich in die Bastille brächte.

Wirklich kam ich dort an. Man ließ mich vor der Zugbrücke aussteigen, die sich mit furchtbarem Geknirsche niederließ, und wo der Gouverneur, Herr von Launay, ein hochbetagter und schon etwas gebückter Greis, mich in Empfang nahm.

Nachdem ich eingetreten, hielt man mich eine Zeitlang hinter einer Türe versteckt, weil einer der Unsrigen gerade ankam und mich nicht sehen sollte. Ich verstand von alledem zuerst nichts.

Als dann die anderen in ihren Höhlen untergebracht waren, führte man mich in die meinige. Man mußte nochmals über einige aufziehbare Brücken hinüber; ich hörte das Geräusch von Ketten, deren Klang sehr unharmonisch ist, und endlich kam ich in ein großes Zimmer, wo es nichts zu sehen gab, als vier nackte Wände, von meinen Vorgängern mit Kohle stark verkritzelt und auch sonst mit allerlei Unflätereien bedeckt. Es fand sich nichts von Möbeln darin, man mußte mir einen kleinen strohgeflochtenen Stuhl holen, damit ich mich setzen konnte. Auch zwei Steine trug man herbei, zwischen denen man eine Welle Holz anzündete. An der Mauer befestigte man das Endchen einer Kerze, um mir zu leuchten.

Nachdem mir diese wunderbaren Bequemlichkeiten verschafft worden, zog sich der Gouverneur zurück, ich hörte fünf oder sechs Schlösser sich schließen und doppelt so viele Riegel.

Und so saß ich nun allein meinem brennenden Holz gegenüber und in der größten Ungewißheit, ob mein Mädchen mir nachkommen werde, von dem ich eine angenehme Gesellschaft und eine große Hilfe erwartete.

Noch beunruhigter fühlte ich mich darüber, ob sie wohl meinen Befehl ausgeführt oder erst darüber nachgedacht hatte, was für Folgen daraus entstehen könnten. Denn allein die Tatsache eines solchen Autodafés mußte gegen mich erst recht den Verdacht der Schuld erwecken. Ungefähr eine Stunde lang brachte ich in dieser Ungewißheit zu, das Feuer war unterdessen niedergebrannt und der Lichtstummel in seiner eisernen Klammer an der Wand gab nur noch einen trüben Schein.

Endlich sah ich das alte Männlein von Gouverneur wieder erscheinen und mit ihm Fräulein Rondel. Sie fragte in scherzhaftem Tone, ob wir auf dem Fußboden schlafen sollten, und er antwortete mit einem schlechten Witz, den ich sehr wenig angebracht fand. Danach verließ er uns.

Wir unterhielten uns nun ganz friedlich zusammen, als wir unsere Türen von neuem mit großem Lärm öffnen hörten. Man ließ uns in ein anderes gegenüberliegendes Zimmer eintreten, ohne uns den Grund davon anzugeben.

Man gibt keine Erklärungen an diesem Ort. Alle Leute, die dort mit einem zu tun haben, tragen eine so verschlossene Miene zur Schau, daß man nicht die geringste Lust verspürt, eine Frage an sie zu richten. Auch in dem neuen Zimmer wurden wir ebenso sorgfältig verbarrikadiert und verriegelt wie in dem ersten. Die Nacht rückte heran und wir sahen weder ein Bett noch ein Abendessen.

Nach einiger Zeit aber holte man uns in das erste Zimmer zurück, das wir jetzt mit einem ziemlich anständigen Bett, einem Sessel, zwei Stühlen, einem Waschgefäß, einer Wasserkanne und einer Art Pritsche für Rondel ausgestattet sahen. Sie fand dies Lager schändlich und beklagte sich darüber. Man diente ihr mit der Antwort, daß es königliche Betten seien. Da gab es keine Gegenrede. Man geht fort; man schließt uns wieder ein.

Der Anblick des einfach Notwendigen, das man gefürchtet hatte entbehren zu müssen, verursacht mehr Freude, als die üppigste Pracht denjenigen bedeuten kann, die nichts entbehren. Und so freute ich mich sehr über mein Bett. Ich wäre auch nicht böse gewesen, wenn ich ein Abendessen bekommen hätte. Aber es ging gegen elf Uhr abends und nichts dergleichen ließ sich sehen. Nun erinnerte ich mich an die Mahnung meines Musketiers, etwas zu essen; ich dachte mir also, er sei über die Gebräuche und Sitten an diesem Ort unterrichtet gewesen und verzichtete darum bereits auf mein Abendessen. Der Hunger aber meldet sich bekanntlich nie so schmerzlich, als wenn ihm keine Stillung in Aussicht steht.

Endlich, sehr spät, kam dennoch das Essen. Die Unruhen des Tages hatten diese Verspätung verschuldet. Die Mahlzeit ließ auch gar nichts zu wünschen übrig, sogar Geflügel gab es. Wenigstens was die Ernährung anbetraf, wurden die königlichen Kostgänger dieses Hauses nicht schlecht behandelt. Ich speiste und legte mich dann nieder, auch würde ich aus Erschöpfung eingeschlafen sein, wenn nicht die Glocke, die jede Viertelstunde von der Schildwache geläutet wird, mich jedesmal wieder aus dem Schlummer aufgeschreckt hätte. Grausame Vorschrift, arme Gefangene jeden Augenblick zu wecken, um sie zu versichern, daß man über ihrer Gefangenschaft wacht.


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