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Vierundzwanzigstes Kapitel

Tragische Episode

Die Herzogin von Maine ward durch diese Nachricht ein wenig aus der Fassung gebracht und sprach mir ihr Bedauern aus, mich verhindert zu haben, das mir von Herrn Dacier zugedachte Vermögen genießen zu können. Aber nun half es nichts mehr.

Auch der Chevalier von Le Mesnil, von seiner Reise zurückgekehrt, blieb mir ferner gerückt als je. Die pflichtmäßige Aufmerksamkeit, die er mir erwies, fiel ihm so zur Last, daß ich ihn bat, sie zu unterlassen. Er zeigte wenig Widerstand dagegen und wir sahen uns nur noch, wenn der Zufall uns zusammenführte.

Jene Verwandte aus Anjou, mit der er schon von der Bastille aus korrespondiert hatte, kam nach Paris. Sie wohnte bei ihm und er wurde so verrannt in seine Leidenschaft für sie, daß er nicht aufhörte, jedermann in den lächerlichsten Uebertreibungen davon zu sprechen.

Er wollte, daß ich sie kennenlernte. Vielleicht glaubte er sich damit zu rechtfertigen, denn ich nehme nicht an, daß er sich ihr gegenüber eine Ehre daraus machen wollte, mich ihr geopfert zu haben. Wie das auch sei, er bewog sie dazu, mir entgegenzukommen, und ich glaubte mich gegen sie nicht anders als gegen irgend jemand sonst benehmen zu sollen. Vielleicht fand ich es auch nicht uninteressant, die Klippe kennenzulernen, an der ich gescheitert war.

Sie lud mich mit Herrn von Fontenelle und anderen Freunden bei Herrn von Le Mesnil zur Tafel und ich nahm an. Ich sah sie, fand sie wie sie war, groß und gut gebaut, nicht schön, noch weniger hübsch und mit kleinstädtischem Geist und ebensolchen Manieren. Auch die anderen sahen sie mit meinen Augen und dies gereichte mir wenigstens einigermaßen zum Trost. Aber ich empfand es doch tief schmerzlich, zu sehen, an was sich ein Gefühl hing, das ich so hoch eingeschätzt hatte, und ich dachte jetzt nur noch daran, die traurige Erinnerung an die Vergangenheit gänzlich in meiner Seele auszulöschen.

Und seltsamerweise sollte es der erste Nebenbuhler des Herrn von Le Mesnil sein, der mir dabei zu Hilfe kam, der Marquis von Sillery. Aber soviel Erschütterung ich schon durch diesen allzu hochmütigen Freund erlebt hatte, die fürchterlichste stand mir noch bevor.

Als ich aus der Bastille entlassen wurde, hatte er sich sehr angelegentlich bemüht, mich zu sehen. Die Art von Glorienschein, den ich mir dort erworben, ließ ihn nicht gleichgültig. So oft ich nach Paris kam, suchte er mich auf und trat wieder in nähere Beziehungen zu mir als seit langer Zeit.

Ihn erfüllte jetzt ganz eine große Leidenschaft für eine Dame von sehr hohem Rang. Sie war nicht schön, aber sein Ehrgeiz, der hervorstechendste Zug seines Charakters, kam dabei auf seine Rechnung. Von dem Bewußtsein seiner Verdienste allzusehr hingenommen, redete er sich ein, daß jene Dame für niemanden anders als ihn eine Schwäche zeigen könne; und diese Gewißheit, auf die er zum erstenmal in seinem Leben fest vertraute, gab seinen Gefühlen mehr Feuer als die bestrickendsten Reize getan haben würden, an die er gewöhnt war. Leider erwies sich jene Gewißheit, der er sich so blind hingegeben, als Trug, er entdeckte bald darauf durch einen plumpen Zufall die Untreue seiner Geliebten und eines Tages meldete man mir seinen plötzlichen Tod.

Ich hatte wohl bemerkt, daß die Leidenschaft ihm ein wenig die Sinne verwirrt hatte, aber das Gräßliche, das nun folgte, würde ich niemals geglaubt haben. Die unglückliche Liebe in Verbindung mit kränkenden Hemmungen seines unbegrenzten Ehrgeizes setzte ihm derartig zu, daß er sogar soweit den Kopf verlor, um sich durch ein oberes Fenster seines Stadtpalastes auf das Straßenpflaster hinunterzuwerfen, wo er von der Scharwache tot aufgefunden wurde in schrecklicher Entstellung.


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