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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Mißlungene Weltflucht

Ein Jahr darauf verlor ich noch meine innigste Jugendfreundin, die Frau von Réal, und kurze Zeit danach auch Herrn von Valincour, den einzigen wahren Freund der letzten Zeit.

Nun fühlte ich mich ganz einsam und verlassen. Mein Gefühl war wie erstarrt, und ich verfiel in einen Zustand sozusagen des Nichtseins, der schlimmer ist als der Tod. Ich fing an das Leben zu hassen und das Getriebe der Menschen zu verabscheuen. So blieb mir nur noch der Wunsch, mich ganz von der Welt abzusperren.

Darüber fiel die Herzogin von Maine in Krankheit, und es dauerte lange, bis sich ihre Gesundheit wiederherstellte. Sie bewies mir soviel Vertrauen und Freundschaft bei diesem Anlaß, bei dem auch ich alles aufbot, was in meinen Kräften stand, daß ich nicht wußte, wie es anfangen, um ihr meinen Plan mitzuteilen und damit ihren Zorn und ihre Vorwürfe herauszufordern

Um soviel Unbequemlichkeiten auszuweichen, kam es mir in den Sinn, mich den Karmeliterinnen in die Arme zu werfen, ohne vorher etwas von meiner Absicht merken zu lassen. Einmal dort eingeschlossen, gedachte ich die Angriffe hinter sicheren und unzugänglichen Mauern aushalten zu können.

Ueber das Leben bei den Karmeliterinnen, ein Leben nicht nur der völligen Entsagung, sondern auch der strengsten und furchtbarsten Kasteiung, wußte ich wohl Bescheid, ja, man hatte mir sogar mit schrecklichen Uebertreibungen davon gesprochen; aber ich hielt nun gerade diesen allerstrengsten Orden am angemessensten für mich als eine sozusagen Radikalkur gegen meine Weltkrankheit, gegen mein Leiden am Leben.

Zu dem fürstlichen Hause von Maine gehörte auch eine gewisse Gräfin von Brassac, die eine Art Freundschaft mit mir unterhielt und der bei den Karmeliterinnen ein Zimmer zur Verfügung stand, wo sie die Hälfte ihres Lebens zubrachte. Sie suchte ich auf und bat sie, mich mit einigen ihr befreundeten Nonnen bekannt zu machen, die sie mir als sehr geistvoll geschildert hatte. Ich unterhielt mich mit drei oder vier von ihnen und sie schienen mir in der Tat die beste Gesellschaft zu sein.

Das Zusammensein mit ihnen deuchte mir eine Erholung, worüber sich die Feindseligkeit des Lebens vergessen ließ und ich wurde in meinem Entschluß noch gefestigter. Frau von Brassac, der ich Mitteilung davon machte, konnte bei ihrer eigenen großen Frömmigkeit mein Vorhaben nur gutheißen, wenn sie gleich voraussah, daß sie von der Herzogin von Maine schlechten Dank dafür haben werde.

Einige Tage danach setzte ich mich in einen Wagen unseres Hauses, der die Frau von Brassac bei den Karmeliterinnen abholen sollte, um den Abend in Sceaux zu verbringen. An der Tür des Klosters wartete ich, wie um sie zu empfangen, und als ich die Pforte offen sah, trat ich ein und erklärte, daß ich hierbleiben wolle; die Gräfin von Brassac bat ich, der Herzogin von Maine meinen Entschluß mitzuteilen, da ich selber nicht den Mut habe ausbringen können, ihr mein Vorhaben zu offenbaren.

Die Frau Priorin und einige Nonnen, die die Gräfin bis zur Türe begleitet hatten, machten betroffene Gesichter.

Von ihrem ersten Erstaunen zurückgekommen, fragten sie mich, ob ich denn genügend über meinen Schritt nachgedacht hätte. Mir scheine, antwortete ich, daß allzuviel Nachdenken einen jeden Entschluß zu entkräften vermöge, darum bäte ich sie, mich doch augenblicklich dazubehalten, da ich nicht dafür einstehen könne, ob sie mich zu einer anderen Zeit noch ebenso geneigt fänden wie jetzt.

Aber gerade diese Antwort ließ sie an der Gewißheit meines Berufes zweifeln. Die Priorin, eine gescheite und hellsichtige Frau, sagte mir, es schiene ihr doch geratener, daß ich noch länger darüber nachdächte, ob ich wahrhaft zu diesem Stand berufen sei. Wenn mich dann meine Betrachtungen wieder von dem gefaßten Entschluß abwendig machen sollten, so sei es besser, als wenn ich ihn später bereuen müßte. Ich bestand hartnäckig auf meinem Willen, aber die Frau Priorin blieb fest; die anderen Nonnen sowohl wie Frau von Brassac stimmten ihr bei, und so kehrte ich also nach Sceaux zurück, zusammen mit der Gräfin von Brassac, die nicht wußte, ob sie ein gutes oder ein schlechtes Werk getan. Ich selber zweifelte nicht, daß hier aufschieben soviel wie aufgeben bedeutete; eine solche Energie noch einmal von mir zu erwarten, fühlte ich mich zu schwach. Und doch sah ich die Bande, die mich freundlich mit den Menschen verknüpft hatten, gänzlich gerissen, ich empfand nichts mehr als Abscheu vor der Welt, der noch gesteigert wurde durch die Aergernisse und schmerzlichen Reibereien, die sich von seiten meiner Fürstin her immer mehr häufte und die mich die Ruhe und den Frieden eines Klosters stärker als jemals wünschen ließen.

Aber nicht zu den Pariser Karmeliterinnen wollte ich mich zurückziehen, da ich bei längerem Nachdenken deren allzu strengen Ordensregeln meine Kräfte und meinen Eifer nicht gewachsen fühlte; nach Rouen, in das Kloster von St. Ludwig, wollte ich zurückkehren.

Die Liebe, die man den Orten seiner Jugend bewahrt, ließ mich dieses Kloster jedem anderen vorziehen.

Diesen Vorsatz vertraute ich meiner neuen Freundin, der Frau von Bussy, der ich mich nach dem Tode der Gräfin von Réal eng angeschlossen hatte. Auch sie fand, daß es kein anderes Mittel gab, mich aus den Banden zu befreien, die das Unglück meines Lebens ausmachten. Ebenso billigte sie es, daß ich erst einen Versuch machen wollte, ehe ich den entscheidenden Schritt täte.

Ich eröffnete also der Frau Herzogin von Maine meinen Wunsch, den Ort wiederzusehen, wo ich den größten Teil meines Lebens zugebracht, und bat mit großem Nachdruck um einen Urlaub von einigen Wochen, die ich dort zubringen möchte. Empört lehnte sie sich erst gegen dieses Ansinnen auf, aber durch die Kraft der Ausdauer gelang es mir, den Urlaub zu erhalten, allerdings unter der Bedingung, daß ich unter Eid versicherte, nach Verlauf von höchstens sechs Wochen zurückzukehren.

Sie hegte nicht ganz grundlos den Verdacht, meine Reise könne eine Weltflucht bedeuten und wollte über diesen Punkt eine Erklärung von mir. Ich gab ihr zu, daß ich Neigung zur Einsamkeit fühle und immer den Wunsch gehabt habe, mein Leben dort zu beschließen, wo ich es angefangen hatte. Daraufhin verlangte sie neue Eide, auf diesen Plan zu verzichten, aber ich versprach nichts weiter als die Rückkehr von dieser Reise zu dem festgesetzten Termin; und mit der Genugtuung, sehr große Schwierigkeiten, wenn auch bei einer kleinen Sache, glücklich überwunden zu haben, reiste ich ab.

Durch eine mir befreundete Nonne hatte ich der Aebtissin von St. Ludwig, die ich nicht kannte, alles Notwendige über meine gegenwärtigen und zukünftigen Verhältnisse mitteilen lassen. Also angemeldet, wurde ich von den alten Bekannten daselbst mit solchen Freudenausbrüchen empfangen, wie nur Nonnen sie zu äußern fähig sind. Die guten Schwestern hatten an mich eine viel lebhaftere Erinnerung bewahrt als ich an sie.

Aber ihre übertriebene Beflissenheit wurde mir bald zur Last. Auch die Aebtissin nahm mich in ihr besonderes Wohlwollen, sie verlangte, daß ich immer in ihrer Nähe sei, und ich armes Menschenkind, das gekommen war, um endlich mit sich allein zu sein, sah mich hier den anderen mehr ausgeliefert als mitten im Getriebe der Welt. Dieselben Leidenschaften, dieselben Eitelketten, die an den großen Höfen spielen, finden sich in diesen kleinen Monarchien wieder, die man Klöster nennt, und nur mit weniger Geschick sieht man hier dieselben Rollen spielen, und das um Gegenstände, deren Kleinlichkeit den Ekel an diesem beschwerlichen Wirrwarr nur noch vergrößert.

Die Menschen, die sich noch für dieselben hielten wie ehemals, schienen mir andere zu sein, schienen mir innerlich ebenso verändert wie ihre alt und welk gewordenen Gesichter. Nur der Klostergarten mit seinen hohen Ulmen und Hainbuchen, unter denen ich einst den ersten Traum der Sehnsucht träumte, und auch die Blumen in den Beeten sahen mich noch mit der alten Vertraulichkeit an; aber was hätte jetzt eine süße Sehnsucht in mir erwecken sollen? In den Gemächern der Frau Aebtissin hingen noch die nämlichen kunstreichen Tapeten aus der Zeit des Königs Franz I., die Verstoßung der Hagar durch den Erzvater Abraham, und der treue Knecht Eliaser, der Brautwerber des Isaak neben der schönen Rebekka, die schon den Krug in den Händen hielt, um seinen langhalsigen Kamelen Wasser zu schöpfen; aber das selige Erschauern meiner Seele, als ich einst die schwarze reichskulptierte Truhe darunter erkletterte und die Tochter Bethuels auf den roten Mund küßte und sogar einen der phantastischen Kamelsköpfe auf die haarigen Nüstern, wollte nicht mehr zu neuem Leben in mir erwachen, die lebhaften Traumbilder meiner unschuldigen Kindheit erstarrten wie zu fahlen Gespenstern.

Die süßen Lockungen, die mich hergezogen, erwiesen sich als Täuschungen eines kranken Gemüts, ich fand hier nichts wieder von ihrem eingebildeten Zauber.

Und vor allem fand ich nicht jene ruhige und einsame Zelle, wonach ich mich sehnte, und ich dachte darum, ein Ort, an dem ich weder gekannt sei noch gefeiert würde, wäre passender für mich als dieser. Ich blieb sechs Wochen, dann kehrte ich, meinem Worte getreu, nach Sceaux zurück, wo ich nicht allzu freundlich empfangen wurde. Dieser Versuch zur Freiheit hatte mißfallen.


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