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Vierzehntes Kapitel

Die kuriose Verwandlung eines Schweines in einen roten Krebs

Hier muß zunächst ein Wort über den Staatsminister des lustigen Regenten, den Abbé Dubois, gesagt werden. Dieser ebenso gewandte wie lasterhafte Mensch hatte sich als Erzieher des Herzogs von Orléans, dessen noch lasterhafteren Neigungen er mit allen Mitteln schmeichelte, so tief in dessen Gunst eingenistet, daß er diesem Fürsten, nachdem derselbe durch jenen, bereits erwähnten eigenmächtigen Parlamentsbeschluß zur Regentschaft gelangt war, ganz unentbehrlich schien.

Und gewiß war der schlimme Priester kein mittelmäßiger Diplomat. Das Zustandekommen der Quadrupelallianz bildete sein Werk, das ihm der Regent nicht mit Unrecht hoch anrechnete.

Er rechnete es ihm so hoch an, daß er dessen Ernennung zum Kardinal betrieb und auch durchsetzte. Dies mochte politisch gehandelt sein, bedeutete aber eine freche Beleidigung der öffentlichen Moral, die zu rächen sich plötzlich viele berufen fühlten, als welche selber auch nicht gerade auf bestem Fuße mit ihr standen. Eine Unfülle von Spottgedichten kam in Umlauf, die alle die skandalöse Promotion des neuen Kardinals gröber oder feiner glossierten. Eines der frechsten dieser Gedichte wurde, mit Recht oder Unrecht, dem jungen Arouet, später Herr von Voltaire genannt, zugeschrieben. Ich will seine Strophen, wie unanständig sie auch sind, hier einfügen, weil sie sehr scharf in die Situation hineinleuchten. Sie lauteten:

Nun freue dich, du liebe Plebs,
Der Papst, Juhee!
Der Papst hat es zuweg gebracht,
Er hat verwandelt über Nacht
Ein Schwein in einen roten Krebs,
Der Papst, Juhee!

Unfehlbar ist der Papst zu Rom,
Der Papst, Juhee!
Er macht sich aus dem Hurenknecht
Den schönsten Kardinal zurecht,
Der Papst zu Rom im Petersdom,
Der Papst, Juhee!

Der Schürzenheld hat sein Verdienst,
Nanu, Verdienst?
Er dient – ein Hundsfott, wer da lacht! –
Dem Orléans bei Tag und Nacht,
Und schafft der Fillon gut Gewinst,
So, so, Gewinst!

Nun geht es erst den Metzen gut,
Fillon, Juhee!
Fillon, Fillon, dein Freund, gib acht,
Wenn du ihn bittest über Nacht,
Verschafft auch dir den roten Hut –
Fillon, Juhee!

Diese in den Versen genannte Fillon, eine vielbeschäftigte Kupplerin und Vorsteherin eines berüchtigten Hauses, scheint nun von der Vorsehung dazu auserwählt worden, wenn ich mich so ausdrücken darf, meine Herzogin und das ganze herzogliche Haus von Maine dem Untergange nahe zu bringen.

Dem Regenten andererseits hat sie freilich damals einen ungeheuren Dienst erwiesen, so daß dessen deutsche Mutter, die dreiviertelprotestantische bibelfeste Liselotte von der Pfalz, sie getrost jener Hure von Jericho vergleichen konnte, durch welche die Stadt denen in die Hände gespielt wurde, die sich das Volk Gottes nannten.

Mit einem Freudenmädchen dieser Fillon pflegte der Sekretär des Fürsten von Cellamare, des Botschafters Seiner Katholischen Majestät, einen intimen Verkehr. Da geschah es nun, daß der genannte Sekretär am Abend der Abreise des Abbé Portocarerro später als er erwartet wurde, bei seiner Schönen eintraf, die darüber die Entrüstete spielte und dem Manne eine häßliche Szene machte. Um sich zu entschuldigen, sprach er von der Reise des Abbé Portocarrero, für dessen Mission er eine so große Anzahl von Depeschen habe ausfertigen müssen, daß es ihm unmöglich gewesen sei, die verabredete Stunde einzuhalten. Dieses Mädchen machte ihrer, sozusagen Oberin, der Fillon, Mitteilung davon, die sich noch dieselbe Nacht in ihrer Sänfte zu dem Kardinal Dubois tragen ließ, einem ihrer eifrigsten Kunden, um ihm die Nachricht brühwarm zu überbringen, und der Kardinal seinerseits benachrichtigte ohne Verschub den Regenten. Sofort gab der Orléans Befehl, den Portocarrero einzuholen und ihm die Papiere abzunehmen. Man erreichte ihn in Poitiers, und nachdem man sich der Dokumente bemächtigt hatte, ungeachtet ihres guten Verstecks im Doppelboden des Reisewagens, ließ man den Geprellten seine Reise fortsetzen.

Die aufgefangenen Briefschaften genügten dem Regenten, nicht nur die unerhörten Maßnahmen gegen den spanischen Botschafter einzuleiten, sondern auch eine große Anzahl von Verhaftungen zu befehlen; außer vielen anderen wurde der Graf von Laval, der Marquis von Pompadour und sogar der Marschall von Richelieu genannt, von dem wir dennoch genau wußten, daß er sich in keiner Weise an den Anschlägen der Herzogin von Maine beteiligt hatte. Noch einer wurde unter den Verhafteten namhaft gemacht, der mir näher stand als all die anderen.

Stand er mir wirklich näher?

Ich rede von dem Chevalier von Le Mesnil. Seit meinem verunglückten letzten Besuch auf Schloß Sillery, wo ich seine Bewerbungen doch vielleicht etwas allzu schroff abgewiesen hatte, war er mir nur noch selten vor Augen gekommen, ich wußte kaum, was er trieb und glaubte ihn vergessen zu haben. Meine blinde Eingenommenheit für den Marquis von Sillery, der mich doch so fühlbar von oben herunter behandelte, hatte den Chevalier ganz aus meinem Gedächtnis verbannt. Das heißt, so glaubte ich es. Aber in meiner innersten Seele lebte dennoch sein Bild und alle Erinnerungen an ihn ganz im geheimen weiter. Ja, ich träumte manchmal von ihm und einmal hat er mich im Traum geküßt.

Und nun hörte ich nicht ohne Beben die Umstände seiner Verhaftung, aus denen ich nicht nur seine Unschuld klar erkannte; es lag auch offen zutage, daß er nur seinem ungewöhnlich edelmütigen Betragen zum Opfer gefallen war. Folgendermaßen hat sich die Sache zugetragen.

Einer seiner Freunde, ein gewisser Abbé Brignaut, hatte sich als Werkzeug der Verschworenen gebrauchen lassen und schwebte nun in höchster Gefahr. Nur heimliche Flucht konnte ihn vielleicht noch retten. In dieser Not kam er zu dem Chevalier von Le Mesnil und bat ihn, eine Kassette mit Familienpapieren und seinem Testament aufzubewahren, da er eine längere Reise antreten müsse. Der Chevalier empfing die Kassette aus seinen Händen und richtete keine weiteren Fragen an seinen Freund. Der Abbé aber verabschiedete sich nach wenigen Worten.

Am anderen Morgen brachte seine Magd dem Chevalier noch ein dickes Paket mit versiegelten Papieren, das der Chevalier ebenfalls an sich nahm, ohne etwas Arges dabei zu denken.

Dann war es zwei Tage später, die Herzogin von Maine saß am Spieltisch in ihrem grünen Boudoir und spielte wie gewöhnlich ihr Biribi (sie achtete genau darauf, keine Aenderung in ihrer Lebensweise eintreten zu lassen). Herr von Châtillon, ihr Oberstallmeister, hielt die Bank. Und dieser morose Mensch, der es sich sonst nie einfallen ließ, beim Spiel eine Konversation zu führen, sagte auf einmal: »Es gibt wieder eine sehr angenehme Neuigkeit. Wegen dieser Angelegenheit des spanischen Gesandten hat man einen Abbé Bri... Bri... – er konnte den Namen nicht finden – verhaftet und in die Bastille eingesperrt.«

Die Zuhörer, die den Namen wußten, hatten wenig Lust, dem Herrn von Châtillon darauf zu helfen.

»Und was das Lustigste daran ist,« fuhr er fort, »er hat alles gestanden und dadurch eine Menge Leute in große Unruhe versetzt.«

Und zum erstenmal in seinem Leben hörte ich ihn in Lachen ausbrechen.

Die Frau Herzogin von Maine, die nicht die geringste Lachlust verspürte, bezwang sich und sagte: »Ja, das ist gewiß sehr nett.«

»Man könnte sich totlachen darüber,« erwiderte Herr von Châtillon. »Stellen Sie sich die Leute vor, die ihr Geheimnis in größter Sicherheit glaubten, und da steht nun einer auf, der mehr sagt als man von ihm verlangt und jeden bei Namen nennt.«

Die letzten Worte versetzten die Fürstin in die grausamste Unruhe. Diese Nachricht hatte sie am wenigsten erwartet, denn man hatte ihr sagen lassen, der Abbé Brignaut sei entflohen und habe seine Maßnahmen so geschickt getroffen, daß nichts zu fürchten sei. Es gelang aber der Herzogin, ihre Haltung während der peinlichen Unterredung zu bewahren und Herrn von Châtillon nichts von ihrer Erregung merken zu lassen.

Als ich mich nachts bei ihr einfand, erzählte sie mir die Sache und gestand mir ihre Angst, die ich ihr auch nicht ausreden konnte, da ich das traurige Schicksal voraussah, das ihr bevorstand.

Jeden Tag erfolgten nun neue Verhaftungen, und wir warteten nur darauf, wann die Reihe an uns kommen würde.

Auch der Chevalier von Le Mesnil wurde in die Bastille abgeführt. Als er von der Verhaftung des Fürsten von Cellamare gehört hatte, dachte er sich, daß die schnelle Abreise des Abbé Brignaut, von dessen Verkehr beim Botschafter er Kenntnis hatte, mit dieser Verhaftung zusammenhängen könne und fühlte sich sehr in Unruhe über die ihm anvertrauten Papiere. Denn er wußte nur zu gut, was hier auf dem Spiele stand, aber er wollte lieber sich selbst bloßstellen als sich gegen die Pflichten der Freundschaft zu vergehen und sich des Vertrauens, das man in ihn gesetzt hatte, nicht würdig zu zeigen.

Er hielt es indessen für notwendig, sich über die ihm anvertrauten Papiere aufzuklären und öffnete zuerst die Kassette, wo er in der Tat, wie der Abbé ihm gesagt hatte, nur dessen Testament und andere gleichgültige Familienpapiere vorfand.

Darauf erbrach er das Siegel der Papierrolle und entdeckte nun alle Pläne, Denkschriften und Konzepte, die über die spanische Angelegenheit verfaßt worden waren und wovon er bis jetzt keine Ahnung gehabt hatte. Er nahm sich nicht die Zeit dazu, alles zu lesen; beim flüchtigen Durchblättern sah er genug, um urteilen zu können, daß es sich nicht ernstlich um einen Anschlag gegen den König oder den Staat handle. Wenigstens faßte er die Sache so auf. Da er aber die Namen vieler ausgezeichneter Leute darin fand, die durch dieses Zeugnis im höchsten Grad bloßgestellt werden mußten, entschloß er sich kurzer Hand, alles zu verbrennen. Er handelte als ein Ehrenmann, ohne Rücksicht auf die ihm drohende Gefahr.

Am folgenden Tag ließ ihn der Kardinal Dubois, der von seinen freundschaftlichen Beziehungen zu dem Abbé Brignaut wußte, holen und versuchte, etwas über die fragliche Angelegenheit von ihm zu erfahren.

Der Chevalier versicherte ihm der Wahrheit gemäß, daß sein Freund ihm niemals von der Sache gesprochen und gestand, daß er ihm eine verschlossene Kassette anvertraut, welche nur Familienpapiere enthalte, wie ihm gesagt worden sei. Man ließ die Kassette sofort holen und fand alles, den Aussagen des Herrn von Le Mesnil entsprechend. Der Chevalier glaubte sich schon gerettet.

Unterdessen war der Abbé Brignaut langsam, auf einem Mietsgaul, als Kavalier verkleidet, nach Montargis geritten, wo er am anderen Tag ankam. Dort wurde er von den Leuten des Herzogs von Orléans, die nach allen Seiten ausgeschickt worden, ergriffen, und man führte ihn auf demselben Wege, aber schneller als er gekommen war, von Montargis zurück und brachte ihn unverweilt nach der Bastille. Dort angekommen, ergriff ihn die Furcht und er gestand bereitwillig alles, was man von ihm wissen wollte.

Der Großsiegelbewahrer Herr von Argenson und der Kriegsminister Herr Le Blanc führten die Untersuchung. Um ihn zu fangen, sagten sie, seine Magd sei ebenfalls in die Bastille gebracht worden und der Chevalier von Le Mesnil habe ihnen alles ausgeliefert, was man ihm anvertraut hatte.

»Nun,« erwiderte der Abbé, »da diese Papiere in Ihrem Besitz sind, wissen Sie ja ohnehin alles.« Und dazu beichtete er, wie gesagt, offenherzig seine ganze Schuld, die der anderen nicht ausgenommen.

Dieses Bekenntnis, das so wenig mit dem übereinstimmte, was sie in der Kassette gefunden, zeigte ihnen, daß der Chevalier von Le Mesnil nur ein halbes Geständnis gemacht hatte. So ließ Herr Le Blanc, der Kriegsminister, den Chevalier von Le Mesnil nochmals rufen und machte ihm von der Aussage des Abbé Brignaut Mitteilung. Der Chevalier aber blieb bei seiner Behauptung stehen, daß er keine anderen Papiere des Abbé besitze (er hatte sie ja verbrannt) und meinte, man brauche nur sein Haus durchsuchen zu lassen, um sich davon zu überzeugen.

Sowie er sich aber mit Herrn Le Blanc allein fand, änderte er sein Betragen.

»Mein Herr,« sagte er, »ich will zu Ihnen nicht als zu einem Staatsminister und meinem Richter sprechen, sondern als zu einem Edelmann, der die Gefühle der Ehre anzuerkennen weiß.« Und nach dieser kleinen Vorrede erzählte er ganz offen, ohne etwas zu verbergen, was er getan und welche Gründe ihn dazu bewogen hatten.

Herr Le Blanc zeigte sich gerührt von seinem Vertrauen. Er antwortete dem Chevalier, er könne zwar das anvertraute Geheimnis nicht bewahren, ohne zum Verräter an seinem Amte zu werden, er wolle aber des Chevaliers Offenheit beim Regenten rühmen und sein Betragen zu erklären und zu entschuldigen suchen.

In der Tat begab sich Herr Le Blanc sofort ins Palais Royal, wo er alles tat, was er konnte, um die Handlung des Chevalier in das beste Sicht zu stellen, und es wäre ihm auch gelungen, den Herzog von Orléans zu besänftigen, wenn nicht der Kardinal Dubois, der einen persönlichen Groll gegen den Chevalier hegte, Feuer und Flamme gesprüht hätte, um den Herrn von Le Mesnil in die Bastille zu bringen. So wurde dieser noch am selben Tage dorthin abgeführt, trotz der guten Dienste des Herrn Le Blanc.

Seltsam, wie mir das Herz heftig klopfte, als man mir das alles erzählte. »Armes Herzchen,« sagte ich bei mir selber, »für diesen Mann hast du zuerst geklopft in deinen jungen Tagen, du glaubtest unterdessen vollkommen gleichgültig gegen ihn geworden zu sein, solltest du dich da in einem Irrtum befunden haben?«

Dieses Herzklopfen mußte ich später teuer bezahlen.

Die Frau Herzogin von Maine wurde indessen von mehr als einer Seite davon benachrichtigt, daß ihre Verhaftung nahe bevorstände. Sie sprach oft des Nachts mit mir darüber und meinte, an welchen Ort man sie auch bringen würde, jedenfalls wolle sie darum bitten, daß ich sie begleiten dürfe. Auch ich wünschte dies leidenschaftlich.

Damals glaubten wir, daß man sie, ihrem Range angemessen, in irgendeinem königlichen Schlosse mit einem passenden Gefolge gefangenhalten werde. Wir konnten uns die Härte der Behandlung, die sie erdulden mußte, unmöglich vorstellen. Und so erschreckte sie der Gedanke an die Gefangenschaft nicht allzusehr, ja, sie scherzte sogar mit mir darüber und machte Pläne, wie sie ihre Zurückgezogenheit, wenn nicht angenehm, so doch erträglich machen könne.


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