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Achtzehntes Kapitel

Die Liebe im Gefängnis

Aber Herr von Le Mesnil war nicht so leicht zu lenken, wie ich gedacht hatte. Er schrieb mir, er könne es nicht über sich bringen, die Rolle, zu der ich ihn gezwungen, durchzuführen; er habe tausendmal, aber vergeblich, über ein Mittel nachgedacht, wie er seine eigene Beruhigung finden könnte, ohne die meinige zu stören, und er bitte mich um die einzige Gunst, mich noch einmal sprechen zu dürfen, um mir seine Absichten in voller Offenheit mitzuteilen. Er schmeichle sich mit dem Gedanken, mich vollkommen zufriedenzustellen. Welches aber auch nach dieser Unterredung mein Entschluß sein werde, wolle er sich demselben ohne Vorbehalt unterwerfen.

»Nun, mein Herr,« so empfing ich ihn, »was haben Sie mir noch zu sagen?«

Einige Zeit blieb er gesenkten Hauptes vor mir stehen, ohne zu sprechen, wie wenn er seine verwirrten Gedanken ordnen wolle. Endlich nahm er das Wort, indem er zugleich die Augen erhob und einen ernsten und traurigen Blick auf mich richtete.

»Ihr habt geglaubt,« so sprach er, »da ich Euch bis jetzt nur mit Possen unterhalten habe, es sei mir einzig darum zu tun, die Langeweile meiner Einsamkeit zu verscheuchen. Dennoch ist es wahr, daß ich seit lange den Gedanken faßte, eine engere Verbindung mit Euch einzugehen. Unser Freund, der gute Maisonrouge, hat Euch einen Traum, den ich ihm erzählte, mitgeteilt. Diesen Traum habe ich im Wachen geträumt; er war die Folge von Betrachtungen, die ich über das glückselige Los desjenigen angestellt, der mit einem Wesen, wie Ihr seid, sein Leben zubringen dürfte, sei es an welchem Ort der Welt es wolle. Diese geträumte vollkommene Glückseligkeit ist es, deren ich mich versichern möchte, wenn meine Wünsche Euch angenehm sind. Ihr habt Euch über meine Bewerbung beunruhigt. Aber wie hätte ich Euch eine Zumutung zu machen gewagt, die Eurer unwürdig gewesen wäre. Ich wollte nur meine Absichten nicht gleich in meinem ersten Gespräch erkennen lassen; es schien mir richtiger, erst über die Gefühle, die ich Euch einflößen könnte, im klaren zu sein, ehe ich Euch die meinigen in vollem Umfang zeigte. Auch jetzt würde ich mich noch nicht erklärt haben, wenn ich die Entbehrung jeglichen Verkehrs mit Euch hätte ertragen können, zu der ich mich so unbedingt verdammt sah.«

Als der Chevalier zu sprechen aufgehört hatte, brauchte ich mich nicht lange auf meine Antwort zu besinnen. Dennoch sah ich ihn eine Weile schweigend und mit ruhigem Blick fest an. Dann sagte ich ungefähr dies: Ich könne nicht anders als aufs äußerste gerührt sein über das, was er zu eröffnen mir die Ehre erwiesen; aber ich wüßte mich ihm auch nicht dankbarer zu erweisen, als indem ich seinen Worten kein Gehör gebe.

Er müsse doch wissen, fuhr ich fort, wie sehr mein Stand im Mißverhältnis zu dem seinigen stehe, da ich weder Namen noch Vermögen noch irgend etwas sonst besäße außer dem Vorteil eines verhängnisvollen und demütigenden Titels, der leider unverwischbar sei. Und so sei es meine Pflicht, seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie sehr er sich durch einen leichtfertigen Schritt dem Tadel der Welt aussetzte, zu dem ich um keinen Preis die Veranlassung sein möge.

Seine Antwort lautete: Er kenne natürlich meine Verhältnisse im Leben sehr wohl und habe in Hinsicht darauf nur den einzigen Kummer, daß er mir keine bessere Lage als die seinige bieten könne. Die Meinung der Welt kümmere ihn wenig; der Zustimmung der vernünftigen Leute sei er sicher, und er glaube, sein Glück nicht dem verkehrten Urteil einer vernunftlosen Menge aufopfern zu sollen. Er habe mir seine Absichten nicht erklärt, ohne sie vorher gründlich geprüft zu haben und in seinem Entschluß vollkommen gefestigt zu sein. Ich brauchte also keine Befürchtungen zu hegen, daß er seine Meinung ändern könne. Sie sei der Leidenschaft vorausgegangen, die sich zuletzt mit der vollkommenen Hochachtung vor meiner Person verbunden habe. Diese Leidenschaft für mich mache ihn unendlich unglücklich, wenn ich nicht einwillige, ihn so oft als möglich sehen zu wollen, solange, bis er, von seinen Ketten erlöst, imstande wäre, seine letzten Absichten ausführen zu können.

Er schwur mir, seine Achtung und seine Ergebenheit in meinen Willen sollten mich stets von dem Gefühl überzeugen, dem er sein ganzes Leben geweiht habe.

Als ich mich wieder allein sah, fühlte ich mein ganzes Innere so aufgewühlt, daß ich in eine Art Lähmung verfiel und weder klar mehr denken noch empfinden konnte.

Doch endlich löste sich das Chaos verwirrter Gedanken, und ich wurde mir bewußt, daß die Neigung, die man mir entgegenbrachte, mich aufs lebhafteste bewegte. Sah ich doch in dem Chevalier einen Befreier, der die Ketten meiner Dienstbarkeit lösen würde, einer Dienstbarkeit, die meinem ganzen Wesen mehr Zwang antat und mir bitterer fiel, als selbst die Gefangenschaft, in der ich mich befand. Und dieses Glück sollte seinen Höhepunkt erreichen, indem ich mein Leben mit dem seinigen verbinden durfte.

Nur auf Grund eines unbeschränkten, eines höchsten Glückes ist es uns erlaubt, der Leidenschaft nachzugeben. Ich glaubte es vor meinen Augen zu sehen, dieses höchste, dieses außerordentliche Glück, das wir unablässig ersehnen und nie erreichen.

Damals wußte ich noch nicht, daß es dieses Glück in der Welt gar nicht gibt; ich bildete mir ein, es müsse in einer dauernden Verbindung zu finden sein, und indem ich mich durch diese schmeichelhafte Illusion verführen ließ, gab ich mich einer heftigeren Leidenschaft hin als ich selbst eingeflößt hatte.

Dem Wachsen dieser Leidenschaft setzte ich nun kein Hindernis mehr entgegen, und weit entfernt, mich darüber zu beunruhigen, nahm ich mir daran das Maß meines zukünftigen Glückes.

Am Tage nach diesem Gespräch mit dem Chevalier von Le Mesnil erhielt ich einen Brief von ihm, dessen Inhalt mich mehr als je zuvor rührte und beunruhigte.

Wir sahen uns wie zufällig bei dem Königsleutnant, der von einem Unwohlsein befallen worden. Jeder von uns hatte für sich um die Erlaubnis gefragt, ihn aufsuchen zu dürfen. Von Le Mesnil ging zuerst hin, und ich ließ sodann auch meinen Besuch ansagen.

Maisonrouge, der nichts von unserem Einverständnis ahnte, so muß ich es wenigstens glauben, zeigte sich ganz entzückt über dieses glückliche Zusammentreffen. Ich selber empfand darüber eine so freudige Genugtuung, daß dieser Augenblick mir in der Erinnerung als einer der glücklichsten meines Lebens haftenblieb.

Und wir fanden bald Mittel und Wege, uns an den folgenden Tagen ebenfalls zu sehen. Alle Beteuerungen und Absichten wurden mir von neuem wiederholt, ich nahm sie an und ließ meine Gefühle unverhüllt sehen, worüber man mir volle Befriedigung zeigte.

Mir selbst war es kaum weniger lieb, meine Empfindungen nicht mehr verbergen zu müssen. Wir kamen also überein, uns, so oft wir es ohne Unklugheit konnten, zu sehen und uns so oft zu schreiben, als es uns möglich war.

Die gute Rondel übernahm das Amt, unsere Briefe zu übergeben und zu empfangen, die günstigsten Augenblicke wahrzunehmen, wo wir uns sprechen konnten, und uns vor Ueberraschung zu behüten.

Freilich bestand in einem möglichen Ueberfall nicht die einzige Gefahr, der ich mich leichtsinnig aussetzte. Doch glaubte ich fest, mich auf das Ehrenwort meines Geliebten verlassen zu dürfen. Auch hatte es allen Anschein, daß es ihm ein heiliger Ernst damit war. Er unterbrach oft plötzlich seine Zärtlichkeiten und verließ mich wortlos. Dann hütete ich mich wohl, ihn zurückzuhalten. Ich erriet ungefähr die Gründe zu seinem Benehmen und dieses rührte mich darum mehr als die leidenschaftlichsten Verzückungen es getan haben würden.

Ich glaubte wenigstens damals davon überzeugt zu sein.

(Hier sind, wie der Herausgeber meldet, mehrere Zeilen des Manuskriptes ausgestrichen.)

Der Chevalier von Le Mesnil hatte ebensogut wie ich bemerkt, daß Maisonrouge mich leidenschaftlich liebte. Wir fühlten daher beide, wie wichtig es sei, unseren Briefwechsel vor ihm zu verbergen; denn die Briefe, die wir uns jetzt schrieben, hatten uns den Geschmack an denjenigen genommen, die durch des Leutnants Hände gegangen waren. Er bemerkte aber unsere Lässigkeit in dieser Sache, wie er meinte, und machte mir Vorwürfe darüber. Um seinen Verdacht abzulenken und ihn über das scheinbare Aufhören unseres Briefwechsels irrezuführen, schrieb ich noch einige Male in dem früheren Ton an den Chevalier, aber diese Art von Verkehr erwies sich jetzt als ganz undurchführbar, und wir ließen es dabei bewenden.

Wir schrieben uns also heimlich und fanden manchmal Gelegenheit, uns flüchtig zu sehen. An ein Gespräch erinnere ich mich noch mit voller Deutlichkeit; ich konnte es nie vergessen. Ich hatte Herrn von Le Mesnil meine Unruhe und tausend Befürchtungen darüber gestanden, daß ich mich meiner Neigung auf so unsicherem Grunde so schnell überlassen hatte und er machte mir hierauf das Anerbieten, alles, was er mir mündlich beteuert, schriftlich geben zu wollen.

»Ach,« erwiderte ich, »wozu würde mir das nützen. Wenn Ihr Eurer Neigung für mich treu bleibt, so werdet Ihr auch Eure Entschlüsse ausführen, und wenn Eure Gefühle sich änderten, was könnte mir Euer Wort noch nützen? Könnte ich dann noch mit Euch leben, wenn Ihr nicht mit vollem Herzen dazu entschlossen wäret?«

Damals lernte ich, wie zur Probe, ein mir bis jetzt unbekannt gebliebenes Glück fast in seinem vollen Umfang kennen. Früher hatte ich geliebt, ohne Gegenliebe zu finden; oder man hatte mich geliebt, ohne mein Gefallen zu erregen. Den Zauber einer gegenseitigen Neigung hatte ich noch nie empfunden, und ich glaubte, dieses Gefühl müsse unveränderlich sein.

Darum wurde ich nur durch die Gefahren beunruhigt, die an einem solchen Ort naturgemäß unter jedem unserer Schritte hervorwuchsen und sich täglich vergrößerten. Jeder Augenblick brachte eine solche Beunruhigung hervor. Das geringste Geräusch ließ uns etwas Schreckliches befürchten; die ernste Miene unseres eifersüchtigen Wächters (er war es, ohne zu wissen, wieviel Grund er dazu hatte) ließ uns ein verhängnisvolles Schicksal vorausahnen.

Unsere Zusammenkünfte hatten wir nach einer bestimmten Vereinbarung solange durchgeführt, bis man den Herzog und Marschall von Richelieu in denselben Turm verbrachte und noch dazu in ein Zimmer, das unmittelbar über dem des Herrn von Le Mesnil gelegen war.

Die Nähe dieses geriebenen Höflings nötigte zu der größten Vorsicht, und der Königsleutnant fühlte sich verpflichtet, die Schlüssel, die er sonst an meiner Tür gelassen hatte, besser zu verwahren, da die Bewohner unserer Abteilung bei ihrem täglichen Spaziergang an meiner Türe vorbeigehen mußten. Denn obwohl die Gefangenen auch bei dieser Gelegenheit streng bewacht wurden, wollte man einen solchen Gegenstand des Anstoßes nicht unter ihren Augen lassen.

Es gibt aber nichts, woran man sich so leicht gewöhnt, als mit jemandem zusammenzukommen, den man liebt, nichts, was uns so notwendig erscheint, wenn wir uns einmal daran gewöhnt haben.

Und so fing ich also an, alle die schlimmen Dinge kennenzulernen, die uns im Gefolge der Leidenschaft so viele bittere Schmerzen bringen.

Die ersten Leiden bereitete mir die Eifersucht des Herrn von Le Mesnil, der sich von Zeit zu Zeit ganz ohne Grund über die Gefälligkeiten ärgerte, die ich gelegentlich unserem Leutnant erwies. Es war mir unmöglich, diese ganz zu unterlassen, obwohl ich sie, soviel nur anging, einschränkte. So hatte ich ihm die Erlaubnis entzogen, nach seinem Abendessen nochmals zu mir zu kommen, unter dem Vorwand, daß ich mich früher schlafen legen wollte.

Er kam mir aber in allen meinen Anliegen so sehr entgegen, daß auch ich manchmal einem Wunsche seinerseits nachgab.

Eines Abends brachte er mir das Ergebnis seiner Jagd, zwei junge Fasanen, und aß dann mit mir zu Abend. Le Mesnil, der, wie schon erwähnt, seine Türe zu öffnen wußte, kam, wie er mir später gestand, und horchte an der meinen. Er warf mir nachher vor, ich sei sehr lustig gewesen und habe im beleidigend leichten Ton von ihm gesprochen. Noch an anderem nahm er Aergernis. Nach Tisch stellten wir uns ans Fenster, der Königsleutnant und ich. Ich liebte dieses Fenster trotz seiner armdicken Eisenbarren. Es ging zwar in einen Hof der Bastille, aber wegen seiner hohen Lage gewährte es zwischen zwei massigen Türmen unserer Festung einen Durchblick ins Freie. Man sah das Flußufer der Seine mit ihren hohen schlanken Pappeln und darüber hinaus jene Ecke vom Gewächsgarten des Königs, wo auf einem kleinen Hügel die Zeder vom Libanon ihre stolze Krone emporhob. Abgesehen davon, daß mir dieser Garten, wo ja auch alle ausländischen Tiere gehalten werden, die freundlichsten Erinnerungen wachrief an meinen angenehmen Verkehr mit Frau von Vouvray und dem guten Anatomen Duvernay, gibt einem Gefangenen hinter seinen dicken Mauern der Anblick des kleinsten Landschaftsbildes eine süße Ahnung von Freiheit und Glück.

Wir standen also vor diesem Fenster und der Leutnant schlug mir vor, etwas zu singen. Ich begann mit einer Szene aus der Oper Iphigenie. Darauf antwortete der Herzog von Richelieu von seinem Fenster aus und sang die Rolle des Orestes in dieser Szene, die unserer Lage ganz angepaßt war. Maisonrouge dachte mir ein Vergnügen damit zu machen und ließ den ganzen Auftritt zu Ende führen.

Keineswegs ergötzt davon war aber der Chevalier von Le Mesnil, und da ich den bedenklichen Ruf (und Ruhm) des Herzogs von Richelieu kannte, hätte ich begriffen, daß ihm ein Zwiegesang mit dem vielbeschrienen Donjuan nicht gefallen mochte. Aber seine Eifersucht richtete sich mehr gegen den unschuldigen Maisonrouge. Er fragte mich am andern Tag in seinem Briefe, worüber wir uns beim Essen unterhalten hatten. Da ich nicht ahnte, daß er gehorcht hatte, und mich auch nicht mehr an alles genau erinnerte, so vergaß ich zu erwähnen, daß auch von ihm die Rede war.

Ueber diese Geheimnistuerei, wie er es auffaßte, zeigte er sich so empört, daß er von mir verlangte, ich solle mich mit Herrn von Maisonrouge entzweien. Als ich ihm aber die großen Unannehmlichkeiten auseinandersetzte, die ein solches Vorgehen für uns zur Folge haben konnte, beruhigte er sich.

Indessen dauerte es nicht lange, bis es uns wieder möglich wurde, zusammenzukommen; denn die strenge Ordnung wurde, wie es immer zu gehen pflegt, mit der Zeit etwas lockerer gehandhabt.

Wir nahmen also von neuem unsere gewohnte Lebensweise auf, und die kleine Trennung, die durch häufige Briefe kaum gemildert worden, trug unendlich dazu bei, daß wir das Wiedersehen noch weit höher schätzten, dessen Dauer wir nun jedesmal mehr in die Länge zu ziehen trachteten.


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