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Siebzehntes Kapitel

Ein vorläufiger Sieg der Tugend und Klugheit

Allmählich aber nahm der Verkehr der unsichtbaren Geister einen verliebten Ton an. Ich ließ mir unbesorgt den Hof machen; jedoch der Chevalier, damit nicht zufrieden, wünschte mich zu sehen und zu sprechen. Er wiederholte täglich seine Bitten bei dem Herrn von Maisonrouge, uns eine Zusammenkunft zu gewähren, und eines Abends brachte ihn der Leutnant zu mir, als ich schon zu Bette lag.

Um unsere Unterhaltung nicht zu stören, ließ er den Chevalier zu Füßen meines Bettes stehen und unterhielt sich einige Schritte weiter mit Fräulein Rondel.

Wir befanden uns in großer Verlegenheit; und es erging dem Chevalier wie im Roman dem Herrn Touquin von Armorie, der, als er seine Geliebte endlich gefunden hatte, nicht wußte, was er ihr sagen sollte. Er fand kaum ein Wort, und wir wechselten nur einige allgemeine Redensarten zwischen langen, peinlichen Pausen.

So hatten wir keine Veranlassung, besser miteinander zufrieden zu sein als bei der ersten Anknüpfung unseres Verkehrs. Damals, zur Zeit unserer jungen Tage auf Schloß Sillery, wo ich zum erstenmal in meinem Leben vor einem Mann errötete, fast noch ein Knabe, würde uns eine Vorhersagung unseres jetzigen Zusammenseins unglaublicher erschienen sein als das unglaublichste Märchen. Er war freilich nicht mehr eigentlich der gleiche, so wenig, ach! wie ich selber noch; sein blondes Flaumbärtchen auf der zarten Knabenlippe war dem Messer zum Opfer gefallen und seine einst so hellen blauen Augen blickten einigermaßen matt und trüb.

Als Maisonrouge bemerkte, wie schleppend unsere Unterhaltung sich hinzog, sprang er uns bei und das Gespräch wurde ein wenig lebhafter. Alles spielte sich in wenigen Minuten ab, wir hatten also keine Zeit dazu, uns ernstlich auszusprechen.

Hierbei blieb es einstweilen. Wir schrieben uns fortwährend, aber dieser Zeitvertreib fing an, den Reiz der Neuheit zu verlieren und unser kurzes Zusammentreffen hatte unserem Verkehr die Leichtigkeit und Unverfänglichkeit genommen, ohne doch etwas anderes an die Stelle zu setzen.

Um unserer Korrespondenz ein Ende zu machen, nahm ich den Vorwand, ich wollte mich für das Pfingstfest vorbereiten, und in dieser Verfassung sei das Briefschreiben eine zu große Ablenkung.

Der Chevalier von Le Mesnil nahm meine Gründe an und kreuzte meine Absichten nicht, sei es aus Achtung für meinen Vorsatz oder weil er auch nichts mehr zu schreiben wußte.

Ich selbst, die ich genug davon zu haben glaubte, fühlte nun doch eine große Entbehrung. An Stelle einer angenehmen Unterhaltung trat eine große Leere und ich merkte jetzt erst, daß unser schriftlicher Verkehr mir doch mehr bedeutet hatte, als ich mir eingestehen mochte. Der geringe Widerstand, den der Chevalier meinem Vorschlag entgegensetzte, ärgerte mich. Aber gerade dieser Aerger, der nicht im Verhältnis zu seiner Veranlassung stand, ließ mich eine aufsteigende ernstere Neigung fürchten, und eine derartige Befürchtung, vereint mit meinem heimlichen Groll, half mir, die Entbehrung des brieflichen Verkehrs standhaft zu ertragen.

Der treue Maisonrouge jedoch zeigte sich mir ergebener und dienstbeflissener denn je, ohne den geringsten Dank dafür zu ernten.

Das ist das Schicksal der allzu Treuen und Ehrlichen, daß sie stets Undank einheimsen. Eine Art Liebeserklärung, die er mir machte, schien mir sehr treuherzig und gar nicht vorbedacht. Dies trug sich also zu.

Die Frau Gräfin von Réval, das ehemalige Fräulein von Grieu, die sich kurz vor meiner Verhaftung verheiratet hatte und mit der mich noch immer eine enge Freundschaft verband, kam öfter zu Herrn von Maisonrouge, um sich nach mir zu erkundigen. Eines Tages, als sie ihn gerade verlassen hatte, erzählte er mir sein Gespräch mit ihr. Sie hatte ihn gefragt, ob er sich meiner etwas annähme? »Wie könnte ich anders, verehrte Frau,« erwiderte er darauf, »sagt doch jedermann, ich sei verliebt in sie.« Und Frau von Réval: »Wollte Gott, daß es so wäre.«

Dieser naive Wunsch brachte mich zum Lachen, ohne daß ich auf den Kern der Sache näher einging, über den auch er sich nie deutlicher aussprach. Aber sein ganzes Benehmen, seine unablässige Aufmerksamkeit, seine unbegrenzte Gefälligkeit, seine beständige Sorge, mich zufriedenzustellen, ohne dabei auf sich selbst Rücksicht zu nehmen, gaben mir Beweis genug.

Alles sprach deutlich aus, daß er mir angehöre mit ganzer Seele. Weder im Leben noch in Romanen habe ich solche Gefühle wieder angetroffen wie die seinigen. Gefühle, die sich stets treu blieben und die ich um so mehr bewundern mußte, als sie durchaus nicht den Ausfluß eines verfeinerten Geistes darstellten, sondern aus der einfachen Natur selbst und aus einem Herzen ohne Arg hervorgingen. Die Rechtlichkeit, die Ehre und alle Tugenden, die den Edelmann ausmachen, schienen ihm angeboren, und sein Geist, weder an sich fein noch besonders gebildet, entbehrte nicht einer hohen Verständigkeit. Selbst sein unschönes breites Gesicht und sein Mohrenkopf erhöhten noch das Rührende seiner Person.

Unterdessen war das Pfingstfest vorüber, das meiner Zurückgezogenheit zum Vorwand gedient hatte. Um mich zu entschädigen, führte unser Leutnant schon am Morgen darauf Herrn von Le Mesnil in mein Zimmer.

Wir tranken zusammen Tee und fanden diesmal einen etwas ungezwungeneren Ton. Nach einigen Minuten begleitete der Leutnant den Chevalier wieder zurück, der beim Fortgehen sehr geschickt ein Zettelchen fallen ließ. Fräulein Rondel hob es auf und brachte es mir voller Freude, daß es wieder eine Unterhaltung für mich gab.

Auf dem Zettel las ich folgende rätselhafte Worte:

»Der weise Gesetzgeber, der sein Gesetz als zu hart erkannt hat, muß die Milderung desselben zugestehen. Der ergebene Untertan antwortet auf dieses Zugeständnis, ohne sich die geringste Ueberschreitung des Gesetzes zu erlauben. Es handelt sich darum, zu wissen, ob das Gesetz für immer aufgehoben gilt oder nur für kurze Zeit. Im letztern Fall duldet die Ruhe des ergebenen Untertanen keinen Aufschub.«

Ich konnte den dunklen Sinn dieser orakelhaften Sätze nur halb erraten, aber die Fortsetzung unseres Abenteuers unter einer neuen Form gefiel mir und veranlaßte mich zu einem Vorgehen, das weit wichtigere Folgen für mich haben sollte als unser bisheriger Verkehr.

Meiner Antwort auf seine Zeilen und der Ausdrücke, deren ich mich bediente, erinnere ich mich nicht mehr genau. Was ich damit sagen wollte, war kurz dies: Sprechet, man wird Euch anhören.

Auch diese meine Antwort wurde dem Chevalier heimlich zugestellt.

Ermutigt durch mein Eingehen in seine Absichten, trieb Herr von Le Mesnil die Sache weiter und wagte es sogar, mich ohne Begleitung in meinem Zimmer aufzusuchen.

Das Zimmer des Königsleutnants lag über dem meinigen, wo er zu jeder Stunde des Tages einzutreten pflegte. Um dies mit größerer Leichtigkeit tun zu können, ließ er meist den Schlüssel an meiner Türe stecken. So fiel es dem Chevalier, der mit Gewalt oder Geschicklichkeit seine Türe geöffnet hatte, nicht schwer, bei mir einzubringen. Er wählte dazu die Stunde, wo der Leutnant des Abends bei dem Gouverneur zu speisen pflegte, dessen Wohnung zwei Höfe von der unsrigen trennten.

Der oder jener Leser mag hier den Kopf schütteln und es wenig glaubhaft finden, daß ein Gefangener der Bastille so leicht aus seinem Kerker ausbrechen konnte, um eine Nachbarin zu besuchen; aber vielleicht hat unser guter Maisonrouge dabei heimlich etwas mitgeholfen. Diesem kindlichen Menschen und närrischen Verliebten durfte man alles zutrauen.

Beim ersten Erblicken des Herrn von Le Mesnil fühlte ich mich tief erschüttert. Furcht, Beklommenheit und eine große Freude über dies Wagnis (denn er fing an, mir Gefallen einzuflößen) machten mich ganz verwirrt. Doch das angenehmste Gefühl behielt zuletzt die Oberhand und verdrängte die anderen.

Ich hörte also an, was man mir mitteilen wollte. Es war das Geständnis einer ernsten Neigung, die schon von lange herrühre und die sich bisher im Gefängnis unter Scherzen versteckt habe, welche allein zu mir gelangen konnten.

Um seine hohen Gefühle, an denen ich zweifelte, zu begründen, erinnerte er mich an unsere Vergangenheit, wo er schon Achtung, ja Neigung für mich gehabt, ohne daß es ihm leider gelungen wäre, von mir mit gleicher Münze bezahlt zu werden, offenbar weil ich durch einen andern, einen Unwürdigen, daran gehindert wurde.

Alles, was darauf hinzielt, uns von unserem eigenen Verdienst zu überzeugen, scheint uns zum mindesten glaubhaft, und ich prüfte die Worte des Chevaliers nicht allzu genau, da ich selbst zu sehr zu dem Glauben neigte, daß Herr von Le Mesnil mich für wert hielt, geliebt zu werden, und daß er mich wirklich liebte. So ließ ich mich denn gern überreden, und ganz beschäftigt mit dem, was er mir sagte, gab ich auf meine eigenen Antworten wenig acht.

Es lag mir mehr daran, mich von der Wahrheit seiner Gefühle zu überzeugen, als darauf zu achten, ob ich ihm meine Empfindungen zeigte oder verbarg.

Ein Ort, wie wir ihn bewohnten, kürzt Förmlichkeiten ab. Ueberall sonst würde ich lange gezögert haben, bis ich den Chevalier angehört und noch länger, bis ich ihm eine Antwort gegeben hätte; aber zwischen Mauern, wie den unsrigen, wo man bei einem Zusammentreffen nicht weiß, ob man sich je wiedersieht, sagt man in einer Stunde mehr als man außerhalb dieser Mauern im Lauf der Jahre gesagt haben würde. Man spricht nicht nur anders, man denkt auch anders.

Unsere inhaltreiche Unterhaltung dauerte indessen nicht lange. Das Aufstoßen der Piken von seiten der Schildwachen verkündeten uns die Rückkehr des Vorgesetzten in unsern Schloßhof. Das war das Zeichen, daß wir uns trennen mußten, und gleich darauf erschien der Leutnant wie immer, um mir guten Abend zu sagen, ehe er meine Türen fest und wie sich's gehörte für die Nacht verschloß und die Schlüssel wie die der anderen Türen mit auf sein Zimmer nahm.

Als ich mich dann mit meiner getreuen Rondel wieder allein befand in dem engen Raum mit den drei Möbeln und den beschmierten Wänden, gab ich mich endlosen Betrachtungen über das Vorgefallene hin. Ich wiederholte mir unser ganzes Gespräch, wog jedes Wort ab, das gewechselt worden war und suchte mir das Mienenspiel und die Bewegungen zu deuten, um das zu erraten, was etwa unausgesprochen geblieben.

An einem Punkte angelangt, wo durch die Entfernung die Dinge sich verwirren und die Bilder sich trüben, kam ich wieder zu mir selber zurück, bedachte die Folgen von allem und fand schließlich in unserem Verkehr die Anzeichen von Beziehungen, die mich weiterführen konnten, als mir lieb sein durfte. Ich wollte aber nichts zu bereuen haben, und trotz der Neigung, die mich zu diesem Zusammensein hinzog, faßte ich den festen Entschluß, diesen gefahrbringenden Verkehr abzubrechen.

Meine gute Rondel, die mich zum Schlafengehen entkleidete, lenkte mich von diesen Gedanken ab. Man hatte mir bis jetzt immer nur Komplimente gemacht über meine Vorzüge des Geistes, aber fast niemals über diejenigen meiner äußeren Erscheinung. Fräulein Rondel schien dies nachholen zu wollen. Sie fand mein reiches kastanienbraunes Haar, das sie gerade kämmte, über alle Maßen schön, sie lobte mit Begeisterung meine wohlgeformten und gutgestellten weißen Zähne, den lebhaften Glanz meiner Augen, die rosenhaften Farben meiner Wangen und ich weiß nicht, was sonst noch alles.

»Ja, aber mein zu kurz gekommenes Näschen,« wandte ich ein, »davon erwähnst du nichts.«

»Ach,« entgegnete sie, »es steht Euch gut, es drückt ganz Euer Wesen aus, und man könnte sich Euer Gesicht mit einer andern Nase gar nicht denken.«

Ueber diese naive Schmeichelei mußte ich lachen und Fräulein Rondel stimmte mit ein. Die um uns spielenden Kätzlein aber konnten uns zum Glück nicht verstehen, sie hätten uns sonst gewiß alle beide ausgelacht.

In meinem Bette jedoch kam ich auf meine vorherigen ernsten Gedanken zurück und nahm mir noch einmal ernstlich vor, mich fernerhin in keinerlei Zweideutigkeiten mehr einzulassen.

In diesem Sinn schrieb ich am andern Morgen an Herrn von Le Mesnil.

Ich erklärte ihm, daß ich gern an seinem Unternehmen teilgenommen, das ich für einen bloßen Scherz genommen habe; nachdem er sich aber in ganz anderem Ton gegen mich ausgesprochen, könne ich in ein Wiedersehen mit ihm weiter nicht einwilligen, ohne die Grundsätze und die Handlungsweise meines ganzen bisherigen Lebens Lügen zu strafen.

Und besonders müsse ich darauf bedacht sein, das Unglück, mit dem das Schicksal mich eingesponnen, nicht durch meine eigene Unklugheit zu vergrößern, worüber ich mir selber, jetzt ganz unschuldig an meinem Verhängnis, die begründetsten und bittersten Vorwürfe machen müßte.

Vielleicht stand kein Wort von alledem in meinem Brief, aber so ungefähr war der Sinn davon.

Ich gab also dem Chevalier darin einen vollständigen Abschied, aber doch auf eine Weise, die es für ihn nicht notwendig machte, den Abschied anzunehmen, was denn auch nicht geschah.

Die Antwort, die ich erhielt, zeigte seine ganze Entschlossenheit, meinen Widerstand zu besiegen.

Auch ließ es Herr von Le Mesnil nicht beim Schreiben bewenden. Er kam genau wie am Tage zuvor in mein Zimmer. Ich wollte ihn fortschicken, aber er ließ sich nicht abweisen. Hartnäckig blieb er dabei, mir seine grenzenlose und ewige Zuneigung zu beteuern, deren Erwiderung mich gewiß nie reuen werde.

Aber ich blieb fest bei meinem Entschluß, mich in keinen gefahrbringenden Handel einzulassen. Je mehr er mich, so sagte ich ihm, von der Wahrheit seiner Gefühle überzeugen wolle, um so mehr lehre er mich, sie zu fürchten und ihn nicht mehr anzuhören. Kurz, alles, was sich in ähnlicher Lage sagen läßt, wurde von beiden Seiten, obwohl sehr abgekürzt, vorgebracht.

Am Ende bat ich den Chevalier sehr ernsthaft, nicht mehr den Versuch zu machen, mich sprechen zu wollen und auf jede direkte Verbindung mit mir zu verzichten, da ich mich der unvermeidlichen Gefahr eines solchen Verkehrs, und noch dazu in unserer Lage, nicht aussetzen möge.

Er mußte sich endlich meinem ausdrücklichen Willen fügen und mit allen Zeichen eines außerordentlichen Schmerzes verließ er mich.

Sehr zufrieden mit einer so tapferen Verteidigung meinerseits, fühlte ich doch, wieviel sie mich kostete. Ich hatte nun die angenehmste Unterhaltung in meiner Einsamkeit verloren und entdeckte bald in meinem eigenen Herzen eine Leere und Oedheit, die mich trauriger machte als alle Trostlosigkeit meines Kerkers.

Sogar die arme Rondel merkte meine tiefe Niedergeschlagenheit und litt darunter. Sie suchte mich vergeblich zu zerstreuen. Nicht einmal meine munteren Kätzchen machten mir noch Vergnügen, wie possierlich sie sich um mich her gebürdeten.


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