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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Apendix

Dem ehrwürdigen Dominus Guilbertus, Prior des Konventes zu Le Saremon O. S. B. unsern ehrerbietigen Gruß zuvor.

Mit schwerem Herzen, ehrwürdiger Vater Prior, überwinden wir uns, um Eurer an uns gerichteten Bitte in Hinsicht jener Unglücklichen stattzugeben, der Ihr, Eurem Schreiben zufolge, in der Unschuld ihrer Kindheit mit väterlicher Liebe nahe gestanden seid. Gerade dieser Umstand ist es, der uns befürchten läßt, mit der Erfüllung Eurer Bitte Euch nur Schmerz und Bitterkeit zu bereiten, was wir lieber zu vermeiden gewünscht hätten. Denn kalthochmütigen Herzens, in unbußfertiger Verstocktheit, und unversöhnt mit ihrem Gott ist die Unglückselige dahingefahren. Dies ausführlich in dem beigefügten Bericht zu lesen, wird Euch, fürchten wir, zu großer Trübsal gereichen. Dennoch durften wir es nicht wagen, Eurer Ehrwürden gegen Willen und Wunsch zu sein und haben wir darum von unserem ersten Schreiber beim Gericht, einem jungen Kleriker mit Namen Martin La Croutelle, einen Auszug der Gerichtsakten anfertigen lassen, den wir, zusammen mit diesem Gegenwärtigen, durch Meister Testebrüle, den Marktboten von Mauvezin, zu Euren Händen geben, indem wir Gott und die heilige Jungfrau bitten, Euch in Wohlfahrt Leibes und der Seele zu behalten und zu bewahren.

Gegeben zu Toulouse, bei St. Stephans Münster, am II. mens. Sept. A. D. 1473.

† Hugo von Loremont
Geistlicher Strafoberrichter und Kanonikus

 

Bericht

Auf Befehl des hochwürdigen Herrn Hugo von Loremont, der beiden Rechte Doktor, Kanonikus am erzbischöflichen Kapitel von St. Stephan allhier und obersten Richters in geistlichen Strafsachen:

Habe ich, Martin La Croutelle, Kleriker und Schreiber beim Gerichtshof des genannten Kapitels, aus den Akten des Prozesses wider Bertrade, weiland genannt Gräfin von Armagnac, die Hauptpunkte ausgezogen und zusammengeschrieben wie folgt:

Mens. martii 21. Erfolgte Aufforderung von der königlichen Kanzlei zu Tours an Seine Gnaden, unsern Herrn Erzbischof, sich der genannten Bertrade von Armagnac bei den Bernhardinerinnen im Kirchspiel von St. Sernin zu bemächtigen, um Klage gegen sie erheben zu lassen vor den geistlichen Richtern des Kapitels wegen dreifach totwürdiger Verbrechen, als Inzest, Ketzerei und Bündnis mit höllischen Dämonen.

Mens. mart. 25. Herr Raymond von Thouars, zweiter erzbischöflicher Vikarius und königlicher Ankläger am Gerichtshof des Kapitels von St. Stephan, verfügte sich zusammen mit mir, Martin La Croutelle, als erstem Schreiber des genannten Gerichts, und vier Knechten des Profossen nach dem Kloster des heiligen Bernhard bei der Kirche von St. Sernin. Und forderte und verlangte der genannte Herr Raymond von der Äbtissin des Hauses, der hochehrwürdigen Dame Johanna aus dem königlichen Geblüt derer von Albret, die Auslieferung der genannten Bertrade von Armagnac im Namen des Königs, unter Vorweisung des unter Artikel 1 genannten Schreibens aus der königlichen Kanzlei zu Tours.

Ist hierüber die hochehrwürdige Mutter Äbtissin höchlichst erschrocken und hat uns in rührenden Worten und unter viel Weinen entgegengehalten: Die genannte Bertrade sei ihr von ihrem eigenen liebwerten Neffen, dem Herrn Gaston von St. Leu, überbracht worden, und es habe dieser Gaston von St. Leu die genannte Bertrade ihr, seiner Tante, unter heiligen Schwüren auf die Seele gebunden; und sie, die Mutter Äbtissin, habe ihrem Neffen unter Schwur zugesagt und versprochen, die genannte Bertrade bei sich und in ihrem besonderen Schutz und Schirm zu halten, bis Herr Gaston von St. Leu selber sie ihres Versprechens entbinden werde.

Hat aber Herr Raymond von Thouars der hochehrwürdigen Dame erklärt, daß ihr Schwur und Versprechen, als den Aufgaben des geistlichen Gerichts entgegenstehend. Null und nichtig seien vor allen Instanzen der Zeit und Ewigkeit.

Und hat da ihrerseits die ehrwürdige Mutter Äbtissin Widerspruch erhoben in fast drohenden Worten. Und hat zuletzt sich auf das Asylrecht ihres Hauses und andere königliche und päpstliche Privilegien berufen; wogegen ihr von Herrn Raymond von Thouars bedeutet wurde, daß das genannte Asylrecht wohl vor der Macht und Gewalt des weltlichen Armes schütze, nicht aber den Forderungen und Rechtsamen einer hohen geistlichen Gerichtsbarkeit im Wege sein dürfe.

Hat darauf die hochehrwürdige Dame und Mutter Äbtissin nach einer geraumen Weile und mit Tränen im Auge die genannte Bertrade von Armagnac an ihrer eigenen Hand herzugeführt und dem Herrn Raymond von Thouars übergeben, nachdem sie fast laut weinend die Inkulpatin schwesterlich umarmt und geküßt hatte, die aber trockenen Auges blieb und hochmütig stolzen Blicks.

Wurde dieselbe aber dennoch unverweilt von Herrn Raymond den Stockknechten überantwortet, mit der Weisung, sie auf den bereitgestellten Karren zu setzen und nach den Gefängnissen des Kapitels überzuführen, wie es denn geschehen ist.

Mens. apr. 6. wurde von mir, Martin La Croutelle, auf Befehl des Herrn Raymond von Thouars ein längerer Bericht zu den Akten gegeben, dessen Inhalt ich hier kürzlich also zusammenfasse:

Erschien vor drei Tagen bei dem genannten Herrn Raymond von Thouars ein Herr von Castelnau, Sire von Bretenons, erster Stallmeister Seiner allerchristlichsten Majestät, zusammen mit zwei Begleitern, dem königlichen Sekretär Meister Olivier Le Roux und einem Apotheker aus der Stadt Tours, namens Meister Macez Guervadan. Darauf Befehl des Herrn Raymond von Thouars an mich, Martin La Croutelle, sowie an den Profossen, Meister Gaultier Limandre, den genannten Herrn von Castelnau, Sire von Bretenons, und seine Gesellen in das Gefängnis der Bertrade, weiland Gräfin von Armagnac, zu begleiten und dort zu dessen Befehl zu sein.

Und wurde daselbst in meiner Gegenwart von Meister Macez Guervadan, Apotheker in der königlichen Stadt Tours, unter Beistand des Herrn Anseau von Kastelnau, Sire von Bretenons und des königlichen Schreibers Olivier Le Roux, sowie des Profossen Gaultier Limandre der mehrfach genannten Bertrade, trotz heftigen Sträubens und Abwehrens gewaltsam ein Trank eingegossen, worauf zwei Tage später der Kerkermeister Peter Grolaud dem Herrn Raymond von Thouars die Meldung abstattete über die Entbindung der Angeklagten von einem toten Knaben in der Frühe dieses Tages ( mens. apr. am neunten).

 

Notiz.

Nur dieser Anfang von dem Bericht des Schreibers Martin La Croutelle hat sich erhalten. Die Fortsetzung fehlt. Auch die Prozeßakten selber existieren nicht mehr, sie wurden bei einem Brand in den erzbischöflichen Kanzleien zur Zeit der Hugenottenkriege zerstört. Nach einem knappen Antrag in den Registern des Parlamentes von Toulouse vom 27. April 1473 aber endete der furchtbare Prozeß damit, daß die Angeklagte um dreier totwürdiger Verbrechen willen, als Inzest, Heresie und Umgang mit höllischen Geistern, zum Scheiterhaufen verurteilt wurde nach dreitägigem Prangerstehen im schwarzen Schwefelhemd vor dem Hauptportal der Kathedrale von St. Stephan, und daß am Abend des dritten Tages, unter Zulauf unzähligen Volks aus Stadt und Land die Verbrennung Bertrades bei lebendigem Leibe vollzogen worden ist.

Und noch eine Notiz enthalten jene Parlamentsregister.

Am Tage vor der endgültigen Hinrichtung, zur stillen Mittagszeit, während die Bürger von Toulouse gemächlich beim Mittagessen saßen, geschah von einem plötzlich auftauchenden kleinen Reitertrupp ein kühner Handstreich zu Bertrades gewaltsamer Befreiung und Entführung; aber durch die herbeieilende städtische Scharwache wurde das »frevelhafte Unternehmen vereitelt«.

Als heimlicher Anstifter dieses gewaltmäßigen Anschlags wurde, wie in den erwähnten Registern noch bemerkt ist, ein junger Herr Gaston von St. Leu, Sire von Montcuq, aus dem königlichen Geschlecht derer von Albret, ermittelt. König Ludwig ließ ihn zu Poitiers durch seine Kommissarien zum Tod verurteilen, und trotz der zahlreichen Bittgesuche und persönlichen Vorstellungen bei dem König von Seiten der mächtigen und einflußreichen Familie wurde er in seinem Kerker durch den Henker enthauptet, vier seiner Leute, die bei Ausübung jenes Handstreichs ergriffen worden, nahmen zu Tours ein schmähliches Ende. Meister Tristan Lhermitte (»den unser Herr Ludwig ein wenig allzu spaßhaft seinen lieben Gevatter nannte«) ließ ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abziehen und die also geschundenen Körper öffentlich aufs Rad flechten.

 

Finis

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Dies Buch wurde gedruckt zur Zeit des Großen Krieges und beendet nach Ostern 1918


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