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Vierzehntes Kapitel

Die Botschaft aus Bordeaux und was der Bischof dem Grafen aus Rom mitgebracht hatte

»Es ist Euer Gnaden nicht unbekannt,« so begann der Sire von Podensac, »daß mein Herr, unser Herzog von Guyenne, seit lange heimliche Kundschafter besoldet, nicht nur in der Umgebung seines königlichen Bruders, sondern ebensosehr im Lager Karls von Burgund. So ist er in den Stand gesetzt, die Ereignisse von dort oben stets mehrere Tage früher zu erfahren, als ein anderer hier in unsern südlichen Landen ...«

»Herr Ritter,« rief der Graf in höchster Ungeduld und kaum sich noch beherrschend, »ich bitte, kommt zur Sache.«

Und der Sire von Podensac:

»Dies, Euer Gnaden, ist kurz die Sache: von dem Kriegszug des Königs gegen den Herzog Franz von der Bretagne seid Ihr unterrichtet, vor drei Wochen aber, was Ihr noch nicht wissen könnt, kam es in der Stadt Nyon an der Oise wegen gänzlicher Erschöpfung der beiden Parteien zwischen dem Bretagner und dem Lutz wieder einmal zu einer Art Friedensschluß, der aber weder von der einen, noch von der andern Seite ehrlich gemeint war. vor allem verweigerte Karl von Burgund, der Verbündete des Bretagners, seine Zustimmung zu dem Frieden. Dieser tolle Burgunder hatte seine ganze furchtbare Heeresmacht in der normannischen Stadt Peronne an der Somme zusammengezogen und stand damit, auf nur wenige Meilen Entfernung, dem König gegenüber. Unser Lutz sah sich in der heikelsten Lage. Wenn Karl Ernst machte und ihn angriff, konnte er sicher sein, daß ihm der Bretagner trotz des beschlossenen Friedens in den Rücken fiel. Er beeilte sich also, mit seinem lieben Vetter Karl zu unterhandeln und den Arglosen zu spielen.«

»Das versteht er,« rief unser Herr von Armagnac dazwischen. »Wenn er sich in der Klemme weiß, dieser Fuchs, da kann er sanft sein wie eine Turteltaube, und honigsüß fließt's ihm von den Lippen; wenn er aber obenauf ist, da ist dann wieder der Henker sein lieber Gevatter, aber weiter, weiter, Herr von Podensac.«

»Es schickte also der Lutz«, fuhr dieser fort, »seinen dicken Hans, den Erzpriester und Erzschelm La Balue, zusammen mit dem Herrn Connetable, von Nyon aus nach der Stadt Peronne an der Somme zu seinem lieben Vetter. Aber noch andere Botschaften schickte er aus, gemäß seines Wahlspruchs: wenn es nicht im Guten geht, geht es vielleicht im Bösen. Ihr kennt den Lutz, Herr, er hat niemals nur ein Eisen im Feuer.«

»Und niemals nur einen Heiligen, den er anzuschmieren denkt,« spottete der Bischof von Lectoure.

»Weiter, weiter, Herr von Podensac,« befahl der Graf unwirsch.

»Schickte also«, beeilte sich der herzogliche Botschafter, »unser Lutz zwei noch geriebenere Spitzbuben an die wallonische Stadt Lüttich, die, wie Ihr wißt, hoher Herr, das Jahr zuvor wegen einer Rebellion gegen ihren Bischof von dem Burgunder maßlos gezüchtigt worden war und schickte denen von Lüttich Geld, und noch viel mehr versprach er ihnen und versprach ihnen allen Beistand gegen den Herzog von Burgund und, wenn – und so weiter.«

»Teufel noch einmal,« platzte der Graf heraus; »ja weiter, weiter, Herr von Podensac.«

Und dieser:

»Die Verhandlungen des Königs mit dem Burgunder rückten indessen kaum vorwärts. Karl machte den Steifnackigen, Er verlangte, der König solle vor allem die Verträge von Conflans und Arras, Ihr kennt ihren Inhalt, Herr, mit seinem persönlichen Eid bekräftigen.«

»Dieser Karl,« rief aufs neue der Graf, »man nennt ihn den Kühnen, ich nenne ihn den Kindischen. Diese Albernheit, zu glauben, daß der Lutz sich durch einen Eidschwur gebunden fühlen könnte. Aber laßt weiter hören, noch sehe ich nicht Weg und Steg in dieser Wirrnis.«

»Gleich«, versetzte der Botschafter, »werdet Ihr die Lichtung gewahr werden. Denn, nicht wahr, Ihr wißt es nur zu gut, wie sehr der Lutz darauf brannte, uns hier mit seinem Besuch zu beehren. Schon seit Jahr und Tag sah er sich von dem Burgunder an dieser dringlichen Pflichterfüllung zu seinem unendlichen Leidwesen verhindert. Er meinte, jetzt sei es höchste Zeit, länger dürfe er uns wahrlich nicht mehr vernachlässigen; geriet also in die höchste Ungeduld über den dicken Kardinal und den langbeinigen Connetable, da beide nichts ausrichteten, und – kurz, der sonst so mißtrauische Fuchs entschloß sich ...«

»Den Löwen in seiner Höhle ...«

»Heimzusuchen,« ergänzte der Sire von Podensac das Wort des Grafen.

»Beim heiligen Jörg von Burgund,« spottete dieser, »daß in dem Fuchs ein Esel steckt, hätte ich nicht gedacht. Und wie empfing ihn der Löwe?«

Und lachend der Sire von Podensac:

»Zunächst so, wie wenn der Besucher der Löwe wäre. Wahrhaftig königlich wurde der Lutz empfangen; denn die Eitelkeit des Burgunders fühlte sich von der Ehre dieses Besuches aufs heftigste gekitzelt.«

»Karl der Kindische,« brummte der Graf in seinen spitzen Bart. Ein unwilliges Murmeln lief um die Tafel. In die blassen Züge der Jungherrin von Armagnac trat ein Ausdruck verächtlichsten Mitleids.

»Dieser Burgunder«, sprach der Astrolog, »ist ein Narr, über seine Torheit wird er noch stolpern und zu Falle kommen.«

»Weiter denn,« befahl mißbehaglich der Graf.

»Der Lutz also,« nahm der Botschafter wieder das Wort, »wurde ganz als König empfangen. Bis zwei Meilen vor der Stadt schickte ihm der Herzog eine ehrenvolle Deputation entgegen, begleitet von sechshundert seiner vornehmsten Ritter; an der Brücke aber, die kurz vor dem Tor der Stadt Peronne über den Fluß führt, erwartete er selber zu Pferd und in seiner goldenen Prachtrüstung den König. Als der Lutz sich ihm näherte, neigte Karl sich tief bis auf den Hals seines schwarzen Andalusiers.«

»Possen, verschont mich damit,« herrschte der Graf den Erschrockenen an. »Zur Sache endlich.«

»Die Sache ist die,« beeilte sich der Bordoleser, »daß der Lutz jetzt die Erfahrung machen mußte, wie die mehreren Eisen im Feuer nicht immer ein Vorteil sind. Nämlich seine heimlichen Agenten zu Lüttich im Land der Wallonen hatten ihrerseits das Feuer mit allzu raschem Erfolg geschürt. Nicht viel hatte es gebraucht, um diese tolle Stadt zur erneuten Rebellion aufzureizen gegen ihren übermütigen schwelgerischen Bischof, der sich durch die Freundschaft des mächtigen Herzogs von Burgund gesichert glaubte. Ja, die erbosten Lütticher übertrafen diesmal sich selber, und einige Flüchtlinge von den Bischöflichen erzählten grauenhafte Dinge. Sie hatten es mit eigenen Augen angesehen, wie Herr Robert von Moriamez, der Archidiakonus und Bannerträger des Bischofs, von dem wütenden Lütticher Pöbel auf eine scheußliche weise niedergemetzelt wurde. Ganz in Fetzen hat man ihn gerissen, und ein besoffenes Gesindel hat hin und her seine blutigen Glieder einander zugeworfen wie im Ballspiel.

»Diese bischöflichen Flüchtlinge aus Lüttich waren aber zu gleicher Zeit wie der König in der Stadt Peronne angelangt, und erstatteten noch am Abend dem Herzog Bericht über die Vorgänge in ihrer Stadt. Nach ihrem Dafürhalten war es dem Bischof und seinen Kanonikern nicht glimpflicher ergangen wie dem genannten unglückseligen Bannerträger, und als Anstifter all dieser unmenschlichen Greuel nannten sie frei heraus den König von Frankreich.«

Der Graf lächelte wohlgefällig:

»So hat sich der Lutz die Grube selber gegraben, in die sein Unstern ihn stürzte.«

»Nicht anders,« bestätigte der bordolesische Gesandte. »Karl ergrimmte noch mehr über seine eigene Kurzsichtigkeit, als über den Verrat des Königs. Er befahl, daß der Lutz – man hatte ihm das beste Quartier der Stadt zur Wohnung gegeben – noch in der Nacht nach dem alten Turm gebracht und von drei Fähnlein deutscher Landsknechte eng bewacht werde. Jede persönliche Unterredung verweigerte er.«

Laute Beifallsrufe erschollen bei diesen Worten rings um die Tafel; auch der Graf stimmte laut mit ein.

»Beim Bart meines Palamedes,« sprach er dann, »der Karl verdient doch seinen schönen Beinamen.«

»Wissen Eure Gnaden,« fragte der Sire von Podensac, »was es mit jenem Turm in der Stadt Peronne für eine Bewandtnis hat?«

»Ich denke, es ist derselbe Turm,« antwortete der Graf, »wo ehemals der tapfere Heribert von Vermandois auch schon einen König eingesperrt hat, jenen Karolinger, den sie den Einfältigen nannten. Er ist in dem Turm verhungert, wie es heißt.«

»Und so mögt Ihr Euch denken, Herr,« nahm der andere das Wort, »welche Gefühle den Lutz beschlichen haben werden, wenn er aus diesem Turm durch die dicken Gitter auf die Wälle und Palisaden hinunter sah, wo die fremden Lanzenknechte lagerten und höhnisch zu ihm hinaufgrüßten.

»Da hätte er sich wohl am liebsten nach seinem verdammten Rattenloch von Plessis-les-Tours gewünscht, als wo der Gruß seiner langköpfigen Schotten ihm bedeutend tröstlicher gewesen wäre.

»Vergeblich ließ er jetzt seinem lieben Vetter vermelden, daß er bereit sei, alles zu beschwören, was man von ihm verlange. Karl ließ ihn mehrere Tage ohne Antwort und in peinlichster Ungewißheit über sein Schicksal. Erst am vierten Tage ließ er dem Lutz dieses sagen: Zum Schwören habe es Zeit, er hoffe aber, der König werde ihm die Ehre erweisen, ihn nach Lüttich zu begleiten, wo es vor allem gälte, die Rebellen zu züchtigen. Und da diese Rebellen sich auf den König berufen hätten, könne die Majestät von diesem Verdacht der Felonie sich am ehesten reinwaschen, wenn Sie selber und in persönlicher Gegenwart an deren Züchtigung mitwirke.«

Wieder erhob sich heftiger Beifall unter den Tafelgenossen. »Brav, brav,« rief's von allen Seiten. Auch Bertrade stimmte begeistert mit ein. Viele tranken ein Vivat auf Karl von Burgund. Der Bischof von Lectoure nannte ihn würdig seines Patrons, des heiligen Jörg, weil er wie dieser eine gefesselte schöne Frau, genannt Francia, von dem häßlichen Drachen befreite, der sie zu notzüchtigen drohte.

Schweigend verhielt sich allein Don Palamedes.

»Meine Herren,« beteuerte der Graf, »ich nehme alles zurück, dieser Karl von Burgund hat nicht nur Kühnheit, sondern auch Witz. Sein Einfall ist göttlich. Und er hat ihn auch wirklich«, wandte er sich fragend an den Botschafter, »in die Tat umgesetzt?«

»Er tat es,« erwiderte dieser voll Triumph, »und derjenige, der sich den König von Frankreich nennt, weilt in diesem Augenblick fern von seinem Reich als Gefangener dessen, den er verderben wollte. Wer aber soll nun Frankreich regieren?«

»Karl von Guyenne,« sprach der Graf mit festbetonter Stimme.

»Diese Antwort«, erwiderte der Sire von Podensac, »hat mein Herr von Euch erwartet. Er ist dazu entschlossen und rechnet auf Euren Beistand. Und rechnet zuvörderst darauf, daß Ihr in kürzester Frist mit Euren vornehmsten Kriegsleuten bei ihm auf seiner Burg zu Bordeaux eintreffen und mit ihm die nächsten Schritte beraten werdet. Der Herzog, mein Herr, ist voller Zuversicht. Karl von Burgund hat ihm schon heimlich versichern lassen, obwohl er ihm persönlich nicht Freund ist, daß er ihm keine Schwierigkeiten machen werde. In sechzehn Tagen schon will Herr Karl von Guyenne, mein Herr, in der Stadt Paris eintreffen zusammen mit Euer Gnaden, und sein erster Regierungsakt als erklärter Regent von Frankreich soll die Freigebung sein Eures Vetters, des Herzogs von Nemours.« – – –

Man sollte es nicht glauben, aber solche unerhörten rebellischen Reden hielt an jenem Abend auf dem Kastell zu Lectoure ein christlicher Ritter im Namen seines Herrn, des leiblichen Bruders ihrer geheiligten Majestät. Und seine Worte voller Verrat und Felonie erfüllten die Hörer, kaum brauche ich es zu sagen, nicht mit Schrecken und Bestürzung, sondern berauschten sie wie ein bösartiger, heimtückischer Wein, und stachelten den Geist des Aufruhrs in ihnen erst recht zur lodernden Flamme.

In der Tat konnte es der menschlichen Kurzsichtigkeit so scheinen, als ob selbst die himmlischen Mächte ihre Hand zurückgezogen hätten von der allerchristlichsten Majestät, um den zu begünstigen, der dem Fleische, jedoch nicht dem Geiste nach des Königs Bruder war, und in dessen Person alle, die des Herrn Ludwigs harte Hand gefühlt hatten, auf eine mildere und gerechtere Herrschaft hofften, wie sie glauben machen wollten. Denn sie mißkannten den Sinn des Königtums, das Gott eingesetzt hat als Hort und Stütze der Schwachen und zur Verteidigung der Kleinen gegen die Großen, wie geschrieben steht: Deposuit potentes de sede, exaltavit humiles, die Mächtigen stößt er vom Stuhl und das geringe Volk erhebt er mit starker Hand. Sie aber, die Mächtigen, führten im Mund das Wort Gerechtigkeit und waren doch offene Rebellen, aber Gott kannte ihre Verbrechen.

Über einer noch größeren Verruchtheit jedoch brüteten längst des Grafen Gedanken, zur Schande unserer ganzen Christenheit.

Es mochte seine Absicht gewesen sein, die Ausführung des himmelschreienden Unternehmens langsam vorzubereiten, und es scheint, daß er sich am Nachmittag in diesem Sinn mir seinem Bischof besprochen hatte. Aber die großen politischen Angelegenheiten, die infolge der herzoglichen Botschaft nun all seine Zeit in Anspruch nehmen sollten, wie auch die verlockende und vor einer Stunde noch ungeahnte Gunst des Augenblicks schienen ihn dann zu einem plötzlichen frechen Entschluß getrieben zu haben.

Denn während die ganze Tafelrunde die eben angehörten und fast unglaublichen Neuigkeiten in leidenschaftlichen Hin- und Widerreden diskutierte, sah man den Grafen in leisen Worten sich angelegentlich mit dem Bischof besprechen und dann ohne Erklärung plötzlich verschwinden, was jedoch nur von wenigen Gästen bemerkt wurde, so hingerissen waren alle von den erhitzten Wortgefechten über die große Neuigkeit.

Als der Graf wieder erschien, trug er ein grünes, mit Gold eingefaßtes Futteral in der Hand, gleich dem Kommandostab eines Marschalls, und erst jetzt wurde alles aufmerksam und Verwunderung und Neugierde malten sich auf den erhitzten Gesichtern.

Denn was mochte das wohl sein, was da Seine Gnaden in eigener Person herbeizuholen gegangen waren? Wahrlich, eine rätselhafte Sache und ein noch rätselhafteres Betragen.

Der Graf aber reichte das grüne Rätsel mit feierlicher Geste seinem Bischof.

Aller Lärm und Tumult waren jetzt verstummt, und nicht nur von dem obern, von allen drei Tischen sah alles voller Erwartung hinauf zu dem Grafen und seinem Bischof.

»Ist ein Kleriker hier?« fragte dieser.

Man nannte von mehreren Seiten meinen Namen, und der Bischof winkte mich zu sich heran. Zugleich drehte er die beiden ungleichen Teile des Futterals auseinander und entnahm daraus eine Pergamentrolle mit angehängter Kapsel aus Sandelholz, so groß wie der Teller einer Hand.

»Mein Sohn,« wandte sich der Bischof an mich, »betrachte diese Urkunde, was steht ihr am Kopf geschrieben und welchen Herkommens ist sie?«

»Es ist eine Urkunde«, antwortete ich, »aus der Kanzlei Seiner Heiligkeit des römischen Papstes.«

Darauf öffnete der Bischof die Kapsel von Sandelholz an dem Band von grüner Seide. Sie umschloß ein Insiegel aus rotem Wachs.

»Nun prüfe wohl dieses Siegel,« sprach er abermals, »und sage, als was erkennst du es.«

Ich aber kannte dieses Siegel sehr wohl, es war das nämliche, womit die päpstlichen Dekrete in der Abtei zu Moisac versehen waren. Und also erklärte und bestätigte ich.

»So nimm und lies,« befahl der Bischof mit den bekannten Worten aus dem heiligen Augustinus.

Und was las ich darauf?

Ich wollte nicht glauben, was doch meine eigenen Augen entzifferten, und bald flimmerte es mir dergestalt vor den Blicken, daß ich unwillkürlich einhalten mußte.

»Was ist dir? Lies!« befahl der Bischof in schärferem Ton, und die breite Narbe, die ihm von der linken Backe her über die Oberlippe lief, leuchtete wie brennender Zunder aus dem kurzen schwarzen Krausbart hervor. Mit unsicherer Stimme begann ich fortzufahren, aber um meinen Geist legte es sich wie Nacht und Finsternis, so daß mir auch nickt die leiseste Spur einer Erinnerung geblieben ist, wie das Ungeheuerliche, das ich las, rings um mich her aufgenommen wurde oder wie sonst der Rest des Abends verlaufen ist.

Aber am andern Morgen beging ich die furchtbarste Sünde meines Lebens. Ich glaubte nicht an das Dekret, ich hätte wahnsinnig sein müssen, um daran zu glauben, und doch, o elende Feigheit, berief ich mich darauf vor meinem eigenen Gewissen und tat, ich Unglückseliger, wozu in dem Dekret – es war aber eine wahrhaft satanische Fälschung – die päpstliche Dispens und Gutheißung deutlich ausgesprochen stand: ich vollzog, in Gegenwart des Bischofs von Lectoure und des Kanzlers Gratian Favre als Zeugen, die Kopulierung zwischen Herrn Johannes Quintus Grafen von Armagnac und der Jungherrin Bertrade von Armagnac in aller Form Rechtens, wenn auch noch so bündig und ohne alle Ansprache und Feierlichkeit.

Und also hatte ich meine Hand geliehen dem schandbarsten Verbrechen, das im ganzen Umfang der Christenheit je begangen worden ist, und war doch bis auf diesen Tag von allen, die mich kannten, für einen frommen Knecht Gottes gehalten worden, so sehr, daß oft Dominus Guilbertus, unser guter Vater Prior, die Worte des Herrn bei Johannis am ersten Kapitel 47 mit einer kleinen Abänderung auf mich angewandt hat. Bruder Desiderius, so sprach er dann, du bist ein echter Sohn des heiligen Benediktus, an dem kein Falsch zu finden ist. Hatten solche Lobsprüche mir unvermerkt einen Reim von Hochmut in einen heimlichen Winkel meines Herzens eingesenkt, und wollte mich Gott um dessentwillen für alle Zeiten demütigen, indem er mich in eine so große und weithin sichtbare Sünde fallen ließ, so daß ich mein Haupt nicht mehr aufrecht tragen darf im Kreis der Brüder.

Gewiß ist es so.

Warum aber fallen mir aufs neue jene Worte in den Sinn, die einst ein böser Geist aus dem Munde Bertrades zu mir gesprochen hat: »Und so könnt Ihr in Eurem Innern das Gute wollen und müßt doch das Böse tun, und dürft selbst vor dem Verbrechen nicht zurückweichen, wenn Ihr glaubt, daß es Euch befohlen ist.« O Gott und Heiland, du hast dem Herrn Satan große Macht gegeben, daß er unser Denken also beunruhigen und verwirren darf mit seinen Einflüsterungen.


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