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Erstes Kapitel

Das Nachwort des Mönchs

»Und die Sonne war aufgegangen auf Erden, als Lot einzog in die Stadt Segor.

»Da ließ der HERR, Schwefel regnen und Feuer vom HERRN aus dem Himmel über Sodom und Gommorha.

»Und stürzte die Städte um und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte, und verwandelte in Grau alles Grüne auf der Erde.

»Und sein Weib sah hinter sich und erstarrte zur salzigen Säule – versa est in statuam salis

Diese Stelle der Genesis am 19. Kapitel vom 23. bis 26. Vers zeigte ich dem nun in Gott ruhenden Vater Prior, indem ich mit meinem Finger nachdrücklich auf die legte Zeile wies.

Dergestalt suchte ich mich zu verschanzen hinter den Worten der Schrift wie ein Katharer und Publikaner, ohne aber Schlimmes zu denken. Denn Gott wollte mich nur demütigen, und so wurde ich es mir bei weitem nicht bewußt (mit Schrecken fiel's mir darnach in die Seele), daß ich wahrlich also getan in Nachahmung einer verruchten Teufelinne in Weibsgestalt, nämlich Bertrades, die mir auch eines Tages wie ich getreulich berichtet, dieses Kapitel der Genesis unter die Augen gerückt hat, indem sie ihren schlanken Finger mit dem langen schmalen rosenfarbenen Nagel, mir graut, wenn ich daran denke, an den Vers legte, den ich lesen sollte, nur sieben Verse weiter als die oben angeführten und wo dann geschrieben steht: »Also gaben sie ihrem Vater Wein zu trinken in derselbigen Nacht, und die erste ging hinein et cetera

Woraus man denn so recht deutlich ersieht, ein wie gefährlich Ding die Schrift ist in unrechten Händen, und wie unsere heilige Mutter, die Kirche, weise daran getan hat, ihren Kindern ein so zweischneidiges Instrument zu verbieten und vorzuenthalten, mit dem Ungeschickte und Vermessene schon so viel Unheil und Schaden angerichtet haben.

O, Bertrade, wie übel fuhrest du, daß du dem Geist der Verderbnis mehr geglaubt hast als den heiligen Vorschriften der Kirche. O Worte der Schrift, wie müßt ihr erröten, wenn Ketzer und öffentliche Sünder euch im Munde führen zu ihrer eigenen und anderer Verblendung. Und mir, o Herr Jesus, und du heiliger Geist, verzeihet die Sünde, daß ich es gewagt habe, mich auf die Schrift zu stützen in hochmütiger Verblendung, statt meinen von Gott gesetzten Obern in Einfalt und Demut zu gehorchen.

Der gute Vater Prior selig war freilich nur allzu nachsichtig gegen mich, wie im allgemeinen gegen uns alle und die ganze Welt.

»Höhö!« machte er nur, und ein gutmütiges Lachen lief ihm über das wettergebräunte und weinrote Gesicht, denn er war, wie männiglich bekannt, ein Freund des edlen Weidwerks – vielleicht nur unserer gnädigen Frau Gräfin zuliebe – und entbehrte den Rosenkranz leichter als den Becher, weil er sagte, daß es eine Gottesverachtung wäre, wenn er den Wein verschmähte, den Gottes Güte an den sonnigen Hügeln der Gimonne und der Baise, des Arats und des Gers und sonst herum im Lande Armagnac so in Fülle wachsen ließ zu der Menschen Tröstung und Stärkung.

Und so möchte ich nur gleich hier beichten, daß ich manchmal vermessen genug war, verzeih mir's Gott, den Vater Prior selig dessentwegen heimlich in meinem Innern zu tadeln, ich, der große Sünder, nicht wert, dem frommen Mann Gottes die Schuhriemen aufzulösen; denn er hat als guter Hirte und voll milden Wohlwollens über seiner Herde gewaltet allezeit.

»Höhö!« Und nach kurzem Lachen aus seiner heiteren Seele: »Erstens, mein Sohn,« so sprach er, »wundere ich mich, wie du dich getraust, deine lächerlich dünne Nase in dieses Buch zu stecken, darinnen einige Kapitelchen stehen, die in den Kanon gekommen sein mögen wie die Säue ins Evangelium oder wie Saul unter die Propheten. Ist das eine Kost für einen keuschen Mönchsmagen? Das laß Andere verdauen, und du halte dich an Psalter und Evangelien, ein Schaf soll nicht belöcken und beschnüffeln was des Hirten ist.

Und zweitens, seit wann bist du denn ein Weib? Ein Mann aber, und gar ein Geweihter des Herrn, vergleicht sich nicht mit diesen Geschöpfen aus zweiter Hand.«

Ich stand, die Augen zu Boden geschlagen, der Vater Prior ließ eine Pause eintreten, worauf er plötzlich nach seiner Art heiter herauslachte.

»Aber du bist ein einfältig Gemüt, mein Sohn Desideri, und ahnungslos,« so fuhr er fort, »ich will dich nicht schelten. Ich glaube gern, deine Nase riecht nicht einmal die Teufelseier, die da in dem krausen Zeug versteckt sind zum Verderben der Fürwitzigen. Aber, was denkst du dir, warum die Frau jenes Lot, oder wie der alte Viehtreiber sonst geheißen hat, in eine Salzsäule verwandelt worden ist? Mein Sohn, es gibt Sünden, an die nur zu denken bereits wieder eine Sünde bedeutet. Das sind die fleischlichen Sünden. Und jenes lüsterne Weibsbild, das dann ein Steinbild wurde, wird nicht einfach aus bloßer Neugier hinter sich geblickt haben; denn diese ist zu sehr in der Natur des Weibes, um eine so furchtbare Strafe zu verdienen. Das verdammte Weibchen wird hinter sich geblickt haben unter der Macht sündhafter Erinnerungen und in Lust und Bedauern zugleich.

Aber, was weißt du vom Weib, mein Sohn? Du hast Bertrade gekannt! Nein, sage ich, mi fili, ihr Bruder hat sie gekannt, nicht du. O Mönchlein, o Mönchlein, ahnst du auch, was das ist, das Weib? Das Weib, sage ich dir, ist das apokalyptische Tier, sein Blick heilt Kranke, und Gesunde macht er krank; es ist verdammt, den Mann zu langweilen, wenn es gut ist; aber wenn es schön ist und bös, dann ist es sein Himmel zugleich und seine Hölle, seine Seligkeit und auch seine Verdammnis. Das Weib ist der Abgrund Gottes, und nirgendwo ist Gott weniger erkennbar als in diesem Abgrund, aber an seinem Rand blühen schimmernde Rosen. Ha, deine eingefallenen blassen Wangen röten sich wie am Morgenhimmel die dünnen grauen Wölkchen, wenn Aurora in ihrer rosigen Nacktheit vor ihnen aufsteigt.«

— — — — — — — — —

Hier will ich einschalten, daß Dominus Guilbertus, unser Vater Prior selig, nicht wie ich in zarten Jahren in den Frieden unseres Ordens kam; es wurde von ihm erzählt, daß er zuvor in der Welt drei Frauen begraben, ehe er Mönch wurde, auch stammte er aus einem vornehmen Hause.

»Kommen wir zurück zu uns,« unterbrach sich der Vater Prior, den Gott selig habe, »und sprechen von der andern Gattung von Sünde. Da gibt es solche, an die zu denken uns eine Pein ist und eine Buße, weil wir uns ihrer schämen müssen vor uns selber und vor der Welt. Eine solche ist die, deren du dich schuldig gemacht hast und die dir Gott verzeihen möge; denn gibt es etwas schmerzlicheres, als daran zu denken, daß wir feig waren? Also setze dich getrost hin und schreibe; je aufrichtiger du deine Schuld bekennst, desto gottgefälliger wird deine Schrift werden, du brauchst nicht zu befürchten, in eine Salzsäule verwandelt zu werden wie das Weib des Lot.« »Aber die fleischlichen Sünden der Anderen,« wagte ich schüchtern einzuwenden.

»Die Sünden der andern, mein Sohn«, so sprach Dominus Guilbertus, »können einen frommen Mann nicht kitzeln. Erzähle getreu was du davon erfahren hast, das werden die Fettaugen sein auf deiner magern Klostersuppe.«

Ich neigte mich in Demut und setzte mich hin und schrieb. Aber als ich dann nach Wochen und Wochen zu Ende kam mit meiner Chronik, da war es auch, o Jammer, mit dem guten Vater Prior zu Ende. Eine Lähmung des Herzens warf ihn nieder, er konnte noch fromm und ergeben das heilige Viaticum empfangen, dann verschied er im Herrn.

Nun hegte ich den Gedanken, alles zu verbrennen, was ich geschrieben hatte, niemand konnte es mir wehren. Doch da sah ich im Geist den Vater Prior, wie er zuletzt auf dem Schragen lag. Das ehemals so rote Gesicht war grau geworden wie Asche und war fast erschrecklich anzusehen. Also bekam ich es mit der Angst, der Heimgegangene könnte mir mit diesem Gesicht erscheinen und mir meine Untreue gegen ihn vorhalten.

Setzte mich darum hin und schrieb noch dieses Nachwort dazu, und sobald der neue Vater Prior gewählt ist, will ich das Ganze in seine Hände legen, und er mag damit tun nach seinem Dafürhalten.


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