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Dreizehntes Kapitel

Überraschungen

Alles Unerklärliche und Rätselhafte in dem Betragen und in den Reden Bertrades wurde mir nun mit einmal verständlich, und ich mußte mich nur immer wieder aufs neue verwundern, wie es möglich war, daß die gedachten Sonderbarkeiten der Jungherrin von Armagnac mir nicht längst einen bestimmten Verdacht erweckt hatten.

Und noch heute kann ich mir meine Blindheit nicht anders erklären, als daß der Geist des Verderbens, der von Bertrade Besitz ergriffen hatte, mit seinen unsichtbaren schwarzen Flügeln einen verdüsternden Schatten auch auf meine Seele fallen ließ, daß mein Auge blind und meine Schritte unsicher wurden und strauchelten, wie die des Wanderers in der finstern Nacht.

Ja, ich Unglückseliger, ich war selber unter dem Bann des Dämons gestanden. Nun aber hatte ich die Verblendung von mir gestreift, und mit schauderndem Verstehen rief ich mir das Vergangene ins Gedächtnis, vor allem Bertrades Entsetzen über die Strafe der Karierin Byblis und ihre gotteslästerlichen Berufungen auf jenes Buch, zu dem noch immer alle Häretiker und Ketzer ihre Zuflucht genommen haben.

Und rief mir auch Wort für Wort jenen bösen Auftritt zurück in dem Gewölbe des Archivs, zwischen dem Grafen und dem jungen Gaston von St. Leu, und ein grauenhaftes Begreifen tat sich mir auf auch hier, und jedes Wort wurde mir klar in dem neuen Licht. Und konnte ich nicht mehr zweifeln, daß Herr Gaston von St. Leu ein Sehender gewesen, wo mir selber alles Sehen benommen war, und daß er um Bertrade gefeit, nicht nur weil er sie liebte und für sich begehrte, sondern noch mehr, weil sie ihn jammerte und er sie bewahren wollte vor zeitlicher Schmach und ewiger Verdammnis.

Schlecht hat es ihm der Graf gelohnt und Bertrade selber sprach von ihm als einem feigen Verräter.

Der Dämon hatte sich vor ihr Gesicht gestellt mit seinen schwarzen Flügeln, sie sah seine Liebe nicht und noch weniger konnte sie die Zukunft ahnen, wo er, der einst ihr dienender Ritter war, nun ihr Ritter St. Jörg wurde oder vielmehr ihr Schutzengel, der ihr in der bösesten Stunde ihres Lebens, wie vom Himmel herabgestiegen, erscheinen sollte, um sie vor noch größerer Schmach, als womit sie schon bedeckt war, wie durch ein Wunder zu erretten.

Ich aber, warum bin ich an jenem Tag in das Kastell zurückgekehrt?

Indem ich mir selber die Frage stelle, fallen mir verächtliche Worte ein aus dem Munde Bertrades, böse, häretische Worte, deren Veranlassung mir aber nicht im Gedächtnis geblieben ist.

»Jedermann«, so sagte damals die Jungherrin von Armagnac, »muß stets bereit sein, dem Höheren, der über ihn gesetzt ist, Gehorsam zu erweisen. Darüber aber darf er es nicht verlernen, sich selber, wenn es der Augenblick erfordert, Befehle zu geben und ihnen zu folgen. Es wäre ansonst kein Mann. Nur ihr, ihr Mönche, lernt ausschließlich einem andern zu gehorchen. In dieser Übung bringt ihr es weiter als die übrigen Menschen; aber euch selber Befehle zu geben, dies ist euch unbekannt, und ihr habt dazu alle Fähigkeit eingebüßt. Ihr erweist immer nur einem andern Gehorsam, niemals euch selber. Und so könnt ihr in eurem Innern das Gute wollen und müßt doch das Böse tun und dürft selbst vor dem Verbrechen nicht zurückweichen, wenn ihr glaubt, daß es euch befohlen ist.« – – –

Aber ist es nicht töricht von mir, so gottlose Worte hier anzuführen, aus denen der nämliche Geist der Empörung spricht, als welcher immer der Dämon des Geschlechts von Armagnac war, bis er zuletzt der Würgengel seines Untergangs wurde.

Im Gehorsam also gegen meinen Obern kehrte ich auf das Kastell zurück. Wie ich von dem Klösterlein unserer Brüder zu St. Cyriak her auf die breitere Hauptgasse hinaustrat, sprengte gerade vom untern Tor herauf ein Reiter an mir vorüber, in ritterlicher Rüstung, aber grau vom Glaub der Straße, wie einer, der einen weiten Ritt hinter sich hat. Unter der Chorwölbung von St. Stephans Münster entschwand er meinen Blicken, wie denen von vielen anderen, die aus den Bürgerhäusern und Werkstätten heraus ihm nachgeschaut hatten. Von dem Wärtel am innern Burgtor aber erfuhr ich, der Ritter sei ein Bote des Bischofs, der, zurück von seiner Romfahrt, seine Ankunft in der Stadt für den andern Tag dem Grafen melden ließ.

So verhielt es sich, und den Tag darauf, zur Zeit der Vesper, verkündete das Läuten aller Glocken von St. Stephans Münster den Einzug des Bischofs in die Stadt.

Doch begab sich Seine Gnaden nicht, wie jedermann nach löblichem Herkommen erwartete, in den Münster, um das Volk zu segnen, sondern ritt bei dem unterwölbten Münsterchor hindurch und über den Marktplatz nach der Brücke des Kastells, wo er unter dem Tor von dem Grafen in Begleitung Bertrades und des Astrologen erwartet und freudig begrüßt wurde. Dem Grafen aber sah man es an, daß er es nicht eilig genug haben konnte, sich mit dem Bischof allein zu sehen.

In demselben Gemach, von dem ich schon berichtet habe, wo das gräfliche Archiv und der beste Teil der Bücherei aufgestellt waren, schloß er sich darauf – nur der Astrolog wurde außerdem zugelassen – mit seinem Bastardbruder ein, wohl an die drei Stunden lang, so daß die Abendtafel, wozu den ganzen Tag üppige Vorbereitungen getroffen worden waren, ein Beträchtliches über die Zeit hinaus verschoben werden mußte.

Aber angenehm für den Grafen mußte die lange Verhandlung gewesen sein. Denn wie sich der Herr danach, Bertrade zu seiner Rechten, der Bischof zur Linken, der Astrolog neben Bertrade, zur Tafel setzte, zusammen mit dem ritterlichen Gefolge des Bischofs und seinem eigenen: da sah man ihn, der sich für gewöhnlich düster und schweigsam verhielt, wieder einmal lebhaft in scherzender Rede sich ergehen, wenn er nicht gutlaunig dem Bischof zuhörte, der ein lustiges Abenteuer nach dem andern von seiner Reise spaßhaft genug vorzubringen wußte.

Nur der Zweck dieser Reise wurde mit keiner Silbe erwähnt; aber, o Gott, ich habe ihn noch immer allzu früh erfahren.

Auch Bertrade hatte ihr gewöhnliches ernstes Wesen heute abend abgelegt und schien sich an den Erzählungen des Bischofs und der andern aufs höchste zu ergötzen. Nicht ohne inneres Grauen sah ich diese unbekümmerte Heiterkeit in den sonst so strengen Augen und um diesen Mund, der ein ganz anderer geworden schien. Und in angstvoller Beklemmung mußte ich mich fragen, was aus all den verborgenen Greueln werden solle.

Einstweilen aber schien es sich für den Grafen zu bewähren, daß nicht nur das Unangenehme gern in geschwisterlichen Haufen kommt, sondern daß auch ein Erfreuliches, wenn auch weniger oft, sich manchmal in verwandter Begleitung einstellt.

Denn da man gerade, als dritten oder vierten Gang der Mahlzeit, ungeheure Schüsseln voll roter Krebse austrug, womit die Herren sich wohl von neuem die Eßlust schärfen wollten, sah ich einen hereintretenden Pagen – ich saß wieder zu unterst an der zweiten Tafel – seinem Herrn flüchtige Worte ins Ohr flüstern, worüber dieser fast betroffen aufschaute. »Hat der Ritter sich genannt?« fragte er laut. »Einen Sire von Podensac nennt er sich,« antwortete der Page. Und der Graf: »Lasset den Sire von Podensac hereinführen.«

Alles hatte erstaunt aufgehorcht.

»Eine Botschaft von Herrn Karl von Guyenne,« sprach der Graf, an den Bischof sich wendend, »hoffentlich eine gute.«

Der Gesandte trat ein. Er verbeugte sich tief vor dem Grafen und der Jungherrin von Armagnac. Der Graf nickte freundlich.

»Herr von Podensac,« rief er, »ich brenne vor Ungeduld, was Zeitung Ihr mir bringt; ist sie gut oder schlimm? Ein Wort nur.«

»Die beste,« antwortete der Ritter.

Die Gesichter verloren ihre ängstliche Spannung, und der Graf winkte dem Gesandten, zu sprechen.

»Schnell das entscheidende Wort,« Herr von Podensac.«

»So denn,« sprach dieser, »die allerchristlichste Majestät ist – –«

»Tot?« fiel ihm Bertrade fast jubelnd ins Wort.

»Gefangen,« vollendete der Ritter.

»Von dem Burgunder?« fragten viele Stimmen zugleich.

»Von seinem Vetter von Burgund.«

Lebhafte Freudenrufe erhoben sich bei diesen Worten rings um die Tafel; der Graf aber befahl, dem Herrn von Podensac einen Platz an der Tafel einzuräumen, den nächsten nach dem Bischof, und ihm Speise und Trank zu reichen, zu seiner Stärkung. Doch konnte man ihm leicht anmerken, wie schwer es ihm fiel, sich zu gedulden. Auch beeilte sich der Gesandte, der ein geschulter Hofmann sein mochte, zu versichern, daß er einzig um einen Trunk Weines bitte, bevor er ausführlich seinen Bericht erstatte. Er tat aber nur einen leichten Schluck aus dem silbernen Becher, den ihm ein Page darreichte, so sehr beeilte er sich, der Höfische, die Ungeduld des Grafen und seiner Gäste zu befriedigen.


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