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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Diesirae

Am Morgen darauf um die neunte Stunde hatte ich mich hinunter begeben, um vor Bertrade und ihren Frauen die morgendlichen Metten zu lesen. Bei meinem Antreten beurlaubten sich gerade der Bischof von Lectoure und der Kanzler von Armagnac bei der Herrin, um sich ein letztesmal nach dem Lager der Königlichen zu verfügen wegen der noch ausstehenden Vereinbarungen über den vorläufigen Aufenthaltsort der Gräfin und ihres Hauses. Über diesen Punkt der Abmachungen aber hatte der Graf aus wohlerwogenen Gründen die Herrin unwissend gelassen, weil sie einstweilen nicht erfahren sollte, daß die Lösung ihrer Ehe eine der wesentlichsten Voraussetzungen des abgeschlossenen Vertrags bildete.

Ich aber, als die beiden Herren gegangen waren, begann die heilige Lesung. Und es dauerte nicht lange, so trat der Graf zusammen mit Don Palamedes in das Gemach. Er winkte mir aber, daß er mich nicht stören wolle und zog sich mit dem Astrologen in den vorspringenden Erker eines entfernten Fensters zurück, wo sich beide leise miteinander unterredeten.

Auch die gelbgefleckte Bestie, die Lieblingsrüde des Grafen, war mit hereingekommen. Sie hatte sich vor dem Sessel ihres Herrn auf die Hinterbeine gehockt, und der Graf streichelte ihr zärtlich den Kopf, den das Tier an seine Knie schmiegte. Der Astrolog stand aufrecht mit dem Rücken gegen das Fensterkreuz, und ich sprach eben die Worte des Psalmisten: Misericordia tua, Domine, rigat orbem universum.

Da tat sich abermals die Türe auf, und vor unsern Blicken erschienen auf der Schwelle zwei hohe Gestalten in ritterlich kriegerischer Rüstung. Damals wußte ich es nicht, es war aber der eine von ihnen, der mit dem braunroten Gesicht, Herr Robert Sire von Balzac, und der andere mit dem herabhängenden roten Lippenbart war sein Leutnant, Herr Wilhelm von Montfaucon.

Bei ihrem Anblick erhob sich der Graf – er trug ein langes Hausgewand von gelber Seide – um den Besuchern grüßend entgegen zu gehen, während die Rüde mit zornigem Knurren aufsprang.

Gleichzeitig traten die Herren von Balzac und von Montfaucon auseinander, ohne auf die grüßende Gebärde des Grafen zu achten, und Herr Robert von Balzac rief – wie mir scheint in Anspielung an jenes Jagdabenteuer des Grafen mit dem nachherigen König in den Wäldern von Brabant – »heute«, so rief er, »wird der Eber gefährlicher sein als der Armagnac; los, Peter Gorgias, tue, wie dir geheißen worden.«

Auf dieses Wort des Herrn Robert von Balzac trat zwischen den beiden Geharnischten ein unförmlich kurzer Kerl hervor mit einem Wams aus stacheligem Eberfell und einem ebensolchen Eberkopf als Helm aufgestülpt, dem aber nun die gelbgefleckte Rüde jäh an die Kehle fuhr. Doch war der Stachelige gut vorgesehen. Er stieß dem Tier von unten her sein breites Schwert in die Gurgel, daß es röchelnd in seinem dampfenden Blut zusammenbrach. Mit dem besudelten Schwert warf sich darauf der entsetzliche Würgengel auf den Grafen. Er traf ihn derart auf das ungeschützte Haupt, daß der arme Herr rücklings niederschlug. Dann setzte ihm das Ungeheuer den eisenbeschlagenen Schuh auf das Gesicht, riß ihm das Gewand von Hals und Schultern und stieß ihm die qualmende Waffe oberhalb der Rippen in die nackte Brust.

Ein lautes Geheul der entsetzten Frauen erhob sich, und die Herrin von Armagnac – was mag ihr diese Kraft gegeben haben? – stürzte sich auf den Grafen, dessen Glieder im Krampfe aufzuckten, und küßte ihn immer und immer wieder auf die blutige Stirne, indem sie ihm zugleich mit ihrem Tüchlein das niederrinnende Blut aus den Augen wusch. Er tat nur noch wenig Atemzüge.

Unterdessen geschah das Schauervollste dieses Auftritts. Der borstige Henker hatte das Schwert auf den Astrologen gezückt, der immer noch unbeweglich dastand, mit dem Rücken sich gegen das Fensterkreuz lehnend. Aber jetzt, als das blutige Schwert über ihm schwebte, streckte er starr mit gespreizten Fingern beide Arme vor, und während ihm die Augen weit und rund aus dem Kopf traten, stieß er in einer fremden Sprache und mit schauderhafter Stimme schreckliche Worte hervor, daß ich mich unwillkürlich bekreuzte. Dem Borstigen entsank das Schwert, und mit dem Ausruf: »Der Teufel, Jesus Maria, hilf,« entfloh er. Der Gelbgesichtige aber griff behend nach der blutigen Waffe und eilte dem Fliehenden nach und ist seitdem nicht wieder gesehen worden.

Der Sire von Balzac und Wilhelm von Montfaucon hatten sich schon vorher entfernt, von dem Markt herauf aber drang ein unheimlicher Tumult, man hörte Flüche und Klagegeschrei und durch die Fenster glomm es wie der rote Schein einer Feuersbrunst. Von Flur und Treppe stieg ein wildes Gepolter herauf und eine ganze Rotte von Lanzenknechten drang in das Gemach. Sie stürzten sich auf die Frauen, und nachdem sie ihnen ihr Geschmeide abgenommen, rissen sie ihnen die Kleider vom Leib und warfen sich über sie in tierischer Roheit. Einer erkannte die Herrin von Armagnac, und unter scheußlich unflätigen Worten und Anspielungen auf den Zustand ihres Leibes schickte er sich an, ihr Gewalt anzutun über der Leiche des gemordeten Grafen. Da besann sich mein Blut auf seine Abstammung.

»Soldaten des Königs,« rief ich, »schändet nicht den Namen Eures Herrn.«

Eine Faust stieß mich gegen die Brust, und in demselben Augenblick war es mir, als ob der heilige Jörg, der Ritter und Patron der Ritterschaft, strahlend unter der Tür erscheine.

»Hunde,« schrie eine Stimme, es schien mir die Stimme des Herrn Gaston von St. Leu. Noch einmal fühlte ich es wie einen Stoß oder Schlag gegen die Schläfen und dann ...

»Er kommt zu sich, er öffnet die Augen,« hörte ich freundlich über mir sagen.


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