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Sechzehntes Kapitel

Der Herzog von Nemours

Oh, der erschrecklichen Botschaft, die Meister Gratian Favre in dieser Nacht – die einst der Menschheit eine so frohe gebracht hat – der gräflichen Tafelrunde aufzutischen gekommen war, erschrecklich nach ihrem Inhalt und zugleich von bösester Vorbedeutung dessen, was zu kommen drohte. Und dies war seine Hiobspost:

Herr Jakob von Armagnac, Graf von La Marche und Herzog von Nemours, war vom Parlament zu Paris zum Tod verurteilt und auf dem Greveplatz jener Stadt enthauptet worden.

Eine grausame Runde war's, und grauenhafte Verwünschungen und Beschimpfungen wurden von allen Seiten gegen des Herrn Ludwig geheiligte Majestät ausgestoßen. Die Feder müßte sich sträuben, sie niederzuschreiben, und ich darf um so eher darauf verzichten, als mich selbst an diesem Abend das Gefühl beschlich, es habe in diesem Akt der strafenden Gerechtigkeit Herr Ludwig allzusehr der christlichen Barmherzigkeit ermangelt. Ja, etwas wie unmutige Mißbilligung schier regte sich mir im Herzen, verzeihe mir, mein Heiland und Erlöser, der in dieser Nacht im Stall zu Bethlehem der verbrecherischen Menschheit seine ganz große Barmherzigkeit hat zuteil werden lassen. Aber freilich, wer darf sich unterfangen, sich zum Richter aufzuwerfen über den, den Gott uns allen zum Richter gesetzt hat.

Anders dachten die ritterlichen Tafelgäste in ihrer zornigen Entrüstung, sie schreckten vor den ekelhaftesten Namen nicht zurück, Bertrade erklärte die Hinrichtung des unglücklichen Herzogs für einen unerhörten Raubmord.

Am ruhigsten verhielt sich der Herr Graf von Armagnac. Er sprach aber seine Verwunderung aus darüber, wie das Parlament, das durch zwei Jahre hindurch laut die Unschuld des Herzogs proklamiert hatte, sich doch noch zu seiner Verurteilung hatte drängen lassen.

— — — — — — — — —

Und Meister Gratian Favre, der Kanzler – man hatte ihm zu unterst des Herrentisches einen Platz angewiesen – gab dafür eine Erklärung.

Danach war es in Wahrheit nicht das Parlament, das den Herzog verurteilt hat, sondern eine vom König willkürlich zusammengesetzte Kommission, deren wichtigste Mitglieder von ihm bestochen waren. Keinen einzigen Paire von Frankreich hatte der König dazu berufen. Und fern gehalten, wie die Großen des Reichs, wurde unter einem plumpen Vorwand auch der Herr von Montaigu, der Kanzler von Frankreich, der bis jetzt die Unschuld des Angeklagten lebhaft verteidigt hatte. Die Mehrzahl bestand aus niedrigen Gerichtspersonen, die nicht zum Parlament gehörten, bis hinunter zum Königsleutnant der Sicherheitspolizei und dem königlichen Advokaten des Châtelet. Den Vorsitz dieses Gerichtshofes führte der Schwiegersohn des Königs, Herr Heinrich von Bourbon, Sire von Beaujeu, der aus der Beute des Herzogs bereits die Grafschaft La Marche erhalten hatte. Ein anderes reiches Lehen des eingekerkerten Herzogs, die Grafschaft Castres, hatte der König auch bereits vergeben, nämlich an Herrn Boffile von Judici, und dieser wurde neben dem Bourbon zum zweiten Präsidenten ernannt.

So wenigstens berichtete es Meister Gratian Favre, der Kanzler von Armagnac.

»Hab ich es nicht gesagt,« rief zornflammend Bertrade, »daß der Lutz ein gemeiner Raubmörder ist?«

»Schlimmer, hundertmal schlimmer als ein Raubmörder,« riefen mehrere Stimmen zugleich.

»Dieser Ludovicus«, sprach Don Palamedes mit eiskalter Ruhe, »ist unter den Königen, was sein Wicht Galeotti unter den Weisen.«

Über diese Worte mußte selbst – ich bringe es nicht in die Feder, sie Frau Gräfin zu nennen – mußte selbst Bertrade lächeln.

Der Kanzler nahm wieder das Wort:

»Aber sogar diesem dergestalt zurechtgestutzten Gerichtshof«, fuhr er fort in seinem Bericht, »mißtraute der König noch, und er ließ kurz vor Fällung des Spruchs durch einen unerhört willkürlichen Befehl die ganze Versammlung nach Nyon in das königliche Kriegslager berufen, wo er dann das Urteil erlangte wie er es wünschte, und schon drei Tage darauf wurde der Spruch vollzogen.«

»Diese Hast«, bemerkte der Bischof, »besagt für uns nichts Gutes.«

»Königliche Sparsamkeit, gnädiger Herr, nichts als königliche Sparsamkeit,« antwortete in verändertem, fast lustigen Ton der Kanzler. »Ihr wißt, was für ein großer Knicker dieser Lutz ist, wenn es sich nicht etwa um seine himmlischen Patrone handelt. Wenn er den Nemours nicht weggeschafft hätte, würde es ihn einen neuen eisernen Käfig gekostet haben. Er hat nämlich in den leergewordenen jetzt seinen dicken Hans einsperren lassen, den Kardinal La Balue, den geistreichen Erfinder dieser Art Einkerkerung. Ja, er hat ihn hineinstecken lassen, sogar ohne den Papst in Rom vorher um Erlaubnis zu fragen. Was sagen Eure Gnaden dazu?«

»Du scherzest zur ungelegenen Stunde, Meister Gratian,« sprach der Graf mit verweisender Strenge.

»Herr,« versetzte der Kanzler mit dem früheren Ton seiner Rede, »was ich sagte, klingt allerdings wie ein lustiger Scherz, es ist aber nur ein plumper Ernst; der Lutz will herausgefunden haben, daß ihn sein Kardinal damals in der Stadt Peronne mit Absicht in die böse Falle gelockt hatte. Ein aufgefangenes Brieflein des Balue an Karl von Burgund – –«

Der Kanzler konnte seinen Satz nicht zu Ende sprechen. In barscher Bewegung hatte sich der Graf erhoben.

»Genug,« sagte er mit harter Stimme. »An uns ist es nun, zu handeln. Dazu bedarf es ruhiger Überlegung.«

Nach diesen Worten gab er seinen Rittern den Nachtgruß, und indem er Bertrades Hand ergriff, folgte er mit ihr den vorschreitenden Fackelträgern, zusammen mit Don Palamedes und dem Bischof von Lectoure, dem gräflichen Kämmerer Herrn Richard, Sire von Astaffort, und Meister Gratian Favre dem Kanzler.

Jedermann hatte sich erhoben, und alles verließ die Halle, gruppenweise oder einzeln. Viele scherzten unter lautem Gelächter über den eingesperrten Kirchenfürsten, diesen Kardinal Balue, dem sie das grausame Schicksal von Herzen gönnten. Die meisten aber verhielten sich ernst, und mir schien's, als ob die Worte und Mienen der Abgehenden mehr von banger Besorgnis redeten über die Zukunft des Grafen, als von Zuversicht und Vertrauen.

Am Morgen des andern Tags, als an dem Fest der Geburt unseres Herrn und Heilands, kam nach den Metten Meister Longinus Courtebras, der Schreiber des Kanzlers, zu mir mit dem Bescheid, daß sein Herr mit mir zu sprechen wünsche.

Es war nicht das erstemal, daß der Kanzler des Grafen mich zu sich kommen ließ. Schon früher hatte ich ihm bei der Entzifferung alter Dokumente oder bei der Abfassung wichtiger Schriftwerke öfter gedient. Doch wunderte ich mich, daß ich am Tag des hohen Christfestes zu einer Arbeit sollte gerufen werden.

Geführt von Meister Longinus fand ich den Kanzler in seinem Quartier, das zur Wohnung des Kastellans gehörte. Er saß an einem Tisch von braunem Eichenholz mit geschrägten Beinen und ordnete Papiere. Nachdem er sein Gesicht mit den kurzen roten Bartzotteln und den gelbbewimperten Augen, über denen die Brauen fehlten, zu mir emporgerichtet und mich fast freundlich begrüßt hatte, ließ er mir durch den Schreiber einen Stuhl an den Tisch rücken, worauf Meister Longinus sich entfernte.

»Frommer Vater,« redete der Kanzler mich an, »Ihr waret mir des öfteren zu Diensten, dafür habe ich Euch von der Stadt Paris ein Christgeschenk mitgebracht, das Euch Freude bereiten wird, wie ich Euch kenne. Denn Ihr werdet daraus ersehen, daß auch ein Armagnac der christlichen Gnade zugänglich ist.«

Meister Gratian breitete während dieser Worte einen vielfach gefalteten Brief sorgfältig auseinander und legte ihn vor mich hin.

»Dies ist die Kopie des Briefes,« sagte der Kanzler, »den der Herzog von Nemours kurz vor seiner Verurteilung an den König geschrieben hat. Zahlreiche Abschriften, wie auch dieses eine ist, wurden davon verbreitet, das fromme Volk von Paris fand das Schriftstück in hohem Grad erbaulich, und viele übergossen es mit ihren Tränen; denn ein christlicher Tod rührt die Leute zumeist noch mehr als ein christliches Leben. Ich muß aber zweifeln, ob unser Herr, der Graf, die Sache ebenso genommen hätte, darum schwieg ich davon.«

— — — — — — — — —

»Was habt Ihr verschwiegen?« fragte plötzlich die Stimme Bertrades.

Wir fuhren beide erschrocken in die Höhe und erblickten die Herrin von Armagnac vor dem Vorhang, der unser Gemach von dem anstoßenden Raum trennte.

Der Kanzler gewann zuerst seine Selbstbeherrschung zurück.

»Lest, Herrin,« sprach er, »und urteilt selber, ob ich Recht oder Unrecht getan habe.«

Damit reichte er der – wie es mich Überwindung kostet, das Wort zu schreiben – der Gräfin von Armagnac den genannten Brief.

»Oh, der Feige,« rief sie, als sie noch kaum einige Zeilen gelesen hatte.

Und dann plötzlich aufschauernd:

»Nein, das ist nicht möglich. Das kann ein Armagnac nicht geschrieben haben. Kanzler, man hat Euch betrogen, und das da ist sicher eine schurkische Fälschung; nein, nein, das kann ein Armagnac nicht geschrieben haben.«

Meister Gratian Favre richtete in Verlegenheit die Blicke zu Boden.

»Steht mir Rede, Kanzler!« die Herrin schrie es fast. »Glaubt Ihr an die Echtheit dieses Schriftstücks?«

»Seine Echtheit«, antwortete der Gefragte, »wurde mir beglaubigt von Dom Guillelmus aus der Abtei St. German, genannt bei den Wiesen. Es war dies der letzte Beichtvater des hingegangenen Herzogs.«

»O Kanzler,« versetzte Bertrade von Armagnac, »Ihr seid sehr leichtgläubig. Kennt Ihr die Priester so schlecht? Euer Dom Guillelmus hat sicher den Brief verfaßt, um sich vor dem Volk der Bekehrung des Herzogs zu rühmen.«

»Herrin,« sprach Meister Gratian, indem er seinen Blick emporrichtete, »Ihr wißt, wie günstig der Herr von Montaigu, der Kanzler von Frankreich, dem hingegangenen Herzog gesinnt war. Er hat mir im Palaste von St. Paul eine Audienz gewährt, und aus seinem Munde habe ich es, daß er das Schreiben im Original gesehen hat, von des Herzogs eigener Hand.«

Bertrade war verstummt. Ihre Augen folgten jetzt wieder den Zeilen des Briefes.

»Wie scheußlich!« unterbrach sie sich, las aber dennoch weiter, plötzlich aber zerrissen ihre Hände das Blatt, zerknitterten die Stücke und warfen sie auf den Boden.

»Oh, der Elende,« knirschte sie, »eine solche Feigheit.«

»Er verdiente eher Euer Mitleid als Euren Zorn,« wagte der Kanzler zu bemerken, »und Ihr solltet bedenken, was aus einem Manne werden kann, der zwei Jahre hindurch in einem engen eisernen Käfig wie ein wildes Tier gehalten worden ist.«

»Dürfen wir zum Tier werden, weil uns ein anderer als Tier behandelt?« antwortete Bertrade. »Nie hätte der große Connetable von Armagnac sich zu einem solchen hündischen Gewinsel verstanden, und im Grabe würde er sich umdrehen voll Unwillen über solche Schwachheit, wenn anders seinem zerrissenen und zerfetzten Leichnam ein Grab wäre gegönnt worden. Noch wird je mein Herr, der Graf, in welche Lage er auch kommen möge, und ich bin stolz darauf, auch nur um eines Haares Breite seine Stirne beugen vor dem aashungrigen Geier von Plessis-les-Tours. Ein wahrer Armagnac umarmt lieber den blutigen Untergang, als auch nur den Schein einer bleichen Ergebung auf sich zu laden.«

So die Herrin von Armagnac. Und stolz reckte sich ihr junger Leib in die Höhe bei ihren Worten, ihre Rechte aber machte eine Bewegung, als ob sie die Frucht in ihrem schon hochwerdenden Schoß beruhigen und beschirmen wolle mit mütterlicher Zärtlichkeit. Nichts Zärtliches aber lag im Blick ihrer großen schwarzen Augen. Aus ihnen schaute der Dämon, der sie verderben sollte. Dennoch hätte niemand in diesem Augenblick geglaubt, und auch ich selber nicht, daß ihre zuversichtlichen Worte schier bald Lügen gestraft und die stolze Sprecherin selber die Ursache werden sollte, um derentwillen der Graf, der Harte und Unbeugsame, weich wurde, und beträchtlich mehr als um Haaresbreite sich beugte, wenn auch auf andere Art als sein unglücklicher Blutsverwandter.

Eine kurze Weile hatte Bertrade geschwiegen.

»Habt Ihr nicht gesagt,« wandte sie sich dann plötzlich an Meister Gratian, »daß das fromme Volk von Paris den Büßerbrief des Nemours mit seinen Tränen genetzt habe? Oh, dieser Pöbel, diese Hunde! Den großen Bernhard von Armagnac, den Connetable, haben sie, vom König gehetzt, mit ihren Zähnen zerrissen, die Wütenden; ein feiges Jammern aber entlockt ihnen Tränen. Was soll ihre feige Rührung? Warum haben sie sich, die eine vieltausendköpfige Masse sind, nicht zusammengerafft und jenes Kastell, wie heißt man's? die Bastille gestürmt, um den Mann ihrer Tränen zu befreien, und soll denn dieser Boden von Paris, schmutzig vom Unrat des Gesindels, alles Blut von Armagnac trinken?«

»Herrin, worin kann ich Euch dienen?« fragte voll Teilnahme der Kanzler.

Bertrade griff sich an die Stirne. Sie schien vergessen zu haben, warum sie gekommen war und verließ ohne Antwort das Gemach.

Ich aber sammelte die zerknitterten Stücke des zerrissenen Briefes vom Boden auf, und während Meister Gratian das mannigfaltige Geschrift auf dem Tische ordnete, machte ich mich daran, die getrennten Teile aneinander zu fügen, um sie zu lesen. Nachher habe ich sie abgeschrieben, so daß ich den denkwürdigen Brief hier einfügen kann.


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