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Siebentes Kapitel

Das Gastmahl des Gotteslästerers

Sein weiterer Verlauf

Ein lauter Tumult erstickte die letzten Worte des Grafen. Der Oberküchenmeister hatte gerade einen gebratenen Pfau auf die Tafel gestellt, dem sein farbig schillernder Schweif, zum hohen Rad emporgerichtet und entfaltet, künstlich angeheftet war, was denn sehr verwunderlich aussah. Aber beim Niederstellen des gaukelnden Schaustücks auf den Tisch war eine der Federn an die Flamme einer Wachsfackel geraten, die den Tisch erhellten, und hatte Feuer gefangen. Ein Nu, und die ganze stolze Federnpracht stand prasselnd in Flammen, so daß alles die Stühle rückte und erschreckt vor dem knisternden Feuer zurückwich. Als aber die langen Federstiele sich zu glühroten Spiralen rollten und unter seltsamen Verbiegungen und Verkrümmungen sozusagen in nichts zerschmolzen und niemand Schaden genommen hatte – als daß ein häßlicher Gestank den Saal erfüllte – verwandelte sich der augenblickliche Schreck in doppelte Heiterkeit.

Nur der Astrolog war unbeweglich und ernst verharrt und hatte mit seinen langen weißen Fingern Zeichen vor sich hin auf das Tischtuch geschrieben. Ungeduldig und mißbilligend hatte der Graf in das feurige Federspiel geblickt.

»Der Verdacht besteht,« rief er jetzt zum zweitenmal seinem Bischof zu.

»Und braucht's noch eines Beweises,« fiel der Abt von St. Macaire ein, »seitdem sein eigener Narr geplaudert hat, der nun von ihm weggelaufen und bei unserem Herrn Karl von Guyenne in Dienst getreten ist, weil's ein ehrlicher Narr war, was man von dem Schaumpeitscher Olivier nicht sagen kann, der den Lutz balbieren darf, bis es diesem etwa einfällt, ihn selber durch seinen Gevatter Tristan balbieren zu lassen. Wo aber der rasiert, da geht gleich der Kopf mit. Nein, nein, dem will ich seine Ehrlichkeit nicht absprechen. Er ist ein Henker, vor dem jeder ohne Sträuben den Hut abzieht, schon aus Angst, der Gevatter könnte ihm die Haut über die Ohren ziehen.«

»Zur Sache, zur Sache, mein lieber Abt,« mahnte ungeduldig unser gnädiger Herr.

»Bin ich schon,« gab der Abt dawider. »Nämlich der genannte Narr, als er noch im Dienste dessen stand, den sie den König von Frankreich nennen, hat aus dem Munde seines Herrn ein Gebet erlauscht, ein wahrhaft königliches Gebet, ein hanswurstiges Gebet auch, wenn Ihr lieber wollt. Zu Clery war's, im Frauenmünster, der König glaubte sich allein in der Kapelle, sein Narr aber war ihm nachgeschlichen und hörte ihn nun laut beten auf den Knien vor dem Altar der Mutter Gottes, Und also betete Lutz, der König:

›Oh, meine gute Fraue,‹ betete er, ›meine angebetete Herrin, meine süße Fraue, meine Herzallerliebste, mein Liebchen vor allen, mein Trost und meine Stärkung, du, ich flehe dich an, bei Gott für mich zu bitten und meine mächtige Fürsprecherin zu sein bei ihm, daß er mir den Tod meines Vaters verzeihe, den ich vergiften ließ durch den verruchten Abt von Saint-Jean-d'Angely. Ich beichte es dir, meine Beschützerin und Stellvertreterin Gottes. Reumütig bekenne ich mich dir, aber, bei Gott, was mußte er mir auch nach dem Leben streben und selber ewig leben wollen! Erwirke mir die Verzeihung meiner Sünde, schöne himmlische Dame. Du weißt am besten, wie freigebig ich sein kann, wenn man mir einen Gefallen tut.‹«

»Herrlich, herrlich!«

»Der echte Lutz.«

»Ein unglaubliches Gebet.«

»Ein gotteslästerliches Gebet.«

Von allen Seiten erscholl es also.

»Ihr müßtet es erst von Meister Vorax, dem Narren, hören,« rief der von St. Macaire dazwischen. »Der Narr gibt Euch auch die dazu gehörigen Grimassen in Kauf, die Gebetsgrimassen des Lutz, er hat sie sich gut gemerkt, es ist zum Scheckiglachen.«

»Er ist nicht dumm, der Lutz,« sprach unser gnädiger Herr, »er denkt: wozu hat man die Heiligen. Und was ihm zu nichts nützt, das kauft er nicht teuer. Er hätte einen guten Krämer gegeben.«

»Ist er ohnedies,« sprach zur Seite des goldgesternten Astrologen der Kastellan von Montcuq. »Erinnert Ihr Euch des Geschreis um seine Pilgerfahrt zu St. Michael vom Stein im Nordermeer? Und was war's? Wen hatte er zugleich hinbestellt? Ein Dutzend Männer der teutonischen Hanse, die ihm an die hundertundsiebenzigtausend Florinen in Gold brachten für einen Freibrief, in allen französischen Städten ihren Handel treiben zu dürfen. Ist dieser Krämerkönig nicht ein ganz verschmitzter Pilgrim? Wie die Herren von der schlauen Hanse das Gold seinen Untertanen wieder abschröpfen, macht ihm keine Beschwerde.«

»Sogar mit alten Knochen handelt er,« begann ein anderer, dessen Namen ich vergessen habe.

»Mit den Knochen seiner verehrten Heiligen, wir wissen es,« warf der Abt von St. Macaire dazwischen.

»Ja,« der andere Sprecher, »öffentlich verehrt er sie inbrünstig, und heimlich verhandelt er sie nach Flandern, Schwaben und Österreich, wo das Volk noch ein wenig dümmer zu sein scheint als bei uns. Drei Wagen voll des morschen Gebeins hat er sich vom Papst in Rom zum Geschenk machen lassen.«

»Die Römer«, hörte man eine andere Stimme, »sollen gegen den Papst rebelliert haben, weil er dem Lutz zuliebe die Stadt so vieler heiliger Reliquien beraubte.«

»Bah, glaubt das nicht,« sprach unser gnädiger Herr, der immer mit sanftester Stimme die grausigste Lästerung vorbrachte. »Gelacht haben sie, die Römer, und ihr Papst am lautesten, die sind nicht so dumm da unten. Außerdem hat der Papst dem gescheiden Lutz nur falsche Ware geschickt.«

»Kein Schaden,« bemerkte Herr von Astaffort, der gräfliche Kämmerer, »das Geschäft hat er dem Lutz damit nicht verdorben.«

So gingen hin und her die Reden über die geheiligte Person des Königs. Ein einziger wagte es, sein Verteidiger zu sein. Das war aber nicht der furchtsame Herr von Clamecy, den der König unserer Stadt Lectoure zum Bischof gesetzt hatte. Er schwieg in seiner Verzagtheit. Und war ihm doch nicht zum Heil.

Der aber jetzt das Wort erhob für den König, war ein Greis, kahl von Haupt und hager, dem Grab nicht ferne stehend. Der Seneschall von Lauzère hieß er. Er konnte die Reden über die heiligen Reliquien nicht verdauen.

»Der Lutz«, rief er mit fester Stimme, »mag ein Giftmischer und Vatermörder sein, ein großer Hurer und wortbrüchiger, falsch gegen Freund und Feind, ein schäbiger Krämer auch, trotz seiner Krone; aber, darauf will ich den Fronleichnam nehmen, mit Gott und seiner heiligen Mutter meint er es aufrichtig.«

»Wie sein Gevatter Tristan mit den Gehenkten,« rief der Kämmerer dazwischen.

»Wie der Jud' mit dem Betrogenen,« ein anderer.

»Wie Judas, als er seinen Meister küßte.«

Die Stimme Bertradens hatte dies gesprochen.

»Komm zu mir her, Bertrade,« rief unser Herr.

Sie erhob sich und näherte sich dem Grafen in demütiger Haltung. Der aber ergriff ihren Kopf mit beiden Händen, beugte ihn rückwärts zu sich nieder und küßte sie auf den roten Mund.

»Freunde,« rief er darauf, »bei diesem Kuß auf reinen Lippen sagt mir eins: wer ist königlicher, wer Gott mutig leugnet oder wer mit feigen Lippen zu Gott winselt, wie jener Lutz oder Lux auf Plessis-les-Tours, und dann bei jeder gelungenen Schurkerei sich heimlich ins Fäustchen lacht gleich einem Schelm, weil er glaubt, seinem Gott wieder einmal glücklich ein Schnippchen geschlagen zu haben.«

Lautes, gellendes Lachen antwortete auf diese Lästerung Gottes und des frommen Königs. Nur der Mann im feuerfarbenen Kleid mit den eingewirkten goldenen Sternen stimmte nicht mit ein, er schien niemals zu lachen. Feierlich wie zum Schwur erhob er seine Rechte, und als es darauf still wurde, sprach er das grauenhafte Wort:

»Wer Gott leugnet aus der Kraft seiner Seele, der ist stärker als Gott.«

Mir ging ein Frösteln durch mein Gebein. »Das Gastmahl des Belsazar«, dacht ich mit Schaudern, und unwillkürlich richtete sich mein Auge nach der Decke; denn ich meinte nicht anders, als daß dort in Flammenschrift die furchtbaren Richterworte erscheinen müßten: Mene, mene, tekel upharsin.

Flammende Buchstaben erschienen dort nicht; dem ohngeachtet zitterte ich noch heftiger, denn in den Zwickeln des Gewölbes, auf himmelblauem Grund, sah man in lebhaften Farben heilige Bilder gemalt aus der Zeit der frommen Gräfin-Mutter, darunter eine Figuration des Jüngsten Gerichts mit der Glorie der Heiligen zur Rechten, den erschreckenden Gestalten der Verdammten zur Linken.

Die Verführung unserer Ureltern Adam und Eva durch den Dämon der Empörung und die Verstoßung der Gefallenen aus dem Garten des Paradieses sah man da ebenfalls vorgestellt. Ich fühlte den kalten Schweiß mir auf die Stirne treten.

Aber trotz meinem Entsetzen blieb ich fest gebannt auf meinem Sitz, ich feiger Knecht Gottes. Und mußte mich beschämt sehen von einem, von dem ich doch gering dachte in der eigenen Seele, nämlich von dem Herrn von Clamecy, dem Bischof von Lectoure.

Bleich im Antlitz wie die gekalkte Wand und mit schlotternden Knien sah ich ihn sich erheben mit dem weißen Hermelin über dem violenfarbenen Tatar. Krampfhaft stützte er sich gegen die Tischplatte, zwischen den beiden Kapitelherren, die sich ebenfalls erhoben hatten. Dann verneigte er sich vor dem Grafen und unserer gnädigen Herrin und bat stotternd um Urlaub.

»Dir wird's unheimlich, Pfäfflein,« schalt unser Graf lachenden Mundes; »geh denn zum Teufel. Und so du etwa die Absicht hegst, an deinen König einen Bericht abzufassen über unsere Reden, tu's getrost, wenn dir nicht zuvor die Luft vergeht.«

Und dann sah ich den Bischof und seine Begleiter unsicheren Schrittes, wie Gerichtete (und doch waren in Wahrheit sie die Richter), durch die Halle nach dem Ausgang sich entfernen.

Oben am Tisch aber hatte der Abt von St. Macaire sich erhoben, und jetzt hinter dem Sitz des Grafen stehend, neigte er sich zum Ohr seines Herrn, dessen Bastardbruder er war. Nur wenige Worte schien der Graf zu flüstern, aber aus den Augen des Bastards leuchtete dabei ein seltsam Flimmern, dann verließ er gleichfalls rasch die Halle, kehrte aber in wenigen Minuten auf seinen Sitz zurück.

Auf die Tischgespräche mit Aufmerksamkeit hinzuhorchen, war ich nicht mehr imstande, Lachen und Reden gingen immer wirrer durcheinander, und als bald hernach unsere gnädige Frau und Bertrade sich ebenfalls beurlaubten, durfte auch ich mich erheben und ihnen folgen, da es zu meinen Offizien gehörte, unseren Frauen vor dem Schlafengehen die Vesper zu lesen. Doch winkte mir unsere gnädige Gräfin für heute ab und ließ mir durch einen der drei Pagen, die mit Fackeln folgten, auf meine Kammer leuchten. Dort las ich fast zerstreut mein Breviarum und wollte dann den Schlaf suchen, konnt' ihn aber lange nicht finden, wie männiglich begreifen wird, da meine Gedanken sich nicht beruhigen wollten über all die ungeheuerlichen Erlebnisse dieses Abends. Auch mußte ich seltsamlicherweise immer wieder an jenen Herrn Gaston von St. Leu denken, dessen sanfte Augen mir auf ein frommes Gemüt zu deuten schienen, worüber ich selber zum Narren und Träumer wurde, indem ich mir einbildete und ausmalte, welches Glück es für Bertrade sein möchte, wenn dieser sanfte Jüngling vielleicht ihre Hand gewönne, anstatt des treulosen Grafen von Foix. Ja, ich war ein Narr, denn trotz aller schlimmen Anzeichen hegte ich, ohne es mir recht bewußt zu werden, im heimlichen Herzen so etwas wie ein brüderliches Gefühl gegen dieses blendende Geschöpf Gottes, dessen sich doch Satanas, wie sich bald zeigte, schon halb bemächtigt hatte. So geblendet war mir der Geist. Ich war ein großer Schalksknecht des Herrn.

Gar nicht aus dem Sinn kommen wollte mir auch der Herr von Clamecy, unser Herr Bischof von Lectoure, den unser gnädiger Herr mit so bösen Worten beurlaubt hatte.

Meine schlimmen Ahnungen aber wurden weit übertroffen durch die Zeitung, die am andern Morgen, als am Fest der Auferstehung unseres Herrn, von Mund zu Mund ging. Fünfhundert Schritte vom äußern Burgtor, wo der Weg durch das gewölbte Tor von St. Stephans Münster nach dem Freimarkt führt, nahe bei dem Röhrenbrunnen mit St. Florian auf der Säule, fand man den Bischof von Lectoure und seine beiden Genossen ermordet in ihrem Blut liegen. Der Bischof war, wie einst unser Herr Jesus am Kreuz, mit einer Lanze durch die linke Brust gestochen, den beiden Herrn vom Kapitel war die Kehle durchschnitten.

Aber nur kurz wurde von dieser Bluttat gesprochen. Da unser Herr, der Graf, dazu schwieg in eisiger Verschlossenheit, schlossen sich bald auch die Münder der andern, und niemand verwunderte sich, als man am Sonntag Quasimodogeniti am Kreuzgang von St. Stephan eine Ankündigung angeschlagen fand, des Inhalts: Das bischöfliche Kapitel habe zum Bischof von Lectoure an Stelle des Ermordeten den hochwürdigen Abt von St. Macaire erwählt, dessen Inthronisation und Belehnung mit Ring und Siegel durch unsern gnädigen Herrn, den Grafen, auf den folgenden Sonntag Miserikordias Domini festgesetzt sei.


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