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Sechstes Kapitel

Das Gastmahl des Gotteslästerers

Das Fräulein von Armagnac bekam ich erst wieder zu Gesicht, als sie oben in der großen Halle des Palatiums neben ihrem Bruder, dem Grafen, zur Tafel saß. Er selber nahm das Kopfende der Tafel ein, Bertrade hatte den Platz zu seiner Linken um die Tischecke. Zu seiner Rechten, um die Ecke, saß unsere Herrin neben dem Abt von St. Macaire und diesem gegenüber, Seite an Seite mit Bertrade, sah man den unheimlichen Mann mit dem gelben Gesicht und dem blauschwarzen langen breiten Bart, der dem Grafen aus fernen Landen her gefolgt war. Fr trug ein feuerfarben Kleid mit eingewirkten goldenen Sternen, und eine grünseidene Schärpe um die Hüften. Die einen nannten ihn den Ägyptianer, die andern den Astrologen. Verschiedene Kriegshauptleute und Getreue unseres Herrn reihten sich an, und ganz zu unterst an der Herrentafel, mitten zwischen wildem Reitervolk, saß Herr von Clamecy, der Bischof von Lectoure, mit zwei Kapitelherren. Nicht zu ihrer Ehrung, zu ihrem Schimpf und Ungemach hatte der Graf sie an seine Tafel geboten.

Drei Tafeln waren besetzt, mein eigenes Plätzchen befand sich zu unterst der zweiten, an der Seite von Meister Gratian Favre, dem Kanzler des Grafen, von wo ich doch gut alles hören konnte, was an der oberen Tafel gesprochen wurde.

Nur Bertrades und des Ägyptiers Rede drangen nicht bis zu mir her, sie sprachen beide gedämpft, doch klang von Zeit zu Zeit ein mutwillig heiteres Lachen der Jungherrin von Armagnac durch das Gewirr der Stimmen: dann richtete sich des Grafen Auge nach ihr hin, und die Blicke der beiden schienen sich wohlgefällig zu begrüßen, wie es sich auch leicht begreifen ließ zwischen einem Bruder und einer Schwester, die ein herbes Geschick so lang getrennt hatte.

»Und den Grafen, Euren Bruder, warum sehe ich ihn nicht?« wandte sich gleich anfangs unser gnädiger Herr mit scharfem Ton an sein gräfliches Gemahl.

Vergeblich suchte unsere gnädige Herrin nach einer Antwort.

»Bemüht Euch nicht,« kam es verächtlich von des Grafen roten Lippen. »Ich weiß Bescheid. Der kluge Peter mochte zuwarten, wie mein Glücksrad weiterschwingt. Er dünkt sich allzu klug, aber er wird sich, das sag ich Euch, zwischen zwei Stühlen in den Dreck setzen; es wird ein Tag kommen, und Ihr werdet dieser Worte gedenken.«

Ich sah nach Bertrade, sie blickte ruhig vor sich hin, als ob die Rede sie nicht im mindesten berührte, unserer gnädigen Herrin langes Gesicht aber schien noch länger geworden. Die übrige Tafelgesellschaft war in ein tobendes Gelächter ausgebrochen.

»Der leckere Herr Peter«, klang's irgendwo her, »hat sich schon lang um den Brei herumgedrückt, als ob ihm einer hineingespuckt hätte.«

»Du, Jörg von Sawez, verbrenn dir nicht den Mund mit allzu vorlauten Witzen. Über das Betragen des Herrn Grafen von Foix zu urteilen ist allein meine Sache.«

Das hatte der Graf, an dessen linken Schläfe die Zornader drohend aufschwoll, dem leichtfertigen Sprecher zugerufen.

»Meine Freunde,« so erhob jetzt der Graf in feierlichem Ton seine Stimme; »schon Einer, meine Freunde, fault heut in Retten, mit dem Bertrade nicht einen Grafensitz, aber einen Königsthron, den höchsten der Christenheit, teilen sollte. Was warf Heinrich von England in solche Schmach? Dieselbe Nichtsnutzigkeit als Mann und Ritter, die ihn trieb, meiner Schwester sein gegebenes Wort zu brechen und sich mit dem putzigen Gretchen des Bettelkönigs Renatus zu vermählen, nur weil Suffolk es so wollte, sein eigener Knecht, der die tolle Gret zu seiner Hure gemacht hatte, ehe er sie dann zur Königin machte von England.«

»Schmach,« rief es von allen Enden der Tafel, »ewige Schmach auf das Haupt Heinrichs von England.«

»Dein guter Stern,« wandte sich der Graf mit fast zärtlicher Stimme an die Schwester zu seiner Linken, »dein hell strahlender Stern hat dich dem Lumpenkönig nicht gegönnt. Und ich, bei allen Teufeln, ich hätte dich noch weniger dem schuftigen Grafen von Foix gegönnt.«

Ein Blick aus den dunklen Augen Bertrades traf den Grafen. Was wollte er sagen? Der Graf schien nicht zu zweifeln.

»Meine Bertrade dankt es mir,« sprach er mit noch weicherer Stimme. »Oh, du Angesicht voll beglückender Rätsel, ich habe dich nicht verkannt, und daß ich es gestehe, niemandem möchte ich deine holde Gegenwart gönnen als nur mir allein. Aber rächen will ich dich furchtbar. Und noch einer soll in Ketten verfaulen, im Angesicht meiner Vasallen hier schwöre ich es.«

Reine schamhafte Röte war auf Bertrades Wangen bemerkbar. Das reine Oval ihres jungen Gesichts bewahrte seine elfenbeinerne Kühle, nur ihr ruhig blickendes offenes Auge strahlte von einem Feuer wie aus dem Innersten der Seele. Jäh verändert aber hatte sich an des Grafen rechter Seite das lange starre Gesicht unserer gnädigen Herrin; dessen bräunlich-rote Farbe war plötzlich wie in kalkiges Weiß verwandelt.

Der Graf achtete ihrer nicht.

Nach dem ersten Gericht, ich kann mich seiner nicht mehr erinnern, wurde kalte Wildbretpastete herumgereicht, und gleichzeitig trug der Mundkoch auf einer goldenen Schüssel den Kopf eines Keilers herein und stellte ihn vor unsern Herrn. Dieser Sauenkopf war mit großer Kunst zubereitet und sah aus wie frisch vom Rumpf geschnitten. Aus den Unterkiefern ragten zwei gelbliche Hauer, nach der Spitze zu dreikantig wie geschliffen.

Mit lautem Halloh wurde das Ungetüm begrüßt. »Der Kopf des Täufers Johannes,« rief einer aus der Reihe, und von allen Seiten scholl ihm Beifall. Nur unser Herr, der Graf, sah nachdenklich drein.

»Was sinnt Euer Gnaden?« fragte der Astrolog, an dem mir auffiel, daß er nicht einen Bissen der aufgetragenen Speisen berührte. Er hatte aber vor sich auf dem Tisch eine goldene mit grünen Steinen besetzte Dose stehen, der er von Zeit zu Zeit mit den steifgespreizten weißen Fingern eine Pastille entnahm und sich zwischen die bleichen Lippen schob. Dazu schlürfte er, allen Wein verschmähend, aus einem kristallnen Becher einige Tropfen klaren Wassers.

»Ich mußte daran denken,« antwortete ihm der Graf in die entstandene Stille hinein, »daß es solch ein Keiler war, womit ich zum erstenmal den Vetter Lutz vor den Kopf gestoßen habe.«

»Und er ist darüber nicht glatt hingeschlagen?« fragte zur Seite des Astrologen der Kastellan von Montcuq.

»Und hätte das Aufstehen sich noch einmal einfallen lassen?« ein anderer.

»Der Lutz hat sich begnügt, ein schiefes Gesicht zu schneiden,« sprach der Graf, »wie es sich aber zutrug? Ich mag's gern erzählen. Es war vor zwölf Jahren, damals als ich denen von der Stadt Auch, die doch meine eigene Stadt ist, den Erzbischof weggejagt hatte und das Pariser Parlament mich in dieser Sache vor seine Schranken forderte. Ihr erinnert Euch wohl alle noch, wie die Sache lief; ich wußte mich in meinem Recht, und da König Karl mir ein sicher Geleit bot, kam ich nach Paris, wo ich den Pelzmützen im Parlament nach meiner Art die Köpfe wusch. Dafür ließen sie mich ergreifen und wie einen Straßenräuber hinter Schloß und Riegel bringen. Das hieß man ein königliches Geleit. Aber hatte der fette Karl mir sein Wort gebrochen – er wird das von der schönen Agnes gelernt haben, die ihm dennoch, man begreift es, näher am Herzen lag als die bäurische Johanna von Arc – hatte er sein Wort gebrochen, sag ich, so zerbrach ich noch rascher meine Riegel und entkam glücklich nach Brabant. Und natürlich war der erste, dem ich meine Aufwartung machte, der französische Königssohn, unser Lutz, der dort bei seinem Oheim selber das Brot der Verbannung aß. Oh, mit dem Salz seiner Tränen hat er es deswegen nicht gesalzen. Es zu würzen mit der Verhöhnung seines Vaters, paßte ihm besser.«

»Ja, er war ein zärtlicher Sohn,« bemerkte der Kastellan von Montcuq.

»Ich besuchte ihn auf seiner Burg zu Genappe,« fuhr der Graf fort, »und er empfing mich mit offenen Armen, wie alle, die als Feinde seines Vaters kamen. Da er gerade zur Jagd gerüstet hatte, lud er mich freundlich dazu ein. In den Ardenner Wald ging's, und es war ein Mordsjagen, denn das muß man dem Lutz lassen, in was er sich einläßt, das treibt er mit Leidenschaft. Wir jagten Seite an Seite diesen Tag, und Seite an Seite auch schliefen wir die erste Nacht in des Herrn Vetters Gezelt nach weingesegneter Mahlzeit, die die Teilnehmer noch überdies mit den tollsten Zoten und Histörchen zu würzen wußten; das Königssöhnchen selber tischte wahrlich nicht die trockensten auf. Ich habe keinen Tag meines Lebens so viel gelacht wie an jenem Abend.«

Hier tat der Graf einen Trunk, indem er seiner Schwester Bertrade mit einem eigentümlichen Blick zunickte.

»Am andern Tag aber,« nahm er seine Erzählung wieder auf, während er sich den lanzettförmigen schwarzen Bart glatt strich, »am andern Tag da zerfetzte der gedachte Keiler die gute Kameradschaft, wir hatten das gewaltige Tier in einer engen Schlucht aufgestöbert. Der Lutz warf zuerst eine Lanze nach ihm und riß ihm damit den Schenkel blutig. Mit gesenktem Kopf ging nun der Eber auf den Königssohn los, der ihn mit hochgehobenem Speer erwartete. Mir diesem Geschoß wollte er den Feind zwischen den Schultern ins Herz treffen, aber die eiserne Spitze stieß hart auf das Schulterblatt der drohenden Bestie, daß der Schaft zersplitterte.«

Ein zornig knurrender Ton wurde hier laut. Die gelbgefleckte Rüde an der Seite des Grafen hatte, als ob sie die Rede verstanden hätte, dieses Knurren ausgestoßen. Besänftigend legte Bertrade ihre Hand auf den Kopf des Tieres.

»Der Erbe von Frankreich,« sprach der Graf, »wäre ohne mein Eintreten verloren gewesen. Er hatte kein weiteres Geschoß, dagegen traf das meine die tolle Bestie, der ein blutiger Schaum an den gewaltigen Keilern hervortrat, zwischen den Rippen hindurch ins Herz. ›Kein schlimmerer Feind als ein gereizter Keiler,‹ sagte Herr Ludwig aufatmend. ›Es müßte denn‹, warf ich rasch ein, ›ein gereizter Armagnac sein.‹«

»Das habt Ihr ihm gut gegeben,« meinte der Abt von St. Macaire.

»Ein stolzes und wahres Wort, Eure Gnaden,« sprach der Astrolog mit Feierlichkeit.

»Wohl,« versetzte der Graf, »aber mit der Kameradschaft war's auch aus. Ihr wißt alle, daß der Lutz für seine treffenden Widerreden weit und breit beschrien ist. Er ist nicht auf den Mund gefallen. Aber meine Herausforderung – es sollte eine sein – und noch dazu in dem Augenblick, wo er mir das Leben verdankte, ging ihm diesmal über den Witz, und daß ihm der Witz versagte, das ärgerte ihn erst recht, und so zog er das Maul gewaltig schief und drehte mir ganz unhöflich den Rücken. Da ging ich denn, wie ich stand, ohne Urlaub von ihm weg, womit ich freilich um mehr als eine saftige Anekdote gekommen bin, die mir an den Abenden auf Burg Genappe in Aussicht gestanden hatten.«

»Seit er König geworden ist, gibt er dem Rosenkranz den Vorzug vor den Zoten,« warf der junge Savez lachend ein.

»Nach außen, nach außen,« rief der Abt von St. Macaire, der zweimal hintereinander seinen Becher bis zur Neige geleert hatte, und dessen breite Narbe über Wange und Oberlippe wie glühender Zunder aus dem schwarzen krausen Bartgestrüpp hervorleuchtete.

»Nur nach außen hält er es so,« sprach der sonderbare Abt; »die hübsche Fischhändlerstochter von Tours, genannt Evchen Dickschenkelin, die mit ihm schläft, wird es anders wissen. Die soll nicht nur sonstwo ein hübsches Weibsbild, sondern auch im Kopf ein ganz geriebenes Luderchen sein. Sie weiß ihm, sagt man, nicht nur die Königin, sondern auch sein Publikum zu ersetzen. Zum Rosenkranz aber greift er vor den Dummen, und dafür hält er, so scheint es, auch ein wenig seine Mutter Gottes und die andern himmlischen Heerscharen, den Heiliggeist nicht ausgenommen.«

Und der Abt fuhr noch immer fort in seiner Rede, und indem er die Gelegenheit wahrnahm, berichtete er jetzt über das Verhalten der Einwohner von Mauvezin.

»Ah,« rief zornig der Graf, »die geflickte Majestät von Plessis-les-Tours wäre ihnen lieber als wir! Dieser komische heilige Schuster, der seinen Kreaturen Schuhe macht aus den Riemen, die er aus anderer Leute Häuten geschnitten, dieser königliche Heuchler, dieser Hanswurst der Mutter Gottes, hat uns unsere guten Untertanen verdorben ...«

Aber da erschrecke ich nachträglich über die entsetzlichen Worte, die meine Feder niedergeschrieben hat. Möge der allbarmherzige Gott und die heilige Jungfrau mir die Sünde verzeihen, die ich begehe im schuldigen Gehorsam gegen meinen Obern. Denn ach, es kam noch viel schlimmer, und alles soll meine arme Feder dem unschuldigen Pergament vertrauen.

»Hanswurst der Mutter Gottes, brav, brav,« rief es von allen Seiten in tosendem Tumult.

Nur einer in der ganzen Ritterschaft saß, wie auch seither, geschlossenen Mundes. Das war der junge Herr Gaston von St. Leu, aus dem Hause Albret, dem auch die verstorbene Gräfin-Mutter entstammt war, somit ein Vetter unseres Grafen. Er saß zur Rechten unserer Herrin, Bertrade gegenüber, und blickte zumeist zerstreut vor sich hin, als ob er träume, doch entging es mir nicht, daß er von Zeit zu Zeit der Jungherrin von Armagnac verstohlen einen Blick zuwarf, aber, wenn sie ihn ansah, verlegen die Augen niederschlug wie ein ertappter Dieb. Auch mein lieber Nachbar am Tisch, der Kanzler von Armagnac, ein Mann mit dünngesäten roten Bartstoppeln im Gesicht, machte diese Beobachtung trotz seiner kränklich aussehenden geröteten Augen unter den brauenlosen Wölbungen.

»Der Fant vergißt sich allzu sehr,« sagte er einmal, indem er mich mit dem Ellenbogen leise anstieß.

»Bravo! Hanswurst der Mutter Gottes, bravo,« rief es immer noch von allen Seiten.

Unser Herr der Graf aber schaute die Rufer düster an.

»Nicht, nicht,« rief er fast zornig. »Das Wort ist dumm. Der Lutz hätte sogar recht, es für abgeschmackt zu erklären. Nein, man soll seinen Feind nicht schlechter machen als er ist.«

Ein sprachloses Erstaunen malte sich auf den Gesichtern der Tafelrunde.

»Wer ist ein Hanswurst?« fragte der Graf, »Einer, nicht wahr, der sich von einem andern zum Narren halten läßt. Aber läßt der Lug sich zum Narren halten? Nein. Er hält andere zum Narren, z. B. seine Mutter Gottes und all seine Heiligen. Alle himmlischen Heerscharen hält er sich zu Narren und nasführt sie vorn und hinten. Und vor allem hält er sie für so schuftig, wie er selber ist, und für so käuflich und bestechlich wie seine eigene schäbige Umgebung, wie seinen saubern Herrn von Commynes zum Exempel, der den Burgunder, seinen hohen Wohltäter, verraten hat und dafür von dem Lutz mit herzoglichem Besitz überhäuft worden ist.«

»Pfui, der schmutzige Verräter,« rief bleichen Gesichts Bertrade.

Und wie zum Schwur erhob der Astrolog hier seine Hände, und sein Mund murmelte feierliche Worte in einer Sprache, die ich nicht verstand.

Der Abt von St. Macaire ergriff darauf das Wort.

»Hat man Euch,« wandte er sich an den Grafen, »schon von dem Gebet dieses lustigen Königs gesprochen nach dem Tod seines Vaters, den er selber, niemand in ganz Frankreich zweifelt daran, durch Gift bewirkt hat?«

»Gnädiger Herr,« kam jetzt unvermutet das Wort aus dem Munde des Herrn von Clamecy, Bischofs von Lectoure; »werden Eure Gnaden diese grauenhafte Verleumdung hingehen lassen?«

Der Graf rückte seinen schlanken Oberkörper jählings in die Höhe.

»Schweig, Pfaffe,« rief er; »der Verdacht besteht.«


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