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Drittes Kapitel

Verwunderliche Reden der Jungherrin von Armagnac

Denn noch nicht acht Tage waren vergangen, da mußte ich hart und verächtlich aus ihrem Munde das Wort hören:

»So seid Ihr ein noch schlechterer Mann als jener stinkende Weinschlauch, Euer Vorgänger, fuhr mich das Fräulein bös an, denn jener war wenigstens nicht feig.«

Ich will erzählen wie das kam.

Unsere gnädige Herrin und das Fräulein ritten zu dieser Zeit fast täglich mit großem Gefolge auf die Jagd, und oft kamen dazu aus der Nachbarschaft viele Damen und Ritter, wie auch Äbte und andere geistliche Herren, so daß es ein großes Wesen gab mit Hornsignalen und Rüdengekläff und Pferdegestampf in den Höfen und viel Rufens hin und her, ein Treiben voll ausgelassener Lust für alle, die es mitmachten. Und es hielt sich niemand zurück, wer gesunde Glieder hatte, wozu aber Dominus Guilbertus, unser Vater Prior, diesen Herbst zum erstenmal nicht gehörte, da er über die Maßen von der bösen Gicht geplagt wurde.

Auch ich gehörte nicht dazu. Ich hielt mich still auf meiner Kammer im Heidenturm. Aber ich muß gestehen, daß ich manchmal gern ein wenig hinunterblickte in den bewegten farbigen Tumult und mit den Augen die Gestalt Bertrades suchte mit ihrem verkappten Falken auf der beschuhten Hand, wobei mich oft ein rechtes Zittern überfiel, wenn ich gewahrte, daß ihr Pferd sich wilder und ungestümer gebärdete als irgendeins. Denn das gehörte auch zu ihrem Wesen, sie hätte lieber auf die Jagd verzichtet, als ein zahmes und frommes Roß zu besteigen, und so wird man begreifen was folgt.

»Warum reitet Ihr nicht mit auf die Jagd?« unterbrach sie eines Morgens plötzlich unser Lesen im Virgilio, nachdem sie die folgenden schönen Verse in unsere Sprache übertragen hatte:

»Endlich tritt sie hervor, die Herrin, in großer Begleitung,
Schön im Sidonergewand mit farbigem Saume gekleidet,
lauteres Gold ihr Köcher, in Gold geknotet das Haupthaar,
Und von goldener Spange geschürzt ihr purpurnes Jagdkleid,
Auch die phrygischen Männer zugleich – – –«

»Warum reitet Ihr nicht mit auf die Jagd?«

Ich antwortete, daß ich dies nicht schicklich fände für einen Diener Gottes, wie es denn auch tatsächlich gegen die Regeln unseres Ordens gewesen wäre.

»Papperlapapp,« erwiderte sie unwillig, »Ihr fürchtet Euch zu Pferd zu steigen, Ihr habt Angst.«

Ich mußte das zugeben. Und ein wenig schämte ich mich, die Eitelkeit sitzt im Grunde jeder Kreatur. Denn brauchte ich reiten zu können, da ich doch ein Mann der stillen Zelle geworden war?

Aber daß ich mich nun innerlich schämte, das kam wohl daher, daß ich mich gern meines Vaters erinnerte, der ein Ritter vom güldenen Sporn und ein wilder Kriegsmann war wie die andern, auch schon in seinem dreiunddreißigsten Jahr bei einem Ausfall der Belagerten zu Orleans unter der Führung jener heiligen Jungfrau Johanna von Lothringen den Tod gefunden hat; worauf meine Mutter, ich war erst sieben Jahre, mich nach der Abtei Moissac zu den Söhnen des Heiligen Benediktus gab, nicht in frommer opfernder Demut allein, sondern noch mehr, weil ihre mütterliche Zärtlichkeit mich vor dem grausamen Geschick meines Vaters bewahren wollte. Indem ich dann ein Mönch wurde, rumorte zwar noch lange das ritterliche Blut meines Vaters in meinen Adern; aber ich war und blieb ein Kuttenmann. Denn wie es uns auch im Blut liegen mag, eine jede Kunst will gelernt und geübt sein, und ich hatte nur beten gelernt und die sonstigen Hantierungen der Mönche, und der schlechteste Knecht hätte mich übertroffen in allen Dingen des Ritterhandwerks. Das war gut so und recht, aber eine heimliche Scham befiel mich doch bei mancher Gelegenheit. Und mit dem Gefühl einer solchen falschen Scham machte ich auch jetzt dem Fräulein von Armagnac das genannte Geständnis. Und da fiel jenes angeführte böse Wort.

»Ihr gebt vor,« fuhr sie fort, »die Jagd sei gegen die Regel Eures Ordens, hört zu: ich werde mich an den Vater Prior wenden, daß er Euch befehle zu reiten.«

Ich muß bei diesem Wort sehr erschrocken sein. Bertrade aber, dies gewahr werdend, lachte laut auf in bösem Mutwillen.

Es war aber nicht so bös gemeint. Im Gegenteil, sie streichelte mir die Hand und sprach:

»Beruhigt Euch, ich bin nicht so. Ihr sollt nicht reiten, da Ihr es nicht gewohnt seid und es Euch kein Vergnügen macht. Ich würde als erste mich empören, wenn ich Euch verspottet und ausgelacht sehen müßte von Troßbuben und Knechten, oder sollte ich gar einen Spaß daran haben, wenn Euch ein Unglück zustieße?«

So sprach Bertrade. Und da hätte es ihr nicht gelingen sollen, mich über ihre Natur zu täuschen, daß ich das Ungeheuer, das in ihrem zarten Leibe wohnte, nicht spürte. Denn so viel ich aus den alten Poeten und sonstigen Schriften weiß, gehört ein grausamer Sinn gegen den Mann fast zur Natur des jungen Mädchens, und besonders wenn sie schön ist an Körper und behend von Geist. Und wohl war unter den Jagdgästen unserer gnädigen Gräfin manche Dame und Damoiselle, die mit Lust und Lachen angesehen hätten, wie es einem armen Kuttenmann übel da erging, wo er ja auch gar nicht hingehörte, und hat doch keine darunter sich nachher als ein Monstrum entpuppt, wie die unglückliche Bertrade.

Und diese fügte freilich der obigen frommen Rede schnell einige andere hinzu.

»Vater,« sprach sie, »warum seid Ihr ein Mönch geworden?«

»Ich denke,« antwortete ich, »weil es Gottes Wille war.«

Bertrade runzelte die Stirne, daß die weitgespannten schwarzen Bogen ihrer Augenbrauen sich wie Schlänglein zu krümmen schienen. Doch gleich lachte sie wieder.

»Mönch,« rief sie aus, »du sprichst ganz wie ein Mönch. Ich aber sage dir: ich, wenn Gott mich zum Mann erschaffen hätte, ich wäre kein Mönch geworden, und wenn es hundertmal Gottes Wille gewesen wäre.«

Entsetzt starrte ich auf die Jungherrin von Armagnac ob so gotteslästerlicher Rede. Sie achtete dessen nicht.

»Wie kann nur ein Mann«, fuhr sie fort, »sich freiwillig seiner Mannheit begeben.«

»Sind wir denn verschnittene, wir Mönche,« kam es mir heraus, und ich erschrak selber in den Tod über meiner Rede.

Aber ihr verschlug es nichts, sie brach vielmehr in ihr mutwilligstes Lachen aus. Und hier darf ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ihr das Lachen keineswegs gut anstand. Die meisten Frauen erscheinen schöner und lieblicher dadurch; Bertrades strenge Züge aber, schön und voll Ebenmaß im Ernst, verhäßlichten sich im Lachen; ich habe das immer beobachtet.

»Oh,« rief sie, »und wenn Ihr noch so gut verschnitten wäret, ich möchte Euch nicht verspeisen, weder mit Gabel noch Löffel.«

Und lachte noch immer. Mir selber kam ein Lächeln an. Und ich dankte heimlich Gott und der heiligen Jungfrau, daß mein unbesonnenes Wort keinen Schaden angerichtet und nicht verstanden worden war.

Ich schwankte aber hin und her in dem, was ich sonst von ihr glauben sollte.

Denn ihr Wesen konnte ebensosehr eine große Reinheit und Unschuld sein, wie eine teuflische Verderbtheit. Ihre Fragen bei manchen Stellen unseres Dichters machten mir große Zweifel. Bei Dingen, die ich fallen lassen oder über die ich flüchtig hinwegeilen wollte, weil sie mir für das Schamgefühl einer Jungfrau gefährlich schienen, bei ihnen verweilte sie mit den vorwitzigsten Fragen wie ein lüsternes und verderbtes Weib; aber ihre Worte und Blicke waren dabei wie die eines Kindes, das nicht weiß, was es fragt.

Und so neige ich dahin, trotz aller Seltsamkeiten an ihr, daß sie damals rein und unschuldig war und unwissender selbst, ihrer gefährlichen Neugierde zum Trotz, als andere ihres Alters, und daß erst der griechische Astrolog sie mit seinen schlimmen Geheimnissen verdorben und ihre Seele geschändet hat wie ein anderer ihren reinen jungfräulichen Leib.

Denn wenn sie nicht voll Unschuld gewesen wäre, wie hätte sie einige Tage später mir das Folgende berichten können?

Sie habe am Abend vorher in der Kemenate der Gräfin, unserer gnädigen Herrin, und im Beisein mehrerer Damen und Ritter, auch ihres Vetters und Verlobten, des jungen Grafen von Foix, den Spaß mit den verschnittenen Mönchen erzählt, und darüber sei ein solches unbändiges Lachen ausgebrochen bei allen Anwesenden, daß sie sich baß verwundert. Sogar die Gräfin, unsere gnädige Herrin, die man nie lachen sehe, sei in helle Heiterkeit darüber geraten. Und habe sie, Bertrade, wohl verspürt, daß etwas Heimliches und Verstecktes hinter dem Worte verborgen sei und habe danach geforscht, worüber aber des Lachens und der Heiterkeit immer mehr geworden sei.

Und solle ihr ehrlich sagen, ich, ihr Informator, was es damit auf sich habe.

»Gnädige Herrin,« antwortete ich, »die Kinder der Welt verstecken viel und mancherlei hinter ihren Worten; aber was habt Ihr selber gemeint – ich war ihrer Unschuld in diesem Augenblick ganz sicher – als Ihr den Mönchen den Vorwurf machtet, sie hätten sich ihrer Mannheit begeben?«

»Daß sie keinen eigenen Willen mehr haben,« fiel sie ein.

»Weil sie ihren Willen dem Willen Gottes unterworfen haben?« fragte ich.

»Gottes?« entgegnete sie. »Wer will Gottes Willen kennen?«

Geist vom Geiste Armagnac, dachte ich und neigte gramvoll mein Haupt.

»Ihr täuscht Euch,« sprach sie fast zornig, »Ihr gehorcht nicht Gott, Ihr gehorcht einem Obern; Euer Wille liegt nicht mehr in Euch, sondern in einem Andern, der doch auch nur ein Mensch ist.«

»Oh,« wagte ich einzuwenden, »viele gehorchen einem Obern, die keine Mönche sind.«

»Ja,« rief sie aus, »da habt Ihr wohl recht; aber an solche denke ich nicht, wenn ich an den Mann denke.«

Mit diesen Worten sprang sie auf und eilte in ihr Schlafgemach, das an den Saal stieß, und kam dann zurück in die hohe Fensternische, wo ich mit dem Virgilium zurückgeblieben war, und trug in der Hand eine Tafel aus Holz, auf der sich mit Farben eine Malerei befand.

»Seht,« sprach sie und ihre strengen Augen blickten noch stolzer und hochmütiger als gewöhnlich, »seht, das ist ein Mann. Der Connetable von Armagnac ist es, ein lombardischer Maler hat ihn gemalt. Betrachtet diese Augen, diese Herrscherstirne, diesen Mund, dem man die Gewohnheit des Befehlens ansieht. Und wie das schmale Gesicht, voll Kraft und Schönheit, von dem schwarzen Bart umrahmt ist, der sich zuspitzt drohend wie ein Speer. Der war nicht nur ein Mann, er war der Stärkste seiner Zeit, und die Welt hat gezittert vor ihm und seinen Heerscharen. Ein solcher Mann war er, daß er das Gedächtnis seines furchtbaren Namens unauslöschlich und auf ewige Zeiten in die Herzen der Menschen eingegraben hat. Er allein hat ein Jahrzehnt hindurch dem französischen König Reich und Thron verteidigt und war gleich gefürchtet von den Engländern wie von den Burgundern und gefürchtet noch mehr von den wetterwendischen Franzosen. In Wahrheit war er der König. Selbst der tolle Herzog von Orleans, der Nächste am Thron, war nur ein Spielzeug in seinen Händen. Derjenige aber, den sie die Majestät nannten, war feig.«

»König Karl, der sechste dieses Namens,« wandte ich schüchtern ein, »war krank an Geist und Körper.«

»Das ist es eben,« rief stirnrunzelnd das Fräulein von Armagnac, »wie kann Einer König sein, der krank ist und geschwächt ist an Körper und Geist. Oh, der Elende! – Kennt Ihr die Vorgänge? Er tat es freilich nicht selber, aber er war doch damit einverstanden, daß man das verworfenste Gesindel von Paris auf den Connetable hetzte, daß sie ihn anfielen, den Königlichen, gleich tollwütigen Hunden, und ihn erwürgten, den Entwaffneten, und seinen Leichnam in Stücke rissen und die blutigen Fetzen durch den Kot schleiften, im Angesicht des Elenden, des blöden Königs, der von einem Fenster seines Louvre aus dem scheußlichen Gemetzel zusah mit irrsinnigem Lächeln. Seht, so endete der Mann, der Frankreich gegen eine ganze Welt von Feinden verteidigt hatte.«

»Man sagt,« entgegnete ich schüchtern, »der Connetable habe das christliche Volk von Paris auf unwürdige Weise mißhandelt.«

Auf der Stirne Bertrades zogen sich die schwarzen Brauen unheimlich zusammen.

»Schweigt,« schrie sie in jähem Zorn.

Ihr Gesicht war weiß geworden wie Kalk. Selbst ihre roten Lippen hatten sich entfärbt. Ein unheimliches Verstummen war eingetreten.

»So endete der Große und Furchtbare,« fuhr Bertrade fort, als ihr Zorn sich gelegt hatte. »Und nachher zeigte es sich, daß zwar ein König übrig geblieben war unter den Franzosen, nämlich jener Karl, aber kein Mann, und daß in Ermangelung eines Mannes ein Weib erstehen mußte, jenes tapfere Mädchen aus Lothringen, ohne deren Erscheinen es heute kein Frankreich mehr gäbe.«

»Sie war stark durch den Glauben,« wagte ich einzuwerfen.

»Durch was für einen Glauben,« fuhr mich das Fräulein von Armagnac hart an. »Eure Priester und Prälaten haben sie als Hexe und höllische Zauberin zum Tod verurteilt und schimpflich verbrannt. Der weibische König, dem sie sein Königreich zurückerobert hatte, der Nachfolger jenes Wahnsinnigen, hat keinen Finger gerührt, um sie zu retten. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen in der Zeit, da Johanna von dem Herrn von Ligny auf Burg Beaurevoir in Verwahrung gehalten wurde; aber der Wollüstling Karl sorgte sich mehr um Agnes von Sorel als um Johanna von Arc. Ich erinnere mich an ein Wort meines Bruders. Der kleine Leberfleck, sagte er, auf der linken Hüfte seiner Agnes war dem fetten Karl lieber als zehn Jungfrauen von Orleans.«

Diese Anschuldigungen hatten einen sonderbaren Klang im Munde Bertrades. Ich fühlte ihre Bitterkeit und auch ihre Wahrheit. Aber ich nahm mir ein Herz.

»Ihr werdet wissen,« versetzte ich zaghaft, »daß Rom den Prozeß verworfen und die Geschmähte in integrum wieder hergestellt hat.«

Aber Bertrade brach in ein wahres Hohnlachen aus. Nie hatte ich sie so lachen hören, und es war mir, als ob hinter ihrer Stimme noch eine andere unheimlich hervorklinge.

»Wieder hergestellt, in integrum; als ob man jemand, den man verbrannt hat, wieder herstellen könnte! Doch wir sprachen von dem großen Connetable von Armagnac und seinem Ende. Begreift Ihr nun den tödlichen Haß zwischen allem, was Armagnac heißt, und den Nachkommen des kleinen Capet, die sich Könige von Frankreich nennen?«

Ich saß gesenkten Hauptes, ich wagte nicht den Blick zu erheben. Aus dem Ton ihrer Worte klang es unheimlich. Ich wagte auch nicht, sie an den Heiland zu erinnern, der seinen Kreuzigern verziehen hat. Ich fürchtete, sie könne eine Gotteslästerung ausstoßen, davor zitterte ich; denn daß man sie in heidnischer Gottlosigkeit hatte aufwachsen lassen, daran wenigstens konnte ich längst nicht mehr zweifeln. Trotzdem wagte ich noch einmal eine Rede.

»Schon vor dem bösen Ende des Connetable«, sagte ich, »bestand der Haß des Hauses von Armagnac gegen den französischen König. Es ist ein Haß, der durch die Jahrhunderte geht.«

»Es ist«, fiel Bertrade ein, »der Haß des älteren und vornehmeren Blutes gegen das Blut glücklicher Emporkömmlinge. Denn edleren und älteren Geblütes und Geschlechts als die Könige von Frankreich sind die Grafen von Armagnac. Und es ist der Haß einer Rasse, die von römischen Cäsaren ihre Macht ableitet, gegen barbarische Eindringlinge. Denn unser Aquitanien, das die gemeinen Leute heut Guyenne nennen, von dessen Königen die Armagnac abstammen, war schon ein großes mächtiges Königreich mit blühenden Städten und volkreichen Fluren, als die Franken noch, wilden Tieren gleich, in ihren feuchten Wäldern hausten. Es ist auch der Haß des Südens gegen den Norden, der Haß der leicht- und lichtgemuteten Rinder einer schöneren Sonne gegen die düstern Nibelungen, gegen Teutonen und Kimbrer, die von ihrem kalten finstern Thule her bei uns einbrachen und unsere von Wein und Öl triefenden Hügel verheerten, zusamt der goldenen Saaten in den Ebenen, und unsere reichen Städte verbrannten und uns beugen wollten unter das Gesetz ihrer Speere. Und meinen Bruder, den Grafen, hörte ich einmal sagen, ohne den Sinn seiner Worte zu fassen, es sei der Haß der alten Götter, die da Götter des Lebens waren, gegen den Gott, den die Nachtvögel verkünden, die Prediger des Todes und der Verleugnung des Lebens.«

Mit fremdartig nie gehörtem Ton hatte Bertrade dies gesprochen. Ich fühlte, wie mir kalte Tropfen auf die Stirne traten, und, angstgequält im Geiste, war es mir, als sähe ich über der Schulter Bertrades zwei mächtige schwarze Flügel aufragen, groß und größer auswachsend, daß ich schauderte in dämonischem Entsetzen.

»Aber, warum ich Euch dieses Bildnis des Connetable gezeigt habe,« sprach plötzlich Bertrade wieder in ganz gewöhnlichem Ton; »es könnte nämlich auch das seines Enkelsohnes sein, unseres Herrn, meines Bruders, es gleicht ihm ganz und gar. Ich habe zwar den Grafen vor sechs Jahren zum letztenmal flüchtig gesehen, im Schloßhof zu Lectoure, als er die Gräfin begrüßte und ich, ein Kind, mich fast in ihrem Kleide versteckt hielt, aber ich habe mir seine Gestalt tief eingeprägt. Das ist auch ein Mann. Darum ist er geächtet, er, der letzte königliche Sproß von Aquitanien, er, von zwiefach königlichem Blut auch von den Müttern her, seit einem Jahrtausend, dem Blut von Navarra und Aragon.«

»Was weiß man von unserm gnädigen Herrn?« fragte ich hier. »Hat seine Gemahlin, unsere gnädige Gräfin, Kundschaft von ihm?«

»Keine,« sprach das Fräulein von Armagnac kurz und hart.

Wir schwiegen beide eine Weile.

»Was denkt Ihr?« fragte Bertrade plötzlich.

»Wenn es nicht eine Anmaßung ist,« antwortete ich, »mich wundert, daß man die Gräfin, unsere gnädige Herrin, nie den Namen ihres Gemahls aussprechen hört.«

»Sie liebt meinen Bruder nicht«, sprach Bertrade, »und er selber mag sie verachten. Sie hat ihm keinen Sohn geboren. Es besteht keine Gemeinschaft seit lange zwischen ihm und ihr.«

»Und zwischen dem Grafen und Euch?« fragte ich.

»Ach,« seufzte Bertrade schmerzlich. »Weiß er überhaupt von seiner Schwester? Erinnert er sich? Er hat mich vor sechs Jahren am Fuß der Palasttreppe kaum eines flüchtigen Blickes gewürdigt. Aber ich darf es ihm nicht übel nehmen. Sah er sich nicht bedroht von allen Seiten? Seine schwierige Stellung, die großen Angelegenheiten der Provinz und seiner Grafschaft nahmen all sein Denken in Anspruch und all seine Zeit und Kraft. Nur selten kam er aus dem Sattel. Und wie mag er jetzt leben? Und wo? Zwei Jahre lang wußte man ihn in England. Fr ist nicht mehr dort. Das weiß man sicher. Ein Ritter versicherte mir vor einem Jahr, er stehe als Kriegshauptmann im Dienst der Republik Venedigs die im Krieg liegt mir den Türken in einem Land, das Cypern heißt oder Dalmatia. Könnte ihm, dem Kriegsgewaltigen, ein Gedanke übrig bleiben für eine arme Kreatur von Schwester. Ja, wenn er wüßte, wie ich stolz auf ihn bin, wie ich ihn liebe heimlich im Herzen. Doch ich bin töricht, was sollt' er danach fragen? Sein Haupt steht zu hoch über dem meinen.«

»Ihr glaubt, er würde sich aus Eurer Schwesterliebe nicht viel machen?« fragte ich zaudernd.

»Schwesterliebe,« rief Bertrade; »ich liebe ihn anders als eine Schwester den Bruder. Er ist mir mehr, der Herrliche, wie ein Gott geht er durch meine Träume.«

Was sollte ich denken und sagen zu so gestalteten Reden. Aber ich mag auch heut noch gern annehmen, daß solche Worte damals für sie noch ohne schlimmen Sinn und nur Nachklänge waren von schönen und hohen Wendungen aus dem oder jenem Gesang der göttlichen Aeneide, in der wir fast täglich lasen, oder der Eklogen und anderer Poemata des Mantuaners, die ihr gleichfalls vertraut waren.

Oh, mit welch schmerzlicher Reue ich heute auf jenes eitle Treiben zurückblicke.

Bertrade schwieg, ihr großes ruhiges Auge blickte wie in weite Ferne.

»Es ist wahr,« sagte sie dann aus ihrem Nachdenken heraus, »ich hatte nie das Gefühl, daß er mein Bruder sei. Er war schon ein gereifter Mann, als ich noch mit Puppen spielte, und für gewöhnlich tat er, als ob ich nicht vorhanden wäre. Und oft wieder behandelte er mich mit kaltem Spott. Ja, einmal schlug er mich hart. Es war oben auf dem Bogengang in unserem Kastell zu Lectoure, an einem Sommertag wie heut. Ich hatte mir wieder mit meinen Puppen zu schaffen gemacht und summte ein Ammenlied, um sie in Schlaf zu lullen, wozu unten im Hof der Brunnen rauschte, ich hör es noch wie heute. Da trat der Graf aus dem Saal, er mußte hart an mir vorüber; und da ihm eine der Puppen im Wege lag, es war meine Lieblingin, stieß er sie mit dem Fuß unwirsch beiseite. Oh, du Garstiger, rief ich und brach in lautes Weinen aus. Da überflammte ein heftiges Rot sein Gesicht und seine weißen Zähne bissen knirschend aufeinander. Schämst du dich nicht, schrie er dann, zu flennen wie eine Krämersdirne. Und mit hartem Schlag traf er mich auf die Wange. Vor Schreck verstummte ich. Aber er erschrak. Er nahm mich in seine Arme und küßte mich, als ob er mich ersticken wolle und ruhte nicht eher, als bis ich ihn freundlich anlächelte durch meine Tränen und ihm von mir aus einen Kuß gab zum Zeichen der Verzeihung. So war er ein einziges Mal zärtlich zu mir, nachdem er mich geschlagen hatte wie eine Sklavin. Ich aber, als er von mir ging, fühlte mich beglückt wie nie in meinem Leben.«

»Und an Euren Verlobten denkt Ihr nicht?« fragte ich.

Sie sah mich groß an.

»Wollt Ihr von dem Bruder der Gräfin sprechen, dem jungen Grafen von Foix? O ja, ich bin ihm versprochen schon seit sieben Jahren. Man wollte uns damals gleich verheiraten, wie auch mit andern oft geschah; aber unser Herr, mein Bruder, wollte den Bischof in Rom nicht um Dispens angehen, und der Graf von Foix, der Vater, der noch lebte, wollte es seinerseits ohne Dispens nicht zulassen. Sein Sohn wird es ihm heute danken.«

»Er läßt sich selten bei uns blicken,« sprach ich, »und wenn es einmal geschieht, so seid Ihr unwirscher gegen ihn, ich habe es zweimal mit angesehen, als gegen irgendeinen andern Ritter. Und Ihr könnt auch sanft sein, Bertrade; gegen mich seid Ihr es meistens. Was aber wird der Graf von Euch denken?«

»Was er mag,« versetzte sie rasch. »Beruhigt Euch, ich werde nie seine Gemahlin werden.«

Und als ich in verständnislosem Staunen zu ihr aufblickte:

»Er ist zu feig,« fuhr sie fort, »um es mir zu sagen, aber ich weiß es doch. Ich weiß es längst. Als ich ihm versprochen wurde, ein Kind von Jahren, da war mein Bruder im unbestrittenen Besitz seiner Grafschaft, die ein gutes Drittel des alten Königreichs Aquitanien ausmachte. Fünfunddreißig volkreiche Städte und unzählige Dörfer und Burgen waren meines Bruders. Da hatte ich eine königliche Mitgift zu erwarten. Und heut bin ich eine arme Waise, die von der Gnade unserer Herrin abhängt, der Schwester meines versprochenen. Er wäre ein Narr, wenn er mich nähme, und niemand würde eine solche Heirat begreifen. Denn er kann wählen unter den mächtigsten Familien des Landes, Er wird es tun, und ich tadle ihn deswegen nicht. Sein Haus ist geschwächt, er muß reich heiraten.«

Mich stachelte ein fast unehrerbietiger Vorwitz, dem ich nicht widerstehen konnte.

»Ihr wäret zuvor schon versprochen?«

Bertrade warf unwillig den Kopf zurück, und der Strahl ihres Auges traf mich voll Zorn. Dann sah sie eine Weile vor sich nieder, ohne zu antworten. Aber wie fast immer verzog sich ihr Unmut schon nach wenigen Augenblicken.

»Es ist dumm von mir,« sagte sie leichthin, »in Zorn zu geraten wegen eines Ammenmärchens. Ja, ich war dem Heinz von England versprochen, ich lag damals noch in der Wiege; aber man ließ von der Krone von England eine kleinwinzige Nachbildung herstellen aus purem Gold und setzte sie mir auf die zarten Kinderlöckchen, und alles beugte die Knie vor mir als der zukünftigen Königin von England. War's auch wirklich so oder hat man es mir nur so erzählt, als ein kindisches Märchen wie gesagt, zum Einschläfern? Aber nein, es war wirklich keine bloße Fabel, und an das Kinderkrönchen erinnere ich mich noch recht gut, und später habe ich wie oft im Spiel meine Puppen damit gekrönt. Von dem Heinz von England aber, dem kleinen Söhnchen eines großen Vaters, hat man mir Tolles berichtet. Der schwache König hatte einen Diener Namens Suffolk, dieser kam nach Frankreich und verliebte sich in die hübsche Margrethe von Anjou, die Tochter jenes armen guten Renatus mit zwei Königstiteln ohne Königreich, verliebte sich in sie und brachte es fertig, sie, die Verbuhlte, seinem Herrn und König zu vermählen, worüber hier in Frankreich viel gespottet wurde. Und wenn sie dem König wenigstens eine Mitgift zugebracht hätte. Aber sogar die Reise des hübschen Gretchens nach England mußten die Engländer bezahlen und mußten ihrem Vater zwei Grafschaften abtreten, worüber die Großen des Reiches sich empörten und ein blutiger Aufruhr sich erhob, der den Heinz in den Turm von London brachte, wo er nun zu seinem Zeitvertreib, wie man erzählt, vom Morgen bis zum Abend an einem Schnuller lutscht wie ein Wickelkind ...«

So Bertrade (denn zur Zeit dieses Gesprächs saß König Heinrich, der sechste seines Namens, gefangen im Turm zu London und war noch nicht von seinem Vetter Eduard, der heute in England regiert, erdrosselt worden). Mir aber quoll ein Wort aufrichtigen Bedauerns über den Elenden von den Lippen.

»Warum?« rief sie. »Eine Königskrone ist kein Kinderspielzeug, kein Flitter auf dem Putztisch eines Weichlings, wer dieses einzige Kleinod nicht aufzuwiegen vermag durch eigenen persönlichen Wert, ist mehr ein elender Tropf als je irgendeiner. Doch lassen wir das. Ihr seht, zwei mächtige Verlobte, ein König darunter, konnten mir nichts helfen, und über kurz oder lang wird man mich in ein Kloster stecken.«

Ich sah Bertrade an voll schmerzlichen Mitleids.

»Oh,« beeilte sie sich zu beteuern, »kein Mitleid, mit mir, vor allem kein Mitleid! Wo Ihr gehorcht, werde ich herrschen. Ich werde Äbtissin sein und Macht haben. Gehorchen müßte ich als Ehefrau. So ist es des Weibes Bestimmung. Wir Armen können daran nichts ändern. Hart mag es sein und oft unerträglich. Und doch, wenn ich mir einen Gemahl denke wie meinen Bruder, diesem, dem Starken, folgte ich gern in demütigem Gehorsam.«

So sprach Bertrade. Ich aber, wenn ich auch erschrak über so ungewohnte Worte, konnte nicht ahnen, daß darin ein Sinn lag, der auf Heilloses deutete hinter den Schleiern der Zukunft.


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