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Viertes Kapitel

Der verketzerte Virgilius und die plötzliche Heimkehr des Grafen von Armagnac

Dennoch möchte ich in meinem Glauben verharren, daß Bertrade in jenen Tagen wie ein Kind in natürlicher Unschuld hinlebte.

Besonders ereignete sich bald darauf ein Vorfall, der mich in meiner Meinung noch mehr bestärkte. Man war um die Gräfin, unsere Herrin, versammelt im obern Saal. Sie saß an ihrem Webstuhl mit ihren Frauen, Bertrade aber, die allzeit einen unbezwinglichen Widerwillen gegen weibliche Arbeiten an den Tag gelegt, und damit war es freilich ein seltsam Ding, saß über ein Buch gebeugt, ich weiß nicht welches.

Der junge Graf von Foix war zu einem Besuch eingeritten mit mehreren andern Adelleuten, darunter die Herren von Penne und Castel-Sarasin. Diese hatten von außen eine Botschaft mitgebracht, die unsere kleine Hofhaltung in kein geringes Erstaunen versetzte. Es handelte sich um Herrn Karl, den Herzog von Guyenne und Bruder des Königs. Die Aussöhnung der beiden feindlichen Brüder bei einer Zusammenkunft in Orleans war erst vor wenigen Monaten bekannt geworden, und nun wollten die genannten Edelleute die sichere Kundschaft erhalten haben, Herr Karl habe sich wiederum mit König Ludwig überworfen und rüste auf seiner Burg zu Bourdeaux von neuem zum Krieg wider die königliche Majestät.

Wenn diese Nachricht sich bewahrheitete, standen unserer Provinz abermals schwere Zeiten bevor, und man besprach hin und her und nicht ohne Erregtheit alle Möglichkeiten der neuen Lage. Besonders der Graf von Foix setzte sehr ernst die Gründe auseinander, die ihn bestimmen könnten, sich entweder auf die Seite des Königs oder des Herrn Karl zu stellen, und er hatte Grund, ernst zu sein, das eine wie das andere konnte seinen gänzlichen Untergang bedeuten.

Also kreuzten sich im Gespräch die Für und Wider wie Schwerter in der Schlacht. Ich allein blieb stiller Zuhörer und das Fräulein von Armagnac saß, wie gesagt, in stillem Sinnen über ihr Buch gebeugt; ich hatte schon früher beobachtet, daß sie sich in Gegenwart des jungen Grafen, ihres Verlobten, gern stumm verhielt.

Da hörte man plötzlich von einem der Saalfenster, das gegen die warme Sonne des Vorfrühlings offen geblieben war, einen gellen tierischen Schrei ausstoßen. Wie ein Schrei in Todesnöten klang's mark- und beindurchdringend. Aber der Aufschrei bedeutete etwas anderes. Die Wollust der Kreatur schrie in ihm. Und wenn ein solcher Schrei dem Schrei des Todes gleicht, liegt darin ein tiefer Sinn verborgen – nur bedenken ihn die Menschen selten – quia mors soror est voluptatis wie der Hl. Hieronymus sagt.

Und so hatte jedermann im Saal begriffen, nur Bertrade nicht. In einem Nu stand sie am offenen Fenster.

»Zu Hilfe, Herr Graf,« rief sie, »zu Hilfe, er tötet meine Katze, der garstige Kater.«

Alles schaute sich an. Bertrade aber hatte bereits gehandelt. Sie hatte ihr Buch, das sie in der Hand gehalten, mit großer Gewalt zum Fenster hinaus nach den Tieren auf dem Altan geschleudert, und noch bleicher im Antlitz als gewöhnlich kehrte sie sich nach uns um.

»Er wollte sie morden, meine weiße Mieze,« sprach sie, »da seht den Büschel Haare den sie zurückgelassen hat.«

Nun brachen die Ritter in ein helles Lachen aus, die Zofen kicherten unter heftigem Erröten und selbst unsere gestrenge Frau, die Gräfin, sah lächelnd nieder auf die Fäden ihres Gewebes.

Bertrade schenkte all dem nicht die geringste Beachtung. Sie blickte nur zornig auf ihren Verlobten.

»Liebste Muhme,« sprach dieser, der noch immer lachte, indessen er die Enden seines pelzverbrämten Gewandes aus orangefarbenem brabanter Stoff über die übergeschlagenen Beine spreitete, und, lustig wippend mit dem ellenlangen roten Schnabelschuh, sich auf seinem Schemel zurechtrückte. »Liebste Muhme,« sprach er, »wißt Ihr, daß der Zorn Euch noch verschönert?«

Aber in ihrem Blick stand eine Verachtung, daß er verstummte.

»Verzeiht, Herr Graf,« antwortete sie, »daß ich Euch zu einem Dienste bemühen wollte, des Dankes habt Ihr mich überhoben.«

Und damit wollte Bertrade sich zur Tür wenden.

»Ihr seid nicht artig, Schwester,« rief unsere gnädige Herrin ihr zu, die der Auftritt nachträglich verdroß. Auch ihr Bruder blickte ärgerlich. Er hatte sich die Spitze seines Lippenbärtchens zwischen die Zähne gezogen und nagte daran.

»Bleibt doch, schönes Bäschen,« schmeichelte er, ich habe eine Nachricht für Euch.«

Aber das Fräulein von Armagnac antwortete ihm nur mit einem geringfügigen Blick, den der Graf nicht beachtete.

»Es handelt sich um Euren Bruder,« sprach er.

Und wie vom Blitz getroffen, fuhr Bertrade herum.

»Was wißt Ihr von dem Grafen von Armagnac?«

Auch unsere gnädige Herrin horchte auf. Ihr rechter Arm wollte gerade mit dem Webeschiffchen ausfahren, er hielt inne in seiner Bewegung und der Webstuhl ruhte. In dem etwas langgezogenen wettergehärteten Gesicht der Jagdgewohnten lag aber mehr zweifelnde Gleichgültigkeit als lebhafte Spannung.

»Was soll das, Bruder,« zürnte sie; »wenn Ihr etwas wißt über meinen Gemahl, warum habt Ihr nicht eher gesprochen? Oder ist Eure Nachricht bloß für das Fräulein von Armagnac?«

Der junge Graf von Foix zuckte die Achseln.

»Nur ein Gerücht, Frau Schwester,« sprach er begütigend, »das erst der Bestätigung bedarf. Ich wage selber noch kaum daran zu glauben. Ich habe aber Botschaft ausgesandt, denn die Sache ist von unabsehbarer Bedeutung, insbesondere in diesem Augenblick eines drohenden Kriegs zwischen Guyenne und Frankreich. Nämlich, nichts Geringeres verlautet, als dies: Euer Herr Gemahl sei vor acht Tagen im Hafen von Brest gelandet und befinde sich jetzt bei Herrn Franz, dem Herzog von der Bretagne, auf dessen Burg zu Nantes.«

»Ist das alles?« fragte die Gräfin verächtlich. »Mit solchem leeren Gerede der Leute hat man mich schon oft genug gespeist.«

»Eben darum wollte ich erst gar nicht davon reden,« entschuldigte sich ihr Bruder.

»Es könnte aber doch sein!« rief Bertrade erregt, die, ohne zu ihrem Schemel zurückzukehren, in regungsloser Stellung verharrt war.«

»Ja, es könnte,« erwiderte der Graf von Foix. »Und die Herrschaften wissen, was das bedeuten würde.«

Denn in was für andern Absichten könnte der Graf nach der Bretagne gekommen sein, als um den Herzog zu bewegen, mit Herrn Karl von Guyenne gemeinsame Sache zu machen gegen den Lutz, seinen Bruder. Und was dann? Im Osten zieht ohnehin der Burgunder gegen ihn heran. Wenn sich zugleich Guyenne und die Bretagne die Hand reichen, gibt niemand mehr der allerchristlichsten Majestät auch nur einen Pfifferling für ihre Krone.«

In diesem Sinn sprach die Gesellschaft noch eine geraume Weile, und ich konnte beobachten, wie Bertrade sich nicht ein Wort entgehen ließ. Aber sie lauschte nicht nur mit gespanntester Aufmerksamkeit; ihre Augen wurden noch größer wie sonst, man sah deutlich ihre Brüstchen unter der blauen Tunika sich auf und ab bewegen, sogar ein Schein von leiser Röte überflog die blasse Elfenbeinfarbe ihrer schmalen Wangen, was mochte in ihr vorgehen?

Ich aber will nun von ihr noch einiges erzählen. Schon früher habe ich es niedergeschrieben, wie sie mich oft bei unserem Lesen in peinliche Verlegenheit brachte, daß sie gerade bei solchen Stellen, über die ich aus guten Gründen wegzueilen trachtete, mich zum Verweilen zwang und mit Fragen in die Enge trieb, mit solchen Fragen, daß ich oft statt ihrer errötete.

Aber wenige Tage nach dem eben Berichteten hat sie das abgelegt und war auf einmal so, wie wenn sie eine andere geworden wäre. Und niemand, ach, könnte ahnen, wie das geschah. Folgendergestalt trug es sich zu:

Wir lasen wieder in unserem geliebten Virgilio, einander am Tisch gegenüber in der Fensternische des oberen Saals, die Frau Gräfin war mit ihrem Gefolge ausgeritten. Und mitten im Lesen – noch weiß ich den Vers, im sechsten Gesang, an dem sie innehielt.

In dem weitläufigen Bau mit dem unentwirrbaren Irrgang
Minotaurns erscheint, der Sprößling schamloser Buhlschaft

da unterbrach sie sich plötzlich.

»Sagt,« fragte sie, »wißt Ihr, warum sie mich neulich alle ausgelacht haben, als ich gegen den Kater auf der Dachrinne zu Hilfe rief?«

»Nein,« antwortete ich.

»Ihr lügt, frommer Mann,« sprach sie streng. »Ihr wißt es. Ich weiß es heut selber. Aber warum lügt Ihr, Ihr frommen Leute?«

Ich senkte tief mein Haupt und schwieg. Bertrade fragte nicht weiter. Sie ging wortlos aus dem Gemach.

Und nie wieder ist seitdem eine vorwitzige Frage über ihre Lippen gekommen.

So denn wurde ich von neuem darin bestärkt, daß ihre früheren verfänglichen Fragen nicht in einem lüsternen Weibessinn, sondern in Unwissenheit und Unschuld ihre Quelle hatten.

Und das mag nun hier stehen ihr zum Zeugnis. Ein anderes aber ist das: War sie je eine Christin? War sie getauft? Denn es ist ein uraltes Gerücht, daß die von Armagnac ihre Kinder, sei es in offenem Trotz, sei es mit geheimer List, der heiligen Taufe entzögen und daß zum mindesten kein Männliches bei ihnen getauft worden sei in langer Geschlechterreihe.

Bei der Messe, die ich jeden Morgen las, für unsere gnädige Herrin und die übrigen, Herrschaften wie Gesinde, fehlte Bertrade wohl selten; aber ich glaube, sie kam nur auf Befehl der Gräfin. Denn der festgesetzten äußerlichen Hausordnung pflegte sie sich in allem zu fügen, und wie unmöglich es war, von ihr eine Zustimmung zu erhalten, wenn ihr Sinn nach einer andern Richtung ging, so habe ich doch nie bemerkt, daß sie sich in ihrem äußeren Tun und Lassen je einer Anordnung oder Herkömmlichkeit widersetzt hätte.

So tat sie denn auch in kirchlichen Dingen, was jedermann als selbstverständlich voraussetzte.

Aber, war auch ihre Seele dabei? Ich weiß nur dies: von den Geheimnissen der Religion wollte sie nie etwas hören. Sie ließ mich wohl manchmal reden, aber sie saß oder stand dabei wie geistesabwesend. Es schien mir immer, daß sie gar nicht zuhörte. Sobald sie das Wort ergriff, zeigte es sich, daß sie mit ihren Gedanken weit weg war von dem heiligen Gegenstand. Niemals widersprach sie, weder sanft noch herb, alles Religiöse schien sie nur einfach zu langweilen, und immer fand sie Worte, nicht des Widerspruchs, aber der entschlossenen Ablenkung, und wo einmal ihr Wille sprach, gab es keine Möglichkeit, ihr entgegen zu sein. Zu einem Wortkampf kam es nur einmal zwischen uns.

Wir lasen im Virgilio die vierte Ekloge, die »Pollio« überschrieben ist und die als des großen Poeten entscheidendstes Werk angesehen werden muß. Denn auf sie vor allem gründet sich das hohe Ansehen und der unsterbliche Ruhm des Mantuaners in der ganzen Christenheit.

Wie jedermann weiß, stehen in diesen Eklogen die zwei Verse, wodurch der heidnische Poeta sich den großen Propheten des alten Bundes würdig an die Seite gestellt hat, so daß er füglich nicht wie ein anderer Heide angesehen werden darf, sondern wie Einer, den, wiewohl mitten im Heidentum stehend, ein Strahl des neuen Lichtes traf, daß er als erster unter den Heiden die neue Ordnung, das neue Gottesreich voraus zu verkündigen gewürdigt ward. Dies sind die zwei ruhmreichen Verse:

Ultima Cumaei venit jam carminis aetas:
Magnus ab integro saeculorum nascitur ordo.

Bertrade hatte sie gelesen, ich fragte erwartungsvoll: Nun Herrin, wie versteht Ihr dies?

Sie verdolmetschte:

»Schon steigt das letzte Weltalter auf, vorhergesagt von der Sybille von Cumae und die große und vollkommene Ordnung einer neuen Zeit steht in ihrem Beginn.«

»Herrlich,« rief ich aus; »und welches ist die neue Ordnung oder der neue Orden?

»Antwort: die von Christus gestiftete Kirche Gottes. Virgilius hat mit diesen Versen die Ankunft unseres göttlichen Herrn und Heilands prophetisch angekündigt.«

»Aber wo lest Ihr das?« fragte Bertrade und sah mich groß an.

»Es ist der versteckte Sinn in des Dichters Worten,« gab ich zur Antwort. Aber Bertrade trotzte.

»Dieser Sinn«, versetzte sie, »ist allzu versteckt, ich sehe ihn nicht, und kein Wort in der ganzen Umgebung deutet darauf hin. Der ganze Zusammenhang steht vielmehr im Widerspruch zu einer solchen Auslegung. Ihr legt ihn hinein, frommer Vater, Ihr lest, was nicht dasteht. Und wenn Ihr es mit Euren jüdischen Propheten ebenso macht ...«

»Halt,« rief ich voll Entsetzen, »nicht weiter, Ihr lästert Gott und seine heilige Kirche. Denn wie ich diese Verse verstehe, so werden sie verstanden von allen frommen Vätern und Lehrern der Kirche.«

Über diese feierlichen Worte aber brach Bertrade in ein gottloses Lachen aus, daß mir graute. Ich senkte mein Haupt und schwieg. Aber das Fräulein von Armagnac sah nicht meinen Schmerz, und ihre Rede klang leichtfertig.

»Ich will gern glauben,« sagte sie, »daß es ein feiner Kopf war, der diese Weisheit zuerst ausgeheckt hat. Er liebte den herrlichen Heiden, der große Mantuaner war ihm ans Herz gewachsen. Aber er las ihn als ein guter Christ mit bösem Gewissen. Und um sich selber ein gutes Gewissen zu machen, machte er aus dem alten Heiden einen halben Christen. Und viele andere nach ihm haben sich mit dieser frommen Lüge beruhigt.«

Was hätte ich erwidern sollen? Um Bertrades frevelhaften Sinn zu beugen, wäre es nötig gewesen, daß ein Erzengel vom Himmel herunter stieg und sie anhauchte mit seinem reinen Feuer.

Statt dessen ereigneten sich nun Dinge, worüber sie selbst ihren Virgilium bald ganz vergaß.

Denn was ihr Verlobter vor vierzehn Tagen als bloßes Gerede der Leute nachgesprochen, daß der Graf, unser gnädiger Herr, bei Herzog Franz in der Bretagne auf dessen Burg zu Nantes eingetroffen sei, hat sich rasch bewahrheitet, ja eine andere schier unglaubliche Nachricht, an der aber bald niemand mehr zweifeln konnte, ist jener ersten auf dem Fuß gefolgt und hat das ganze Land Armagnac in große Aufregung versetzt.

Es hatte nämlich, was kein Mensch zunächst noch vermutete, der Herr Karl von Guyenne, im Trotz gegen seinen königlichen Bruder, den Grafen, unsern gnädigen Herrn, bereits zu sich auf seine Burg zu Bourdeaux berufen, und hatte dort den Geächteten und Vertriebenen, in Mißachtung der königlichen Macht, feierlich in seine Rechte und Besitztümer wieder eingesetzt.

Und von der Burg zu Bourdeaux aus rückte nun, wie heute männiglich bekannt, der Graf als Anführer der herzoglichen Kriegsvölker von Guyenne gegen die Gascogne und seine Grafschaft Armagnac, und vertrieb allenthalben die königlichen Lehenträger und deren Kriegsknechte, und schon am Sonntag Palmarum hielt er ungehindert seinen Einzug in seine Stadt Lectoure, wo sein Vater vor dreißig Jahren das feste und weitläufige Kastell erbaut hatte.

Von diesem Einzug wurde später lange geredet, denn schon hier zeigte es sich, was für ein Dämon mit dem Grafen war. Dieser hatte, es klingt seltsam genug, von seiner Burg Castera Verduzan, wo er zuvor genächtet, an seine Gnaden den Bischof von Lectoure diesen Befehl ergehen lassen: der Bischof mit den Kapitelherren und der gesamten Geistlichkeit von Lectoure sollten, mit Palmzweigen in den Händen, ihrem Herrn, dem Grafen, entgegenkommen bis an das untere Tor der Stadt, und alles Volk von Lectoure sollte sich längs des Weges aufreihen, vom untern Tor bis zur Burg, und sollten vor dem Grafen, ihrem Herrn, ihre Oberkleider auf die Erde spreiten längs des ganzen Weges.

Darin aber lag eine greuliche Gotteslästerung, und man mag sich denken, wie der Bischof erschrak über dieses Ansinnen. Denn seine Gnaden waren neuerdings von Herrn Ludwig auf den Stuhl von Lectoure erhoben worden unter Zustimmung des Heiligen Vaters in Rom, und der Bischof bangte nun vor dem neuen Herrn. Er gedachte sich aber zu retten durch ergebenen Gehorsam und fand darum nicht den Mut, die sakrilegische Handlung zu verweigern. Seine Feigheit jedoch – ich habe mich einer viel schlimmeren schuldig gemacht, du weißt es, mein Gott und Erlöser – hat den Bischof nachträglich keineswegs geschützt, und er hat den von ihm geschändeten Stuhl trotzdem verloren, zusammen mit seinem Leben, wie es sich zeigen wird.

Der Graf aber, unser gnädiger Landesherr, ist darauf eingeritten in Lectoure am Sonntag Palmarum in der Frühe, und war nicht anders wie der Einzug unseres Herrn und Heilands in seiner Stadt Jerusalem. Aller Klerus der Stadt, an der Spitze der Bischof mit seinem Kapitel, zog mit Palmzweigen vor ihm her und sang das Hosianna, und das Volk zu den Seiten spreitete seine Oberkleider auf die Erde, wo der Graf herzog. Er aber ritt dennoch nicht auf einer Eselin, sondern auf einem falben Hengst aus der Berberei und war gekleidet in lange wallende Gewänder von kostbarer Seide in der Farbe alten Weines, wenn ihn das Licht durchscheint, wogegen sein schwarzer Bart, der wie eine Lanze sich spitzte, scharf abstach. Auch blickte der Graf kecker und jugendmutiger drein als man je an ihm wahrgenommen.

Was aber vor allem große Verwunderung erregte, das war der Mann an des Grafen Seite. Er war wie unser gnädiger Herr schwarz bebartet, nur daß sein Bart ihm breit wallend über die Brust herunterfloß von wachsgelben Wangen, wie auch sein Haupthaar ihm in langem üppigen Gelock auf die Schultern fiel und den schwarzen Mantel, unter dem ein feuerrot seidenes Gewand, mit goldenen Sternen besät, hervorleuchtete. Der, hieß es, sei dem Grafen aus fernen Morgenländern gefolgt, ein Ägyptianer sei es oder Babylonier, und der Graf habe ihn als seinen Leibarzt und Astrologen in Dienst genommen.

Indessen aber saßen wir in großer Aufregung und Unruhe hier auf der Burg und wußten alle diese Vorgänge nur durch die Erzählung derer, die täglich bei uns einkehrten, um unserer Herrin Bericht zu erstatten, wobei manche sich gar nicht genug tun konnten an Schilderung aller Einzelheit, so daß ich denn selber den Einzug beschreiben konnte, als ob ich leibhaftig dabei gewesen wäre. Der Herr Graf aber hatte von sich aus noch keine Botschaft geschickt an seine Gemahlin, die er doch so viele Jahre hindurch nicht gesehen hatte.

Und hier muß ich zu ihrem Zeugnis ein Wort anmerken, da ich sonst wenig von ihr zu berichten habe, wie ich auch die ganze Zeit, die ich bei ihr im Dienste stand, nicht zwanzig Worte mit ihr zu wechseln Gelegenheit fand, denn sie war wortkarg und verschlossen, so lag es in ihrer Natur. Ihre inneren Gedanken gar äußerte sie gegen niemand.

Als man ihr aber von dem blasphemischen Einzug des Grafen auf Burg Lectoure erzählte, da konnte sie, indem ihr langes braunes Gesicht einen bösen Zug bekam, einen Ausruf nicht zurückhalten.

»Wie wird es aber enden?« hörte ich sie sagen.


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