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Achtes Kapitel

Erneuerte ketzerliche Reden der Bertrade

Mit der Erhebung seines Bastardbruders auf den bischöflichen Stuhl hatte der Graf eine himmelschreiende Gewalttat an der Kirche begangen; aber der Klerus in diesem Lande war seit einem Jahrhundert an die Mißachtung des menschlichen und göttlichen Rechts von seiten seines Landesherrn so sehr gewohnt, daß sich auch nicht eine Stimme des Widerspruchs erhob, dergestalt war alles niedergehalten in Furcht und Feigheit.

Auch schon vor dem Sonntag Miserikordias und in all den Tagen nach dem heiligen Auferstehungsfest hatte der Graf – er feierte jetzt, so sagte er, seine eigene glorreiche Auferstehung – hatte er seine Zeit nicht verloren und seine Grafschaft von den letzten Königlichen gesäubert. Die Wenigsten von denen, die der König mit Armagnacschen Besitzungen belehnt hatte, ließen es bis zum Äußersten kommen, die meisten entwichen und suchten ihr Heil in der Flucht. Die andern, die ihm Trotz boten, mußten es schwer bereuen. Unter ihnen waren am glücklichsten noch diejenigen, die bei Erstürmung ihrer Burgen den Tod fanden.

Schlimmer erging es denen, die lebendig in seine Gefangenschaft gerieten. Er schleppte sie mit sich nach Lectoure auf sein Kastell, dort ließ er sie im äußern Hof ihrer Kleider berauben und darauf von seinen Stockknechten nackt auspeitschen vor allem Volk. Das sei für die Dummheit, erklärte er lachend, sich eingebildet zu haben, einem Armagnac widerstehen zu können. Und das war nur ein Kinderspiel dessen, was ihrer harrte.

Die Burg zu Lectoure hat unerhörte Kerker. Die in den dicken Türmen oben waren vielleicht noch erträglich zu nennen im Vergleich zu den andern, die wie Brunnen tief abwärts in den Felsen gingen bis unter den Spiegel des Flusses Gers, der doch an die siebenzig Klafter tiefer liegt als die Grundmauern der Burg. In diesen Brunnen verschwanden die Gefangenen. Unter denjenigen, die ich vor ihrer Einkerkerung öffentlich und nackt auspeitschen sah, befanden sich auch zwei vornehme Geistliche, der Propst von St. Clar und der Sire von Grignole, Abt von Dieupentade.

In weniger als drei Wochen hatte der Graf von Armagnac sich seine ganze Grafschaft zurückerobert. Er ließ es sich aber damit nicht genug sein. Er erklärte alle seine Nachbarn, die es mit dem König hielten, für seine persönlichen Feinde und überfiel heute diesen, morgen den, bald in eigenem Namen, bald im Namen des Herrn Karl von Guyenne, der in seinem unnatürlichen Haß gegen seinen königlichen Bruder, dem Grafen von Armagnac in seinen frevelhaften Unternehmungen mit Geld und Truppen Vorschub leistete.

Und unser Herr Ludwig, den Gott zum König und Richter gesetzt hatte über sein getreues Frankreich, vermochte in dieser Zeit nichts zu unternehmen gegen alle diese Greuel. So sehr sah er sich rings von Feinden bedrängt, im Osten von dem Burgunder, den die Seinigen den Verwegenen nannten oder den Tollkühnen, im Norden von Eduard von England und dem Herzog der Bretagne, im Süden aber von dem eigenen unnatürlichen Bruder, unserm Herrn Karl von Guyenne. Ja, darüber hinaus wurde ganz Katalonien aufständisch und öffnete, unserm Herrn Ludwig zum Trotz, seine Burgen und Kastelle dem König von Aragon.

Diese Not des Königs von Frankreich machte den Grafen von Armagnac noch verwegener.

Vom ersten Augenblick seiner Rückkehr an hatte er dem Grafen Peter von Foix, seinem Schwager, der es zwiefach hatte werden sollen, den Untergang geschworen. Jetzt schritt er zur Ausführung seines grausamen Spruchs.

Von Herrn Karl von Guyenne waren neue Söldnerhaufen angelangt, und so schickte der Graf seinen Herold nach der Burg Foix, um seinem Schwager den Krieg anzusagen.

Und ohne erst die Antwort abzuwarten, brach er am dritten Tag in der Frühe auf mit seinem Heer, sechshundert Pferden und fünfzehnhundert Mann zu Fuß, und zog über Fleurance und Montestrue auf die Stadt Isle-en-Jourdan an der Save, welches die nächste war von den Städten des Grafen von Foix.

Dieser war bereits mit seinem Volk dahin geeilt, um seine Grenzen zu verteidigen, aber angesichts der feindlichen Übermacht zog er sich zurück, und die von Armagnac verbrannten die Stadt und verheerten ringsum alles Land.

Und verfolgten dann weiterhin den Grafen Peter, der sich zuletzt auf seine Burg zu Foix zurückzog, auf die er seine letzte Hoffnung setzte. Keine schlechtgegründete, denn die Burg zu Foix war weit beschrien durch ihre starken Mauern und ragenden Türme, daß sie für unüberwindlich galt und in der Tat von unserem allerchristlichen König zweimal vergeblich belagert worden war.

Auch hat kein Christenmensch später je geglaubt, daß unser Herr, der Graf von Armagnac, die Burg mit natürlichen Mitteln zu nehmen vermocht hat. Vielmehr neigte männiglich zu der Meinung, daß das Gelbgesicht aus Morgenland dabei mit magischen Kräften im Spiel war. Denn diesen Blaubart mit dem besternten Gewand aus feuerfarbenem Stoffe führte der Graf auf allen seinen Unternehmungen mit sich, und er mag dafür seine Gründe gehabt haben.

Dennoch lag unser Herr vier Monate vor der Burg seines Schwagers, und je länger es dauerte, desto geringer wurde allenthalben der Glauben an einen erfolgreichen Ausgang für ihn.

Nur eine einzige Seele vielleicht hegte ungeschwächte Hoffnung und schien niemals einen Augenblick darin zu wanken. Das war Bertrade.

Auf unserem Kastell zu Lectoure aber war es seit dem Wegzug des Grafen und seiner Kriegsvölker fast still geworden wie in einer Kirche. Alles Männliche, zum Kriegswerk Tüchtige, war ausgezogen zu Pferd oder zu Fuß, und die weitläufigen Höfe und Hallen und Säle lagen verlassen und lautlos.

Nur Greise und Knaben waren zum Dienst zurückgeblieben, und wahrlich, wenn es während dieser Sommermonate einem streifenden Trupp königlicher Lanzenknechte eingefallen wäre, uns einen Besuch zu machen, sie hätten uns mit Leichtigkeit ausgehoben, wie Knaben ein unbehütetes, unflückes Vogelnest. Aber unser Herr wußte zu gut, daß die Kriegsknechte der allerchristlichsten Majestät in den Gegenden der Normänner, Pikarden und Vlamen vollauf zu tun hatten, um sich der zahlreichen Feinde des Herrn Ludwig zu erwehren.

Schlich also die Zeit träg und schläfrig hin, da weder unsere Frau Gräfin, noch sonst ein Mensch an Jagd oder andere heftige Übungen dachte, und geschah es darum in diesen langen Sommertagen, daß Bertrade von Armagnac, wenn auch nur, um über die bängliche Zeit hinwegzukommen, (denn ich glaube es schon gesagt zu haben, daß alle Art weiblicher Hantierung an Webstuhl und Stickrahmen ihr nicht nach dem Sinne standen) mich wieder täglich zu sich rufen ließ und oft noch ein zweitesmal am Tag, um mit ihr den Virgilium zu lesen wie ehebevor, bald unten in der kühlen Halle des Palatiums, bald oben in dem offenen Bogengang mit dem Blick hinunter auf die Dächer der Stadt und das Tal mit den schilfbestandenen Ufern des Gers und der langen Reihe von Weinhügeln in der Richtung auf Astaffort und Miradoux. Lasen aber oft nur wenige Verse zusammen, weil Bertrade, die mir größer geworden schien seit dem letzten Herbst, dann an anderes lieber dachte als an Dido und Aenäas und das hölzerne Roß der Danaer. Die Sorge um das gefahrvolle Unternehmen des Grafen, ihres Bruders, wenn sie auch an dessen Glück keinen Augenblick zweifelte, nahm oft all ihre Gedanken hin, und da mochte sie von nichts anderem hören als von diesem Bruder, der ihren Sinn unaufhörlich beschäftigte.

Sie erzählte mir unglaubliche Dinge von dem Abenteuerleben des Grafen im Morgenland als Kriegshauptmann der Republik Venedig, und oft an solchen Tagen breitete sie eine Karte vor mir aus mit den Küsten und Inseln des levantischen Meeres und zeigte mir die Insel Cypern, wo ihr Bruder König werden sollte, als der Gemahl der vielbeschrieenen Königin Katharina Cornaro.

Als nämlich der Graf bei der Republik des heiligen Markus Dienste genommen, war gerade der König Jakob von Cypern, der letzte aus dem Hause Lusignan, gestorben und ein Aufruhr ausgebrochen gegen dessen junge Gemahlin, die genannte Katharina, als welche, um Bertrade zu glauben, für die schönste Frau der Christenheit galt. Die Republik, seit lange lüstern nach dem zauberhaften Eiland an der Schwelle des geheimnisvollen Orients, erklärte die Königin Katharina, eine Venezianerin, für die Tochter des heiligen Markus und sich selbst als deren Beschützerin. Die Herren von Venedig schifften also auf drei Galeeren Kriegsvolk ein für die Insel Zypern unter dem Oberbefehl des Grafen. Dieser landete glücklich, unterdrückte den Aufstand und gewann sich die Freundschaft der verwitweten Königin, die ihm bald insgeheim ihre Absicht verriet, ihn zu ehelichen und zum König von Cypern ausrufen zu lassen.

»Ihr kennt nun den Grafen von Angesicht,« unterbrach sich Bertrade, »sagt denn, kann man es sich anders denken, als daß die Königin ihn lieben mußte? Er ist ein geborener König. Katharina Cornaro hat es gefühlt. Das königliche Blut von Aragon glüht ihm aus den stolzen Blicken. Ihr habt es mit angesehen, wie er schrecklich sein kann in seinem königlichen Grimm, aber freilich von dem andern wisset Ihr nichts, wie der milde Strahl seiner Güte, wenn er in ein Herz trifft, die Seele erschaudern läßt in seliger Beglückung.«

»Ihr seid seine Schwester,« sagte ich, um nur etwas zu erwidern.

»Ich bin ein armes Mädchen,« lispelte sie wie in Demut, aber ihr Blick sprach von übermenschlichem Stolz.

»Ich bin ein armes Mädchen,« wiederholte sie, »und wenn ich an jene gebietende Herrscherin im weiten blauen Meer denke, ist es bald wie Jubel in meinem Herzen, daß sie den Bruder geliebt hat, bald wie herbe Bitternis, daß ihm ihre Liebe mehr sein mußte als die meinige. Aber dessen schäme ich mich dann wieder und grolle dem Schicksal, das es den beiden nicht vergönnt hat, sich zu vereinigen, welch ein Geschlecht von Königen wäre aus ihnen hervorgegangen. Aber die Spione der Republik des heiligen Markus hatten seine Ohren, der Plan der Königin wurde ruchbar, und der Graf wurde plötzlich von der Insel zurückgerufen. Der unersättliche, gefräßige Löwe von Venetien hatte sich selber das alte lusignanische Königtum zur Beute ausersehen.«

Auch den gelbgesichtigen Griechen oder welchen Blutes er sonst sein mochte, den das Volk den Ägyptianer nannte, hatte der Graf von der Insel Cypern mitgebracht.

Bertrade schien sich selber zu vergessen, wenn sie von ihrem Bruder erzählte, und gar wenn sie von jener cyprischen Königin sprach, ihrer alles überstrahlenden Schönheit und ihrem fabelhaften Reichtum, ihren Perlen, groß wie Taubeneier, da schien ihre eigene Schönheit sich daran geheimnisvoll zu entzünden, und ein fast erschreckendes Leuchten brach aus ihren Augen.

Ich aber erschrak eines Tages bis ins Mark meiner Gebeine vor einer andern Erscheinung. Ich hatte, während Bertrade gerade wieder in stolzer Aufwallung von der leidenschaftlichen Freundschaft sprach zwischen jener Beherrscherin Zyperns und ihrem Bruder, zugehört mit zu Boden gerichteten Augen, und als ich sie einmal aufschlug, da traf mein Blick zusammen mit einem andern starren Blick, dem unserer gnädigen Frau, der Gräfin, deren langgezogenes Gesicht dicht hinter Bertrades Schultern aufragte.

Man sah die Gräfin zu dieser Zeit selten. Sie hielt sich allermeist in ihrer Kemenate, und alles Gesinde ging ihr gern aus dem Wege als einer vom Fluch des Unglücks Betroffenen. Nun mußte sie auf leisen Sohlen herangetreten sein.

Als Bertrade mein Erschrecken sah, blickte sie sich um, erschrak aber keineswegs.

»Frau Schwester,« sagte sie gelassen, »ich spreche von jener stolzen und schönen Königin im Morgenland, die Euren Gemahl, meinen Bruder, ausgezeichnet hat vor allen andern.«

Bei dieser Rede Bertrades schien es mir, als ob die starren Züge unserer Herrin noch starrer und gleichsam tot würden, wie versteinert. Nicht die geringste Bewegung tat sich kund in dem langen hagern Gesicht, und ohne einen Laut der Rede wandte sich die Gräfin und schritt hinweg durch den Bogengang gegen den Saal, lautlos, wie sie erschienen war. Ich sah ihr nach, und ein brennendes Leid um die Unglückliche nagte mir das Herz, wenn ich dachte, daß auch sie einen Bruder liebte, dem ihr eigener Gemahl den Untergang geschworen hatte.

Aber so sehr auch das flackernde Licht in den großen dunklen Augen der Bertrade mir das Gemüt mit quälender Unruhe erfüllte, wenn sie von den unglaublichen Erlebnissen ihres Bruders im Morgenland erzählte, so gab es doch noch Dinge, über die sie anzuhören oder ihr Rede zu stehen einem einfältigen Sohn des heiligen Benedikt noch schwerer wurde, daß es ihm oft deswegen im Gewissen brannte wie ein Vorgefühl vom Feuer der verdammten.

Einmal, da wir im Virgilium die Serameter übersetzten:

»Sie sind's, welche der Liebe schmachtender Kummer getötet,
Ewig verharren sie einsam; in dunkler Myrthen Umschattung
Wohnen sie freudlos, es wohnt ihnen ewig im Herzen die Schwermut.«

brach sie im Lesen jäh ab.

»Ich hätte eine Frage an Euch, Vater,« sagte sie.

Ob es mir bewußt sei, kam es ihr dann stockend von den Lippen, daß die Patriarchen oder israelitischen Fürsten, von denen die Bibel erzählt, öfter mit der eigenen Schwester vermählt waren?

Mir lag es an jenem Tag noch weit ab von Sinn und Seele, den grauenhaften Hintergedanken dieser Frage zu ahnen, sonst, dünkt mich, wäre ich vom Stuhl gesunken vor tödlichem Erschrecken.

So fragte ich nur höchlichst erstaunt dawider, wie sie zu einer solchen Frage komme.

Sie habe es so im Buche, das man die Genesis nennt, gelesen, aber gezweifelt, ob sie den Sinn der lateinischen Ausdrücke recht verstanden.

Wer ihr das Buch gegeben habe?

Ihr Bastardbruder, der Bischof.

»Ein Bischof,« rief ich aus, »gibt Euch ein Buch, dessen Lesung von der heiligen Kirche, unserer Mutter, den Laien verboten ist, welchen Alters und Geschlechts sie seien.«

Und Bertrade dagegen: ob nicht die Kirche selber dieses Buch ansehe als ein Ruch göttlicher Offenbarungen, und warum sie es also zu lesen verbiete? Und woher die Kirche Macht und Gewalt habe, etwas zu verbieten, was nach ihrer eigenen Lehre den Menschen von Gott geschenkt worden ist.

Ich ahnte, wie ich schon gesagt habe, von weitester Ferne nicht, was sich Entsetzliches hinter Bertrades Rede verbarg, und antwortete ihr darum, wie ich konnte, daß eben die Kirche diese Macht und Gewalt von ihrer göttlichen Mission ableite und daß, wer nicht auf die Kirche höre, schlimmer sei als ein Hurer und öffentlicher Sünder.

»Huh, was Ihr für Worte gebraucht, Mann Gottes,« rief Bertrade, als ob meine Vermahnung sie aufs höchste belustigt hätte.

»Alles das müßte man doch erst glauben,« fügte sie nach, »und offen gestanden, dies dünkt mir unmöglich.«

»Nun seht Ihr,« rief ich aus; »wenn Ihr der Kirche glaubtet, dann brauchtet Ihr nicht Wahrheit und Offenbarung zu suchen, wo es auch verboten ist. Wer nach der Bibel greift, gegen das Verbot der Kirche, der ist schon ungläubig in seinem Herzen, ein Ungehorsamer und Empörer. Denn das göttliche Wort, das geschriebene, es wird ihm zum Fluch und verderben, wie durch die Jahrhunderte hindurch allen Predigern des Irrglaubens, die unsere heilige Kirche verworfen und verdammt hat. Der reine Wein des göttlichen Wortes in der Schrift hat sich auf ihren gottlosen Lippen in Gift verwandelt, und statt des Heils hat ihre Seele sich den ewigen Tod getrunken.«

O mein Gott, mein Herr und Erlöser, wie verblendet war ich, Bertrade an diesem Tage nicht zu erkennen! Kleine furchtbaren Worte waren für sie wie in die Luft gesprochen, und mit einem fast grauenhaften Lächeln begann sie plötzlich bei der unterbrochenen Stelle weiterzulesen.

An einem andern Tag verblüffte mich Bertrade, ihr Lesen unterbrechend, urplötzlich mit einer Frage, die ich am wenigsten von ihr erwartet hätte.

»Was denkt Ihr über Don Palamedes, den Arzt und Astrologen unseres Herrn? Denkt Ihr auch, wie so viele, daß er der böse Geist meines Bruders ist?«

»Man sagt,« antwortete ich, »er sei ein Meister der Magie. Diese Kunst kommt vom Satanas, dem großen Urlügner.

»Ich ahnte es,« entgegnete Bertrade, »daß Ihr Schlechtes von ihm denkt. Und nun ist er bei meinem Bruder, und mein Bruder glaubt an ihn als seinen schützenden Genius. Kein Mensch, so weit das alte Aquitanien reicht, glaubt, daß es in menschlicher Macht stehe, die Veste von Foin zu brechen mit Gewalt der Waffen, und vielleicht würde auch mein Bruder daran verzweifeln, aber Palamedes hat ihm mit weissagendem Wort das Gelingen zugesichert.«

Ich erbebte.

»Nur Gott der Allmächtige allein weiß das Zukünftige,« rief ich schaudernd, »und noch Einer.«

Ich bekreuzte mich unwillkürlich.

»Oh, es ist wahr,« sprach Bertrade ruhig und gesetzt, »Palamedes verfügt über geheimnisvolle Kräfte und Unbegreifliches vermag er. So hörte ich es von meinem Bruder. Die Leute sagen, er habe einen Bund mit dem Teufel. Auch Ihr denkt so, frommer Vater, ich weiß es. Und von jenem seltsamen Mädchen aus Lothringen, das einst die Stadt Orleans gegen die Engländer siegreich verteidigt und den jungen König Karl zur Krönung nach der Stadt Reims geführt hat, habt Ihr es auch geglaubt damals, nicht wahr: Eure Priester und Prälaten haben die Arme dem Feuertod überantwortet als eine Hure des Teufels, wie ich es gelesen habe. Der Teufel aber, erklärte mir der Graf, ist nur die Ausgeburt finstern Wahnsinns und hündischer Angst. Mit solch wesenlosem Gespenst gibt es weder Brautschaft, noch Bund und Vertrag. Geheime und unbegreifliche Kräfte schöpft Palamedes, das sind die Worte des Grafen, aus der Fülle geheimen Wissens, das er voraus hat vor allen Menschen. Aus seiner Wissenschaft hat er seine Macht; das werden die Unwissenden nie begreifen.«

So weit schon, o Gott, hatte der Gelbgesichtige den Geist Bertrades eingesponnen mit dem Netz seiner teuflischen Verruchtheit. Mir aber schnürten ihre Worte die Kehle zu, gleichsam als ob Satanas mich unsichtbar würge mit glühenden Krallen. Das furchtbare Wort des Astrologen bei jenem gotteslästerlichen Nachtmahl klang mir schauerlich im Ohr: »Wer Gott leugnet aus der Kraft seiner Seele, der ist stärker als Gott.« Wer anders konnte so sprechen als der Widerchrist selber, der ein Apostel ist des ewig verfluchten, des Empörers von Urbeginn.

Doch Bertrade, meiner stummen Not nicht achtend, las bereits von neuem in dem Buch des Mantuaners, als ob der rhythmische Fluß seiner Verse niemals von uns unterbrochen worden wäre; sie las:

»Auch den Titanen sah ich, der schwer dem Jupiter büßte,
Daß er des Blitzes Strahl und den erderschütternden Donner
Frech mit Erz und Gestampf hornfüßiger Rosse nachahmte.«

Bald aber traten Unterbrechungen anderer Art ein. In der vorletzten Augustwoche, just auf den Tag St. Bartholomäi, des Apostels, meldeten die Glocken von St. Stephans Münster, als welche durch all die bangen Wochen und Monate stumm geblieben waren, den Einwohnern von Lectoure die Heimkehr ihres Bischofs in die Stadt. Er war, wie es sich auch niemand anders hätte denken können, mit dem Grafen zu Feld gezogen und kehrte jetzt als erster und als Träger von dessen Botschaft an seinen bischöflichen Sitz zurück.

Und dies war die Botschaft: Unser Herr, der Graf, hatte das Kastell von Foix glücklich erstürmt und befand sich nun ebenfalls auf dem Rückmarsch begriffen mit Herrn Peter von Foix als seinem Gefangenen.

Darüber großer Jubel im Herzen Bertrades und dumpfe Verzweiflung in der verdüsterten Seele der Gräfin, unserer gnädigen Herrin.


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