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Zwölftes Kapitel

Wie dem Bruder Desiderius die Augen geöffnet werden

Noch deutlicher, als in allem, wovon ich bis jetzt geschrieben, verriet sich Bertrades Seele, aber wieder ohne daß mir die Schuppen von den Augen fielen, bei einer Gelegenheit, die ich noch zu erzählen habe.

Seit einigen Wochen schon lasen wir zusammen, oft täglich, oft mit Unterbrechungen (wenn Bertrade zu mehrtägigen Ausritten ihren Bruder begleitete) in des Ovidii Verwandlungen, ohne daß ich bei Bertrade Mißfallen an den losen Geschichtchen und leichtfertigen Liebesmaterien entdeckt hätte, jedoch auch nicht das Gegenteil davon; ihr Auge blickte gleichermaßen streng und ernst, was auch der Poet an Schalkheit vorbringen mochte, und nie sah ich die leiseste Spur eines Lächelns, das einen unmagdlichen Gedanken verraten hätte, sich auf ihre strengen Lippen stehlen.

Doch dann, eines Morgens – des warmen Herbstwetters halber saßen wir in dem mehrfach genannten offenen Bogengang – stieß Bertrade auf die Geschichte der unglückseligen Prinzessin aus Karien, der Tochter des Königs Appolineus und der Königin Fidothea. Sie las:

»Vor verbotener Liebe warnt euch Mädchen das Schicksal
Jener Syblis, sie liebte, doch nicht als Schwester, den Kaunus,
Aus dem nämlichen Schoß, gleich ihr, geboren und – – –«

Bertrade stockte, und nicht ohne Erschrecken wurde ich gewahr, daß das rosenfarben angehauchte Elfenbeingelb ihrer Wangen sich jäh verwandelte in das Weiß des Kalkes und die roten Lippen grau wurden und schlaff wie verwelkt.

Voll Besorgnis, und ohne an anderes zu denken, fragte ich, ob ihr etwas zugestoßen sei.

Dies verneinte Bertrade heftig, und dann, sich gewaltsam zusammenraffend, las sie weiter die folgenden Verse, aber las mit unsicherer Stimme und in einer solchen Unruhe und Gestörtheit, die sonst so Ruhige, daß ich vermeinte, ich müßte ihr Herz pochen hören unter dem engen, steifen Mieder, das am obern Rand mit goldenen Kettlein und farbigen Steinen so zierlich besetzt war.

Nachdem sie mit der kurzen Geschichte zu Ende gekommen, verharrte sie eine Zeitlang in ernst nachdenklichem Schweigen. Plötzlich dann fragte sie, ob ich nicht fände, daß das liebe Kind mit seinem guten Herzen nicht allzu hart gestraft worden sei.

Und als ich verständnislos zu ihr aufblickte:

»Nun ja,« sagte sie ein wenig zögernd, »wenn ich darüber nachdenke, so scheint mir, daß für so etwas der Mensch nichts kann von sich aus, es kommt so über ihn und ist stärker als alle andere Stärke in seiner Seele.«

Ich bekreuzigte mich unwillkürlich.

»Was habt Ihr?« fragte Bertrade.

»O Herrin,« rief ich aus, »die verruchtesten aller Häretiker haben nichts verruchteres gelehrt. Und Ihr, eine Christin, könnt einen verbrecherischen Hang beschönigen wollen, den selbst die Heiden verdammt haben, die doch des göttlichen Lichtes entbehrten. So laßt Euch denn dieses sagen: Dieser Ovidius hat selber schon die Historie verschönert und verfälscht, den verweichlichten Frauen im cäsarischen Rom zuliebe, denen er vor allem mit seinen Versen gefallen wollte, anders wie der tugendhafte Virgilius, als welcher sich einen Ruhm daraus machte, für Männer zu schreiben. Der strenge Mantuaner ist ein erhabener Lehrer der Jugend, Ovidius dagegen hat es vorgezogen, ein unbedenklicher Schmeichler zu sein und um den Beifall aller Leichtfertigen zu buhlen. So hat er auch hier die strenge Überlieferung versüßt für schwache Weiberohren. Nach den wahrhaftigen und unverfälschten Berichten aber hat sich die Byblis mit eigener Hand an dem Ast eines Nußbaums erhängt, und die Schakale der Wüste und die Geier des Gebirges haben ihr die sündigen Eingeweide aus dem Leibe gehackt.«

So nämlich wollte ich sprechen. Doch blieb in Wahrheit mein Satz unvollendet, Ein entsetzter Aufschrei Bertrades schnitt mir das Wort vom Munde ab.

»Mönch, du bist ein Unmensch,« schrie sie mir dann ins Gesicht. »Ihr alle seid Unmenschen, ihr Mönche. Und ihr lügt, Euren eigenen Gott verleumdet ihr.«

Sie hatte sich erhoben.

»Ich werde es Euch beweisen,« rief sie in zitternder Erregtheit und eilte hinaus.

Was soll das werden, und was soll das alles heißen, dachte ich bei mir in banger Erwartung. Bertrade kehrte unverweilt zurück. Sie trug ein Buch in der Hand, einen schweren Infolio, den ich an seinem Einband von weißem Leder mit eingepreßten Ornamenten und seinen gegitterten Schließen aus schwärzlich angelaufenem Silber von weitem schon erkannt. Es war jene Bibel, die ihr Bastardbruder, der Bischof von Lectoure, ihr geschenkt hatte.

Wieder dieses Buch, dachte ich kummervoll, der Born aller Offenbarung für die Geweihten Gottes, aber von allen gottlosen Irrlehrern mißbraucht zum Deckmantel ihrer Lügen und zum Schutzwall ihres rebellischen Hochmuts.

Denn das ist das Wesen der Häresie, so dachte ich weiter, daß sie Unzucht treibt mit dem Heiligsten. Ja, Unzucht treiben die Ketzer mit Gottes Wort und Buch. In ihnen wiederholt sich die Ursünde der Menschheit, die Sünde der Eva. Von diesem Baum, er ist genannt der Baum der Erkenntnis, sollt ihr nicht essen. So sprach Gott im Paradies der ersten Menschen. Und durch den Mund der Kirche spricht er zu den Uneingeweihten: In diesem Buche, es wäre der Tod deiner Seele, sollst du nicht lesen. Aber der Häretiker empört sich gegen Gottes Gebot und horcht lieber auf die Einflüsterungen der Schlange: Willst du wissend werden, lies, et eris sicut Deus, scientem bonum et malum.

»Weiche von mir, Eva, schlangenzüngige Versucherin,« so hätte ich der Eintretenden zurufen mögen, aber menschliche Feigheit verschloß mir den Mund.

Noch immer bebend am ganzen Leibe, legte Bertrade das Buch vor mir auf den Tisch. Aufgeschlagen war das neunzehnte Kapitel der Genesis, sie suchte mit den Augen und dann legte sie ihren schlanken Finger mit dem langen, schmalen, rosenfarbenen Nagel – ich weiß nicht, warum mich ein Grauen ankam bei dem Anblick – legte also den Finger an den Vers, den ich lesen sollte, und wo da geschrieben steht: »Und also gaben sie ihrem Vater Wein zu trinken in derselben Nacht, und die erste ging hinein et cetera

Bertrades große Augen schossen flammende Blicke.

»Und wo steht nun geschrieben, daß das Sünde war und Verbrechen. Zeigt es mir. Aber nein, es steht nirgends geschrieben. Denn das waren eines frommen Fürsten fromme Töchter. Oder ist euch, ihr Mönche, dieses Buch nicht heilig? Ihr nennt es selber das Buch der Bücher, nennt es die Urkunde eures Gottes. Hat er die Töchter gestraft? Zeigt es mir, wenn es wo geschrieben steht. Es steht nicht geschrieben. Ihr seid Verleumder eures Gottes.«

Von diesem Tage an war keine Rede mehr von des Ovidii Metamorphoseon, ja, Bertrade schien geflissentlich jedes Zusammensein mit mir zu vermeiden, und nicht von ihr, von einer ihrer Kammerfrauen erfuhr ich, daß die Jungherrin von Armagnac sich viel in dem Turmgemach des Don Palamedes aufhalte, von dem sie die griechische Sprache erlerne.

Dies alles hätte mich bewegen sollen, meine Herrin um Urlaub zu bitten. Ich wagte es nicht. Und trotz der haarsträubenden Ketzereien Bertrades deutete ich mir die neue Wendung der Dinge in dem für sie günstigsten Sinn, indem ich es ihr zum Verdienst anrechnete, daß sie dem Lesen der phantastischen Märchen in des Ovidii Metamorphoseon das ernste und anstrengende Studium der griechischen Sprache vorziehen mochte. Wenn ich heut daran zurückdenke, kann ich nur glauben, daß nichts anderes, denn die magische Einwirkung des Palamedes auf meinen Geist es gewesen war, die mich blind machte mit sehenden Augen. Denn nur ein Vorwand, wie sich bald zeigte, war dieses Studium der lingnae grecae, vorgeschützt von dem Gelbgesicht aus Cypern, um die arme Bertrade endgültig dem zeitlichen und ewigen Verderben zu weihen.

Ich selber sah die Jungherrin von Armagnac von da ab sozusagen nur noch von weitem. Ich sah sie bei den Mahlzeiten an der rechten Seite ihres Bruders – zu seiner Linken saß der Astrolog – aber mein eigener Platz war weit nach unten an der Tafel, so daß ich nicht dazu kam, an sie das Wort zu richten. Ich sah sie auch täglich bei der Messe, die ich jeden Morgen zur neunten Stunde in der Kapelle las, und wo Bertrade nur selten ermangelte, an der Spitze ihres zahlreichen persönlichen Hausgesindes zu erscheinen. Denn wie ich es schon früher notiert habe, hat Bertrade sich in Beobachtung der äußerlichen religiösen Gebräuche niemals von andern Frauen ihres Standes merklich unterschieden, ob sie gleichwohl vielleicht – der Verdacht ist oft ausgesprochen worden – nicht einmal eine getaufte Christin war.

Von meiner Verblendung über die immer deutlicheren Anzeichen des hereinbrechenden Unheils habe ich genug gesprochen. Dennoch entging es mir nicht, daß sich in dem äußeren Wesen Bertrades seit einigen Wochen schon gewisse Veränderungen andeuteten, worüber ich mir indessen keine weiteren Gedanken machte. Ich wäre auch nicht imstande gewesen, bestimmt in Worten auszudrücken, was sich in Wirklichkeit an der jungen Herrin gewandelt hatte, außer etwa, daß mir die strenge Klarheit ihrer Augen, die sonst oftmalen an die Härte und Kälte des Diamantsteins denken ließ, gemildert schien, wie auch, daß ihre Lippen noch runder und röter und ihre leiblichen Bewegungen weicher und lässiger geworden waren.

Aber wie man sich nun auch darüber verwundert, ich wahrlich dachte mir, wie gesagt, bei all dem nichts Besonderes, bis eines Tages unsere Brüder im Konvent von St. Cyriak, unten in der Stadt, wo ich manchmal einsprach, den verdeckten Höllenabgrund plötzlich vor meinen Augen aufrissen, daß ich nicht anders meinte, als selber darin versinken zu müssen.

Es hatte sich so gefügt, daß ich einen ganzen Monat oder länger nicht hinuntergekommen war, und als ich an dem gedachten Tage zur zweiten Stunde des Nachmittags, vom Bruder Pförtner eingelassen, den von Bogengängen umgebenen Blumengarten betrat, wo die Brüder um diese Zeit der Erholung pflegten, fiel es mir gleich verwunderlich, wie sie mich alle eifrig umringten und in ungewöhnlicher Hast auf mich eindrangen, was ich neues brächte aus dem Kastell und insbesondere von unserer Jungherrin von Armagnac.

Ich weiß nicht mehr, was ich den Brüdern geantwortet habe, aber wie nun eine Rede die andere gab, sah ich ein immer größeres Erstaunen in den Gesichtern der Brüder, das endlich auch in Worten Ausdruck fand.

»Wahrlich, er weiß nichts,« rief der Bruder Kellermeister. »Was sich die ganze Stadt seit vielen Wochen, ja was man sich längst erzählt in allen Städten und Flecken der ganzen Grafschaft, unser Bruder Desiderius allein weiß es nicht.«

Dieser Bruder Kellermeister war im Gegensatz zu den meisten seines Amtes von dürrer, hagerer Gestalt, mit schlecht geschorenem Bart um den gradlinig breiten Mund. Fr sprach seine Worte so betont und gab auch seinem Gesicht dabei einen Ausdruck, als ob er etwas Kränkendes über mich aussage, worüber ich errötete und die Brüder verlegen zu Boden blickten.

»Oh,« rief aus dem Hintergrund, wo er damit beschäftigt war, eine welke Rose vom Stock zu entfernen, einer der Brüder, der Pater Leutevin hieß; »oh, Bruder Desiderius weiß gewiß alles, er stellt sich nur so, weil er sich schämt.«

Doch als nun alle bemerkten, wie ich immer ratloser und mit fragender Seele meine Blicke von einem zum andern gehen ließ, ohne daß ich wagte, meiner Frage Worte zu verleihen, fast wie Einer, ich will es gestehen, der ein schlechtes Gewissen hat und fürchten muß, seine Verurteilung zu hören, da erkannten alle, daß ich in aller Wahrheit nichts wußte.

Ach, daß ich doch unwissend geblieben wäre mein Leben lang.

Aber nun fiel mir's von den Augen, und so vieles, das ein jeder andere an meiner Stelle längst begriffen hätte, stand plötzlich vor mir in einem grellen, erschreckenden Licht.

Was aber die Brüder von St. Cyriak andeuteten und was man seit vielen Wochen sich erzählte in allen Gassen, ohne daß der geringste Laut davon zu meinem Ohr gedrungen, war dies: Bertrade sollte seit drei Monaten schon mit ihrem leiblichen Bruder, dem Grafen, leben wie in ehelicher Gemeinschaft, und alles spräche dafür, daß sie auch allbereits gesegneten, oder, wie man hier, um nicht Gott zu lästern, sagen müßte, verfluchten Leibes sei, die Unglückselige.

Noch immer war ich geneigt, all dies Ungeheuerliche für bösmäulige Gerüchte und lose Reden zu halten, trotz aller noch so deutlichen Zeichen der einwirkenden höllischen Magie, für die ich so lange blind war.

Aber die Brüder lachten mich aus, und ich konnte aus ihrem Betragen wohl entnehmen, daß sie noch ein Genaueres und auch ein Mehreres wußten, wovon sie nur nicht sprechen wollten.

Da sah ich wohl, daß mein Nichtglaubenwollen eine Albernheit sei, wie es mir die Brüder auch schonend zu verstehen gaben. Ich stand also sprachlos, mein Denken schien gelähmt, und unter der Kutte schlotterten mir die Gebeine.

Besorgt hielten die Brüder mich unter den Armen und führten mich an die Bank am Brunnen. Sie netzten mir Stirne und Lippen mit frischem Wasser und suchten mich aufzurichten mit liebender Zusprache.

Ein Jahr und fünf Monate sind seither vergangen, aber immer erschüttert's mich im Innersten, wenn ich dieser grauenhaften Offenbarung im Blumengarten von St. Cyriak gedenke.

Und auch jetzt wieder hat das Niederschreiben des Ungeheuerlichen meine Seele ganz ausgeschöpft; wie zerknittert fühlt sie sich, und ich will darum mein Schreibgeschäft aussetzen bis auf den morgigen Tag.


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