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Siebzehntes Kapitel

Der Brief des Herzogs von Nemours

Dieser Brief lautete also:

»Mein sehr gefürchteter Lehensherr, mein hoher Herr und König. In der allergrößten Demut, die einem armen Knechte möglich ist, empfehle ich mich, Herr, Eurer Gnade und Barmherzigkeit.

»Hoher königlicher Herr, ich habe alles erfüllt, so weit ich nur konnte, was Eure Majestät mir durch deren Kanzler, Herrn von Montaigu, und deren ersten Präsidenten, Herrn von Viste, aufzutragen und zu befehlen geruhen wollten, da ich lieber in den Tod gehen mag, als Euch nicht zu gehorchen und bis an mein Ende Euer gehorsamer Knecht verbleiben will, wie ich es immer gewesen bin.«

(Hier an dieser Stelle hat Bertrade ihre Überzeugung geäußert, daß das Schriftstück eine Fälschung sein müsse. Ich fahre weiter in meiner Abschrift.)

»Mein Herr und König, was ich den genannten Herrn gestanden und anvertraut habe, durste ich nach meiner Meinung nur Euch allein anvertrauen, meinem Herrn und König, und keinem andern, und darum flehe ich Euch an, mir nicht allzu sehr zu zürnen. Euch mag ich nichts verhehlen, mein Herr und König, und glaubt mir, ich werde mich dessen niemals schuldig machen. Ich habe so viel in meinem Leben gegen Euch gesündigt, gegen Euch und gegen Gott, daß ich weiß, ich bin verloren, wenn ich mich nicht decken kann mit dem Schild Eurer Gnade und Barmherzigkeit, um die ich Euch anflehe aus der Tiefe meiner Erniedrigung voll bitterer Reue und zerknirschten Herzens. Seid mir gnädig, mein Herr und König, seid mir barmherzig um der verdienstvollen Leiden unseres Herrn und Heilands Jesu Christi willen, und um der göttlichen Tugenden der gebenedeiten Jungfrau Maria, Euerer huldreichen Patronin, die Euch allezeit mit so reichen Gnadenschätzen überhäuft hat, seid barmherzig, seid gnädig mir armem Sünder.«

(Der Feigling, der Elende! hat die Herrin zu diesen frommen und erbaulichen Worten ausgerufen. Oh, gewiß war ihre Seele nie bekleidet worden mit dem lichthellen weißen Gewand der Taufgnade, oder der Dämon der Zauberei haue es ihr besudelt und geschwärzt mit dem Ruß der Hölle. Ich fahre weiter in meiner Abschrift.)

»Um solcher hohen Verdienste willen, die es gewirkt haben, daß Gott alle Sünden der Welt verziehen und die ganze Menschheit wieder zu Gnaden aufgenommen hat, wollet auch Ihr, mein Herr und König, mich Gefallenen emporheben und von neuem aufnehmen in Eure Gunst und all meine Missetat zudecken mit der Gnade des Vergessens. Erbarmen, Erbarmen, rufe ich abermals. Gedenkt der reichen Gnadengeschenke, die Euch Gott und seine heilige Mutter in Eurem Leben zugewendet haben, und lasset ein weniges davon, ein kleines Almosen nur, mir zuteil werden und meinen armen Kindern. Duldet nicht, daß ich für meine Sünde schmachvoll und schimpflich sterbe und meine Kinder ehrlos werden müßten und gezwungen, in fremden Häusern um ihr Brot zu betteln. Wenn Ihr einige Freundschaft hättet für meine arme Frau, die Eure Base war, so habt nun auch ein wenig Mitleid mit ihrem unglücklichen Gemahl und ihren armen verlassenen Waisen. Mein Herr und König, möge es Euch gefallen, daß einzig Eure Barmherzigkeit, Milde und Nachsicht mich richte und mein Urteil fälle und außer Euch kein Anderer ein Richter sei über mich. Ich will Euch auch treu sein und dienen für immer, daß Ihr erkennen müßt, meine Reue und bittere Zerknirschung sei wahr und ohne Falsch und will, um Euren Groll zu besänftigen, mein Haupt ganz in den Staub beugen und nach Eurem Wunsch und Willen jede Buße auf mich nehmen für meine Sünden.«

(Oh, Bertrade, diese Worte freilich wollten deinem unglückseligen Stolz nicht eingehen; wie ein Schlag ins Gesicht waren sie deinem Geist der Gesetzlosigkeit, der in dir wohnte, daß du dich nicht länger bezwingen konntest und das Blatt in Stücke rissest.)

»Auch wollet, mein Herr und König, (so ging der Brief weiter) es mir zugute halten, daß ich Euch an die glückliche Zeit unserer Kindheit erinnere, wo wir die Tage in gemeinsamen Spielen und ritterlichen Übungen verbrachten mit Ringelstechen und Speerwerfen, oder Seite an Seite gedrückt aus dem gemeinschaftlichen Buche die Demonstrationes des Euklidius und die Fragen und Antworten der Ars minor des Aïlius Donatus unseren jungen Gedächtnissen einzuprägen suchten, während wir die Nächte auf dem Lager Wange an Wange schliefen im ruhigen Gleichgang unseres Atems wie aus einer einzigen Brust, also daß wir dann am Morgen, wenn wir uns unsere Träume erzählten, der eine zu erzählen schien, was doch des andern Traum war, weil wir beide das Gleiche geträumt hatten.

»Oh, mein Herr und König, vielleicht blieb es unglückseligerweise Euch noch im Gedächtnis, wie ich Euch einmal einen Streich ins Gesicht versetzte, weil Ihr mich allzu sehr gereizt hattet mit beißendem Spott; denn so war's Eure Art, wie es die meine war, des aufflammenden Zorns in mir nicht Herr werden zu können. O Herr, solltet Ihr daran noch immer denken und Groll deswillen hegen in Eurem königlichen Herzen, dann erinnert Euch auch der Tränen in meinen Augen, womit ich schon damals Eure Verzeihung angefleht habe, wie ich sie heut anflehe. Und darum, o mein Herr und König, blickt nicht finster, wenn ich Euch durch meine inständigen Bitten ermüde. Denn mir ist, als dürfte ich nicht aufhören, Euch zuzurufen: Erbarmen, Erbarmen, mein König. Um Gott und die heilige Jungfrau, habt Mitleid mit mir und meinen Kindern. Die Armen und Unseligen vor allem wollet unter den schützenden Mantel Eurer Barmherzigkeit nehmen; sie werden dafür nicht aufhören Euch zu dienen und Gott für Euch zu bitten, den ich selber auf den Knien anflehe, er möge Euch seine Gnade geben immerdar und dazu ein langes, ruhmvolles Leben und die Erfüllung all Eurer guten Wünsche.

»Geschrieben im Turm der Bastille in dem eisernen Käfig am Vorabend zum Feste Allerheiligen von Eurem demütigen und in allem gehorsamen Diener und Untertan

dem armen Jakob.«

Dies war der Brief des Herzogs von Nemours, wie ich ihn später abgeschrieben habe. Als ich ihn aber damals am Tisch des Kanzlers aus den zurechtgerückten Stücken des zerrissenen und zerknitterten Papiers bis an das Ende gelesen hatte, da fühlte ich mich seltsam erbaut und aufgerichtet in meiner Seele, die noch kurz zuvor durch Bertrades unfrommen Hochmut und heftige Worte sich mit schwarzer Trauer erfüllt hatte. Es war mir jetzt zumute wie nach dem Lesen eines Kapitels in einem heiligen Buch, und dieses lichtvolle Dokument von der gnadenvollen Bekehrung eines Armagnac erfüllte mich mit freudigen Hoffnungen, die sich freilich nicht erfüllt haben.

Meister Gratian Favre bemerkte, daß ich mit dem Lesen zu Ende war, er sah auf von seinen Schriften, und aus seinen geröteten Augen mit den gelben Wimpern (die Brauen darüber fehlten) richtete er fragend einen durchdringlichen Blick auf mich.

»Nicht wahr,« sprach er dann, »es ist nicht zu verwundern, daß Tausende von Menschen über dieser erbarmungswürdigen Bittschrift heiße Tränen vergossen haben, und meinen dürfte man, daß auch der König davon nicht ungerührt blieb?«

Ich wußte nicht, was ich dem Kanzler antworten sollte, denn wahrlich, meine Gedanken gingen ganz irre in diesem Augenblick.

»Der arme Herzog,« nahm Meister Gratian wieder das Wort, »glaubte um so eher auf die Großmut des Königs rechnen zu dürfen, als dieser kurz vorher in der Stadt Lüttich einer äußerst schlimmen Lage entronnen und dergestalt vom Himmel weithin sichtbar begünstigt und begnadigt worden war; also daß der Herzog meinte, es müsse des Königs Gemüt von so reicher Huld der Himmlischen weich geworden sein und zugänglich der Milde und Barmherzigkeit. So dachte naturgemäß der Herzog; denn ist nicht des Redens viel und überall von der Frömmigkeit des Königs, und worin anders sollte Frömmigkeit sich äußern als in Dankbarkeit des Herzens gegen Gott und seine Heiligen, wenn sie uns gnädig waren, daß wir uns selber aufgelegt fühlen zu Barmherzigkeit und hilfreicher Güte? Das ist doch auch Eure Meinung, Vater Desiderius?«

Ich nickte stumm.

»Leider,« sprach spöttlich der Kanzler, »versteht Euer König es anders und ist wohl der Meinung, ein König müsse auch eine königliche Frömmigkeit haben und nicht eine solche wie die Untertanen. Und darum ist Euer Herr Ludwig nur fromm in der Not und Bedrängnis; dann schreit er nach seinen Heiligen und gelobt ihnen reiche Stiftungen und Wallfahrten und verordnet Prozessionen und Bittgänge zu ihren Ehren durch sein ganzes Königreich und bittet und bettelt bei Gott und seiner Herzensdame, der heiligen Jungfrau, und verspricht ihnen immer reichere Schenkungen und Ehrungen, wenn sie ihm helfen. Ist ihm aber geholfen und geht es ihm gut und braucht er die Heiligen gerade nicht, denkt er mit keinem Gedanken mehr an sie, und je mehr Gnade ihm geschenkt wird, um so härter und grausamer wird er in seinem Gemüt. Der arme Herzog kannte seinen Jugendfreund schlecht, und nicht ein Wort hat der König ihm geantwortet auf den Brief, den Ihr gelesen habt.«

Meister Gratian wartete, was ich erwidern möchte, da ich aber in Schweigen verharrte, nahm er selber von neuem das Wort.

»Ihr glaubt wahrscheinlich,« sprach er jetzt mit fast traurigem Ernst, »wenigstens den armen Kindern des Herzogs werde der König seine Milde nicht versagt haben. Ach, Vater Desiderius, auch Ihr kennt den König Ludwig schlecht. Was er tut, das tut er nicht etwa nur halb. Und als man den Herzog auf das Blutgerüst führte, in der Stadt Paris, auf dem Greveplatz, da wo der Fluß vorbeifließt, auf dasselbe Gerüst, wo noch der scheußliche Kopf und Körper eines gemeinen Straßenräubers im Blute lag: da hatte man schon vorher die beiden halberwachsenen Söhne des Verurteilten ebenfalls dahin gebracht, barhäuptig und in weiße Gewänder gekleidet. Und in dem Augenblick, da oben der Vater sein Haupt auf den schmierigen Block legte, stießen zwei furchtbare Henkersknechte die Kinder unter das Gerüst, daß das Blut ihres Vaters niederrann auf ihre unschuldigen blonden Häupter.«

Mich überlief es eiskalt.

Der Kanzler aber machte ein Gesicht, wie wenn er die gleichgültigste Sache erzählt hätte.

»Ihr seht,« sagte er nach einer Pause, »die Frömmigkeit eines Königs hat ein anderes Gesicht als die Frömmigkeit der Untertanen.«

So sprach auf der Burg zu Nogaro Meister Gratian Favre, der Kanzler von Armagnac, am Morgen des Tages, da man das Fest feierte von der Geburt unseres göttlichen Herrn und Heilands. Und sah, als er aufgehört hatte zu sprechen, mich von neuem fragend an mit durchdringenden Blicken, denen ich auswich und meine Augen zu Boden senkte, in großer Verlegenheit, was ich sagen sollte.


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