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Neuntes Kapitel

Wie der Graf von Armagnac ein Te deus laudamus abhalten ließ

Drei Tage nach dem Herrn Bischof hielt der Graf selber seinen Einzug in Stadt und Burg. Ich will über den Tumult und das große Wesen dabei hinweggehen und von dem lärmenden Siegesfest nur den winzigsten Teil erwähnen, weil er deutlich erkennen läßt, welcher Art die Geister waren, die die Seele unseres unglückseligen Herrn regierten.

Er hatte nämlich, der so oft mit frechen Worten Gott geleugnet, für den ersten Frühmorgen seiner Rückkunft einen gottesdienstlichen Akt des Dankes befohlen, dem er beiwohnen wollte mit seiner Gemahlin, nebst allem Volk und Gesinde seiner Burg, gleichsam um aller Welt zu zeigen, daß er sich nicht scheue, auch mit Gott seinen Spaß zu treiben, an den er also im geheimen dennoch glaubte, trotz alles Leugnens.

Denn kindischer könnte man sich nichts denken, als daß einer an dem seinen Spott übte, von dessen Nichtsein der Spötter selbst überzeugt wäre. Das ist dergestalt einleuchtend, daß der Gottesleugner wider seinen Willen ein noch stärkeres Zeugnis sein muß für Gott, als sogar der Gläubige, weil der Mensch wohl auch zuzeiten an Fabeln zu glauben vermag, aber zum Haß nur aufgereizt werden kann von einem wirklich und wahrhaft Seienden.

Nur weil der Graf von Armagnac in seinem Innersten an Gott glaubte (so sehr er es auch leugnete), konnte es seinen satanischen Hochmut kitzeln, den Herrn der Heerscharen gleichsam zu vergewaltigen und zur Vasallenpflicht zu zwingen in der Person seiner Stellvertreter, davon sie wenigstens das Amt und die Abzeichen inne hatten, während sie freilich in Wahrheit nur Werkzeuge waren in der gewalttätigen Hand des Grafen, nickt allein der neue Bischof, sondern auch seine Kapitelherren und aller Klerus von St. Stephan, da längst die vorzeitigen Inhaber dieser Pfründen, man weiß nicht recht wie, verschwunden und lauter Kreaturen des Grafen und Ergebene des Abtes von St. Macaire an ihre Stelle getreten waren.

Sah man also an diesem Morgen den Herrn Bischof von Lectoure in seinen prunkvollsten pontifikalen Gewändern an der Spitze seines Kapitels und einer langen Reihe von Geistlichen, Vikarien, Chorherrn und Diakonen und geringerem Klerus bis zur Singschule hinunter, mit entfalteten Zahnen und vorgetragenem Kruzifix in Prozession auf dem Hof des Kastells erscheinen, und sah den Burgherrn und all sein Volk zu einem festlichen Zug sich ordnen in Prunkgewändern und Waffenschmuck mit viel Unruhe und Tumult. Und setzte sich dann die Prozession des Bischofs wieder in Bewegung, durch die dickgemauerten Tore und über die Schwebebrücke dem Markte zu und rings herum um St. Stephans Münster nach dem großen Portal zwischen den beiden Haupttürmen, wo unter den gegürteten Logen unser Herr und Heiland in seiner göttlichen Glorie in Stein gebildet ist, umgeben von den symbolischen Gestalten der heiligen Evangelisten, dem Löwen und dem Stier, dem Adler und dem Engel in fast schreckhaft starren Bildungen.

Der Prozession des Bischofs folgte der gräfliche Zug. Voran ritten zwei Herolde, der erste mit sechs Tubenbläsern zu seiner Seite auf einem stattlichen Maultiere, kostbar aufgeschirrt und vom Kopf bis zu den Hufen mit einer üppigen Decke behangen in Blau und Rot, der Farben von Armagnac; sein Reiter, halbseitig in Rot und halbseitig in Blau, trug vor sich das rosengeschmückte Wappen der Grafschaft. Der zweite Herold, in Lumpen gekleidet, ritt eine alte abgetriebene Schindmähre und trug das zerschlagene und unflätig beschmutzte Wappen der Grafen von Foix.

In beträchtlichem Abstand von den Herolden, an der Spitze all seines Volkes, die Frau Gräfin und Bertrade zu seiner Seite, ritt unter einem hochgehaltenen, von vier Rittern getragenen Baldachin der Graf auf schwarzem Andalusier mit silberdurchwobener Decke, Er trug einen goldgelben seidenen Talar und purpurfarbenen Mantel und auf dem gesalbten und glänzend schwarzen Langhaar funkelte ihm die gräfliche Krone, ein gezackter Goldreif mit blauen und roten Steinen.

Die Frauen zu seiner Seite, in starren, von edelsteinfunkelnden Miedern und langfaltigen, mit Marderpelz verbrämten Tuniken, saßen in hohen Sesseln auf ihren blau überdeckten Zeltern, und von ihren hochaufgespitzten Hauben wallten seine goldene Schleier.

Die arme Gräfin hatte nicht gewagt, sich dem grauenhaften Pomp zu entziehen; nur einer vom ganzen Hofstaat hatte sich dies gestattet, Don Palamedes, der Astrolog.

Vor dem Portal des Münsters, wo von der Höhe der Bogenwölbungen unser Heiland in seiner Glorie, umgeben von den symbolischen Tieren, hernieder sieht, die linke Hand auf dem Buch des Lebens und in der rechten das Schwert, hatte der Bischof und seine Kapitelherren, alle in starrenden Dalmatiken, zweireihig Aufstellung genommen und hielten sich in tief gebückter Haltung, als nun ihr Landesherr, nach, dem er mit den Frauen zugleich abgestiegen war, zwischen ihnen hindurch in das kerzenhelle Innere des Münsters hineinschritt.

So hatte es, gegen alles Herkommen, der Bischof von Lectoure angeordnet. Denn ihn kostete es nichts, die Würde seines Amtes und der heiligen Kirche Gottes also zu prostituieren im Angesicht des gemeinen Volkes aus der Stadt, das von allen Seiten her, dicht zusammengedrängt und wie in dumpfer Betäubung, den Vorgang mit ansah, dann aber, dem Getümmel der Ritter und Reisigen nachdrängend, das weite Schiff des Münsters füllte, allwo jetzt, nachdem der Graf mit den Frauen auf ihren Stühlen im hohen Chor Platz genommen hatte, der Bischof vom Fronaltar herunter den Ambrosianischen Lobgesang intonierte, in den alles Volk laut einstimmte; ob aus freiem und freudigem Gemüt, das weiß allein der Allwissende, der die Herzen und Nieren prüft.

Ich selber weiß nur, daß mir, während ich zitternd wie Laub im Gewittersturm unter dem geringen Volk an einem der hintersten Pfeiler gedrückt stand, kein Laut durch die vertrocknete Kehle wollte, weil ich fühlte, daß das alles geschah, nicht aus Dank gegen den Allmächtigen, sondern aus gotteslästerlichem Trotzen und zur öffentlichen und sichtbaren Verhöhnung des grausamen Leids im Herzen unserer zertretenen Herrin.

Das Böseste aber harrte ihrer noch.

Vom Münster in sein Kastell zurückgekehrt, schritt der Graf unverzüglich zu einer Zeremonie anderer Art. In der untern Halle des Palatiums war ihm auf hohem Podium ein Stuhl gerichtet mit zwei andern, etwas niedriger, zu beiden Seiten. Diesen Sitz bestieg er jetzt. Zu seiner Rechten lud er seine Gemahlin ein, zur Linken Bertrade, während seine Lieblingsrüde, ein saugkalbgroßes, gelb und schwarz geflecktes Tier, sich zu seinen Füßen ausstreckte. Auf den nächsten Schemeln nahmen die vornehmsten Vasallen Platz und weiterhin, auf dem Boden sich lagernd, Kriegsleute und Hofgesinde.

Am andern Ende der gewaltigen Halle aber war mit hänfernen Seilen von Säule zu Säule eine Schranke gezogen bis halbwegs gegen die Mitte, hinter welcher die Anwohner der Stadt sich drängten, unter die ich selber mich mit andern geringen Klerikern gemischt hatte.

Auf ein Zeichen des Grafen öffnete sich eine Seitenpforte, ich konnte von meinem Standpunkt aus die Vorgänge dort nicht sogleich gewahr werden, aber, wie alles um mich her, erbebte ich; denn unsere Frau Gräfin hatte einen plötzlichen Schrei ausgestoßen, so gräßlich, daß er mir heute noch in den Ohren gellt, ohne daß jedoch der Graf darauf zu achten schien.

Die Ursache dieses Schreies wurde nun auch sichtbar. Zwischen elenden Stockknechten, erschreckender anzusehen mit ihren verworfenen Gesichtern als das gottloseste Galgengesindel, wurde der Graf Peter, mit schweren Ketten beladen, in die Mitte der Halle geführt. Seine Wangen waren blaß und eingefallen, aber seine Augen blickten trotzig.

»Frau Gräfin,« rief er, »führt Euch nicht auf wie eine vergewaltigte Magd, ich möchte in dieser Stunde nicht schlecht von Eurer Mutter denken und bezweifeln müssen, daß Ihr meines Vaters Lenden entsprossen seid.« Ein dumpfes Raunen ging durch die Halle.

»Und du, Bluthund,« wandte er sich an Armagnac, »laß die Komödie beginnen, die du dir bestellt hast.«

»Wagt deine meineidige Zunge noch zu keifen!« rief zornvoll der geschimpfte Graf, und auf sein erneutes Winken rissen die Stockknechte dem Unseligen die Kleider vom Leibe und banden ihn mit Stricken an eine der Säulen, die das Gewölbe trugen, und je zwei und zwei abwechselnd, peitschten sie seinen Rücken mit geknoteten ledernen Riemen an kurzen Handhaben, daß erst alles Fleisch in Striemen blau wurde und dann in roten Schrummen aufsprang und des niedertropfenden Bluts sich eine Lache sammelte auf den Fliesen.

Ich konnte vor Schaudern nicht mehr hinsehen, und da ich meine entsetzten Blicke wegwendete, fielen sie längs der Mauerwände auf die bildreichen gewirkten Tapeten, wie sie in der berühmten Stadt Arras in Flandern gemacht werden, auf deren einer man unsern Herrn und Heiland vorgestellt sah, wie er, ebenfalls an eine Säule gebunden, von rohen Knechten aufs Blut gegeißelt wird, daß ich nicht anders denken konnte, als daß der Graf das Bild mit Absicht habe nachgeahmt, um in der Mißhandlung seines Unterworfenen zugleich seinen göttlichen Erlöser offensichtlich zu verspotten.

Und weiter mußte ich meine Augen in blutiger Erbarmnis nach dem hohen Sitz unserer Frau Gräfin richten. Sie saß, die Zähne aufeinander gebissen, wie ein Bild von Stein auf ihrem Sessel, und auf der andern Seite des Grafen saß ebenso unbeweglich Bertrade und blickte mit großen, starren Augen nach dem Marterbild an der Säule. Unwillkürlich fragte ich mich, ob auch ihre Seele in Starrheit gebunden liege wie ihr Blick. Nichts in dem seinen, klaren Oval ihres jungen Angesichts ließ etwas darüber vermuten.

Die Ungeheuer peitschten, peitschten. Sie ließen erst nach, als ihnen die Arme erlahmten.

»Macht ein Ende,« rief oben von seinem Thron der Herr von Armagnac; »an die eidbrecherische Zunge jetzt!«

In demselben Augenblick stürzten drei neue Henker sich auf den Geschundenen. Der eine riß ihm an den Haaren den Kopf zurück mit grausamem Ruck, und während der andere ihn an den Kiefern packte, sie auseinander zerrend mit rohen Fäusten, fuhr der dritte dazwischen mit scharfem Messer.

Da war es geschehen. Reichliches Blut floß aus den Mundwinkeln, und die Henkersfaust schleuderte ein unförmliches, blutiges Ding gegen des Grafen gefleckte Rüde, die jäh in die Höhe fuhr und den blutigen Bissen aufschnappte.

Rings um mich hörte ich dumpfes Stöhnen aus Männerbrust, und Weiber kreischten auf. Vielen wurde übel, sie mußten weggeschafft werden. Hart an meiner Seite war eine Schwangere zu Boden gesunken und begann dort in Wehen zu kreisen unter erschütternden Schreien. Die Frau Gräfin aber sah ich steif wie Holz sich aufrecht halten, lautlos, und Bertrades weitgeöffnete große Augen blickten starr wie zuvor.

Der Graf hatte sich erhoben, ich sah noch sein Haupt aus seiner Umgebung emporragen. Dann wurde ich durch die entstandene Bewegung ins Getümmel gerissen, was aber mit dem verstümmelten Herrn Peter von Foix geschah, mag sich jeder leichtlich denken. Er wird in jenen Felsenlöchern unter den Türmen, wie andere vor ihm, bei lebendigem Leib sein Grab gefunden haben.

Ein seltsam Gemurmel aber gab es am andern Morgen, woran zuerst niemand recht glauben wollte und das sich dann aber doch als Wahrheit bestätigte.

Die Frau Gräfin war in der Nacht verschwunden.

Da wurden in scheuem Tuscheln manche Vermutungen laut, was wohl aus ihr geworden sei; aber offen wagte niemand von der Sache zu reden. Sie blieb auch für immer ein Geheimnis, wenn auch später der Glaube fast allgemein wurde, der Graf habe sie mit Gewalt entfernen und in einem Kloster der Stadt Auch einsperren lassen. In der Stadt und im Lande mochte noch lang und viel geredet worden sein, auf dem Kastell aber tat schon nach wenigen Tagen jedermann so, daß man meinen konnte, es habe eine Frau Gräfin nie gegeben, vor allen der Graf selber, der die nächsten Wochen seinen Vasallen üppige Gelage gab, bald auf unserem Kastell zu Lectoure, bald auf seiner weitläufigen festen Burg zu Castera Verduzan, bald in der erzbischöflichen Stadt zu Auch, die er von neuem in Eid und Pflicht genommen.

Also ward dem Grafen die Genugtuung, daß er sich, begünstigt von der allgemeinen politischen Lage, im ganzen Land von Armagnac widerspruchslos als souveräner Herr anerkannt sah und niemand ihm den Gehorsam weigerte innerhalb der alten Grenzen seiner Grafschaft, während darüber hinaus von zweien, die ihn zur Rechenschaft ziehen durften, der eine, nämlich Herr Karl von Guyenne, mit ihm im Bunde stand, und der andere, die allerchristlichste Majestät, sich selber, weit ab von unserm Land der Sonne, gegen übermächtige Feinde zu wehren hatte in großer Bedrängnis.


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