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Achtzehntes Kapitel

Ein unlieber Besuch

Augenblicklich mochte ich verstummen vor dem Spott des Kanzlers, doch die Hoffnung auf Gottes Gnade, die einen Armagnac mit ihrem Strahl berührt hatte, leuchtete mir doch wie ein Licht in der schwarzen Betrübnis. Es war aber freilich nur ein schwaches, und am Abend dieses Tages, nach langem Gebet auf meinem Lager, hatte ich ein Gesicht, vor dem das arme Lichtlein jäh erlosch.

Ich sah den Grafen von Armagnac zusammen mit Bertrade auf einem öden Felsen am Rand eines schwarzen Abgrunds, und eine Gestalt in lichtem Gewand mit Strahlen um das Haupt, aber einen roten Streifen um den entblößten Hals, schritt gegen die beiden heran. Vor sich her leitete die Lichtgestalt zwei blonde Knaben in langen, weißen Hemden mit blutigen Flecken, und von Blut verklebt waren auch die Locken der Knaben.

An diesen Zeichen und an den Gebärden der verklärten Gestalt erkannte ich: es war der hingeschiedene Herr Jakobus von Armagnac, Herzog von Nemours, der seine zurückgelassenen Kinder dem Schutz des Neffen empfahl.

Aber der Graf an der Seite Bertrades rief seinem Onkel einen gotteslästerlichen Fluch entgegen, wandte sich ab von ihm und machte mit der Rechten nach rückwärts eine barsch abweisende Geste. Seine Bewegung schien auch wirklich die Erscheinung hinweggescheucht zu haben, denn ich sah auf einmal nichts mehr von der Lichtgestalt des Vaters noch seiner Söhne. Aber hinter Bertrade reckte sich plötzlich die Gestalt des Astrologen empor, größer als sonst und statt des feuerroten Mantels ganz in lodernde Flamme gehüllt, aus der, wie Rauch aus dem Feuer, sich zwei schwarze Flügel, die sich hoben und senkten, hervorspreiteten. Aber nur einen Augenblick dauerte dieses neue Gesicht, dann hatte der Feuergeist die beiden Menschenkinder ergriffen und mit sich gerissen hinunter in den undurchdringlichen Abgrund. In der Luft hörte ich es heulen wie von Wölfen, das aber allmählich schwächer wurde, und an mein Ohr klang der Gesang der Engel, wie ihn die frommen Hirten gehört haben in der voraufgegangenen Nacht: Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis, worauf ich, wie es scheint, ruhig entschlafen bin.

Der Graf von Armagnac aber hatte bereits für den andern Morgen den Aufbruch befohlen. Er machte an diesem Tage nur eine kurze Rast zu Vic-Fesansac und hielt darauf Nachtlager in seiner festen und umfangreichen Burg zu Castera-Verduzan, von wo wir des andern Tags gegen den Abend die Stadt Lectoure erreichten.

Es sollte aber der Graf seine Stadt nicht betreten ohne ein vorhergehendes und ganz und gar unerwartetes Zusammentreffen mit jenen mütterlichen Blutsverwandten, die ihm, als treue Anhänger des Königs so über die Maßen verhaßt waren und an welche er jetzt nicht im entferntesten mochte gedacht haben.

Von der freundlichen Stadt Flourence her bewegte sich unser Zug, wohl an die sechzig Pferde, ungerechnet die Maultiere vor den vielen Zeltwagen und hohen Zweirädern, das Tal des schilfreichen Gers entlang auf die Stadt Lectoure. Dessen gewaltiges Kastell mit seinen dreizehn Türmen ragte in der Ferne vor uns auf wie aus dem Fluß emporgewachsen. Denn inmitten des flachen Tals war es erbaut, auf einem über dem Flußufer emporstehenden Felsberg, zusammen mit dem Münster von St. Stephan und dem Markt, während die Gassen von Lectoure in Krümmungen und Winkeln sich steil abwärts zogen gegen das einzige Tor an der dem Fluß abgewendeten Seite der Stadt.

Das Kastell von Lectoure war aber, wie schon einmal erwähnt, erst unter der voraufgegangenen Herrschaft des Grafen Johann des Vierten an Stelle eines älteren, aber viel umfänglicheren errichtet worden, in einem grauweißen, weithin leuchtenden Gestein, so daß es allgemein nach außen und innen für eines der größten Wunderwerke der Baukunst geschätzt wurde im ganzen alten Aquitanien.

Nun war in der Frühe dieses Tags, wie es hier selten geschieht, reichlich Schnee gefallen, so daß die Landschaft, wiewohl die rötliche Sonne sich schon tief dem Horizont neigte, weit hinaus in großer Helle lag. Und als unser Zug mit seiner Spitze sich der hohen Steinbrücke näherte, die seit alten Zeiten hier die Straße über den Fluß leitet, sahen wir am Abhang der Hügelrücken, jenseits des Tals von Lectoure, auf der Straße von Astaffort einen Zug ähnlich dem unsrigen, nur weniger umfänglich, gegen die Stadt Lectoure herunterziehen, ungefähr in gleicher Entfernung wie wir, wonach vorauszusehen war, daß beide, wir und die andern, vor dem Tor zusammenstoßen würden.

Und so geschah es, und unser Zug geriet, als die Vordersten bereits dem Tore zuritten, plötzlich ins Stocken. Ich selber mit meinem Maultier hielt erst auf der Brücke. So hatte ich von dem hohen Bogen aus wohl den Blick bis zum Tor und sah auch ungefähr, was dort sich äußerlich zutrug, doch ohne etwas davon zu verstehen. Nur so viel wurde mir bald klar, daß es sich um keine freundliche Begegnung handelte, sondern vielmehr um einen heftigen Streit, bei dem die zornige Rede des Grafen sich einigemal zu solcher Lautheit erhob, daß sie bis zu unserer Brücke her gehört, wenn auch nicht verstanden wurde.

Fast eine halbe Stunde dauerte der Aufenthalt, dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung.

Dann war ich selber über die kettengetragene Brücke, durch das äußere und innere Tor, unter den dicken Türmen hindurch geritten, da sah ich vor dem Hause links, wo ein Faßbinder seine Werkstatt hatte, fremde Kriegsknechte mit Pferden beschäftigt, während ein ritterlicher Herr mit vergoldetem Stahlpanzer, eine vornehme Frau im Schleppkleid an der Hand führend, durch das Hoftor in das Haus eintrat.

Aus all dem wußte ich mir nichts zu machen, und da ich es immer verschmäht habe, die Leute des Kastells über die Angelegenheiten des Grafen zur Rede zu stellen oder sie auch nur anzuhören, erfuhr ich die Bedeutung dieser Vorgänge erst drei Tage später bei einem Zusammensein mit dem Kanzler auf der Kammer des Archivs.

Folgendes aber ist kurz der Inhalt dessen, was mir Meister Gratian an jenem Morgen viel ausführlicher berichtet hat.

Als der Graf an der Seite der Herrin von Armagnac und gefolgt von seinen vornehmsten Dienern auf das Stadttor zuritt, kam ihm gleichzeitig jener Reiterzug entgegen, den wir auf der Straße von Astaffort her schon früher bemerkt hatten. Und es dauerte nicht lange, daß der Graf in der vorderen Reihe der Fremden den Herrn Karl von Albret, Grafen von Astarac, seinen mütterlichen Oheim, von seiner Gemahlin begleitet, erkannte.

Doch habe der Graf die Grüße seiner Verwandten in keiner Weise erwidert, vielmehr finsteren Blickes und in feindlicher Haltung sie barsch und höhnisch gefragt, ob sie gekommen seien, ihm das Schicksal des unglücklichen Herzogs von Nemours zu melden. Wenn es sich also verhalte, hätten sie die Reise sparen mögen, und rate er den lieben Anverwandten, ihre Pferde zu wenden und unverweilt zu ihrem Lutz zurückzukehren, da er sich nicht denken könne, was er mit ihnen und sie mit ihm zu schaffen haben sollten.

Dies aber habe der Herr von Armagnac nur allzubald erfahren. Denn Herr Karl von Albret, unterstützt von seiner Gemahlin, habe nun angefangen, dem Grafen eindringliche Vorstellungen zu machen wegen der Sache mit Bertrade, dieses grauenhaften, schändlichen Verbrechens, das zum Himmel schreie um Rache, wie sie sich ausdrückten, und noch weit schimpflichere Worte hinzusetzten. Doch nur mit kaltem Hohn habe der Graf geantwortet und gefragt, wo denn seine lieben Verwandten ihre so wichtige Wissenschaft gefunden hätten oder ob etwa ihr entlaufenes und entkuttetes Söhnchen Gaston, den er von der Heerstraße aufgelesen und nachher mit Ruten wieder weggejagt habe, ihnen die Neuigkeit überbracht hätte, daß sie nun gekommen wären, da etwas zu suchen, wo ihnen doch nichts verloren gegangen sei.

Habe jedoch darauf der Graf von Astarac zusammen mit der Frau Gräfin eifrig beteuert, daß dem Herrn Gaston nie in dieser Sache ein Wort über die Lippen gekommen, und wäre dies auch nicht notwendig gewesen, da ja das ganze Königreich erfüllt sei von dem Geschrei über das neue Gomorrha zu Lectoure und seine sündhaften Greuel. Also daß täglich Klagen einliefen bei Herrn Ludwig und Aufrufe und Mahnungen, die Schande zu tilgen, die schon allzu lang zum Himmel stinke gleich einer faulen Eiterbeule in ihrer unerhörten Verruchtheit. Darum hätten sie, getrieben von dem verwandtschaftlichen Blut, die lange und beschwerliche Reise angetreten, um ihren Verwandten vor dem Schlimmsten zu retten, und wollten ihn mit dem König versöhnen und ihm und Bertrade die königliche Verzeihung auswirken, wenn er in sich gehen und sein Anrecht wieder gut machen wolle, auch seinen falschen Bischof dem geistlichen Gericht zu Toulouse auszuliefern willens wäre.

Da aber habe der Graf seine bisherige kalte und spöttische Haltung verlassen und habe in aufloderndem Zorn den Verwandten seine Verachtung in den schimpflichsten Ausdrücken und Worten ins Gesicht geschleudert, und ihnen zuletzt den Rücken gekehrt mit dem Befehl an seine Kriegsleute, dies fahrende Gesindel hinwegzuscheuchen von seiner Stadt und Burg.

Nur auf die dringende Bitte der Bertrade habe der Graf seinen harten Befehl unwillig zurückgenommen und denen von Albret, die er keines Blickes mehr würdigte, das Haus am Tor anweisen lassen für die Nacht, mit der Weisung, in der Frühe ohne Säumnis zur Abreise aufzubrechen.

Solchergestalt erzählte in der Kammer des Archivs der Kanzler von Armagnac. Aber er hatte von einem noch viel böseren Vorfall zu berichten.

Der Gräfin von Astarac war es gelungen, einen Brief an Bertrade mit schweren Vorwürfen und der Aufforderung zur heimlichen Flucht in das Kastell einzuschmuggeln und in die Hände Bertrades gelangen zu lassen. Nun kannte die zornige Entrüstung des Grafen keine Grenzen mehr. Mit dem Kastellan von Montcuq und Herrn von Astaffort, seinem Kämmerer, die ein halbes Dutzend bewaffneter Lanzenknechte mit sich führten, stürmte er hinunter nach der Stadt und an das Haus des Faßbinders Gerson, wo er mir zorniger Stimme Herrn Karl von Albret herausrief. Flüchtig in sein Hauskleid gehüllt, da er sich gerade zur Ruhe begeben wollte, erschien der Graf von Astarac auf der Schwelle des Hauses.

Bei seinem Anblick verlor der Herr von Armagnac vollends alle Besinnung, und mit bloßem Schwert drang er auf den Oheim ein. Der Sire von Montcuq fiel ihm aber in den Arm, sonst wäre es um Karl von Albret geschehen gewesen.

Der Mord wurde verhindert, aber durch nichts ließ sich der Graf davon abbringen, den Oheim und die Muhme noch in der Nacht mit ihrem Gefolge zum Tor hinauswerfen zu lassen, unbekümmert darum, was in der finstern Winternacht aus ihnen werden möchte.


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