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Vierundzwanzigstes Kapitel

Des Kanzlers Bekehrung

So war es. Deutlich hörte ich so über mir sagen.

Und mir schien es wohl, als ob ich diese Stimme schon gehört habe, aber ich konnte mich nicht darauf besinnen. Mein Kopf war so dumpf und in der Brust fühlte ich brennende Schmerzen. Auch den Menschen, von dem die Stimme ausgegangen war, konnte ich nicht erkennen, denn wie ich mich auch anstrengte, die schweren Lider zu öffnen, es gelang mir nur schwer, und ich wurde nichts gewahr als schimmerndes Licht vor den Augen. Aber deutlich fühlte ich mich auf ein sanftes Lager ausgestreckt.

Kurz, ich erlebte so das erste Aufdämmern des Bewußtwerdens nach einem langen Zustand gänzlicher Umnachtung. Und als ich dann vollends aus meiner Ohnmacht erwacht und zum vollen Besinnen auf mich selber gekommen war, sah ich um mich die Wände einer Klosterzelle und am Fußende meines Lagers einen Bruder im Gewand der Söhne des heiligen Benediktus, der mich beobachtete.

Und dann erkannte ich auch plötzlich diesen Bruder. Es war der Pater Leutewin aus dem Kloster von St. Cyriak zu Lectoure.

Das Haus dieser Brüder, wie auch die andern geistlichen Häuser der Stadt, waren nach einem strengen Gesetz für die königlichen Kriegsvölker unangetastet geblieben bei der allgemeinen Brandschatzung und Plünderung von Lectoure, und hierher hatte mich, wie ich nun staunend bald erfuhr, Herr Gaston von St. Leu durch seine Leute bringen lassen während meiner Ohnmacht.

Ich hatte also in jener Stunde des Entsetzens, da meine Sinne sich schon umnachteten, seine Stimme erkannt und die Gestalt unter der Türe richtig gedeutet.

Von der schmerzlichen Heilung meines Rippenbruchs, den die Brüder erst am vierten Tag, als die Ursache eines ganz ungewöhnlichen Fiebers und heftiger Schüttelfröste an mir entdeckten, will ich, als außerhalb der Aufgabe dieser Schrift liegend, des näheren nicht reden, ebensowenig von meiner langwierigen aber glücklichen Genesung und gänzlichen Wiederherstellung unter der liebevollen Pflege der Brüder von St. Cyriak, die ich, um meinen Dank abzutragen, in mein Gebet einschließen will alle Tage bis an das Ende meines Lebens. Im übrigen will ich hier nur noch das in Kürze berichten, was Bertrade von Armagnac anlangt, die, wie mit ihrem Leben, so auch mit ihrem Tode, zum Zeugnis werden sollte von der schier übergroßen Macht, die den bösen Dämonen gegeben ist, den Gerechten zur Prüfung, den Sündern zum ewigen Unheil.

Eine große innere Beunruhigung erwuchs mir in den späteren fieberfreien Tagen daraus, daß über das Schicksal und Verbleiben der Herrin von Armagnac niemand im Kloster eine Auskunft wußte. Und zu meiner großen Demütigung und Scham muß ich gestehen, daß sich meiner Besorgtheit, die an sich löblich war, weil sie sich auf das Heil der Seele bezog, eine häßliche Sünde anhaftete und meine Seele jämmerlich beschmutzte.

Unser Vater Prior, Dominus Guilbertus, dem ich später gebeichtet habe, hat mir zwar Trost zugeredet, weil wir, so meinte er, für Traumbilder nicht verantwortlich sind, die das Feuer des Fiebers in uns entzündet. Und wohl ist es richtig, daß es Fieberphantasien waren, in denen ich das Abscheuliche sah und wo sich über der geschändeten Leiche des Grafen in brennend deutlichen Bildern das vollzog zwischen Bertrade und dem Kriegsknecht, was Gottes Gnade und Barmherzigkeit – ich wußte es damals aber nicht – durch das Dazwischentreten des Herrn Gaston wie durch einen Engel mit flammendem Schwert verhindert hat.

Ja in Wahndelirien, die der Mensch sich nicht selber gibt, im Giftfeuer des erkrankten Gehirns war es zuerst aufgetaucht und dessen mag meine Seele freigesprochen werden. Aber daß es, oh schmachvolle Schwäche der menschlichen Natur, in meinen Gedanken haften konnte, um mich zu verfolgen bis in das helle Wachsein hinein, das ist die Schande, deren sich einer hier öffentlich anklagt, den die Brüder, um das ekle Eitergeschwür nicht wissend, für einen Heiligen hielten. Und gewiß war es nur der Kontaktus mit dem unreinen Geist durch die lange Zeit, wenngleich nur räumlicher Natur, der meine Seele also beschmutzt hat.

Denn so weit wahrlich war es mit mir gekommen in diesen Tagen nach der Zeit des Fiebers, und sobald nur meine Gedanken sich mit Bertrade beschäftigten, in Angst um ihr ewiges Heil, wie ich mir einredete: da umgaukelte mich alsbald jenes schamlose Bild, und kein Gebet, Spruch und Psalm erwies sich kräftig genug, die teuflische Spiegelung zu verscheuchen.

So strafte mich der gerechte Gott für meine Schwäche in vergangenen Tagen, als ich nicht die Kraft der Entschließung fand, mich von Bertrade zu trennen, nachdem ich sie doch ganz dem Dämon verfallen sah.

Aber war diese Schwäche nicht immer noch in mir, und entsprangen nicht eben daraus meine täglichen Stoßseufzer zu Gott, es mochte doch seiner Gnade und Barmherzigkeit gefallen haben, der Unseligen eine irdische Frist der Buße und Läuterung zu gewähren?

Oh, Allbarmherziger, du hast ihr wohl die Frist gewährt, doch der Urböse hat deiner Gnade gespottet.

Ich aber erhielt nun doch, da ich es schon nicht mehr erwartete, über das derzeitige Verbleiben der Herrin von Armagnac eine sichere Benachrichtigung und zwar durch einen Brief von Meister Gratian Favre, der mir noch ganz andere Überraschungen brachte. Dieses Schreiben des ehemaligen Kanzlers von Armagnac aus der Stadt Bourdeaux, vom siebenzehnten des Monats Martii datiert, lautete also:

Ehrwürdiger Vater.

Durch den Herrn Gaston von Albret, Ritter von St. Leu, Sire von Montcuq – sein Vorgänger in diesem Lehen hat wie viele andere an jenem sechsten mens hujus in den Straßenkämpfen zu Lectoure den Tod gefunden – habe ich zu meinem tiefen Leidewesen von den harten Stößen erfahren, die Ihr am Morgen des genannten Tages davon getragen, wie auch den Ort, wo man Euch hingebracht hat.

Darum und in Gedanken so vieler Gefälligkeiten, wozu ich Euch immer bereit gefunden habe, wie auch so mancher vertrauten Stunde, wo wir uns das Herz gegen einander eröffneten, will ich nicht verfehlen, Euch diesen Gruß zu schicken, zusammen mit meinen heißen Wünschen, daß Ihr Euch Eurer Genesung und Wiederherstellung recht bald erfreuen möget, um welche Gnade ich Gott täglich bitte in meinem Gebet.

So hoffe ich denn zu Gottes Güte, Ihr möget bereits wieder so weit in Kräften des Leibes und Gemütes vorgerückt sein, um beim Lesen dieses Briefes kopfnickend vor Euch hinzulächeln und zu murmeln: also hat er sich nun auch verkauft, der Meister Gratian Favre, der doch einst so böse Worte hatte für solche Sache.

Denkt aber nicht also, Pater Desiderius. Nein, ich habe mich dem König nicht verkauft. Schon darum nicht, weil man das besitzen muß, was man verkaufen will, und ich besaß mich selber nicht seit dem Sturz von Armagnac, wir waren an diesen Tagen alle in der Hand des Königs ohne Kaufpreis und Bedingnis.

Wenn ich aber bei den Ereignissen an jenem sechsten m. h., die ich im Geist dunkel voraus geahnt habe, nicht gewürdigt wurde, mit meinem Herrn dem Grafen in den Tod zu gehen, so lag das nicht an mir. Ihr erinnert Euch, in welcher Angelegenheit wir an jenem Morgen, der weiland Bischof von Lectoure und meine Geringigkeit, noch einmal in das Lager der Königlichen ritten, wo uns auch alles gewährt wurde, was wir nur wünschten. Darauf kehrte der Bischof allein zurück, aber er hat die Stadt nicht mehr betreten.

Noch unter dem Tore wurde er von den Lanzenknechten des Sire von Balzac jämmerlich niedergestoßen, und so, denn er war ein schlechter Mensch und ein Judas an der Kirche Christi, ich kann es jetzt sagen, so ist er seinem Herrn in die Hölle vorangefahren.

Viele aber wurden an jenem Tage getötet, die unschuldiger waren als er, darunter der ehrliche, greise Seneschalk von Lauzère, dann der Kastellan von Nogaro, der grimmige Haudegen, und nicht zu vergessen den vielgeplagten Hausvogt des Grafen, Meister Martin Tournebride, möge Gott ihnen gnädig sein in der Ewigkeit.

Mich aber wußte Seine Eminenz der Kardinal Godefredi, Erzbischof von Alby im Lager zurückzuhalten, und was das für mich zu bedeuten hatte, sollte mir bald klar werden.

Der Kardinal fing damit an, mir Dinge zu sagen, wovon ich glauben mußte, daß sie außerhalb der Mauern von Lectoure niemand wissen könnte: der Kardinal wußte sie dennoch. Er wußte auch, so unglaublich es klingen mag, mit welchem Eifer ich dem Grafen, meinem Herrn (und auch mit welchen Gründen) von der Kapitulation abgeraten und alles aufgeboten hatte, ihn zur Fortsetzung des Kampfes gegen den König umzustimmen ...

Ihr mögt Euch denken, frommer Vater, wie ich in der Seele erschrak über solche Eröffnungen.

Aber Seine Eminenz klopfte mir lächelnd auf die Schulter. Ich hätte ja, sagte sie, dem Grafen so geraten, wie es mir in meiner Stellung und nach meinen Einsichten die Pflicht gebot. Meine Pflicht sei es gewesen, dem Grafen Treu zu bewahren, und daß ich davon in so großer Not nicht abgegangen sei, mißfalle Seiner allerchristlichsten Majestät mit nichten. Vielmehr finde Seine Majestät solche Treue der Belohnung und Anerkennung in hohem Grad würdig, wie der König schon verschiedenen Personen gegenüber deutlich an den Tag gelegt habe.

Um mich kurz zu fassen, teilte mir der Kardinal mit, daß er meine Dienste dem König aufs wärmste empfohlen in einem Brief, den ich in Person dem König überbringen solle, der eben in der Stadt Bourdeaux angelangt sei, um sein Herzogtum Guyenne, nach dem Tod seines Bruders, des Herrn Karl, förmlich und feierlich in Besitz zu nehmen.

Dergestalt ist dieser gegenwärtige Brief aus der genannten nun königlichen Stadt datiert, wo mich Herr Ludwig vor drei Tagen, nachdem er mir den Brief des Kardinals durch einen Schreiber hatte abnehmen lassen, in einer geheimen Audienz sehr leutselig empfangen hat. Seine Majestät hat sich noch nicht ausgesprochen wegen meiner Verwendung; aber eine große Gnade hat mir der König zum voraus erwiesen.

Durch den Tod des Bischofs von Lectoure und Bastard von Armagnac ist die Abtei von St. Macaire, die heute vierzehntausend Livree Renten trägt, ledig geworden, und diese Pfründe hat mir der König in seiner Großmut verliehen. Als ich zu der genannten geheimen Audienz kam, lag schon unterschrieben und gesiegelt die Verleihungsurkunde auf dem Tische.

O, Mönchlein, du hast klarer gesehen als alle Kinder der Welt um Dich, Deinen Freund, den Kanzler mit inbegriffen. Dieser aber weiß es heut, daß man zu Lectoure unsern Herrn Ludwig gar sehr verleumdet hat. Wahr ist, wenn man den König so sieht in seiner alten, abgetragenen Kleidung, mit dem braunen Mäntelchen von Barchent und den schwarzwollenen Schenkelstrümpfen, die fast weiß gescheuert sind an den Knien, da könnte man ihn für den ersten besten kleinen Krämer halten, vorausgesetzt, daß man ihm nicht ins Auge blickt, in dem er den Blitz zu tragen scheint nicht anders als der Herr Jupiter selber, der alte Heidengott.

Aber, Pater Desiderius, Ihr denkt wohl, daß ich alt werde, da ich mich in solcher Geschwätzigkeit ergehe und doch noch immer nicht das berichtet habe, was Ihr vielleicht vor allem andern zu erfahren wünschet, nämlich was das Verbleiben Bertrades von Armagnac betrifft.

Nun fürs erste ist sie geborgen. Herr Gaston von Albret, Sire von Montcuq, hat sie nun doch, dem Gegenwillen des Grafen zum Trotz, gerettet und, wie er versprochen, bei seiner Muhme, der Äbtissin vom Kloster der Bernhardinerinnen zu Toulouse in Sicherheit gebracht. Möchte sie den Wink des Himmels verstehen, der diese Rettungstat zugelassen hat, um ihr den Weg zum ewigen Heil durch das Mittel einer aufrichtigen Buße nicht abzuschneiden.

Ja, hoffen wir zu Gott, daß es sich so füge und unser aller Herr und Heiland um der erhofften Buße und seiner eigenen göttlichen Verdienste willen sie gnädig errette vor dem ewigen Feuer.

Vor dem irdischen Feuer aber wird auch ihr gegenwärtiges heiliges Asyl sie nicht zu schützen vermögen. Denn das öffentliche Ärgernis ihrer Tat ist zu groß und verlangt nach einer weithin sichtbaren Sühne. Auch hat, wie mir zu Ohren gekommen, der König bereits an das erzbischöfliche Kapitel von St. Stephan bei der Kathedrale zu Toulouse den Befehl ergehen lassen, sich der Geflüchteten zu bemächtigen und das Verfahren gegen sie nach den Vorschriften der geistlichen Gerichtsbarkeit einzuleiten. Gott sei ihrer armen Seele gnädig, und Euch, ehrwürdiger Vater, gebe er von neuem Gesundheit des Leibes und Heiterkeit des Gemüts. Amen.

Euer Bruder in Christo
Gratian, Abt von St. Macaire.

P. S.

Mein Bericht, ehrwürdiger Vater, über die mir widerfahrene königliche Gnade ist vielleicht etwas allzu selbstgefällig ausgefallen, darum ich nicht unterlassen will, nachträglich einen Umstand zu erwähnen, der mir noch lange bitter auf der Zunge schmecken wird. In die Dienste des Herrn Tristan Lhermirte, den unser Herr Ludwig etwas allzu spaßhaft seinen lieben Gevatter nennt, ist dieser Tags ein Baske, mit Namen Peter Gorgias, als erster Gehilfe eingetreten, der bis jetzt bei Herrn von Balzac, Seneschalken von Beaucaire, das Amt eines Henkers zu bekleiden gewürdigt wurde. Dieser Mensch rühmt sich hier allenthalben vom König einen mit Dukaten gefüllten silbernen Becher erhalten zu haben, zum Lohn dafür, daß er den Grafen von Armagnac mit eigener Hand getötet hat, und niemand zweifelt an der Wahrheit seiner unverschämten Rede. Da muß ich denn oft heimlich bei mir denken, was dieselben Leute, und viele andere durch ganz Frankreich hin, wohl von meinen eigenen Handlungen halten und glauben werden, nämlich welcher Art und Natur diese Handlungen gewesen sein müssen, daß sie mir als königlichen Lohn gleich eine fette Abtei eingetragen haben. Ja, Pater Desideri, was bleibt da einem armen rechtschaffenen Manne übrig, als sich mit Vater Cicero zu trösten, denn schon dieser alte Heide hat es gewußt: optimas causas ingenii calumnia ludificari, was ich mir in der Vulgarsprache so reime:

Es ist kein Lamm so rein und weiß,
Die Welt find't Dreck an seinem Steiß.

Dieses war das Schreiben des weiland Kanzlers von Armagnac, über das ich später wohl manchmal lächeln mußte, wie er es vorausgesehen hat.

Für den Augenblick aber, ich meine des erstmaligen Lesens, berührte mich daran nichts so stark, wie die frommen Wünsche und Gebete des Schreibers um das Seelenheil unser beider einstmals Herrin, und in diese Wünsche und Gebete stimmte ich aus tiefster Seele mir ein.

Sie haben sich, zum Leidwesen aller frommen Christen, nicht erfüllt, wie in schauerlicher Weise der angeheftete Bericht dartut, den fünf Monate später der geistliche Oberrichter des Kapitels von St. Stephan bei der Kathedrale zu Toulouse, Herr Hugo von Loremont, der beiden Rechte Doktor und erzbischöflicher Kanonikus, durch seinen Schreiber Meister Martin Lacroutelle als Auszug aus den Gerichtsprotokollen anfertigen und unserem Vater Prior auf dessen Bitte zustellen ließ.


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