Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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57. Der Krieg gegen Frankreich 1870.

Rede in der Versammlung der Historischen Kommission am 1. Oktober 1870. Werke Bd. 51 u. 52 S. 560-564.

Man glaubte in Frankreich noch immer Deutschland vor sich zu haben, wie es die revolutionären Heere und der erste Kaiser vor sich hatten. Da war es nun ein entscheidendes Ereignis, daß der junge König, unter dessen Auspizien wir uns hier versammeln, ohne zu zögern den Moment für gekommen erklärte, für welchen sein Bund mit Preußen geschlossen sei. In Norddeutschland war man auf dem Lande bei aller Hingebung doch nicht ohne Sorge, als der Krieg erklärt wurde; alle Besorgnis schwand, als man vernahm, daß König Ludwig von Bayern den Casus foederis anerkannt habe.

Ich will nicht sagen, daß der Krieg nicht hätte geführt werden können, wenn Süddeutschland neutral geblieben wäre; aber er hätte niemals jenen nationaldeutschen Charakter angenommen und unendlich größere Schwierigkeiten dargeboten. Erst als die süddeutschen Waffen sich den preußischen zugesellten, wurde die deutsche Idee verwirklicht. Der Feldzugsplan der Franzosen wurde auf eine für sie unerwartete Weise durchkreuzt; sie mußten erleben, daß Deutschland ohne die Hilfe andrer europäischer Mächte, ja selbst ohne Teilnahme von Österreich, – das gewiß nicht wegen der Gesinnung der Bevölkerung, die für uns vielmehr nur die lebendigste Sympathie verriet, aber durch seine anderweite politische Beziehung veranlaßt eine neutrale Stellung annahm, – ihnen vollkommen gewachsen war. Die stärkere Vermehrung der germanischen Rasse gegenüber der romanischen hatte die früheren Unterschiede ausgeglichen. Alles aber bekam nun Leben durch die militärische Organisation, an welcher der preußische Staat fast in Voraussicht eines ähnlichen Falles in den letzten fünfzig Jahren fortwährend gearbeitet hatte, und der sich das übrige Deutschland anschloß.

Wo Waffen und Idee einen Bund schließen, sind sie immer unwiderstehlich gewesen; hier waren es die preußisch-deutschen Waffen und die deutsche Idee. Die Gleichartigen bildeten nun eine Waffengenossenschaft, die von vornherein, sowie sie mit dem Feinde zusammenstieß, der gegenüberstehenden ebenbürtig erschien und sich ihr im Laufe des Kampfes überlegen erwiesen hat. An allen großen Schlachttagen haben preußische, norddeutsche, süddeutsche Truppen zusammengewirkt: bei Weißenburg die Schlesier, Posener, Thüringer, Franken, Pfälzer; bei Wörth traten Württemberger und Badener hinzu. Bei Saarbrücken-Forbach Westfalen, Hannoveraner, brandenburgische und niederrheinische Regimenter. Bei Metz am 14. August Ostpreußen, Westpreußen und Westfalen; am 16. Brandenburger, Hannoveraner, Braunschweiger, Oldenburger, Schleswig-Holsteiner, Hessen-Darmstädter; am 18. außer diesen Sachsen, Pommern, das Gardekorps; am 31. August Ostpreußen, Mecklenburger, Hanseaten. Vor Sedan Sachsen aus dem Königreich und aus der Provinz, das vierte, das Gardekorps, das zwölfte Armeekorps; Altbayern, die großen Eifer bewiesen.

Wir sind alle erstaunt über die glänzende Siegeslaufbahn, welche im Laufe eines Monats durchmessen worden ist, voll Bewunderung über das Zusammenwirken der verschiedensten Kräfte nach einem vorausgefaßten und doch jeden Wechsel der Verhältnisse berücksichtigenden Plan, die Umsicht im großen, die unvergleichliche Tapferkeit im einzelnen. Ich will kein Wort weiter darüber sagen; der allgemeine Eindruck ist, daß damit zugleich einer der Wendepunkte der Weltentwicklung und politischen Gestaltung eingetreten ist, welche die Epochen scheiden. Wir sehen der neuen mit Hoffnung und Freude entgegen, obgleich alte Männer, wie mehrere von uns, sie nicht erleben werden. Doch ist es nicht unsres Amtes, in die Zukunft zu blicken oder Ratschläge für die Gegenwart zu geben, selbst nicht Ansprüche zu formulieren; wir bemerken nur, daß, indem sich eine neue Zukunft zu eröffnen scheint, unsre Vergangenheit Licht und neue Momente für ihre Würdigung empfängt.

Die Ereignisse, die unter der Rückwirkung des deutsch-französischen Krieges in Italien eingetreten sind und eintreten, kann man nicht ansehen, ohne des Zusammenhanges unsres alten Reichs mit dem Papsttum zu gedenken. Wir sahen einen Pontifex, der ohne alle Rücksicht auf die den Staaten innewohnenden Bedürfnisse und gerechten Ansprüche eine Prärogative formulierte, die in den frühern Jahrhunderten zwar erhoben, aber niemals durchgeführt worden war. In einer großen Versammlung kirchlicher Würdenträger aus aller Welt, aber im Widerspruch mit der Mehrzahl der westlichen, namentlich der deutschen BischöfeSiehe Geschichte der Päpste 3, 199 ff. brachte er sie zur Anerkennung. Solange die deutschen Kaiser ihre Autorität aufrecht erhielten, waren Dinge dieser Art nie gelungen, denn das deutsche Bistum stand dem Kaiser immer mit seiner geistlichen Befugnis zur Seite. Gleich darauf wird die weltliche Macht des Papsttums im offenen Kampfe überwältigt, infolge der italienischen Idee, welche einst dem Papste selbst zu ergreifen nicht gelungen war. Alle die Ereignisse, welche die Jahrhunderte erfüllen, erhalten eine unmittelbare Bedeutung durch die Dinge, die vor unsern Augen vorgehn. Man sah, was ein Kaisertum wert war, welches, wenn auch in stetem Kampfe, die höchste Gewalt in der Kirche mäßigte, aber ihre Autonomie erhielt.

Eine andre Erinnrung, noch stärker durch die Tendenz eines nationalen Momentes, bilden die Verhältnisse des westlichen und östlichen Reichs. Die Teilungen des karolingischen Reichs, aus dem das ostfränkische, nachmals deutsche, und das westfränkische, nachmals französische, hervorgegangen, bekommen eine über die bloß territoriale Auseinandersetzung und die fürstlichen Erbansprüche hinausreichende Beziehung. Etwa vor tausend Jahren, im Sommer 870, fand die Zusammenkunft an dem Vorsprung der Maas zu Mersen zwischen Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen statt, in welcher über die Begrenzung ein Beschluß gefaßt wurde, der an die soeben vorliegende Frage unmittelbar anknüpft. Der Moselgau an beiden Ufern dieses Flusses, welcher Metz und Diedenhofen begriff, wurde zu dem östlichen Reiche geschlagen, und Straßburg mit seiner kirchlichen Metropole Mainz wieder vereinigt. Ich ziehe keine Folgerungen daraus, ich knüpfe keine Ansprüche daran; ich bezeichne nur die Tatsache, welch eine auf den heutigen Tag fortwirkende lebendige Beziehung in der Verabredung liegt, die vor tausend Jahren gepflogen wurde.

Das alte Reich war zur Behauptung seiner Sicherheit vortrefflich angelegt. Mir liegt es fern, die Entwicklung des westlichen Reiches als in stetem Übergriff in die Rechte seiner Nachbarn, namentlich der Deutschen, zu betrachten. Es war ihm gegeben, in einem Kampfe, der doch etwas Unvermeidliches hatte, inwiefern er zugleich gegen das überwältigende Umsichgreifen des plantagenetischen Vasallenverhältnisses gerichtet war, eine zentrale Macht von größerer Stärke zu entfalten, von der wir doch auch mannigfaltigen Vorteil empfangen haben, für Kultur und Gelehrsamkeit wie für den Staat. Auch will ich nicht unbedingt auf unsre Entzweiung schelten, die zu jenen Übergriffen Anlaß gab. Metz, Toul und Verdun wurden infolge der Streitigkeit Frankreichs mit dem Hause Österreich-Burgund, welches die reichsoberhauptliche Gewalt ausübte, und zugleich durch innere religiöse Kämpfe, welche eine Wendung gegen dieses Haus nahmen, dem Hause entfremdet. Um nicht dem in Aussicht stehenden Kaisertum Philipps II. zu verfallenSiehe oben S. 69. und die Beschlüsse des tridentinischen Konzils annehmen zu müssen, haben die Protestanten unter Führung des geistvollen Kurfürsten Moritz von Sachsen es zugegeben, daß der König von Frankreich das Reichsvikariat in dieser Gegend in Besitz nahm. Es war ein Preis seiner Unterstützung, gelang aber durch eine eifrig katholische Partei in der Stadt.Deutsche Geschichte 4, 237; 5, 169. Karl V. erschien mit all seiner Macht zur Belagerung vor Metz, aber allzu ungünstige Jahreszeit und ein trefflicher Kriegsmann, der Herzog von Guise, der es verteidigte, nötigten ihn, gegenüber von Krankheit und Regenwetter die Belagerung aufzuheben.

Jedes Jahrhundert hat nun einmal seine eignen Aufgaben und Machtbedingungen. Aber man muß dessen gedenken, was im Laufe der Zeiten aus jenen Anfängen entsprungen ist. Unsre Entzweiung überstieg alles Maß. Als den Moment der tiefsten Erniedrigung des deutschen Reiches als eines Ganzen kann man die Überwältigung Straßburgs durch Ludwig XIV. betrachten, als eine der wichtigsten Reichsstädte, gegen den übermächtigen Nachbar allein gelassen, durch einen von demselben gewonnenen Magistrat im Gegensatz mit einer Bürgerschaft, die sich dennoch zu verteidigen wünschte, in die französische Hand geriet. Es ist ein großer historischer Augenblick, daß sie nach 189 Jahren ihrer Entfremdung fast an dem Jahrestage der ersten Eroberung Ludwigs XIV. wiedergewonnen ist. Und daß nun aus unsrer Entzweiung, welche in den erwähnten Zeiten so stark war, daß sie uns das Bewußtsein unsrer Nationalität kostete, dieses wiedererwacht und zu einer großartigen Erscheinung gebracht ist, das ist eben das welthistorische Ereignis, welches eine neue Ära verkündigt.

Wir nehmen nichts voraus, aber der Augenschein zeigt, daß das welthistorische Verhältnis, welches die letzten beiden Jahrhunderte beherrscht hat, sich umgestaltet und das Übergewicht sich auf die Seite des östlichen Reichs neigt, dem es jedoch nicht beikommt, die Freiheit des westlichen zu beschränken und zu beherrschen. Es kann nicht darauf ankommen andre zu erdrücken, sondern nur uns selber zu behaupten, die errungnen Siege dahin zu entwickeln, daß wir uns vor niemand zu fürchten haben und die Einheit der Nation wiedergewinnen, die uns mangelt, ohne die Besonderheiten, die auch ihre historische Berechtigung haben, zu vernichten.

Diesen Eindruck macht auch das Zusammenwirken aller deutschen Stämme und Staaten in diesem großen Kampfe. Die gemeinschaftlich bestandne Gefahr und die gemeinschaftlich errungnen Erfolge müssen allem menschlichen Ansehen nach alle wieder aufs engste zusammenknüpfen. Das, was geschehen, ist aber schon ein historischer Moment, der es vielleicht verdient auch hier zur Sprache gebracht zu werden, denn der Vergangenheit sind unsre Studien gewidmet, der Gegenwart unsre Sympathie, der Zukunft unsre durch beide berechtigten Hoffnungen und Wünsche.


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